Moll, Carl Bernhard - Die Verklärung Jesu.
Die katholische Kirche begeht am sechsten August das Fest der Verklärung Jesu Christi. Die evangelische Kirche hat wenigstens in Deutschland innerhalb des letzten Jahrhunderts auf den sechsten Sonntag nach Epiph. jene Perikopen Matth. 17,1-9 und 2 Petr. 1,16-21 verlegt, welche sich auf diese bedeutungsvolle Tatsache im Leben Jesu beziehen und im römischen Missale am Sonntage vor Reminiscere stehen. Die Apostel nun folgen nicht menschlich ersonnenen Mythen, sondern haben, vom heiligen Geiste geführt, Zeugnis von demjenigen abgelegt, was sie selbst gesehen und gehört haben; und auf diese Zeugnisse wiederum stützen sich die nicht von Aposteln selbst geschriebenen, aber als inspiriert zu betrachtenden Schriften des Neuen Testaments. Deshalb ziemt es uns, mit frommer Scheu jenem Ereignis, welches sich auf der Grenze zwischen Himmel und Erde bewegt, näher zu treten und in aufrichtiger Hingebung zur Belebung der Andacht die Züge zu sammeln, welche aus den evangelischen Berichten für eine richtige Auffassung des Gesamtbildes dieser Erscheinung und zu einem annähernden Verständnis der Bedeutung desselben für die Heilsgeschichte zu gewinnen sind.
Die Hauptfigur in dem Geschichtsgemälde, welches uns die Evangelisten Matthäus 17,14, Markus 9,2-8 und Lukas 9,28-36 in allen Hauptzügen übereinstimmend entwerfen, ist der Herr selbst. Derselbe besteigt einen hohen Berg. Die kirchliche Sage, welche jedoch nicht tiefer als bis ins vierte Jahrhundert zurückreicht, nennt den Tabor in Galiläa, zwei Stunden südöstlich von Nazareth. Vom Gipfel dieses hochragenden Berges erblickt man nach der einen Seite hin den Carmel, nach der anderen die Berge Ebal und Garizim. So drückt die Sage sinnreich auch in der Lokalität jene Beziehung des verklärten Jesus auf Elias und Moses aus, welche in der biblischen Erzählung so bedeutsam für die Anschauung der Jünger hervortritt. Aber der symbolisierenden Sage fehlt der geschichtliche Boden, welchen die biblische Erzählung festhält. Abgesehen davon, dass auf dem Gipfel des Tabor wahrscheinlich Befestigungen auch damals sich befanden, ist zu beachten, dass Jesus sich noch innerhalb des Gebietes des Philippus im Verkehr mit der zu ihm strömenden Volksmenge befand (Matth. 17,14) und erst später (Mark. 9,30) aus der Landschaft Gaulonitis nach Galiläa ging. Wir finden den Herrn also noch in der Berggegend östlich vom galiläischen Meere in der Nähe von Cäsarea Philippi am Fuße des Antilibanon. Von hier steigt er in die Höhe, wahrscheinlich jedoch nicht auf den Ausläufer des Gebirgszuges, den Berg Paneas nahe bei der genannten Stadt, sondern, da der Berg mit Nachdruck ein hoher genannt wird, auf den schneebedeckten Hermon.
