9) Obrigkeitliche Maßregeln dagegen

Schwerlich würden diese Schwärmer in so kurzer Zeit so weit um sich gegriffen, und so viele Verwirrungen in und um St. Gallen angerichtet haben, wenn die Obrigkeit zu rechter Zeit eingeschritten und durch kräftige Maßregeln und zweckmäßige Verordnungen dem Unwesen gesteuert hätte. Aber durch ihre Nachsicht und Mangel an Energie riß der Schaden immer weiter ein, so daß in kurzem fast die meisten Einwohner der Stadt zur Secte dieser Schwärmer gehörten. Keßler meldet dieß ausdrücklich, und sagt: Unter diesen Umständen waren die Einwohner der Stadt in mancherlei Meinungen und Secten, nämlich: in Papisten, Evangelische und Wiedertäufer getheilt. Die Parthei der letztern war ohnstreitig die stärkste. Sie hielten auf den Bergen, in Wäldern und auf Aeckern ihre Zusammenkünfte, und daher kam es, daß die Kirchengemeinde zu St. Laurenzen täglich abnahm, und kaum noch Jemand daselbst den ordentlichen Gottesdienst besuchen wollte. Die Obrigkeit achtete es daher für nöthig. diesem immer mehr um sich greifenden Unwesen zu steuern, und gebot, wenn einer zu lehren und zu predigen wünsche - wie sie das Niemand verwehren wolle, damit sie nicht tyrannisch oder gewaltthätig in den Augen anderer erscheinen möchte 1) - so solle derselbe der Ordnung gemäß in der Stadtkirche predigen, damit nicht die Gemeinde getrennt, und das allgemeine Allmosen für die Dürftigen - welches alle Sonntage nach dem Gottesdienst eingesammelt wurde - so sehr geschwächt würde. Predige einer Gottes Wort, so sei es recht, wo nicht, so könne man ja denselben vor den verordneten vier Schiedsrichtern, zur Rede stellen, und Rechnung von seiner Lehre fordern, damit auf diese Weise dem Irrthum vorgebeugt werde.

Als man nun den Wiedertäufern dieses Gebot bekannt machte, ergrimmeten sie darüber, und geberdeten sich, wie sich Keßler ausdrückt: „wie ein Hund, dem man einen Zahn aus dem Schlunde reißen will,“ schlugen es gänzlich ab, und versicherten, daß sie eher sterben, als sich in die Kirche begeben wollten. An demselben Abend an welchem ihnen dieses obrigkeitliche Verbot eingehändigt worden war, begab sich Ulmann auf die Schießhütte, griff ungescheut die Obrigkeit an und nannte sie Heiden, die sich gegen Christum auflehnten, zog die Stelle im zweiten Psalme Davids an, und wendete die Worte: warum toben die Heiden, und die Leute reden so vergeblich? auf sie an. Er verunglimpfte sie vor der versammelten Gemeinde auf eine so freche Weise, daß die schlimmsten Folgen zu befürchten waren. Dies alles duldete man stillschweigend, und ließ es ungestraft dahin gehen; kein Wunder, daß die Verwirrung immer mehr zunahm.

1)
Also durften wohl auch Schuster und Schneider die Canzel besteigen und eine Probe machen?? - o wie gar gütig waren doch diese Herren!
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