Luger, Friedrich - Der Brief des Jakobus - Einundzwanzigste Betrachtung.
So seid nun geduldig bis auf die Zukunft des Herrn!
Über Jak. 5,7-9.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.
Jak. 5,7-9:
„So seid nun geduldig, liebe Brüder! bis auf die Zukunft des Herrn! Siehe, ein Ackersmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde, und ist geduldig darüber, bis er empfange den Morgenregen und Abendregen. Seid ihr auch geduldig, und stärkt eure Herzen; denn die Zukunft des Herrn ist nahe. Seufzt nicht wider einander, liebe Brüder! auf dass ihr nicht verdammt werdet! Siehe, der Richter ist vor der Türe!“
Nach den gewaltigen und erschütternden Worten seiner Strafdrohung, mit welchen Jakobus das ungläubige, irdisch gesinnte Geschlecht auf die Zukunft des Herrn und das hereinbrechende göttliche Gericht hingewiesen hatte, wendet er sich nunmehr an seine Brüder, die gleich ihm an den Herrn Jesum gläubig Gewordenen seines Volkes, um sie mit lindem, freundlich andringendem Ernste zur Geduld in ihrem Glaubenskampfe und unter allen Drangsalen, von welchen sie betroffen waren, zu ermuntern, und tröstend hinzuweisen auf die nahe Zukunft des Herrn. „So seid nun geduldig, liebe Brüder!“ mahnt er, „bis auf die Zukunft des Herrn!“
So seid nun geduldig bis auf die Zukunft des Herrn!
- Seid geduldig und wartet, wie der Landmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde!
- Seid geduldig und stärkt eure Herzen!
- Seid geduldig und seufzt nicht wider einander!
Das sind die freundlich ernsten Mahnungen des Jakobus an seine Leser, und das denn der Gegenstand unserer weiteren Betrachtung.
1.
„So seid nun geduldig, liebe Brüder! bis auf die Zukunft des Herrn! Siehe, ein Ackersmann wartet auf die köstliche Frucht der Erde, und ist geduldig darüber, bis er empfange den Morgenregen und Abendregen,“ den Frühregen und Spätregen, meint eigentlich Jakobus. Er denkt an die beiden Regenzeiten, wie sie in jenen Gegenden des Morgenlandes bald nach der Saatzeit und gegen die Erntezeit sich einstellen, und von deren regelmäßiger Wiederkehr die Fruchtbarkeit des Bodens abhängig ist. Weiß es doch, meint er, der Ackersmann, dass auf die Saatzeit nicht alsobald die Zeit der Ernte folgen kann. Er bestellt seinen Acker, und wartet geduldig, bis der Früh- und Spätregen denselben befruchtet haben, und die Saat herangewachsen, und zur Ernte gereift ist, so dass er endlich die köstliche Frucht der Erde, den Segen seiner Arbeit, einernten kann. Soll es nicht also auch auf dem Acker des Reiches Gottes geschehen? Was ist diese Weltzeit mit ihren Jahrtausenden, als eine Wartezeit, in welcher die Erde dem Himmel ihre Frucht bringt? Und jedes Menschenleben mit diesen siebenzig, oder, wenn es hoch kommt, achtzig Jahren seiner Mühe und Arbeit, ist es nicht auch eine Wartezeit von der Saat zur Ernte, in welcher der Same aufgehen, und wachsen, und Frucht bringen soll, bis die Ernte da ist, und der Ackersmann die Sichel hinschickt, sie einzuernten, und in seine Scheuern zu bringen? (Mark. 4,26-29.) Oder ist der köstliche Preis des Wartens nicht wert, diese friedsame Frucht der Gerechtigkeit, wie sie unter der Geduld des Wartens am Herzen reift? Wie darf denn die Zeit euch zu lange währen? Reift doch auch draußen auf unseren Feldern gerade die köstlichste Frucht meist am langsamsten zur Ernte. Soll es nicht also sein auch auf dem Acker des Reiches Gottes und am Herzen des Menschen? Wie aber da draußen das Erdreich bei lauter Sonnenschein nicht Frucht bringt, sondern der Same verdorrt in der Erde, und die Saat wird von der Hitze versengt, wenn nicht trübe Tage kommen, an denen die Regenschauer befruchtend auf den Acker herniederrauschen, so mag auch auf dem Acker des Herzens die köstliche Frucht nicht ohne trübe Zeiten gedeihen, Zeiten, in welchen es ist, als ob Gott sein Angesicht vor dir verborgen hätte, und keine Sonne am Himmel deines Lebens mehr über dir leuchtete.
