Murray, Andrew - Warum glaubst Du nicht? An die Bekümmerten in meiner Gemeinde.

Murray, Andrew - Warum glaubst Du nicht? An die Bekümmerten in meiner Gemeinde.

Geliebte, die ihr den Herrn sucht, aber noch nicht gefunden habt, für euch ist dieses Büchlein geschrieben. Als ich unlängst bei Gelegenheit eines Hausbesuches mit euch sprach, wurde meine Seele mit tiefer Betrübnis über euren Zustand erfüllt. Traf ich doch viele, welche scheinbar ernstlich und heilverlangend ihre Seligkeit suchen, mehrere, welche dies schon seit vielen Jahren tun, und welche trotzdem noch nicht zum Glauben gekommen sind.

Dies darf nicht so bleiben. Das gereicht dem Herrn zur Unehre. Dadurch gerät der wahre Gottesdienst in Verachtung: Denn die Welt denkt dann mit Recht: Der Dienst Jesu Christi gibt keine Freude und Seligkeit. Auf Neubekehrte übt ihr dann einen durchaus nicht heilsamen Einfluss aus, denn euer Vorbild enthält keine Ermutigung für sie. Die Gemeinde leidet dann Schaden, denn statt als fröhlich tätige Mitglieder sie bauen zu helfen, wirkt ihr im Gegenteil dabei mit, ihre Kräfte zu verteilen und ihre geistliche Blüte zu verhindern. Eurem Seelsorger verursacht ihr oft Sorge und Qual. Ihr macht ihn mutlos, denn ihr erregt in ihm den Gedanken, dass Gottes Wort so wenig bei euch ausrichten kann. Ihr macht euer eignes Leben trüb und traurig und legt eure Seele in die Waagschale für die Ewigkeit.

Geliebte! Euer Zustand geht mir zu Herzen, und ich frage mich selbst oftmals, was wohl die Ursache. dieses Unglaubens sei. Wohl weiß ich, dass es manche gibt, welche deshalb nicht glauben können, weil ihr Herz Gott gegenüber nicht aufrichtig ist. Ein Mann, welcher die Welt lieb hat und sich nicht mit dem Bekenntnis seiner Schuld und mit der Bitte um Erlösung von seiner Weltliebe an Jesus wendet, ein solcher Mann kann und mag nicht glauben. Ein Mann, welcher noch an dieser oder jener Lieblingssünde festhält und z. B. Betrug, Streitsucht, Hochmut, Geldgier und dergleichen nicht fahren lassen will, braucht sich nicht darüber zu wundern, dass er nicht glauben kann. Jesus würde ihn fragen: „Wie kannst du glauben?“ (Joh. 5,44.) Es ist eben unmöglich.

Indessen meine Lieben! Wir versehen uns besserer Dinge von euch. Ich schreibe an euch als solche, von denen ich hoffe, dass es ihnen in Wahrheit darum zu tun ist, den Heiland zu finden, und von denen ich entschieden überzeugt bin, dass sie vor dem Herrn bekannt haben: Herr, Du weißt alle Dinge, Du weißt, dass ich Dich lieb habe! Im Hinblick auf euch, frage ich mich nun selbst: „Was kann die Ursache davon sein, ist denn kein Mittel vorhanden, aus dem Zustand zu retten? Ist denn kein Balsam in Gilead? Ist denn kein Arzt daselbst?“ Die Ursache kann doch nicht sein, dass Gott es also für euch bestimmt hätte, und dass es darum für euch unmöglich wäre, zu glauben. Nein! Gott gebietet euch zu glauben. Er will es und hat in Seinem Worte eurem Glauben die Verheißung gegeben, euch nicht zurück zu stoßen. Und doch fürchte ich, dass es manche unter euch gibt, welche meinen, es sei eine Fügung Gottes, gegen welche sie nichts tun könnten, sie müssten einfach geduldig warten, bis Gott eine Änderung eintreten ließe. Mit allem Ernst bitte ich euch, dem Gedanken zu entsagen. Es ist eure eigene Schuld, dass ihr nicht glaubt, und zwar eine schwere Schuld, welche ihr mit Demut bekennen und über welche ihr euch schämen müsst. Wenn ihr das nicht entschieden erkennt, weiß ich keinen Rat, um euch zur Freude des Glaubens zu bringen, denn dieser geheime Gedanke nimmt allen euren Anstrengungen alle Kraft.

