Olevian, Caspar - Vom Unterschied zwischen Evangelium und Gesetz
Gleichwie nun nur ein einziger Weg zur Seligkeit ist, Christus der Gekreuzigte, also ist auch nur eine Lehre von der Seligkeit, die uns Christum mit allen seinen Wohlthaten aus Gnaden und umsonst anbietet. Welches ist aber diese Lehre?
Das Evangelium. Denn weil es Verheißungen der Seligkeit in sich begreift, wird es genannt das Evangelium des Heils, ein Wort des Heils, und eine Kraft Gottes zur Seligkeit. Und zwar das Gesetz selbst führt uns gleich als mit der Hand zu dieser Lehre. Denn nachdem wir von unserer Ungerechtigkeit überzeugt und mit Empfindung des ewigen Todes geschlagen sind, lehret es uns, nicht in uns selbst die Seligkeit zu suchen, sondern die uns von außen im Evangelium angeboten wird, mit glaubigem Herzen anzunehmen. Und auf diese Meinung spricht St. Paulus: Das Ende oder Zweck des Gesetzes ist Christus, zur Gerechtigkeit einem jeden Gläubigen. Deßgleichen, daß das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen sey zu Christo.
Was das Evangelium sei, begehre ich noch verständlich von dir zu hören.
Das Evangelium oder die fröhliche Botschaft, welche die Herzen der armen verdammten Sünder erfreuet, ist eine Offenbarung des väterlichen und unwandelbaren Willens Gottes, worin er uns Unwürdigen verheißt und mit der That leistet, indem er seinen Sohn für uns in den Tod gibt und auferwecket, daß alle unsere Sünden in Ewigkeit ausgetilgt und verziehen sind. Denn dieweil Christus nicht in seinen, sondern in unsern Sünden gestorben ist, als hätte er sie selbst allein gethan, und aus denselben als ein starker Ueberwinder auferstanden ist, daraus folgt, daß nicht eine von allen unsern Sünden übrig geblieben, für welche er nicht vollkommen bezahlt habe. Denn wenn noch eine Sünde von allen den Sünden, welche Christus auf sich genommen hat, übrig geblieben wäre, so hätte er im Tode bleiben müssen und nicht auferstehen können. Denn wo noch eine Sünde ist, da ist auch der ewige Tod, wie Gott selbst geredet hat. Und zwar der Sold der Sünden ist der Tod. Deßhalb weil Christus aus allen unsern Sünden als ein Ueberwinder in unserm Fleisch (welches er angenommen hat und in Ewigkeit behält) aufersteht, ist uns solches ein öffentlich Zeugniß, daß wir vor den Augen Gottes so rein und gerecht gehalten werden, als Christus Jesus war, da er aus dem Grabe auferstand. Zugleich hiermit verheißt Gott im Evangelium durch diesen Christum, und gibt mit der That den heiligen Geist, der die Herzen von den Sünden und vom Reich des Teufels zu ihm bekehre und gebe uns Zeugniß, daß wir Kinder Gottes seyen, und Freude in Gott und ewiges Leben hienieden in uns anfange und droben im Himmel in uns vollende. Welches Gott Alles umsonst uns anbietet im Evangelium und schenket, ohne einiges Ansehen unserer vorigen, gegenwärtigen oder zukünftigen Verdienste oder Frömmigkeit und eignet es uns Alles zu aus Gnaden, durch den Glauben, auf daß, wer sich rühmet, der rühme sich des Herrn.
Es kann auch kürzer so beantwortet werden: Das Evangelium ist eine Offenbarung des väterlichen und unwandelbaren Willens Gottes, worin er allen Gläubigen verheißt, daß ihre Sünden ihnen von Ewigkeit verziehen sind und in Ewigkeit verziehen bleiben, also, daß deren in Ewigkeit nicht gedacht werden soll, daß er auch den heiligen Geist und das ewige Leben gebe, umsonst, ohne alle unsere vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Verdienste, wegen des freiwilligen Opfers der vortrefflichen Person Christi, wahren Gottes und wahren Menschen, welches Opfer von Ewigkeit vor dem Angesicht Gottes gegenwärtig, darnach verheißen, nun aber geleistet und vollbracht ist und in Ewigkeit seine Kraft behält zu unserer vollkommenen Erlösung.
Was ist aber für ein Unterschied zwischen dem Gesetz und dem Evangelio?
Das Gesetz ist eine solche Lehre, die Gott der Natur eingepflanzt und in seinen Geboten wiederholt und erneuert hat, worin er uns wie eine Handschrift vorhält, was wir zu thun und zu lassen schuldig sind, nämlich einen vollkommenen innerlichen und äußerlichen Gehorsam, und er verheißet das ewige Leben unter der Bedingung, wenn wir es vollkommen unser Leben lang halten; dagegen aber droht die ewige Verdammung, wenn wir es nicht halten, sondern in einem oder mehreren Stücken übertreten, denn Gott spricht: „Verflucht sei Jedermann, der nicht in Allem bleibt, das im Buch des Gesetzes geschrieben steht, daß er's thue.“ Nachdem das Gesetz einmal übertreten ist, hat es keine Verheißung, daß uns die Sünde durch seine Hülfe, das heißt, durch die Werke des Gesetzes, vergeben werde, sondern es fället gleich das Urtheil der Verdammniß.
Das Evangelium aber, oder die frohe Botschaft, ist eine Lehre, wovon die weisesten Menschen von Natur nichts gewußt haben, es ist vom Himmel offenbaret; in ihm fordert Gott nicht von uns, sondern er bietet uns an und schenket die Gerechtigkeit, die das Gesetz von uns fordert, nämlich den vollkommenen Gehorsam des Leidens und Sterbens Jesu Christi, wodurch uns alle Sünde und Verdammniß, die uns das Gesetz androht, verziehen und getilgt ist. Er schenkt uns im Evangelium die Vergebung der Sünden nicht unter der Bedingung, daß wir das Gesetzt halten, sondern - wie wohl wir's nie gehalten haben und auch noch nicht vollkommen halten können, daß er uns dennoch die Sünden vergeben habe und ewiges Leben geben - als ein unverdientes Geschenk durch den Glauben an Jesum Christum. Joh. 1,17: „Das Gesetz ist durch Mosen gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesum Christum geworden.“ Desgleichen Röm.8,3 und 4. Was dem Gesetz unmöglich war (weil es durch das Fleisch geschwächt ward), das that Gott, und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und verdammt die Sünden im Fleisch durch Sünde, auf daß die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllet würde, die wir nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. Ebenso Gal. 3,12-15: „Das Gesetz aber ist nicht des Glaubens; sondern der Mensch, der es thut, wird dadurch leben. Christus aber hat uns erlöset von dem Fluch des Gesetzes, da er ward ein Fluch für uns (denn es stehet geschrieben: Verflucht ist Jedermann, der am Holz hänget), auf daß der Segen Abraham's unter die Heiden käme in Christo Jesu und wir also den verheißenen Geist empfingen durch den Glauben.“
Quelle: Sudhoff, Karl - C. Olevianus und Z. Ursinus Leben und ausgewählte Schriften