Zuletzt angesehen: 16. In der Kinderstube.

16. In der Kinderstube.

Wenn es Leute giebt, denen nach einem bekannten Dichterwort „eng ist die unendliche Welt“, so giebt es doch auch andre Leute, denen die große Welt viel zu weit ist; ich weiß aber nicht, ob davon auch ein Dichter gesungen hat. Ich weiß nur, daß diese zweite Art von Leuten, die nicht das Weite, sondern das Enge suchen, gerne von dem Markt der Welt sich zurückzieht in das engere Haus und zwar so tief nach Innen als möglich, bis in die Kinderstube.

Einer von dieser Art, da er müde von draußen kam, hörte schon an der Hausthür so etwas wie Gesänge und Reigen im Hause und hatte bald heraus, daß in der Kinderstube irgend etwas Besonderes sich ereigne. Er ging leise auf das Zimmer seiner Kinder zu und öffnete die Thür und merkte nun, daß, trotzdem es mitten in der Woche war, bei den Kindern Sonntag war. Den siehe, einige Stühle waren zur Kanzel eingerichtet, darauf stand der älteste Knabe und er schien gepredigt zu haben, aber die Predigt mußte wohl schon aus sein, denn er sang, und die Kleinen, die vor ihm saßen auf Rutschen und eines auf der Erde, sangen mit dies und das und zuletzt: „Ich möchte gerne selig sein und weiß nicht, wie ich’s mach‘.“ Da hat denn auch der Vater seine Stimme erhoben und hat mit seinen Kleinen zusammen nachgesungen: „Mein Heiland, du bist mir zu gut ein Kindelein gewest und hast mich durch dein theures Blut von aller Schuld erlöst.“ Und dann hat er die Kinder geherzt und geküßt, und dann haben sie die Stühle wieder an ihren Ort gestellt und die Rutschen auch an ihren Ort, und der Vater hat sich mit ihnen an’s Fenster gesetzt, und die goldenen Sterne sind am Himmel heraufgezogen und der silberne Mond, und an denen haben die Kinder ihre große Freude gehabt, und der Vater hat auch große Freude gehabt und ist ihm auch gewesen als ob Sonntag sei, obwohl es mitten in der Woche war. Und wer weiß, wie lange sie da noch gesessen hätten, wenn nicht die liebe Mutter gekommen wäre und hätte zum Abendessen gemahnt und zur Abendandacht und zur Abendruhe.

Da hat mir neulich ein kluger Mann gesagt, das sei nicht recht, Kinder dürften nicht Kirche spielen, zum Spielen sei Predigen und Singen zu heilig. Aber da hab ich mich erinnert, daß ein noch klügerer Mann gesagt hat, das Spielen sei den Kindern ein großer Ernst. Ach, lasset eure Kinder doch um Gottes willen immerhin Kirche spielen, und wehret ihnen nicht und rühret nicht daran, es ist tausendmal besser, als wenn sie Welt spielen! Ach was hätte man dann, wenn man aus „der Welt im Ernst“ heimkehrt zwischen seine eignen vier Wände und man fände hier „die Welt im Spiel?“ Es ist doch viel schöner, wenn man mitten im Wochenlegen zu Hause Sonntag hat und wenn man aus der Welt kommend, bei seinen Kindern die Kirche findet.

So ein Kinderspiel mag ja wohl sehr fromm und ernst sein; manches Treiben der Großen dagegen, bei dem sie so ernste Mienen machen, mag wohl sehr unfromm und eigentlich ein Kinderspiel sein?

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/q/quandt/tropfen/16.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain