2. Die Ruhe auf der Höhe.
Je höher, desto ruhiger. Das ist zweimal wahr. Denn einmal ist’s schon ganz äußerlich wahr, auf den Bergen wohnt die Stille, und je höher die Berge, desto weniger hört, wer auf ihnen ruht, von dem Lärm des Thales. Und so ruhten einmal an einem schönen Sommerabend drei Christenleute auf einer weinumrankten Bergeshöhe, und tief unten im Thal lag die Stadt mit ihren brennenden Lichtern, im Hintergrunde waldige Hügel und darüber vom Himmel her grüßend der freundliche Abendstern; und es war so feierlich und so heimlich und so still, und sie beteten an und sagen wie träumend und weissagend: Es ist noch eine Ruh‘ vorhanden, auf, müdes Herz, und werde licht.
Je höher, desto ruhiger. Das hat aber noch eine andere, viel tiefere Wahrheit. Jene Sänger auf der Bergeshöhe hätten nimmer das Lied angestimmt von der Ruhe, die noch vorhanden ist dem Volke Gottes, wenn sie nicht noch eine andere Höhe gekannt und erstiegen hätten, als diejenige, auf welcher sie sich ausruhten von des Tages Last und Hitze. Je höher sich ein Mensch im Geist und Glauben über die Natur schwingt und das Irdische dahinten läßt, desto ruhiger wird ihm das klopfende Herz, desto süßerer Friede umfängt ihm die Seele. Ach, jener alte Mann hatte lange, lange die Flügel des Glaubens hängen lassen und hatte sich bis in’s weiße Haar hinein ermüdet in den Dingen dieser Erden, die sich verzehren und zu Staub und Asche werden. Daher die Unruhe seiner Seele, die sich seine Freunde gar nicht zu erklären wußten, da er doch ein so braver und ehrbarer und lieber Mann war. Aber der eine unter den Freunden, der mehr geistlichen Verstand hatte, als die andern, wunderte sich nicht über sein unruhiges Wesen, sondern betete für ihn und betete mit ihm, je mehr die Nacht, da Niemand wirken kann, sich näherte, um Erkenntniß seiner Sünden und um Stärkung der Flügel des Glaubens, daß sie den Flug nach dem Hügel Golgatha wagen könnten und nach den andern Bergen, von denen uns die Hülfe kommt. Und siehe, des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist; unter dem Beten fingen die Flügel an zu rauschen und des Greises Seele eilte nach Golgatha, bedenkend unter Jesu Kreuze, was sie da zur Buße reize, und sich ermannend zu einem armen: Herr gedenk‘ an mich! Und der Herr, dem allemal das Herze bricht, wir kommen oder kommen nicht, gedachte sein in Gnaden und umfing den Sterbenden, wie weiland den bekehrten Schächer, mit seinem Nahesein und schenkte ihm Ruhe, süße Ruhe tief in’s Herz hinein, daß sie Alle wunderten, daß der so viel Sorge und Mühe sich gemacht im Leben, nun noch als Sterbender still wie Maria zu Jesu Füßen saß.
Auf den Höhen des Glaubens lebt und webt die wonnesame Seelenruhe; glücklich, wer sie wenigstens im Sterben noch findet, unendlich glücklicher, wer sie schon im Leben gefunden hat als einen Vorschmack und als ein Angeld auf die Ruhe, die auf himmlischen Höhen aller selig Vollendeten wartet.