Die Ursache dieses eures Unglaubens kann ebenso wenig sein, dass Gott euch die Kraft zum Glauben nicht gegeben habe. Ich weiß, dass dieses Missverständnis bei manchen von euch herrscht. Weil es manche Christen gibt, welche plötzlich und gewaltsam zum Glauben kommen, bilden sich viele ein, dieser Weg der Bekehrung sei wenn nicht der einzige, so doch der beste. Im Geheimen warten sie daher auf eine mächtige Gemütsbewegung, durch welche sie gewissermaßen zum Glauben getrieben und mit einem Schlage gebracht werden. Auch dieser Gedanke ist ein sehr gefährliches Hindernis auf dem Wege des Glaubens. Es gibt immerhin zwei Wege, auf denen man zum Genuss von Überfluss gelangen kann. Man kann, um die Sache durch ein Beispiel deutlich zu machen, durch eine Erbschaft, welche einem zufällt, oder durch irgend ein Unternehmen, welches glückt, mit einem Schlage reich werden. Man kann aber auch zu Reichtum gelangen auf dem langsameren und stilleren Wege treuer Tätigkeit und Sparsamkeit, oder dadurch, dass man jede Gelegenheit, sein Vermögen zu vergrößern, weise benutzt. So kann man, ein anderes Beispiel zu geben, einen großen Raum mit Wasser gefüllt bekommen, sowohl durch einen segensreichen Sturzregen, als auch durch eine Leitung aus einer kleinen Quelle, durch welche es allerdings langsamer geschieht. Der erste Weg ist der bequemste Weg, aber auch den meisten Gefahren ausgesetzt. Der zweite Weg ist der längste und mühsamste, aber auch in vieler Hinsicht sicherste Weg. Die Seelen, welche den himmlischen Schatz der Glaubensgewissheit auf einmal finden, sind glücklich zu schätzen, weil der Weg für sie so kurz gewesen ist. Andere haben einen mühsameren Weg zurückzulegen, können indessen ebenso gewiss dazu gelangen. Wenn sie nur mit wirklicher Begierde und der entschiedenen Überzeugung, dass sie glauben können, den Weg betreten wollen, welcher dazu führt, so kommen sie auch ganz gewiss da an.

In Verbindung mit den beiden genannten Irrtümern ist das, was ich soeben erwähnte, das große Heilmittel für eure Qual. Aus dem Grunde will ich noch ein kurzes Wort darüber sagen.

Du musst einsehen, dass es Gottes Wille ist, dass du glaubst. „So ich die Wahrheit sage, warum glaubst du nicht?“ Diese Frage des Herrn Jesus an die Juden, welche Er auch an uns richtet, zeigt ja, dass der Unglaube eine Ursache außer Ihm haben muss. Er sagte die Wahrheit mit der Absicht und mit dem Verlangen Glauben zu wecken. Ferner musst du bedenken, dass du auf nichts zu warten brauchst, ehe du zu glauben anfängst. Vielmehr musst du sogleich den Weg der Gnadenmittel betreten und dieselben gebrauchen; dann darfst du auf den Segen des Geistes hoffen. Auf den Geist brauchst du nicht zu warten, als ob er erst kommen und durch dieses oder jenes Zeichen dir zu erkennen geben müsste, dass er nun bereit ist und du dementsprechend glauben kannst. Nein! Er ist dir verheißen. Er hat schon oft an deiner Seele arbeiten wollen; und an Stelle auf Ihn warten zu müssen, ehe du zu glauben anfängst, musst du dich gerade eilen, zu glauben, denn der Geist wartet auf dich. Du hast Ihn schon viel zu lang warten lassen. Fang darum gleich, ohne weiter aufzuschieben, an. Und wenn du dir in der Hoffnung auf die Verheißungen Gottes, dass der Geist denen gegeben werden soll, welche um ihn bitten, Mühe gibst, glauben zu lernen, dann darfst du mit Bestimmtheit erwarten, dass Er, der Geist der Gnade, dich zum Glauben tüchtig machen wird. Warte darum nicht, und schiebe doch darum ja nichts auf, als ob noch nicht alles bereitet und es nicht deine Pflicht wäre, gleich zu glauben. In diesem Sinn brauchst du auf nichts zu warten. Nein! Bitte um den Geist, erwarte sein Wirken, ja ringe danach! Wenn du dann auch nicht gleich sein Wirken fühlst, kannst du doch darauf rechnen, dass der Geist bei deinen ersten schwachen Bemühungen, während du meinst, dir selbst überlassen zu sein, schon mit tätig ist.

Vor allem musst du auch darauf achten, durch welches Mittel man zum Glauben kommt und auf welche Weise man dasselbe anzuwenden hat. Das Mittel, durch welches man zum Glauben kommt, ist das Wort. Indessen kommt es sehr darauf an, wie man dasselbe liest. Untersucht man es nur im allgemeinen und liest man es nur, um Erkenntnis und Erbauung zu empfangen, so bietet es so viel, was zur Einkehr auffordert und zum Nachdenken zwingt, dass die bekümmerte Seele diesem Überfluss oft verlegen gegenüber steht und ihre Absicht beim Lesen nicht erreichen kann. Aus diesem Grunde wünsche ich, dass du die Bibel mit einer bestimmten Absicht liest, mit der Absicht nämlich, herauszubekommen, ob es Verheißungen gibt, an die du glauben musst. Ich wünsche, dass du eine Untersuchung danach anstellst und darüber zur Klarheit kommst, ob es Verheißungen gibt, welche dir gelten, damit du dann mit diesen dich beschäftigst und jedes Hilfsmittel anwendest, um sie im Glauben anzunehmen. Denke über dieselben nach! Lerne sie auswendig! Beschäftige dich fortwährend mit ihnen! Beuge deine Knie vor dem Herrn und sage Ihm, dass du an diese Verheißungen glauben möchtest! Ärgere dich über die Zeit nicht, welche dich dies kostet! Denke nicht, eine so wichtige Angelegenheit könne in zehn Minuten erledigt werden! Die Ewigkeit ist es dir doch wert, dass du einige Stunden um ihretwillen kämpfst. O nimm dir die Zeit dazu, das Wort absichtlich mit dem einen heißen Wunsche zu betrachten, zum Glauben zu kommen, denke ernstlich über das nach, was du liest und bitte den Herrn um Erleuchtung! Das kann nicht ohne Segen für dich bleiben.

Außerdem ist noch etwas in Betreff der Art und Weise zu beachten, wie man sich in das Wort vertiefen soll. Dies muss nämlich getreu und anhaltend geschehen. Wir wissen ja alle, wie groß die Macht der Gewohnheit ist. Dadurch, dass man etwas, was uns zuerst fremd und durchaus nicht genehm war, absichtlich und anhaltend sich in das Gedächtnis zurückruft, wird uns dies zur zweiten Natur und in Folge dessen angenehm und leicht. Nun werden im religiösen Leben die Gesetze der menschlichen Natur keineswegs ungültig. Wohl ist der Geist des Herrn hoch über dieselben erhaben, aber er wendet sie doch an. Das zeigt sich auch bei dem Glauben. Ein Herz, welches an Misstrauen und Zweifel gewöhnt ist, kommt nicht zu der neuen heiligen Gewohnheit des Glaubens, wenn es nicht die Tat des Glaubens anhaltend immer wieder aufs neue tut. Eine Verheißung, welche heute etwas Eingang gefunden, verliert morgen schon wieder den Boden, welchen sie gewonnen, wenn die Seele sich nicht anhaltend Mühe gibt, den empfangenen Segen zu bewahren und wurzeln zu lassen. Ich habe es gar oft gesehen, dass eine Seele nach einer Predigt, oder einem Gespräch ein wenig Erleuchtung besaß, diese aber gar bald wieder verlor. Und warum? Sie erkannte nicht, wie wichtig und notwendig es ist, sich die vernommenen Verheißungen immer wieder aufs neue vorzuhalten, damit die alte Gewohnheit des Unglaubens auf keinen Fall wieder die überhand gewinnt. Seid darum treu, meine Lieben, beschäftigt euch Tag für Tag mit den Verheißungen Gottes, so viel ihr nur könnt! Ruft euch die Frage immer wieder ins Gedächtnis zurück: „Was gebietet mir Gott zu glauben?“ und lasst eure Antwort, wie schwach ihr euch auch fühlt, doch immer wieder vor seinem Angesicht laut werden: „Herr ich glaube, ich will glauben.“

Euch zur Ausdauer zu helfen, habe ich dieses Büchlein für euch geschrieben. Ich lege es mit der dringenden Bitte in eure Hand, dass ihr doch einen Monat lang, Tag für Tag, Herz und Sinn einmal auf den Glauben richten möget, den der Herr von euch fordert. Bittend und betend richte ich diese Worte an euch. O lest sie mit betendem Herzen! Vielleicht behagt es dem Herrn, euch durch diese Worte aus den Netzen des Unglaubens, in welche ihr noch verstrickt seid, zu erlösen. Gott gebe es!

Mit treuer Fürbitte

Euer

Seelsorger.

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autoren/m/murray/murray-wgdn/murray-warum_glaubst_du_nicht_-_vorwort.txt · Zuletzt geändert: von aj
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