Murray, Andrew - Wachset in der Gnade - 18. Die Herrschaft der Gnade.
Röm. 5,20-21.
Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden, auf dass, gleichwie die Sünde geherrscht hat zu dem Tod, also auch herrsche die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben, durch Jesum Christ, unseren Herrn.
Wenn wir die Gnade recht kennen lernen wollen, müssen wir sie vor allem in ihrer Herrschaft, in der sie ihre überwindende Macht kund tut, beobachten. Ihre Herrschaft aber kennen zu lernen, gibt es kein besseres Mittel als dies, sie mit der Herrschaft der Sünde zu vergleichen.
Dass die Sünde mit einer unsagbaren, alles umfassenden Gewalt herrscht, wissen wir. Wir haben es in unserem eigenen Innern erfahren. Wir sehen es auch an andern. Achte nur einmal auf einen Menschen, welcher völlig durch die Sünde beherrscht wird! Wie wird er oft gegen seinen Willen dazu gerissen, ihren Willen zu erfüllen! Seine Gedanken und Begierden beschäftigen sich fortwährend mit ihr. Er fühlt sich getrieben, alles zu wagen und aufzuopfern, um sie nur tun zu können. Die Herrschaft der Sünde ist mächtig und unbegrenzt in dem, der sich ihr völlig ergibt.
Doch, wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden. Ihre Herrschaft ist noch machtvoller und weniger begrenzt als die der Sünde. Es ist sehr schwer, Worte oder Gedanken zu finden, um mit denselben deutlich zu machen, wie weit sich diese ihre Herrschaft erstrecken kann. Die Tatsache aber, dass sie stets viel, viel mächtiger als die Sünde ist, trägt etwas dazu bei, uns eine Vorstellung von ihrer Macht zu geben. Was du darum auch in dir selbst an Schwachheit erfährst, oder von Seiten der Sünde befürchten kannst, behalte nur fest im Gedächtnis, dass die Gnade bei weitem mächtiger ist.
Und wozu soll ich dies tun? Auf dass, gleichwie die Sünde geherrscht hat zu dem Tod, also auch herrsche die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben, durch Jesum Christ. Achte nur einmal auf den Unterschied der beiden Reiche! Von dem einen wird nur gesagt: Die Sünde hat geherrscht zu dem Tod. Ihre Herrschaft war also eine verwüstende: Elend und Tod das Los ihrer Untertanen.
Und schaust du auf das andere Reich, in ihm schwingt Gnade himmlische, allmächtige, segnende Gnade das Zepter. Sie herrscht durch Gerechtigkeit. Die Sünde hatte in ihrem Reich die Gerechtigkeit unterjocht und zum Raub des Todes gemacht. Gottes Gerechtigkeit musste darum strafen. Gottes Gnade aber hat die Gerechtigkeit wieder frei gemacht. Seitdem ist die Gerechtigkeit die Stärke des Gnadenreiches. Die Gnade herrscht durch Gerechtigkeit, verherrlicht die Gerechtigkeit Gottes und schenkt dem Menschen Gerechtigkeit. Und so herrscht die Gnade zum ewigen Leben. Der Segen, welchen sie jedem ihrer Untertanen übermittelt, die Gabe, welche ihre Herrschaft jeder Seele gibt, ist dies, dass sie Leben kraftvolles, himmlisches, ewiges Leben - über den Tod triumphieren lässt.
Und dies geschieht alles durch Jesum Christum, unseren Herrn. Es ist Seine Gnade, Seine Gerechtigkeit, Sein Leben. Er ist der König, dessen Herrschaft als die Herrschaft der Gnade gerühmt wird. Die Gnade ist viel mächtiger geworden, auf dass sie durch Gerechtigkeit zum ewigen Leben herrsche durch Jesum Christum, unseren Herrn.
Wie glücklich sind doch die Bewohner des Reiches, in welchem die Gnade herrscht! Da gilt Gnade und nichts als Gnade. Da ist Gnade zu jeder Stunde im reichsten Überfluss zu haben. Da herrscht Gnade mit völlig unumschränkter Gewalt. Man braucht keinem Befehl zu gehorchen, keine Arbeit zu verrichten und keinen Streit zu führen, ohne dass die Gnade mit der nötigen Kraft ausrüstete. Es ist ein Volk von Begnadigten des Herrn, welches wir da erblicken. Sie leben zum Preis der Herrlichkeit Seiner Gnade.
Das Wunderbarste aber dabei ist dies: Wenn die Sünde, welche in unserer alten Natur noch wohnt und wühlt, in einem Augenblick der Unbedachtsamkeit die Überhand erhält, darf die Seele die Herrlichkeit des Gnadenstandes am allerherrlichsten erfahren. Sie kennt den Artikel in dem Gnadengesetz des Reiches: „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden“, und weiß sich augenblicklich an die Gnade zu wenden, ihre vergebende, reinigende und heilende Kraft an sich zu erfahren. Somit ehrt ein Mensch die Gnade, wenn er in dem Glauben an ihre Herrschaft jede Sünde zu ihr bringt und sich selbst als ein Sünder ihr übergibt. Und somit segnet die Gnade den Menschen, indem sie ihn in der Gerechtigkeit, die ihm geschenkt wurde, und in dem ewigen Leben, welches er in derselben hat, bewahrt und fest macht.
Und nun, meine lieben Mitchristen, lasst uns zusammen danach trachten, die herrlichen Lehren dieses Wortes zu lernen und zu behalten! Die erste ist: Lasst uns in dem Glauben stark werden, dass die Gnade viel mächtiger, als die Sünde ist und eine viel mächtigere Herrschaft, als die der Sünde besitzt. Lasst uns lernen, dass, gleichwie die Sünde jeden Augenblick wacht, um ihre verlorene Herrschaft wiederzugewinnen, ebenso die Gnade auf ihrer Hut ist, um das Gewonnene zu behaupten, ja, dass die Gnade, wenn wir ihr nur vertrauen, bestimmt den Sieg gewinnt und uns zu Überwindern macht. Die zweite Lehre ist die, dass die Gnade durch die Gerechtigkeit herrscht. Wenn ich in der Gerechtigkeit, die aus Gott stammt, im Glauben an Christus lebe und wandle, kann die Gnade in mir herrschen. Möchte doch diese wunderbare, göttliche Gerechtigkeit, welche jetzt ganz gewiss unser Eigentum ist, uns mehr und mehr bekannt werden! Dann würde die Gnade ungehindert ihre selige Herrschaft in uns offenbaren. Gewiss, in dem Herrn liegt unsere Gerechtigkeit und Stärke.
Gott kann machen, dass allerlei Gnade unter euch reichlich sei, dass ihr in allen Dingen volle Genüge habt und reich seid zu allerlei guten Werken.