14. Melanchthon an Luther.
1) Ich habe gestern zwei Briefe von Euch empfangen und gestehe ganz gerne, daß Ihr uns in diesem Stück gar sehr zuvor thut. Ihr schreibet nicht allein öfter, sondern auch angenehmerer Dinge als wir. Ueber uns und unsere Sache ist bishero noch Nichts beschlossen. Es werden immer täglich neue Berathschlagungen gehalten; Christus verleihe, daß sie Frieden schaffen. Eck hat mit seinem Haufen dem Kaiser eine Widerlegung unseres Bekenntnisses überreichet. Sie ist noch nicht ans Licht getreten: ich höre aber von guten Freunden, daß es eine lange Schrift voller Lästerungen und Schmähungen sei. Zwinglius hat ein gedruckt Bekenntniß anhero geschickt: man sollte schwören, er wäre ganz verrückt. Von der Erbsünde, von Gebrauch der Sacramenten wärmet er die alten Irrthümer offenbarlich wieder auf. Von den Ceremonien redet er ganz schweizerisch, d. i. höchst barbarisch, er wollte sie alle gern abgeschafft wissen. Seine Sache vom Abendmahl treibet er stark. Er will alle Bischöfe ausgerottet haben. Ich will ein Stück von solcher gedruckter Schrift schicken, wenn ich es bekomme. Denn dasjenige Stück (oder Abdruck), so ich gehabt habe, geht bei den Fürsten herum.
2) Ich schicke Euch die Frage von den Menschensatzungen, (oder mündlich hergebrachten Lehren), und bitte Euch, davon recht ausführlich zu schreiben. Denn Nichts macht mir in allem gelehrten Kampf (oder Handel) mehr zu thun, als was am leichtesten scheinet. Und in der That ist es ein Geringes: die Menschenlehren sind nur Stricke der Gewissen, sie werden gleich gehalten oder abgeschafft. Wir haben einen festen Grund von der Rechtfertigung, und einen andern von der Freiheit, daß man nämlich auch über der äußerlichen Freiheit halten müsse, die viel Anstoß hat. Ich nenne aber Freiheit, wenn auch Paulus das Gesetz unter den Juden mithält. Ich habe viererlei Ursachen (oder Quellen) der Menschensatzungen, daraus sie herkommen, aufgesetzt, daß Ihr desto eher sehen könnet, wo mir's fehlet: wenn nämlich dergleichen hergebrachte Lehren (oder Satzungen) gehalten werden, ohne irgend eine sündliche Meinung davon, so scheint es, daß sie aus Ehrerbietung nothwendig zu halten sein, nicht aber wegen irgend eines Gottesdienstes (oder als ein Gottesdienst). Denn wir sehen, daß die Bischöfe wirklich auf menschliche Art und aus dergleichen Recht herrschen.
3) In dem Punkt von der Messe und im ersten Aussatz der Glaubensartikel dünket mir, daß ich behutsam genug gewesen: aber in der ungeschriebenen Lehren (Menschensatzungen) Punkte bin ich nie recht mit mir selbst zufrieden in selbiger Schrift. Ich glaube auch, daß die Widersacher über die geistlichen Stände (und Aemter) groß Lärmen machen werden. Gehabt Euch wohl, den Tag nach Margaretha 1530.
Es können fünf Ursachen (oder Quellen) sein der ungeschriebenen Lehren (Satzungen):
- I. Als wenn es etwa Werke wären, die Gott versöhnen könnten: wie die Welt von den Genugthuungen und vielen andern Ceremonien, ingleichen den Bußregeln (Kanones) geglaubt hat.
- II. Als wenn es nothwendige Gottesdienste wären, wie im Alten Testament ein steter Gottesdienst mit gewissen Tagen und Speisen und dergleichen gewesen. Diese Ursache ist nur darinnen von der vorigen unterschieden, daß sie scheinet, Werke in sich zu fassen, die auf die Rechtfertigung folgen, zusammt einem Bekenntnis, oder Offenbarung des Glaubens. Denn das nenne ich Dienst und Verehrung, und kommt dazu die Bedingung der Nothwendigkeit; denn ich habe gesagt, daß ein nothwendiger Gottesdienst erdichtet werde, wie im Gesetz mit immerwährenden Ceremonien. Von diesen beiden Ursachen kann man leicht urtheilen. Denn weil es gottlose Satzungen sind, werden sie sicher übertreten. Und von diesen Fällen allein handelt Paulus: auch Lutherus hat Anfangs nur von solchen gehandelt. Also kann man davon leicht urtheilen.
- III. Bei der dritten Ursach ist nichts Gottloses. Wenn man Satzungen macht guter Ordnung halber, daß es ordentlich zugehe; z. E. Feiertage, Sonntage, ordentliche Lesestücke in der Messe, ingleichen daß Niemand das Abendmahl austheile, als ein ordinirter Priester.
- IV. Die vierte Ursache scheinet auch recht zur Besserung, daß eine leibliche Zucht für die Rohen und Unwissenden geordnet werde, als z. E. gewisses Fasten, gewisse Feiertage. Nicht daß Fasten ein Gottesdienst sei, sondern leibliche Uebungen die wilden rohen Leute anhalten, da sie sich recht schicken, das Wort zu hören.
- V. Die fünfte, zwar wegen eines Dienstes, der aber auf den Glauben folget; wie das Werk der Magdalena, die Salbung der Füße. So haben die Makkabäer die Kirchenweihe angeordnet; nämlich ein Werk, dadurch gedanket wird, welches eine Bezeugung und Merkmal der Dankbarkeit und des Glaubens ist.
In den drei letzten Fällen können wohl Satzungen sicher und mit Recht aufgebracht werden. Und in solchem Fall können die Widersacher also schließen: Solche Satzungen sind erlaubt und von der Obrigkeit befohlen, darum sind sie auch nothwendiger Weise zu halten. Gleich wie die Juden nothwendig gehalten waren, die von den Makkabäern angeordnete Kirchenweihe, und die Niniviten das vom König ausgeschriebene Fasten zu halten, eben wie ehemals die Juden des Josaphats seines. Denn wir müssen bekennen, daß die Bischöfe von menschlichem Recht her Obrigkeiten sind, und haben also die Satzungen eine Verbindungskraft; nicht weil sie an sich selbst ein Gottesdienst wären, sondern weil es vergönnte und von der Obrigkeit befohlene Werke sind. Das Recht der Gewalt oder Bothmaßigkeit macht hier eine Noth, nicht die Art und Natur des Werkes selber.
Hier werdet Ihr sagen: Es sei nicht allein Ursache da, warum man sie unterlassen könne, weil sie wider die Lehre von der Rechtfertigung laufen, sondern auch weil uns die durchs Evangelium geschenkte Freiheit nicht genommen werden könne; wie Paulus unter den Juden das Gesetz frei gehalten hat^ nur daß er Niemanden ärgerlich wäre. Aber das scheinet nicht hinlänglich, oder ist mäßigen Leuten sehr anstößig. Denn wenn der Gehorsam nothwendig ist, so gibt es keine Freiheit mehr. Denn Gehorsam und Freiheit streiten wider einander. Diesen Knoten muß man auflösen. Denn jene Freiheit scheinet gar den Gehorsam aufzuheben, welches sich nicht thun lässet, (noch recht ist).
Ich schließe auch also: die Juden würden Sünde gethan haben, wenn sie das von Josaphat ausgerufene Fasten nicht gehalten hätten. Darum thun wir auch unrecht, wenn wir die in vergönnten Fällen verbotene Fasten nicht halten. Denn, daß man Achab dawider anführet, der einen Gottesdienst aufgebracht und angerichtet hat, so ist das gar ein Anderes. Denn er hat einen Dienst angeordnet, Gott zu versöhnen, wider die Lehre des Glaubens, wenn er aber nichts wider den Glauben, sondern demselben gemäß geordnet hatte, wie Josaphat, so hätte man es nicht übertreten dürfen.
So kann man auch von den Satzungen (oder hergebrachten Lehren ohne Schrift) der Unsrigen sagen. Denn ich gebe zu, daß die Bischöfe nach menschlichem Recht herrschen können. Antwortet mir demnach, ob die Satzungen, wenn sie in den drei Fällen geboten sind, nothwendig gehalten werden müssen, wegen der Gewalt und des Gebotes der Obrigkeit, und ob solche Satzungen das Gewissen verbinden?