Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - V. Wie die auserwählte Seele von den heiligen Engeln mit ganz holdseligen Worten aus dem Leib abgerufen wird.

Mayfart, Johann Matthäus - Himmlisches Jerusalem - V. Wie die auserwählte Seele von den heiligen Engeln mit ganz holdseligen Worten aus dem Leib abgerufen wird.

Was frage ich nach dem Himmel? Was frage ich nach der Erde? Nach dem Schöpfer selbst dürstet mich. Ach, dass mein Herz nach Ihm vor Liebe brenne! Dass jegliche Kreatur mich anekele! Der Schöpfer allein mich ergötze!

Der Prediger Salomo sagt (Kap. 7, 3.): „Es ist besser in das Klaghaus gehen, denn in das Trinkhaus.“ Das lautet gar hart in den Ohren der Gottlosen; es klingt aber wohl in den Ohren der Gläubigen. Wer oft das Klaghaus besucht, wird heilsam gebessert. Er schaut, wie erschrecklich der Tod den menschlichen Leib zurichtet; wie er die Augen verscharrt, die Wangen verzehrt, den Mund verzerrt und alle Glieder in Bande legt; in Summa, wie er aus dem schönen einen ungestalteten, aus dem starken einen ohnmächtigen, aus dem blühenden Leib einen verwesenden macht. Da sieht er, was für eine abscheuliche Mutter die Sünde sei, die solch gräulichen Tod geboren. Er begibt sich aber auch, wenn er in das Klaghaus geht, wo eine auserwählte Seele abscheiden soll, mitten unter die Schar der Engel, welche um die Sterbestätte eine feurige Wagenburg geschlagen und wie in einem Ring daher tanzen und spielen. Lieblich war es, wann zu Zion bei dauernder Friedenszeit die Jungfrauen am Reigen gingen und eins ums andere sangen. Lieblich war es zu hören, wann sie auf den Pauken und Geigen daher spielten und den Wohlstand des Vaterlandes rühmten. Sollten uns aber die Augen aufgetan werden, wie dem Knaben des Elisa, so würden wir schauen den noch viel lieblicheren Reigen der heiligen Engel um das Haus, ja um das Bett der frommen Seele, wie sie geben Gott die Ehre in der Höhe und verkündigen der Kirche den Frieden und dem sterbenden Menschen das himmlische Wohlgefallen; wie sie auf alle Seufzer merken, wie sie alle Züge des Odems zählen und mit großem Verlangen warten, wann das Herz brechen und der Pilgrim aus der Herberge ausscheiden wird, um ihn mit freudigem Triumphe zu sich zu nehmen.

In der Apostelgeschichte am 12. Kap. lesen wir, Petrus sei vom Herodes ins Gefängnis gelegt und zwischen zwei Kriegsknechten mit zwo Ketten gebunden worden; der Engel aber sei dahergekommen und ein Licht habe im Gemach geschienen; er habe den Petrus an die Seite geschlagen, ihn aufgeweckt und gesagt: Stehe behend auf, gürte dich, tue deine Schuhe an, wirf deinen Mantel um dich und folge mir. Ähnlicher Weise geschieht es dem Christgläubigen in seiner Sterbestunde. Wie in einem Kerker liegt er auf seinem Siechbette; wie mit Ketten ist er mit Krankheit und Schwachheit gefesselt; wie von Kriegsknechten ist er von höllischen Geistern umlauert. Wann aber der bestimmte Augenblick naht, treten des Herrn dienstbare Geister herzu, reden die auserwählte Seele an und sagen: Stehe auf, du schöne Freundin Gottes, du liebste Braut Jesu Christi, du edelste Bürgerin des himmlischen Jerusalems! das ist der Tag der Freude, da deine Seligkeit anfängt! Das ist die Stunde des Heiles, da deine Ewigkeit beginnt! Schaue da den Wagen, auf dem du sitzen sollst, schaue da die Rosse, die ihn ziehen sollen. Jetzt geht an die himmlische Hochzeit. Nun musst du dem himmlischen Bräutigam vollständig vermählt und dem du lange Zeit verlobt gewesen, unauflöslich vertraut werden. Uns hat Er befohlen, dir als der Braut Seine beständige Huld und freundlichen Gruß zu melden, dich aufzunehmen und in den Ehrensaal des Paradieses zu bringen. Dazu hat Ihn bewogen die Gnade, damit Er dich meint und mit dir sich vereinigt. Er kennt deine Treue in den Verfolgungen, deine Beständigkeit im Elend, deinen Glauben in den Versuchungen, deine Geduld im Leiden, deine Werke in der Heiligung. Dem Vater selbst hat gefallen, dir diesen Tag auf dein Seufzen und Flehen zu erwählen und aus der streitenden Kirche zu der triumphierenden dich zu versammeln. Darum stehe auf, du schönste Freundin Gottes, du liebste Braut Jesu Christi! Weiche aus dem Leib, der baufälligen Hütte der Sterblichkeit! Gib auf die Bekannten und Verwandten als eine Gesellschaft der Vergänglichkeit! Verlasse die Welt, das Meer der Trübsale und zeuch mit uns die Straße der Ewigkeit!