Er geht aber diesmal nicht allein, wie es sonst geschah, wenn er sich dem Andringen des in schwärmerischen und politisch gefärbten Messiashoffnungen befangenen Volkes entzog (Joh. 6,15) oder wenn er zur religiösen Pflege seiner sittlich-persönlichen Lebensgemeinschaft mit dem Vater in die völlige Einsamkeit ging und betete (Matth. 14,23). Er nahm einen Teil seiner Jünger mit sich hinauf und zwar jene Drei, welche wir öfter in einer persönlich näheren Stellung zu Jesu als die übrigen erblicken, ohne dass sie von den Zwölfen so ausgesondert würden wie diese oder die Siebzig aus dem Volk; die beiden Zebedaiden, die Donnersöhne Johannes und Jakobus, und jenen Simon mit dem bedeutungsvollen Namen Petrus, welcher auch hier wie fast überall als Mund der Jünger erscheint. Es sind dieselben Drei, welche der Herr auch bei seinem Leidenskampfe in Gethsemane näher zu sich nimmt (Matth. 26,37). Diese Wahrnehmung gibt uns einen Wink, den wir um so mehr beachten müssen, je deutlicher die Evangelisten das Erlebnis dieser Drei auf dem Verklärungsberge mit einem früheren Ereignis verknüpfen. Sechs Tage zuvor hatte Jesus von den Jüngern ein Bekenntnis gefordert, in welchem sich der Unterschied ihres Glaubens von den messianischen Vorstellungen der Volkshaufen an den Tag legen musste (Matth. 16,1 ff.). Petrus hatte damals dies Bekenntnis in einer Form ausgesprochen, welche zeigte, dass die Jünger seit jenem Tage, wo sie gerufen hatten: wir haben den Messias gefunden! (Joh. 1,41) einen mächtigen Fortschritt in der Entwicklung ihres Glaubenslebens und in der Erkenntnis Jesu Christi gewonnen hatten. Der Herr selbst hatte dies Bekenntnis auf positive göttliche Offenbarung im Innern des Sprechenden zurückgeführt und es durch besondere Segnungen und Verheißungen als ein für die gesamte Gemeinde der Gläubigen grundlegendes, unveränderliches und heilkräftiges bestätigt. An diesen Fortschritt im Glauben und Bekennen schloss der Herr sogleich
eine tiefere Einführung seiner Jünger in die Erkenntnis ihrer besonderen Stellung und Aufgabe zur künftigen Bildung der Gottesgemeinde auf Erden und in das Verständnis seines eigenen Lebensganges, zunächst der bevorstehenden Entscheidung in Jerusalem. Sämtliche Jünger jedoch verstanden es nicht, dass der Messias sein eigenes Leben und das ihm vom Vater übertragene Werk der Einführung des Gottesreiches in die Welt nur vollenden könne als der durch Leiden zur Herrlichkeit gehende Erlöser der Welt. Sie wussten nicht, welchen Sinn sie mit den Worten „Sterben und Auferstehen“ in Bezug auf den Sohn des lebendigen Gottes verbinden sollten und der Gedanke an ein Leiden des Gotteskönigs im Zusammenhang mit einer dadurch bewirkten Trennung desselben von seinen Anhängern war ihnen so völlig unfasslich und fremd, dass Petrus hierüber Äußerungen tat, welche die schärfste Zurechtweisung von dem Herrn empfingen. So mit einem Stachel im Herzen, von Fragen, die sie nicht bewältigen konnten, beunruhigt, in sehnsüchtigem Verlangen nach einem Blick in das sich verwickelnde Rätsel, zugleich von Ahnungen sich enthüllender Geheimnisse Gottes durchschauert, wurden die drei vertrautesten Jünger von dem Herrn mit in die Höhe geführt. Wir werden durch dieses absichtsvolle Mitnehmen darauf vorbereitet, dass sich etwas für die Wahrnehmung der Jünger Bestimmtes ereignen werde.
Doch nicht für die Jünger allein. Jesus hebt zwar später an dem fraglichen Ereignis die Seite besonders hervor, nach welcher es für die Jünger ein „Geschautes“ gewesen ist (V. 9) und Lukas beschreibt den Zustand der Jünger so, dass derselbe weder als ein völliges Wachen noch als ein eigentliches Schlafen aufgefasst werden kann. Aber hieraus folgt nicht, dass man an eine Gesichtstäuschung oder an einen Traum oder an eine bloße Vision der Jünger denken dürfe, um aus solchen bekannten und subjektivierten Zuständen die auffallende und wunderbare Form der berichteten Erscheinung natürlich zu erklären. Das folgende Gespräch Jesu mit seinen Jüngern schließt alle solche Annahmen völlig aus. Denn der Herr gibt nicht etwa seinen Jüngern eine berichtigende Erklärung, sondern ein Verbot, an irgend Jemand vor seiner Auferstehung über das, was sie gesehen haben, etwas mitzuteilen. Hierin ist offenbar eine Bestätigung der Wirklichkeit des geschauten Vorgangs durch Jesum selbst enthalten. Ebenso spricht für die ungeschminkte Wahrhaftigkeit und Treue der Berichterstatter die Bemerkung, dass die Jünger auch nach diesem großen Erlebnis, während sie das gehörte Gotteswort fest in ihrer Seele hielten (Mark. 9,10), doch gegeneinander sich darüber als in einer Streitsache befragten, wie das Auferstehen aus Toten gemeint sei. Desgleichen die Erzählung, dass sie Jesum, als sie vom Berge herabgingen, gefragt haben, wie es sich eigentlich mit der Behauptung der Schriftgelehrten verhalte, dass Elias zuvor kommen müsse. Die Berichte greifen kettenartig in einander und widersprechen allen solchen Erklärungsversuchen, welche den Vorgang auf dem Berge von dem Boden der Geschichte hinweg in das Gebiet der unsicheren Überlieferung und der entstellenden Sage versetzen oder die ganze Schilderung sogar aus dem Selbstbewusstsein der späteren Gemeinde und aus der berechnenden Absicht dogmatisierender Schriftsteller herzuleiten sich nicht entblöden. Der geschilderte Zustand der Jünger ist psychologisch völlig begreiflich. Nach den Erlebnissen der letzten Tage sind sie durch die nächtliche Wanderung in der Gebirgseinsamkeit in einen Zustand physischer Abspannung bei großer geistiger Erregtheit geraten, welcher sehr bezeichnend ein Hindurchwachen durch den Schlaf genannt wird und besonders geeignet für Wahrnehmung solcher Erscheinungen gehalten werden darf, welche innerhalb der sinnlichen Welt dasjenige, was nicht dieser Welt angehört, offenbaren. Das Benehmen der Jünger entspricht auch ganz dem oft in der heiligen Schrift an solchen Personen geschilderten, welche göttlicher Offenbarungen gewürdigt werden oder sich unvermutet in der Gegenwart himmlischer Wesen finden. Petrus hebt nach seiner Art sofort zu sprechen an, aber in solcher Bestürzung und Hast, dass er sich des Zieles und Ganges seiner Rede nicht bewusst ist. Er hat nur einen Anstoß zur Äußerung empfangen und gibt ihm nach weiß aber nicht, was er reden werde (Mark. 9,6). Und Alle sind von jener Furcht erfüllt, welche die Seelen der Sterblichen bei plötzlicher Annäherung des Göttlichen durchschauert, so dass sie schließlich auf ihr Angesicht fallen und erst wieder zu sich kommen, als Jesus sie anrührt und sein ermunterndes Trostwort spricht: steht auf und fürchtet euch nicht! - Die Jünger haben sich also in einem Zustande befunden, wie ihn zuweilen Propheten hatten, wenn sie die Herrlichkeit des Herrn schauten.
Und was ist es, was die Jünger geschaut haben? Zunächst einen Glanz im Antlitz und an den Gewändern des Herrn, strahlenartig leuchtend nach Markus, von einer Weiße wie frischgefallener Schnee, wie ein Walker auf Erden nicht weiß machen kann. Dieser Glanz kommt jedoch nicht von außen her auf Jesum hin. Denn nach Matthäus sind seine Kleider weißleuchtend wie das Licht, sein Antlitz aber glänzt der Sonne vergleichbar, mithin stärker als die Kleider; und nach Lukas geschieht es, während er betet, dass das Aussehen seines Antlitzes ein anderes wird und das Gewand weiß als ein hervorblitzendes. Es ist etwas Ungewöhnliches und Fremdes darin, dem entsprechend, dass auch nach der Auferstehung Jesu die ihn Erblickenden ihn anfangs nicht erkennen (Matth. 28,17. Mark. 16,12. Luk. 24,16.17. Joh. 20,14.21. Die Jünger sehen also Jesum nicht etwa von einem seinem Wesen fremden Licht umflossen, wie in einem Schauspiel geschieht zur Erhöhung des Eindrucks oder in sinnbildlicher Weise. An Jesu selbst geschieht die Veränderung, während er betet und von seiner Person ausbricht das Licht hervor, davon auch die Kleider glänzen. Schon dies Letztere führt darauf, dass hier nicht die Rede von jener Verklärung der Züge ist, welche sich in dem Antlitz der Menschen in Stimmungen der Andacht, bei Regungen der Freude, im Vollgefühl der Liebe und des Glückes, überhaupt in der gesteigerten Lebensempfindung und darum auch im Vorgefühl der künftigen Vollendung und Herrlichkeit bei seligem Sterben zeigt. Matthäus spricht aber auch ausdrücklich von einer Umgestaltung nicht etwa des äußeren Ansehens sondern der wesentlichen Gestalt Jesu Christi in ihrer Erscheinung vor den Augen der Jünger. Eine solche Gestaltwandlung (Metamorphose, Transfiguration) ist in sittlich-religiösem Sinne vom Apostel Paulus Röm. 12, 2 als Aufgabe allen Christen vorgehalten und 2 Kor. 3,18 als eine nach dem Vorbilde Christi die ganze Person der Gläubigen in der Ewigkeit betreffende verheißen worden.