Freilich, was nützt dem Acker auch die regelmäßigste Wiederkehr des Frühregens und Spätregens, wenn der Ackersmann es an sich hat fehlen lassen, und den Acker nicht wohl bereitet, die Saat nicht recht bestellt hat? So mag auch auf dem Acker deines Herzens keine Frucht gedeihen, wenn du versäumst, deines Berufes zu warten, und zu tun, was an dir ist, um, ob auch unter Tränen, zu säen, und weinend zu gehen und edlen Samen zu tragen. Darum, als es nun Zeit ist, lasst uns nicht säumig sein, unserer Ackerarbeit auf dem Acker des Reiches Gottes, wie am eigenen Herzen, in ernster Treue zu warten! „Lasst uns Gutes tun, und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören!“ (Gal. 6,9.)
2.
Leicht ist es freilich nicht, auch bei ausbleibendem Erfolge, unter dem Undank der Welt, unter Trübsal und Sorgen, in der Geduld des Wartens nicht müde zu werden. Wie oft, dass, während der Gläubige unter dem Druck seines Leidens seufzt, die Welt ihre Triumphe feiert, und, von einem Siege zum anderen fortschreitend, der Gläubigen spottet, und ihnen höhnend zuruft: „Wo ist nun euer Gott?“ Ist doch manches Leben schier wie eine Kette erfolgloser Bemühungen, getäuschter Erwartungen, unerfüllter Wünsche und Hoffnungen! Kaum, dass sich der Mensch von einem Schlage zu erholen anfing, wirft ihn ein anderer, schwererer schon wieder zu Boden. Ach, und wie leicht geschieht es da, dass das arme Menschenherz in seiner Geduld ermüdet, und schwach wird! „Darum: seid geduldig und stärkt eure Herzen!“ mahnt Jakobus. „Seid geduldig und stärkt eure Herzen“, indem ihr sie vor Gott von allem eigenen Willen und allen selbstsüchtigen Gedanken reinigt, und sie vor ihm stillt in Ergebung unter seinen Rat und Willen, und euch demütigt unter seine gewaltige Hand, dass er euch erhöhe zu seiner Zeit!“ „Seid geduldig und stärkt eure Herzen“ im Glauben an sein Wort und seine treuen, wahrhaftigen Verheißungen, die euch nicht lügen können! „Ich will dich nicht verlassen, noch versäumen“, spricht er. (Hebr. 13,5; vergl. Jos. 1,5.) „Ich will euch tragen bis ins Alter, und bis ihr grau werdet!“ (Jes. 46,4.) „Es hat euch noch keine, denn menschliche, Versuchung betroffen; aber Gott ist getreu, der euch nicht lässt versuchen über euer Vermögen, sondern macht, dass die Versuchung so ein Ende gewinne, dass ihr es könnt ertragen.“ (1 Kor. 10,13.) Ja, ob da draußen auf dem Acker die Arbeit des Ackermanns manchmal umsonst ist, auf dem Acker des Reiches Gottes doch nimmer. Es kommt der Tag, der es zu ewiger Freude offenbar macht, dass keine Tränensaat, keine Geduld unserer Arbeit und unseres Wartens, ohne Frucht war. Seid nur unterdessen geduldig und „stärkt eure Herzen“ im getrosten Aufblick und Gebete zu dem, der „dem Müden Kraft gibt, und Stärke genug dem Unvermögenden“. (Jes. 40,29.) „Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.“ (V. 16.) „Darum haltet an am Gebet, und wacht in demselbigen mit Danksagung!“ (Kol. 4,2.) „Seid geduldig und stärkt eure Herzen“ in der brüderlichen Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, in gegenseitiger Ermahnung und Handreichung und Fürbitte! Das taugt nicht, dass, während unter den Ungläubigen der Gemeinschaft so viel ist und der gegenseitigen Handreichung und Ermunterung zur Geduld und zum Ausharren in oft recht zweifelhaften, ja frevelhaften Unternehmungen und Bestrebungen, unter den Gläubigen der Liebe und der brüderlichen Handreichung und Gemeinschaft so wenig ist. Wie viel kräftiger würden die Herzen der Gläubigen sich gestärkt fühlen, wenn des gemeinsamen Gebets und der Fürbitte und tragenden Liebe unter uns mehr wäre, und, die sich im Glauben eins wissen, sich kräftiger unter einander zur Geduld vermahnten, und auf das Ziel unserer Christenhoffnung hinwiesen:
„Kommt, stärkt euren Mut,
Zur Ewigkeit zu wandern,
Von einer Kraft zur andern;
Es ist das Ende gut!“
„Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn die Zukunft des Herrn ist nahe!“ schreibt Jakobus. Die ersten Christen lebten in beständiger Erwartung der nahen Zukunft des Herrn, und auch wir sollen allezeit im Angesichte seiner nahen Zukunft wandeln; denn wir wissen nicht, wann unser Herr kommen wird, sondern sollen allezeit bereit sein. Aber ob er verzieht, zu kommen, und mit einem Geschlecht nach dem anderen Geduld hat, damit es sich zur Buße kehre, er kommt schon jetzt, und lässt uns seine Nähe spüren in dem erschütternden Ernste seiner Führungen, wie in jeder freundlichen Erquickung von seinem Angesicht. Wer weiß, wie bald auch nach den trüben, schweren Zeiten, unter deren Druck du jetzt seufzest, wieder Tage des Lichts und der Freude kommen, da die Sonne durch die düsteren Gewölke hindurchbricht, und deine Seele sich wieder in dem Schein der göttlichen Liebe erquicken darf! Und endlich, wie lange auch der Herr verzieht, zu kommen, für dich wird es ja doch so lange nicht mehr währen. Es ist doch nur um ein kleines, so kommt er, und macht der Zeit unseres Wartens ein Ende.