Seht, liebe Christen, seht! Wie könnte doch die gläubige Seele sich länger säumen! Wie könnte doch die Auserwählte nur den tausendsten Teil eines Augenblicks zu folgen sich weigern! Sollte sie nicht in ihres Herzens Wonne bei sich denken: Das ist die fröhliche Nacht, in welcher ich zum hellen Tage abscheide! Das ist die fröhliche Stunde, in welcher ich die Zeit mit der unendlichen Ewigkeit vertauschen soll! Jetzt gelange ich aus der zeitlichen Sorge zur ewigen Sicherheit, aus der verdrießlichen Pilgrimschaft zum seligen Vaterland, aus der elenden sterblichen Herberge in das lustige unvergängliche Paradies, aus dem ungestümen Meere in den heißersehnten Hafen. Ich sehe bereits von ferne das auserwählte Jerusalem mit seinen festen Mauern, in den Mauern die güldenen Pforten, auf den Pforten die hohen Türme, auf den Türmen die heiligen Wächter. Ja ich sehe nicht von ferne, sondern in der Nähe die Stadt meines Gottes, in der Stadt den Thron meines Erlösers, bei dem Throne meine Brüder und Schwestern, die mit Verlangen auf mich warten. Euch danke ich, Weib und Kinder, dass ihr mich treulich geliebt und geehrt! Euch danke ich, liebe Eltern, dass ihr mich ernährt und erzogen! Euch danke ich, liebe Lehrer, dass ihr mich gelehrt! Euch danke ich, liebe Gönner, dass ihr mich geschützt und gefördert! Euch danke ich, liebe Freunde, dass ihr mir geraten und geholfen! Aber auch euch danke ich, meine Verleumder und Beleidiger; ihr habt geübt meine Unschuld und Geduld. Euch danke ich, ihr Hoffärtigen und Wucherer; ihr habt geübt meine Demut und Armut. Euch danke ich, ihr Neider und Nachgierigen; ihr habt geübt meine Sanftmütigkeit und Versöhnlichkeit. Euch allen danke ich, ihr meine Feinde; ihr habt nach Gottes besonderer Regierung und weiser Leitung meinen Glauben mit euren Anfeindungen geübt, mit euren Verfolgungen befestigt, mit euren Bestürmungen erhalten zum ewigen Leben.

Wie könnte doch solche Seele unwillig aus dem Leibe scheiden, die so bereitwillig ist im Augenblick abzuscheiden? Sollte sie nicht ferner ausbrechen und diesen Freund, welcher ihr nächst Gott dem heiligen Geist am nächsten gewesen, also begrüßen:

O Leib, ich will dich lassen,
Und fahren meine Straßen
Zum schönsten Vaterland!

Die Zeit meiner Wallfahrt in dir ist 70 Jahr. Wenig und bös ist gewesen die Zeit meines Lebens und langt nicht an die Zeit meiner Väter in ihrer Wallfahrt. In dir habe ich ein Leben geführt, gleich einer Wolke, die bald vergeht, gleich einem Tau, der bald verzehrt ist, gleich einer Blume, die bald verwelkt, gleich einer Stoppel, die bald verbrennt, gleich einem Blatt, das leicht verworfen wird, gleich einem Schnee, der bald zerfällt, gleich einem Rauch, der bald verweht, gleich einem Spinngewebe, das bald zerrissen wird, gleich einem Schatten, der bald entflieht. Jetzt sind angekommen des Himmels Heerscharen. Ich muss ihnen folgen und will ihnen folgen. Ich will das Zeitliche mit dem Ewigen wechseln, das Irdische mit dem Himmlischen, das sündige Leben mit der Seligkeit. Ich danke dir für die Gemeinschaft, da du meine Traurigkeit empfunden und ich deine Schmerzen getragen. Nun aber will ich nicht ferner in deiner Hütte wohnen und deine Glieder regieren. Ich befehle dich dem Schöpfer alles Fleisches, des die Erde ist und alles, was darinnen ist. Er wolle dir in deiner Kammer eine sanfte Ruhe und an jenem großen Tag eine fröhliche Auferstehung verleihen. Dann wollen wir einander mit Lust antreffen, mit Liebe annehmen und ewig beisammen bleiben. Jetzt ist nichts übrig, als dass ein lieber Sohn oder auserwählter Freund mit dem frommen Joseph die Hände auf deine Augenlider lege und das letzte Werk christlicher Liebe nach dem löblichen Beispiel der Patriarchen verrichte. Gott befohlen! Und auf und dahin!

Herr Jesu, Du Fürst des Friedens, Du Vater des Trostes, Du hast einst den Lot durch Deine Engel aus Sodom gerufen und an einen sicheren Ort geführt, damit Deinem Diener von dem Feuer kein Leid widerführe. Ich bitte Dich, Du wollest mir deinen Engel senden, dass er mich abrufe und zur Schar Deiner Auserwählten führe, wann meine Kräfte wie die Mauern zu Jericho verfallen und der Leib zur Erde werden soll. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/m/mayfart/mayfart-himmlisches_jerusalem/mayfart-himmlisches_jerusalem-kapitel_5.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain