Murray, Andrew - Wachset in der Gnade - 30. Leidensgnade.
1. Petr. 2,19-20.
Denn das ist Gnade, so Jemand um des Gewissens willen zu Gott das Übel verträgt und leidet das Unrecht. Denn was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missetat willen Streiche leidet? Aber wenn ihr um Wohltat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott. a
Ja, das ist Gnade. Unrecht zu leiden und zu ertragen, das ist Gnade bei Gott, Gnade, welche man nicht immer bei den Christen sieht, Gnade, welche der Herr so gern bei alle denen sieht, welche Ihm nachfolgen (Vers 21,23; 3,17-18), Gnade, welche Er ganz gewiss geben will. Lasst uns danach trachten, auch dieses Stück der Herrlichkeit der Gnade recht zu erkennen und zu empfangen!
„Was ist das für ein Ruhm“, sagt Petrus, „so ihr um Missetat willen leidet?“ Das ist keine besondere Gnade - die Natur lehrt es ja, wenn du eine verdiente Strafe erhältst und sie still ertragen musst. Und doch, wie viele Christen gibt es, die es noch nicht einmal so weit gebracht haben! Sie haben zwar Böses getan, aber sie halten eine Bestrafung für eine Beleidigung, für eine persönliche Kränkung. Anstatt dem, der ihnen die Wahrheit gesagt, als einem Freund zu danken, betrachten sie denselben als ihren Feind. Gal. 4,16. Sie sammeln alle Entschuldigungen ihres Unrechts und suchen ihre Sünde damit zuzudecken.
Wie wenig verstehen sie darum von dem, was Petrus sagt: Unrecht zu leiden, wohlzutun und um dieses Wohltuns willen zu leiden, das ist Gnade. Ja, wie wenig verstehen im allgemeinen selbst die Christen davon! Wenn ich verleumdet worden bin, wenn mir eine Beleidigung zugefügt worden ist, wenn jemand sich undankbar gegen mich benimmt, oder wenn jemand mich fälschlicherweise beschuldigt und die Menschen mir verkehrte Beweggründe zuschreiben: wie selten wird dann, ich will nicht sagen nach dem Grundsatz gehandelt, wie selten wird dann dieser Grundsatz überhaupt als der Wille des Herrn erkannt, dass es Gnade ist, dies alles still zu ertragen! Und doch ist es so. Ich sehe es an dem Herrn Jesus. Es ist ein Zug Seiner Herrlichkeit voller Gnade, dass er uns gezeigt hat, wie man wohltun und dafür Unrecht leiden muss. Wir begleiten Ihn Jahr für Jahr in den Leidenswochen auf Seinem dornigen Lebenspfad, um Seine Gnade kennen zu lernen. Sehnen wir uns um wirklich nach dieser Seiner Gnade, um nach Seinem Vorbild leiden zu können, wenn wir leiden müssen? Und zwar nicht nur das Leiden, welches Gott uns sendet, sondern auch das unverdiente Leiden, welches durch Menschen über uns kommt. Die Gnade muss ebenso in uns wohnen, wie sie in Ihm wohnt. Die Gnade, welche in Ihm war, will sich gar zu gern als Gnade in uns offenbaren. Unrecht zu leiden, das ist Gnade.
Für unsere Natur scheint dies zu schwer und zu hoch zu sein. Zornig werden, Recht suchen, eine scharfe Antwort geben, wieder vergelten, das sind die Waffen, mit denen die Natur, wenn sie Unrecht leidet, auch bei vielen Christen ihre Ehre geltend zu machen sucht. Sie können es sich nicht vorstellen, welch eine Ruhe es gibt, wenn man sich unter die Herrschaft des Lammes begibt und in der Sanftmut den Sieg über sich selbst, über die Sünde und den bösen Feind besitzt. O, lieber Christ, der du fragst: Was ist Gnade? Hier ist eine der Antworten Gottes: Unrecht leiden, das ist Gnade. Lies darum diesen Text noch einmal durch und überzeuge dich, ob dies hier wirklich geschrieben steht.
Indessen ist es denn für die menschliche Natur möglich, so zu leiden, wie Jesus litt? Für den alten Menschen ist es völlig unmöglich, der neue Mensch aber kann es. „ Das ist Gnade“ - was will dieses Wort wohl anders sagen, als dies, dass es eine der Segnungen ist, welche in dem unendlichen Gnadenschatz des Herrn Jesus für uns bereit sind? Es ist eine von den Gnadengaben, von denen es heißt: Gott kann machen, dass allerlei Gnade unter euch reichlich sei. Bring darum nur dein vorschnelles Wesen, deine Launenhaftigkeit, deinen Hochmut, deine Lust an Selbstverteidigung und Rechthaberei zu Ihm. Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade doch noch viel mächtiger geworden: die, welche die Überschwänglichkeit der Gnade empfangen, werden durch Jesum Christum herrschen. Halte dich nur fest daran, dass du in der Tat berufen bist, ebenso sanftmütig zu dulden und zu ertragen, wie Jesus, dass die Gnade in dir genau ebenso sein soll, wie sie in Ihm ist. Das wird dich hindern, in der Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit so dahin zu leben, und treiben, dich ganz und gar der Gnade hinzugeben und dieses alles von ihr zu erwarten.
Sie wird es geben und in dir wirken, indem sie dich vor allem in Lebensgemeinschaft mit Ihm führt, so, dass Sein Leben sich in dir offenbaren kann. O, lieber Christ! Erlebe es wieder und wieder, wie freundlich und geduldig der Herr Jesus deiner Unwürdigkeit gegenüber ist! Bleibe der Gnade treu, welche dich in jedem Augenblick trägt, bewahrt und segnet! Und es wird dir ein Bedürfnis werden, mit Unwürdigen so umzugehen, wie man mit dir umgegangen. Zeige es, dass das Gnade ist, in der Absicht, anderen öffentlich zu vergelten, was der Herr Jesus so überreichlich im Verborgenen an dir tut. Tue es in dem Wunsch, allen, die sich an dir versündigen, ein voll gedrücktes, gerütteltes und geschütteltes Maß der Gnade zukommen zu lassen, gleichwie er, gegen den du dich versündigt, dir Seine Gnade zugeteilt!
O, Vater! Lehre uns diese Wahrheit erkennen! Die wunderbare Gnade, welche man an Jesus sah, als Er hienieden wallte, die wunderbare Gnade, welche uns vom Himmel herab zu teil wird, ist auch die Gnade, welche von uns Besitz ergreift und an uns gesehen werden kann und nur dies Eine erstrebt, dass wir doch dahin kommen möchten, so zu leben, wie Er gelebt und so zu leiden, wie Er gelitten.
„Gott kann machen, dass allerlei Gnade unter euch reichlich sei, dass ihr in allen Dingen volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken.“