Monod, Adolphe - Abschiedsworte - Der Glaube.
(Den 2. Dezember 1855.)
Hebräer 10, 32-39:
Gedenkt aber an die vorigen Tage, in welchen ihr, erleuchtet, erduldet habt einen großen Kampf des Leidens; zum Teil selbst durch Schmach und Trübsal ein Schauspiel geworden; zum Teil Gemeinschaft gehabt mit denen, denen es also geht. Denn ihr habt mit meinen Banden Mitleid gehabt, und den Raub eurer Güter mit Freuden erduldet, als die ihr wisst, dass ihr bei euch selbst eine bessere und bleibende Habe im Himmel habt. Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung bat. Geduld aber ist euch not, auf dass ihr den Willen Gottes tut, und die Verheißung empfangt. Denn noch über eine kleine Weile, so wird kommen, der da kommen soll, und nicht verziehen. Der Gerechte aber wird des Glaubens leben. Wer aber weichen wird, an dem wird meine Seele keinen Gefallen haben. Wir aber sind nicht von denen, die da weichen und verdammt werden; sondern von denen, die da glauben und die Seele erretten.
Dieser Glaube, der den Gegenstand dieser wenigen uns vorgelesenen Verse sowie des herrlichen elften Kapitels des Hebräerbriefes ausmacht, welches gleich darauf folgt; dieser Glaube, von dem das Sakrament des Heiligen Abendmahls ein zugleich so einfaches und so tiefsinniges Bild ist; dieser Glaube, meine Freunde, ist unsere einzige Kraft und unser einziger Friede, denn der Glaube ist nichts weniger als die dem Menschen zur Verfügung gestellte Macht Gottes. In diesem elften Kapitel umfasst der heilige Apostel mit dem Einem Wort: Glauben, alle Gaben der Heiligung, wie der Weissagung und der Wunder. Auf die Frage: Wie hat Moses durch das rote Meer gehen können? antwortet er nicht: weil er mit einer übernatürlichen Macht bekleidet war, sondern: weil er geglaubt hat. Auf die Frage: Wie hat Abraham alle die großen Taten vollbringen können, die er vollbracht hat? antwortet er nicht: durch übernatürliche Kräfte, sondern: weil er geglaubt hat; wobei wir nicht nur bewundern müssen, dass der heilige Geist alle die größten Werke der Heiligen aus einer inneren und ganz und gar geistigen, sondern dass er sie durch eine Quelle herleitet, die uns Allen zugänglich ist; denn wenn die Schrift selbst bei einem Moses, einem Abraham vom Glauben spricht, so wird uns klar, dass Jeder von uns durch diesen selben Glauben fähig werden kann, die Werke zu tun, die Gott von uns fordert, wie jene Gottesmänner durch ihn befähigt wurden, die ihrigen zu tun. Diese Werke sind allerdings verschiedener Art, aber die Kraft, durch welche Gott sie in Jedem von uns erfüllt, ist dieselbe: die eine, die göttliche, die allmächtige. Erstaunen wir darüber nicht! Auf den ersten Blick erscheint es gar erstaunenswert, dass die einzige Tatsache: Gott hört uns und Gott erhört uns, solche Wunder verrichten kann, und in Wahrheit der in dem geringsten Christen Tat gewordene Gotteswille ist kein geringer Wunder, als der Durchzug durch's rote Meer und als alle Wunder, die je getan sind. Aber denkt man einen Augenblick darüber nach, so begreift man die Macht des Glaubens aus seiner Natur. Wie wunderbar, dass Ihr und ich, mitten hineingestellt in eine Welt, die im Argen liegt, gereizt von dem Gesicht, von den Sinnen, vom Eigenwillen, von den Beispielen, kurz von dem unmittelbaren Eindruck unserer Organe, alles dies Lügen strafen und trotz Hoffnung, trotz Erfahrung, trotz Augen, den unwiderstehlichen Augen, ein Wort, ein Wörtlein, das uns Gott sagt, glauben können, Ihr wisst, was Luther sang: „Ein Wörtlein kann ihn fällen;“ und kein Wunder, dass der Glaube, das ist dieses in unser Herz dringende Wörtlein Gottes allmächtig ist, da es kein Wunder ist, dass Gott allmächtig ist. Aber dieser Glaube, in seinen Wirkungen so groß und in seiner Natur so wunderbar, dass er nur eine Schöpfung Gottes in unserer Seele sein kann, - ein Mensch, der glaubt, ist ein größeres Wunder, als eine durch die Hand Gottes neu geschaffene Welt; wie können wir ihn gewinnen? Indem wir ihn erbitten; Gott gibt dem, der ihn bittet. Aber, meine teuren Freunde, geben wir hier Acht! Man könnte meinen, dass dieser Glaube in sehr bequemer Weise zu erlangen sei und dass es hinreiche, in dem Augenblick, wo man des Glaubens bedarf, nur eben ein Gebet an Gott zu richten, um ihn zu erlangen. Nein, nein! die Güter Gottes sind nicht so wohlfeil. Es gefällt Gott ohne Zweifel dann und wann, auch um zu zeigen wer er ist, plötzlich einen neuen Menschen zu schaffen, als Antwort auf ein einziges Gebet: aber das ist nicht der gewöhnliche Gang seiner Vorsehung. Dieser Glaube, obgleich er die Erhörung unserer Gebete ist, ist der Preis eines langen und mühseligen Kampfes; aber er ist dieses Kampfes wert: Gott will, dass wir ihn uns erkämpfen. Adams hat in seinen „Gedanken“ eine große Wahrheit ausgesprochen: „Das Gebet ist das leichteste von allen Werken, aber das Gebet des Glaubens ist das schwerste von allen.“ Wenn wir viel auf unsern Knien liegen, wenn wir anhalten am Gebet, wenn wir Gott zeigen, dass wir des Glaubens Wert verstehen, wenn wir die Erfahrung des Gebetslebens durchleben, so dass wir auf ein erstes Gebet ein wenig Glauben erhalten, und durch dies Wenige zu viel brünstigerem Gebet erweckt werden, das uns immer neuen Glauben erringt: dann werden wir's erlangen.
