Neff, Felix - An einige Studenten
Ein Brief, welchen Neff 1822 an einige junge Männer schrieb, die sich auf der Akademie von Montauban zum Dienste des Herrn vorbereiteten.
Meine theuern Freunde!
Es ist nicht nöthig, euch zu sagen, wie sehr ich mich über eure Fortschritte freue. Nun seid ihr in der theologischen Classe und bald werdet ihr anfangen können, als Candidaten zu predigen. Indessen bitte ich in meinen Danksagungen den lieben Gott, er möge euch vor der Hoffart behüten, und euch Kraft geben, so zahlreiche Versuchungen zu überwinden. Vergeßt nicht, daß die meisten Gegenstände, die man euch lehrt, von geringem Nutzen für das Reich Gottes sein werden, und daß es darunter selbst solche giebt, die viel eher das Herz aufblähen und die Einfalt des Glaubens zerstören als erbauen können. Ich wünsche, daß ihr euch mit diesen Gegenständen so beschäftigt, wie ein Chemiker mit dem Gift, daß er in die Hand nimmt. Wehe euch, wenn ihr euer Herz daran hängt! Eure Lage ist um so viel gefährlicher, weil ihr aus einer gänzlichen Unwissenheit unmittelbar zu dem Lichte des Evangeliums gelangt seid, und die betrüglichen Scheine, mit denen man euch blenden will, für euch den Reiz der Neuheit haben können, während gerade diejenigen, welche nach langem Herumirren in dürren und wasserarmen Wüsten zu Jesu Füßen Ruhe gefunden haben, nicht mehr durch trügerische Führer irre gemacht werden können. Erspart euch diese traurige Erfahrung; versucht den Herrn nicht durch ein verwegenes sich Versenken in dieses grundlose Sandmeer und in ein dunkles Labyrinth, wohin er euch mit seinem Geiste nicht folgen, euch nicht behüten wird. Seid nicht vermessen, und denkt nicht, daß man Alles ungestraft versuchen kann. Es verhält sich mit dem Geist, wie mit dem Herzen; sobald er das Böse nicht mehr scheut, ist er nahe daran, es zu lieben; sobald er aufhört zu kämpfen oder zu fliehen, ist er der Unterjochung ganz nahe.
Erinnert euch an die glücklichen Zeiten, wo ihr das Evangelium in Einfalt des Herzens annahmet; was könntet ihr Besseres wünschen? Versetzt euch in euer theures Vaterland, in die Hütten in den oberen Alpen, unter unsere Brüder und Schwestern, welche nichts wissen, als Jesum Christum und zwar den Gekreuzigten, die nur die Bibel und einige Bücher lesen, die aus der Erfahrung des Herzens geschrieben sind. Was mangelt ihnen und was könnten sie in dem Umgange der Weisen und der gelehrten Forscher dieses Zeitalters gewinnen, deren vorgebliches Wissen ihr vielleicht beneidet? Hinsichtlich der positiven Wissenschaften, obgleich man nicht zu viel Werth darauf setzen muß, bin ich der Meinung, daß man nicht genug Kenntnisse darinnen sich verschaffen kann. LEgt euch also gründlich auf das Sprachstudium, beschäftigt euch so viel als möglich mit der Mathematik, Geschichte und den Naturwissenschaften, und benutzet diese Kenntnisse für das Reich Gottes. In der Metaphysik aber und überhaupt in der eigentlichen Theologie könnet ihr sehr wenig von Menschen lernen; dies sind Gegenstände, die das Auge nicht gesehen, das Ohr nicht gehört hat und die in keines Menschen Herz gekommen sind, sondern die der Herr denen aufbehalten hat, welche er liebt, und da Niemand weiß, was in dem Menschen ist, als der eigene Geist, so kennt auch Niemand, was von Gott ist, als der Geist Gottes. Dieser Geist also allein kann sie uns kennen lehren; auch haben wir nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der von Gott kommt, damit wir die Dinge, die uns von Gott gegeben wurden, erkennen, die, fügt der Apostel bei, wir nicht mit Reden menschlicher Weisheit verkündigen, sondern mit solchen, die der heilige Geist lehrt.
Verwendet also so wenig Zeit als möglich auf Alles, was den Hunger nicht zu stillen vermag; lernet in der sogenannten Theologie und in den Wissenschaften, die auf geistliche Dinge Bezug haben, gerade nur so viel, als nöthig ist, um in eueren Prüfungen zu bestehen. Gebet nie zu, daß man über diese Materie euch aus dem Gebiete der Schrift hinausführe und verwerfet stets jedes andere Zeugniß; kämpft mit Liebe und Bescheidenheit, zugleich aber mit Freimüthigkeit, gegen irrige Lehren, die man euch etwa vorträgt.
Tretet mit den Studenten nur zu euerer oder ihrer Erbauung in Verbindungen.
Denkt immer daran, daß ihr nicht zu Montauban seid, um euch blos auf das Predigtamt vorzubereiten, sondern einigermaßen, um es schon dort auszuüben. Wenn ihr wahre Schüler Christi sein wollt, so habt Oehl in euren Lampen und Salz bei euch selbst. Bleibet bei Jesu, der Quelle alles Lichtes; bleibet am Weinstock; denn außer ihm, was auch die Welt sagen mag, könnet ihr Nichts thun. Liebet einander, erbauet euch gegenseitig, vermeidet unnütze Fragen, betet gemeinsam und schließet euch so enge an einander an, wie ein Haufen Infanterie, dem die Reiterei hart zusetzt. Ich wiederhole es nochmals, verwendet eure Zeit nicht auf eitle Dinge.
Der Waldenser Prediger Felix Neff Hauptverein für christliche Erbauungsschriften in Berlin.