Es wird nicht lang mehr währen;
Harrt noch ein Wenig aus;
Es wird nicht lang mehr währen,
So kommen wir nach Haus!“
Wie klein wird dann auch die längste Zeit unserer Geduld und unseres Wartens uns erscheinen, wenn wir es nun zu ewiger Freude erfahren dürfen, „dass dieser Zeit Leiden der Herrlichkeit nicht wert ist, die an uns soll geoffenbart werden!“ (Röm. 8,18.)
3.
Darum sollen Christen nicht ungeduldig werden, und nicht wider Gott oder wider ihre Brüder seufzen. „Seid geduldig und seufzt nicht wider einander, liebe Brüder! auf dass ihr nicht verdammt werdet! Siehe, der Richter ist vor der Türe!“
Jakobus will ja dem Seufzer der Klage, der Sehnsucht nach Erlösung und Hilfe nicht wehren. „Ach du, Herr, wie lange!“ „Hüter, ist die Nacht schier hin?“ (Ps. 6,4. Jes. 21,11.) Nur dass der Seufzer der Klage und der Sehnsucht zum Gebet werde, zum Gebet auch für die Brüder, welche uns übel tun, nicht zur Anklage wider sie vor dem Throne des Richters. Es ist ja wahr, dass wir meist auch das schwerste Leiden, welches uns unmittelbar aus der Hand des Herrn kommt, leichter ertragen, als das Leid, welches Menschen uns zufügen, wie wohl doch diese uns nichts tun können, es werde denn die Macht dazu ihnen von Oben gegeben. Und wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Selbst vor Gott nichts, als ein armer, seiner Gnade bedürftiger Sünder. Wie möchtest du denn das Gericht über die herabrufen, welche dir übel getan haben? „Siehe, der Richter ist vor der Türe!“ schon bereit, einzutreten, und Gericht über deinen Bruder zu halten; aber auch über dich! „Darum sei willfährig deinem Widersacher bald, dieweil du noch bei ihm auf dem Wege bist, auf dass dich der Widersacher nicht dermaleinst überantworte dem Richter, und der Richter überantworte dich dem Diener, und werdest in den Kerker geworfen!“ (Matth. 5,25.) „Seufzt, aber nicht wider, sondern für einander, liebe Brüder!“ Seht hin auf ihn, den Anfänger und Vollender unseres Glaubens, den Herzog unserer Seligkeit, welcher nicht wieder schalt, da er gescholten ward, nicht drohte, da er litte; „er stellte es aber dem heim, der da recht richtet“, (1 Petri 2,23.) und er tat es, indem er für die Übeltäter betete: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen. nicht, was sie tun!“ (Luk. 23,34.) Also, liebe Brüder! auch ihr; auf dass der Herr den schon zum Gericht über eure Dränger erhobenen Arm noch eine Weile zurückhalte, und sie bedenken, was zu ihrem Frieden dient, ehe er eintritt zum Gerichte, und es zur Umkehr für sie zu spät ist!
Das walte Gott, und stärke selbst unsere Herzen zu solcher Geduld tragender, vertragender Bruderliebe im Blick auf den Tag seiner herrlichen Zukunft! In dem Sinne lasst uns hinausgehen, unserer Arbeit in seinem Dienste, auf dem Acker des Reiches Gottes zu warten, und mit Geduld zu warten auf die köstliche Frucht! Bleiben wir also getreu bis ans Ende, und tun, ausharrend in der Geduld, was an uns ist, so wird es der Herr, unser Gott, an sich nicht fehlen lassen, und wir werden es zu unserem Segen erfahren: Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen, und tragen edlen Samen, und kommen mit Freuden, und bringen ihre Garben!“ (Ps. 126, 5. 6.) Amen.