Um im Glauben zu wachsen, haben wir dreierlei zu tun: ihn zu erflehen, ihn zu üben und ihn durch gründliches Forschen in der Schrift in dem Vorbild der großen Männer Gottes anzuschauen. Hoffen wir keine Gabe von Gott zu erlangen, deren Wert wir nicht spüren!
Und nun vor Allem die kurze Anwendung von dem Allen. Man muss Glauben sammeln für die Zukunft; man muss heute arbeiten, um den Glauben zu gewinnen, dessen man in fünf, in zehn, in zwanzig Jahren bedürftig sein wird. Tag für Tag müsst Ihr diesen geistigen Vorrat aufspeichern, damit Ihr, ganz umgeben von den reichsten Gaben Gottes, nur die Augen zu öffnen und die Hände auszustrecken braucht, wenn die Zeit kommt, wo selbst die Kraft zu beten geschwächt, und Euer verschmachteter Leib und Euer niedergeschlagener Geist kaum fähig sein wird, den schrecklichen Kampf zu bestehen, dessen Preis und dessen Lohn der Glaube ist. O wartet nicht diesen letzten Augenblick ab, um den Glauben zu gewinnen, - er lässt sich immer finden, sondern lasst für das Ende uns vorsorgen durchs tägliches Sammeln des Glaubens, durch tägliches Wachstum in ihm.
Ich bin in einer Lage, meine lieben Freunde, in der mir an nichts liegt als am Glauben. Wie es unser Bruder in seinem Gebet sagte, wir haben durch ihn die Macht, den Frieden und die Freude. Ach, es ist leicht, aus der Ferne zu sagen und zu predigen, dass der Glaube über Alles triumphieren muss. Aber wenn es gilt, Mann gegen Mann mit dem Feind zu kämpfen, wenn es darauf ankommt, Alles zu gewinnen, wenn es darauf ankommt, Jesu Christo zu folgen, zuerst am Morgen in die Wüste, dann am Abend nach Gethsemane, und dann am Nachmittag nach Golgatha, dann fühlt man, dass dies ein ernstes Ding ist. Ihr würdet mich, - Gott sei gelobt, ewig gelobt! ganz missverstehen, wenn Ihr dächtet, weil ich so rede, dass Gott mich nicht aufrecht erhält. Er hält mich aufrecht wunderbar. Aber Ihr sollt im Voraus wissen, dass der Kampf hart ist, viel härter als ich es vorher geglaubt habe, - damit Ihr tut, was ich nach meinem geringen Maße getan, und viel lieber in weit höherem Maße getan haben möchte; damit Ihr alle Tage im Glauben wachst; damit Ihr nur lebt, um im Glauben zu wachsen; damit Ihr vor Gott nur Glaubens- und Gebetsmenschen seid, die sich durch die Erfüllung seines Willens von heute zur Erfüllung seines Willens von morgen bereiten. O! wie würden meine Leiden versüßt, wie sind sie versüßt durch den Gedanken, dass sie Euch zum Segen dienen, dass die Worte, die ich in meiner Schwachheit zu Euch rede, durch den heiligen Geist in Eure Herzen eingedrungen sind! meine Freunde! wenn dies kleine Häuflein, die wir hier beisammen sind, Glaubensmenschen wären, dann gäbe es viele Kapitel zu schreiben wie das elfte des Hebräerbriefes, ohne über diesen „Söller“ hinauszugehen.