Ein Licht fällt nun für das Verständnis dieses Vorgangs in unsere Seele, wenn wir bedenken, dass Jesus als Sohn Gottes sich der Gottesgestalt entäußert (Phil. 2,6), aber nicht aufgehört hat der göttlichen Natur im vollsten Sinne teilhaftig zu bleiben, dass er vielmehr die Fülle der Gottheit auf leibhafte Weise (Kol. 2,9) in sich trug und dass der Erfolg seines Hingangs zum Vater die Verklärung der wahrhaft von ihm angenommenen menschlichen Natur zur Vollgestalt des Gottgleichen Lebens und ihre Erhebung zum Mitbesitz der göttlichen Herrlichkeit gewesen ist. Auf Grundlage der wirklichen Vereinigung der göttlichen und menschlichen Natur in der Person Jesu Christi konnte es demnach geschehen, dass schon während seines irdischen Lebens aus der Knechtsgestalt die Gottesgestalt hervortrat und denen sichtbar ward, welchen die Augen für solche Wahrnehmungen geöffnet wurden. Das vom Herrn ausgehende Licht ist jene strahlende, die innere Vollkommenheit sichtbar machende Offenbarungsform der göttlichen Majestät, welche als eine Gottwesentliche der Inbegriff seiner Herrlichkeit ist und alle Offenbarung, Anerkennung und Verehrung Gottes in der Welt vermittelt.
Unsere Erzählung enthält mithin nicht eine Nachbildung und Steigerung der Verklärung Mosis. Denn das Leuchten des Angesichts Mosis (2 Mos. 34, 29. 2 Kor. 3, 7) war eine Folge davon, dass er vor der Herrlichkeit Gottes gestanden hatte, als er auf den Sinai gestiegen war begleitet von Aaron, Nadab und Abihu um das Gesetz zu empfangen, und verschwand allmählich bei seiner Rückkehr zum Volke behufs Ausführung seines geschichtlichen Berufes; denn die Ursache des Leuchtens, die Nähe der göttlichen Herrlichkeit, war von ihm in den Himmel zurückgegangen. Bei Jesu aber ist diese Ursache des Leuchtens eine seiner Person eigene und wohnt ihr ohne Unterbrechung ein. Daher ist sie auch immerdar wirksam, obwohl in den Formen ihrer Erscheinung wechselnd und durch die Stufenfolge der Lebensentwicklung des Gottmenschen bedingt. Die Herrlichkeit, welche er bei dem Vater vor Grundlegung der Welt besaß, erbarmt er sich am Abend vor seiner Kreuzigung vom Vater wieder zurück (Joh. 17,5) in Verbindung mit der Versicherung, dass er das ihm übertragene Werk vollbracht und den Vater auf Erden verherrlicht habe. Die göttliche (Dora) Herrlichkeit ist also während seines Erdenlebens bei ihm gewesen und zwar unzertrennlich von der Ausrichtung seines messianischen Berufes. Als eine ihm eigentümliche hat er sie in seinen Werken offenbar gemacht (Joh. 2,11) und die Jünger, welche an ihn glaubten, haben sie gesehen als die Herrlichkeit eines Eingeborenen vom Vater voller Gnade und Wahrheit (Joh. 1,14). Gleichwie aber diese Herrlichkeit auch nach dem Heimgang des Sohnes Gottes in seine Erhöhung zur Rechten des Vaters eine in Gott verborgene bleibt bis zu seiner Wiederkunft (Kol. 3,4), so ist sie eine in der Knechtsgestalt verhüllte gewesen und hat verschiedene Zeiten und Formen ihrer Offenbarung gehabt.
Bei dem vollen Ernst der wirklichen, zwar sündenfreien aber fortschreitenden Lebensentwickelung des Gottmenschen (Luk. 2,52. Gal. 4,4. Hebr. 5,8) ist ebenso wenig an ein willkürliches als an ein unfreiwilliges oder magisches Aufleuchten und Wiederverlöschen dieses Herrlichkeitsglanzes gleich dem eines Wetterleuchtens zu denken. Es muss auch hier der Zusammenhang aller Äußerungen und Erlebnisse Jesu mit seinem persönlichen Bewusstsein festgehalten und anerkannt werden, dass diese Gestaltwandlung nicht bloß für seine Jünger, sondern für ihn selbst eine tiefgreifende Bedeutung hatte.
