Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 85. Psalm.
1. Ein Psalm der Kinder Korah, vorzusingen. 2. HErr, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande, und hast die Gefangenen Jakobs erlöst; 3. Der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk, und alle ihre Sünde bedeckt, Sela; 4. Der du vormals hast allen deinen Zorn aufgehoben, und dich gewendet von dem Grimm deines Zorns; 5. Tröste uns, GOtt, unser Heiland, und lass ab von deiner Ungnade über uns. 6. Willst du denn ewig über uns zürnen, und deinen Zorn gehen lassen immer für und für? 7. Willst Du uns denn nicht wieder erquicken, dass sich dein Volk über dich freuen möge? 8. HErr, erzeige uns deine Gnade, und hilf uns. 9. Ach dass ich hören sollte, dass GOtt der HErr redete, dass er Frieden zusagte seinem Volk, und seinen Heiligen, auf dass sie nicht auf eine Torheit geraten. 10. Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11. Dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12. Dass Treue auf der Erde wachse, und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13. Dass uns auch der HErr Gutes tue, damit unser Land sein Gewächs gebe; 14. Dass Gerechtigkeit dennoch vor ihm bleibe, und im Schwange gehe.
Der 85. Psalm heißt 1) in seiner Überschrift: Ein Psalm der Kinder Korah, vorzusingen. Seinem Inhalt nach ist er ein Gebet derer, die sich zur bösen Zeit vor den Riss stellen und zu einer Mauer machen wollen, um ihr Land und Volk. Es ergeben sich darin drei merkliche Absätze, nämlich 2) ergreifen sie das Vergangene zur Anfrischung ihres Glaubens und Gebets, und halten es dem großen GOtt vor, V. 2-4. Im Zurückdenken an die vorigen Taten GOttes liegt eine große Stärkung für den Glauben. Aber wenn der Glaube so mit GOtt ringt, und Ihm Sein vormaliges Vergeben vorhält; so ist es etwas Anderes, als wenn ein Leichtsinniger denkt, ich habe wohl ehemals mehr Böses begangen, und es ist mir nichts wiederfahren. Der Glaube rechtfertigt auch die Offenbarung des gerechten Zorns und Gerichts GOttes, ergreift aber das zu seinem Gebet und Fürbitte, dass sich GOtt davon wieder abgewendet, und auf den ersten Gnaden-Vorsatz umgelenkt habe. 3) Hernach legen sie sich ins demütige Bitten um Hilfe im Gegenwärtigen, V. 5-8. 4) Nachdem sie das mit kindlicher Zucht und Furcht angebracht haben, so geben sie sich aufs Zukünftige in die Stille, und ins zuversichtliche Erwarten der Hilfe GOttes, V. 9-14. Zu den Höhen aufzusehen, bleibt unsers Glaubens Pflicht, und dabei geht es nicht ohne manche Anregung des Geistes ab, der unseren Glauben unterstützt mit dem Zeugnis: doch ist ja keine Hilfe nahe, V. 10., und der einem so eine angenehme Aussicht verschafft, wie es noch sein werde, wenn das Heil GOttes durchbrechen und das Land der Ehre und Herrlichkeit des HErrn voll machen wird. Was einander begegnet, und was einander im Begegnen umfängt und küsst, das kommt aus verschiedenen Gegenden. Von der Gerechtigkeit wird es ausdrücklich gemeldet, dass sie vom Himmel schaue; und von der Treue, dass sie auf der Erden wachse. So verhält es sich also auch mit der Güte und dem Frieden. Der göttlichen Güte oder Seiner Zuneigung zu uns Armen, begegnet die Treue oder unser Glaube, der die Güte dankbar annimmt. Die aus dem Himmel schauende Gerechtigkeit und vollständige Versicherung von der rechtsbeständigen Ausführung alles Gnaden-Vorsatzes GOttes über uns empfängt und küsst der Friede, der sich ganz darin beruhigt. So wird das erreicht, worauf es angesehen war, nämlich Gerechtigkeit kommt und bleibt im Schwang und Gang.