Rieger, Carl Heinrich - Kurze Betrachtungen über die Psalmen – Der 103. Psalm.
1. Ein Psalm Davids. Lobe den HErrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen; 2. Lobe den HErrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat, 3. Der dir alle deine Sünde vergibt, und heilt alle deine Gebrechen, 4. Der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit. 5. Der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst, wie ein Adler. 6. Der HErr schafft Gerechtigkeit und Gericht Allen, die Unrecht leiden. 7. Er hat seine Wege Mose wissen lassen, die Kinder Israel sein Tun. 8. Barmherzig und gnädig ist der HErr, geduldig und von großer Güte. 9. Er wird nicht immer hadern, noch ewig Zorn halten. 10. Er handelt nicht mit uns nach unseren Sünden, und vergilt uns nicht nach unserer Missetat. 11. Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten über die, so ihn fürchten, 12. So fern der Morgen ist vom Abend, lässt er unsere Übertretung von uns sein. 13. Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der HErr über die, so ihn fürchten. 14. Denn Er kennt, was für ein Gemächte wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind. 15. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; 16. Wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr. 17. Die Gnade aber des HErrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so ihn fürchten; und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind, 18. Bei denen, die seinen Bund halten, und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun. 19. Der HErr hat seinen Stuhl im Himmel bereitet, und sein Reich herrscht über Alles. 20. Lobt den HErrn, ihr seine Engel, ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre die Stimme seines Worts. 21. Lobt den HErrn, alle seine Heerscharen, seine Diener, die ihr seinen Willen tut. 22. Lobt den HErrn, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft. Lobe den HErrn, meine Seele.
Der 103. Psalm heißt 1) in der Überschrift: Ein Psalm Davids. Es ist bedenklich, wie auf die im nächstvorhergehenden Psalm so beweglich ausgeschütteten Klagen des Elenden nun in diesem Psalm so ein herrliches Lobopfer des Begnadigten folgt, besonders wenn man noch etwas näher bemerkt, wie Manches, das im vorigen Psalm als ein schmerzlicher Pfeil des Allmächtigen, klagweise ist angezogen worden, nun als eine zum Heil angeschlagene Kur gerühmt, wird. Z.B. meine Tage sind vergangen wie ein Rauch, meine Gebeine sind verbrannt wie ein Brand, meine Tage sind dahin wie ein Schatten, und ich verdorre wie Gras. Hingegen in diesem Psalm: Der dein Leben vom Verderben erlöst, und dich krönt mit Gnade und Barmherzigkeit; der deinen Mund fröhlich macht, und du wieder jung wirst wie ein Adler usw. So war auch der Trost aus GOtt im 102. Psalm daher genommen: Du aber, HErr, bleibst wie Du bist, und hier im Psalm heißt es: Die Gnade aber des HErrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, so Ihn fürchten; und Seine Gerechtigkeit auf Kindeskind; dass man also wohl sagen mag: Sünde und Tod fühlen, und darunter um Gnade und Versöhnung ringen, und nach dem Reich GOttes und Seiner Gerechtigkeit trachten, ist die Sache des 102. Psalm: Sünde und Tod fühlen, und darüber Versöhnung und den Geist, der da lebendig macht, empfangen haben, und also seinen GOtt loben, und sich im Glauben und Geduld an alle Heiligen GOttes anschließen, ist die Sache des 103. Psalmen. 2) Die Einteilung des Psalms ergibt sich merklich in drei Teile. Der erste Teil enthält einen erwecklichen Aufruf zum Lob GOttes, womit er seiner eigenen Seele zuspricht, GOttes Wohltaten im Äußern und Innern dankbar zu erwägen, V. 1-5. Hierauf folgt dann ein ausführliches Lob GOttes und Anbetung über Seine Gerechtigkeit, Gnade und Reich, 2. 6-19. Der Schluss macht einen wiederholten Aufruf zum Lob GOttes, der an die Engel und an alle Werke GOttes gerichtet ist, zuletzt aber sich doch wieder auf seine eigene Seele zurückzieht, V. 20-22. So bald ein Mensch der Gerechtigkeit GOttes untertan ist, so kann er sich des ganzen Reichs GOttes, und alles Dessen, was GOtt darin zu Seinem Lob bereitet hat, mit Freuden annehmen, und Gemeinschaft damit haben. Da lässt GOtt von Seinem Hadern mit einem, und der Mensch lässt von seinem Streiten und Rechthaben wider GOtt ab, und gibt sich als einen von der Sünde überwältigten, in die Bande des Todes geratenen, sich selbst zu helfen unvermögenden Menschen hin, dem GOtt Seinen richterlichen Beistand nicht versagen kann, sondern ihn nach dem in Gnade und Wahrheit festgesetzten Armen - Sünderrecht herausreißt, und ihm Herz und Mund bis zum Loben und Danken stillt und erfüllt. Da erfährt man, was es ist um eine ewige Gnade, die mithin auch einen ewigen unaufhörlichen Ausfluss und Zueignung über unser Herz bringt. Da gibts ein fröhliches Leben im Willen GOttes, dabei einer an GOtt glaubt, sich in GOtt freut, Ihm aus herzlicher Liebe für Seine Gnade dankt, Ihn vor der Welt bekennt, sich auch durch Seinen Heiligen Geist regieren lässt zu all Seinem Willen, und alle Demütigungen, darunter man den Leib der Sünde und des Todes fühlt, und sich als einen Staub- Menschen empfindet, mit der fröhlichen Hoffnung des ewigen Lebens in der ewigen Gnade überwindet.