Diese Annahme wird sofort durch die Bemerkung bestätigt, dass ihm solches gerade während er betete widerfuhr. Wir dürfen nicht zweifeln, dass der Inhalt dieses Gebetes sich auf das Lebensopfer bezog, dessen Darbringung nun, da Jesu Wirksamkeit in Galiläa zu Ende ging und seine Schritte sich zur letzten Reise nach Jerusalem wandten, nahe bevorstand; weshalb er auch deutlicher als je zuvor mit seinen Jüngern vor kurzem hierüber geredet. Solche Gebete aber sind wirksam für das Wachsen und Reifen des Lebens in Gott.
Hierzu kommt die Wahrnehmung, dass nach jeder Hingabe Jesu in den Willen des Vaters, nach jeder Erklärung seiner Bereitschaft zur Übernahme des Erlöserberufs sofort eine Verherrlichung eintritt, eine Erklärung des göttlichen Wohlgefallens, eine Bestätigung vom Himmel her, welche zur Grundlage der weiteren Gott wohlgefälligen Lebensentwickelung des Messias und zur Befestigung seiner Seele in dem mit freiem Liebesgehorsam ergriffenen Willen des Vaters dient (Matth. 3,17. 4,11. Luk. 22,43. Joh. 12,28).
Hiermit stimmt völlig der fernere Verlauf unserer Geschichte. Die Jünger erblicken plötzlich neben Jesu im Lichtglanz zwei Männer im Gespräch mit ihm befindlich. Es ist Moses, der Mittler des Alten Bundes, der Bringer des Gesetzes, dessen Leib nach seinem Tode in einem besonderen Verhältnis göttlichen Schutzes stand (5 Mos. 34,6. Josua 4,8. Jud. 9) und Elias, der Repräsentant des eifernden Prophetentums, von welchem verheißen ist, dass er als Bote des Bundes vor dem Messias hergehen soll zur Herstellung der Gottesherrschaft im Volke (Mal. 4, 4. 5) und welcher ohne Durchgang durch den natürlichen Tod in das himmlische Lichtleben emporgehoben ward (2 Kön. 2,11). Diesen beiden Personen, welche manche Ausleger in den Off. Joh. 11,3 erwähnten Zeugen wiederfinden, sprechen nach Lukas mit Jesu über seinen „Ausgang.“ Wir haben an diesem Fingerzeig genug, welcher auf das Geheimnis des Kreuzes hinweist ohne völlig den Schleier zu heben. Wir vermessen uns nicht zu bestimmen, welche Botschaft aus dem Jenseits diese schon der anderen Welt angehörenden Personen gebracht und welche Nachricht sie mit hinüber genommen haben mögen. Aber wir dürfen annehmen, dass ein Gespräch dieser Art in solcher Stunde zwischen diesen Personen gepflogen in alle Seelen der Beteiligten Licht, Trost und Zuversicht gegossen hat.
Einen solchen Eindruck hat offenbar Petrus auch empfangen. Er sieht die Verwirklichung des Reiches Gottes in der Herrlichkeit vor seinen Augen, den Messias als König, die Repräsentanten des Gesetzes und des Prophetentums in dessen unmittelbarer Nähe. Die Scheidewand zwischen Hier und Dort scheint ihm gefallen; die Schranken der Zeit sind verschwunden; die Hütte des Moses und des Elias kann friedlich neben der Hütte Jesu stehen und an sich selbst und an seinen Freunden meint Petrus es schon zu erleben, dass Gott seine Wohnung nicht mehr bloß bildlich, sondern wirklich und eigentlich unter den Menschenkindern hat. Was Alles nach der Schrift zuvor geschehen muss, damit Sünde und Tod überwunden werden und die Heiligen mit den Auferstandenen allezeit bei dem Herrn sein können, ist seinem Geiste nicht gegenwärtig. Die Mitteilungen Jesu über den Weg der Vollendung des Menschensohnes hat er nicht verstanden; die empfangene Zurechtweisung ist vergessen; die eigene Ohnmacht wird nicht empfunden. Hingerissen von der Erscheinung drückt er den Wunsch sie für immer festzuhalten und seine Bereitwilligkeit zur Hilfe für diesen Zweck in dem Augenblicke aus, als die Gestalten anfangen sich von Jesu wegzubegeben. Er spricht zu Jesu: „Herr, trefflich ist es, dass wir hier sind; willst du, so machen wir hier drei Hütten, Dir eine und dem Moses eine und dem Elias eine.“ Während er aber noch spricht, siehe! da überschattet eine Lichtwolke die drei Personen. Und indem diese in die Wolke hineintreten, hören die erschrockenen Jünger aus ihr heraus eine Stimme, welche spricht: „Dieser ist mein Sohn, der Geliebte, an welchem ich Wohlgefallen habe; ihn hört!“
