Rieger, Carl Heinrich - Über die zwölf kleinen Propheten - Jona - Das erste Kapitel
beschreibt, wie Jona von GOtt zur Predigt für die Stadt Ninive berufen worden sei, welchem Beruf er sich durch eine Flucht habe entziehen wollen, aber erfahren habe, wie GOtt Einen findet, und Einem seine eigenwilligen Wege vermachen könne.
I. Jona wird von GOtt berufen, in Ninive zu predigen.
1. Es geschah das Wort des HErrn zu Jona, dem Sohne Amithai, und sprach: 2. Mache dich auf, und gehe in die große Stadt Ninive, und predige darinnen; denn ihre Bosheit ist heraufgekommen vor mich.
Von Solchen, die in ihrer Abweichung schon weiter von GOtt abgekommen sind, heißt es: ihre Sünden sind heraufgekommen vor Mich, Ich habe das Geschrei davon gehört usw. Von denen aber, zu denen sich GOtt noch näher tut, oder in deren Mitte der HErr JEsus noch wandelt, heißt es: Ich weiß deine Werke, ich sehe, wie es unter euch zugeht. Auch nur diese erste Anzeige hat den Jona schon auf den Inhalt seiner Predigt vorbereiten können, doch ist kein Zweifel, dass ihm selbiger noch näher ist geoffenbart worden, wie er sich unten Kap. 4, 2. darauf beruft, warum er schon daheim in seinem Lande keine Lust zu solch einer Predigt gehabt habe.
II. Wie sich Jona diesem göttlichen Beruf durch eine Flucht habe entziehen wollen.
3. Aber Jona machte sich auf, und floh vor dem HErrn, und wollte aufs Meer, und kam hinab gen Japho. Und da er ein Schiff fand, das aufs Meer wollte fahren, gab er Fährgeld und trat darein, dass er mit ihnen aufs Meer führe vor dem HErrn.
Jona wusste und glaubte freilich die Allgegenwart GOttes, vor welcher Niemand fliehen könnte, nach Ps. 139. Aber außerhalb des Landes Israel, darin GOtt so besonders wohnte, an einem fremden Ort, wo kein Wort, Glaube und Erkenntnis GOttes anzutreffen, meinte Jona doch vor GOttes Ruf, Erscheinung und Antrieb sicherer zu sein. Aus dem Umstand, dass er gleich so ein Schiff nach seinem Wunsch angetroffen, wird sich Jona auf sein Vorhaben gesteift haben. Allein auch zu einer im Ungehorsam vorgenommenen Flucht kann sich im Äußern Alles schicken. Ob ein Mensch beim Gehorsam auf gutem Wege sei, muss aus andern Kennzeichen ausgemacht sein.
III. Wie Jona auf dieser Flucht von GOtt verhindert und bestraft worden sei.
4. Da ließ der HErr einen großen Wind aufs Meer kommen, und erhob sich ein großes Ungewitter auf dem Meer, dass man meinte, das Schiff würde zerbrechen. 5. Und die Schiffleute fürchteten sich, und schrien ein Jeglicher zu seinem GOtt; und warfen das Geräte, das im Schiff war, in das Meer, dass es leichter würde. Aber Jona war hinunter in das Schiff gestiegen, lag und schlief. 6. Da trat zu ihm der Schiffsherr, und sprach zu ihm: Was schläfst du? Stehe auf, rufe deinen GOtt an, ob vielleicht GOtt an uns gedenken wollte, dass wir nicht verdürben. 7. Und Einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um welches willen es uns so übel gehe. Und da sie losten, traf es Jonam. 8. Da sprachen sie zu ihm: Sage uns, warum geht es uns so übel? Was ist dein Gewerbe? dein Gewerbe? Und wo kommst du her? Aus welchem Lande bist du? Und von welchem Volk bist du? 9. Er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer, und fürchte den HErrn, GOtt vom Himmel, welcher gemacht hat das Meer und das Trockene. 10. Da fürchteten sich die Leute sehr, und sprachen zu ihm: Warum hast du denn solches getan? Denn sie wussten, dass er vor dem HErrn floh, denn er hatte es ihnen gesagt. 11. Da sprachen sie zu ihm: Was sollen wir denn mit dir tun, dass uns das Meer stille werde? Denn das Meer fuhr ungestüm. 12. Er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich in das Meer, so wird euch das Meer stille werden. Denn ich weiß, dass solches große Ungewitter über euch kommt um meinetwillen. 13. Und die Leute trieben, dass sie wieder zu Lande kämen, aber sie konnten nicht, denn das Meer fuhr ungestüm wider sie. 14. Da riefen sie zu dem HErrn und sprachen: Ach, HErr, lass uns nicht verderben um dieses Mannes Seele willen, und rechne uns nicht zu unschuldiges Blut; denn Du, HErr, tust, wie Dirs gefällt. 15. Und sie nahmen Jonam, und warfen ihn in das Meer; da stand das Meer stille von seinem Wüten. 16. Und die Leute fürchteten den HErrn sehr, und taten dem HErrn Opfer und Gelübde.
Dieser ganze Hergang hat zwar GOttes gerechtes Missfallen an der Flucht Jonä offenbaren, zugleich aber ihn doch zu künftiger mutiger Ausrichtung seines Berufs ausrüsten sollen. Denn dass Jona bei dieser fremden Leute ihrem Gewissen doch soviel Legitimation fand, dass es soviel Eindruck von Furcht GOttes dabei gab, dass so viel Ernst, GOtt anzurufen, in ihnen aufwachte, das konnte den Jona vorbereiten, seine Predigt an eine fremde Stadt nicht so schwer zu nehmen. Auch alle Lindigkeit, die sie gegen Jona brauchten, war eine Wirkung von der in ihrem Innern geschäftigen Wahrheit GOttes; denn was täte sonst der natürliche Sinn gegen einen Menschen, der Einen nicht nur in solchen Verlust seiner Güter, sondern auch in solche Gefahr des Lebens gebracht! Wenn sich schon Jona allein als Sünder und Ursache dieses Unglücks angegeben hat, so muss der Andern Gewissen doch auch aufgeweckt worden sein, zu empfinden, was sie auf sich haben. Die göttliche Traurigkeit und Reue, in der Jona stand, wirkte auch in ihm die rechtmäßige Rache (2. Kor. 7, 11.), dass er sprach: nehmt mich, und werft mich ins Meer. Doch stürzt er sich nicht selber in das Meer. Solch ein Unterschied findet sich zwischen einem aufgeweckten und zwischen einem verzweifelnden Gewissen.