In die Lichtwolke hüllt sich Jehova, wenn er auf Erden erscheint, und zeigt mit ihr seine Gegenwart in der Stiftshütte und im Tempel an (2 Mos. 40,34. 1 Kön. 8,10). Sie ist das Kleid, welches Er sich selbst webt (Ps. 104,2), als Licht seine Gegenwart offenbarend und doch den unmittelbaren Zutritt den Sterblichen nicht verstattend (1 Tim. 6,16) und so Gott selbst denen, welche ihm nahe gebracht sind, verhüllend (2 Mos. 20,21). Die Stimme aber erklärt den ganzen Vorgang und macht ihn zu einem Wahrzeichen von der höchsten Bedeutung. Sie zeigt, dass nicht eine einfache Wiederholung des Vorgangs bei der Taufe Jesu im Jordan stattfindet, sondern eine tiefergehende Parallele. Je reicher seit jener Einweihung in seinen messianischen Beruf die Leidenserfahrung Jesu und mit ihr seine Lebensvollendung sich entwickelte, desto tiefer durchdringen sich die in der Erniedrigung und in der Erhöhung des Heilands in Wechselwirkung stehenden Beziehungen seiner Doppelnatur. Die Verherrlichung auf dem Berge, welche hier als Folge seiner willigen Übernahme der bevorstehenden Leiden nach entschiedenster Zurückweisung der schweren durch Petrus ihm noch bereiteten Versuchung hervortritt, ist für Jesum selbst die göttliche Bestätigung, dass er auf diesem Wege wirklich den Willen Gottes seines Vaters vollziehe und indem er durch sein Lebensopfer am Kreuz den ewigen Ratschluss von der Erlösung der Welt zur Ausführung bringe, dadurch persönlich nicht vom Leben und vom Heile geschieden werde, vielmehr durch Verlassen der Welt zum Vater gehe und in seinem himmlischen Reiche zu der ihm gebührenden Stelle gelange. Sie ist also nicht eine bildliche Darstellung des Lichtes, welches den Jüngern über die Bestimmung Jesu und namentlich über sein Verhältnis zum Reiche Gottes aufgegangen ist und drückt auch nicht das Selbstbewusstsein der späterem Gemeinde aus, welche in ihrem eigenen christlichen Prinzipe den Einheitspunkt für die religiösen Mächte der Vergangenheit gefunden hat. Sie ist für den Herrn selbst bei seiner Einweihung in das bevorstehende Leiden eine Eintauchung in die Himmelsgemeinschaft der Vollendeten zur Erfrischung auf seinem Todesgange. Eben deshalb ist sie auch mehr als Vorgefühl und Vorschmack der künftigen Seligkeit und mehr als Vorausdarstellung der kommenden Herrlichkeit gewesen. Sie ist als zeitweiliger Durchbruch der dem Herrn Jesu Christo wesentlich eigenen Gottesherrlichkeit aus der Knechtsgestalt im Zusammenhange mit der persönlichen Vollendung seines Gottmenschlichen Lebens, welche vermittelst Leidensgehorsams geschah, zu betrachten. Für die Jünger geschieht deshalb durch die Hinweisung auf Jesu Person und Werk verbunden mit der Erinnerung an die Weissagung Mosis (5 Mos. 18,15) die Bestätigung und die Entwicklung ihres Glaubens. Sie sehen, wie der Alte Bund in den Neuen überzugehen beginnt; und vom Himmel her wird Jesus ihnen als der wahre Prophet, der in die Welt kommen soll, und als der Priesterkönig gezeigt, welcher über alle seine Feinde zur Rechten Gottes erhöht lebet und regiert in Ewigkeit. Zum Glaubensgehorsam gegen ihn aufs Neue verpflichtet, haben sie von ihm selbst zu lernen, welches der königliche Weg der Vollendung auf dem Gange durch die Welt zum Vater ist.
C. B. Moll in Halle, wohnt in Königsberg.