Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Kehelatha).

Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Kehelatha).

Drei und dreißigste Predigt.

Achtzehnte Lagerstätte: Kehelatha.

4. Buch Mosis 33,22.

Was wir von der Lage und Richtung der nächst vorhergehenden Lagerstätte bemerkt haben, gilt auch von dieser. Auch von derselben wissen wir nichts, als den Namen Kehelatha, d.i. Versammlung, Kirche. Das Wort deutet nicht bloß auf bürgerliche, sondern auch gottesdienstliche Versammlung, die Gemeine, die Kirche. Es kann wohl sein, dass hier mehrere Zusammenkünfte und Beratschlagungen über allerlei wichtige Gegenstände stattfanden, z.B. wie es am bequemsten einzurichten sei, dass die Jugend über dem steten Umherziehen nicht ganz in der Unwissenheit und Verwilderung aufwachse, sondern gehörig unterwiesen werde, u. dgl. Ohne Zweifel wurden auch religiöse Zusammenkünfte gehalten, wo man sich unter Leitung geachteter, einsichtsvoller, bewährter und frommer Personen, in größere oder kleinere Häuflein zusammen tat, sang und betete, sich unter einander erbaute, tröstete, aufmunterte, belehrte und warnte. –

Ist jemand – dass ich so bildlich rede – zu Rissa gewesen, ist er mit dem Blut und Geiste Jesu Christi besprengt worden, so ist die nächste, ja unausbleibliche Folge davon diese, dass ein solcher auch sich solchen zugesellt, die mit ihm den selbigen Glauben und die nämliche Barmherzigkeit überkommen haben. Gleich und gleich gesellt sich gern! Es ist unausbleiblich, dass er eine genauere Bekanntschaft mit anderen ähnlich gesinnten Seelen sucht, dies für etwas sehr teures achtet, und sich gern mit ihnen bespricht. Es liegt auch ein unverkennbarer Segen darinnen, zumal wenn es nicht etwas gesondertes, festliches, gemachtes ist, sondern der Wind des Geistes sie zusammenbläst, die Liebe, die gegenseitige Wertschätzung und die Bescheidenheit und Demut, wo jeder den anderen höher schätzt, wie sich selbst, sie zusammenhält, und man sich nicht bloß belehrt, sondern auch ermahnt, tröstet und offenherzig tadelt und sich tadeln lässt. Und da haben weniger zahlreiche Versammlungen im Ganzen einen offenbaren Vorzug vor den zahlreicheren, d.h. als Regel betrachtet, die jedoch ihre Ausnahme leidet. Schon aus dem Widerstand, den die kleineren christlichen Versammlungen häufig erfahren, aus den Lästerungen, die nicht selten darüber ausgespien werden, den offenbaren Insulten und Beleidigungen, die sie an manchen Orten erleiden, aus dem Hass, den man gegen sie hat, geht hervor, wie wichtig sie sein müssen, da der Teufel sich so dagegen sperrt, dass er schon förmliche Verbote derselben erwirkt hat. Zwar hat die vorgebliche Frömmigkeit wohl schon zum Deckmantel von allerhand bösen Versammlungen dienen müssen, und ist in Schwärmerei und Fanatismus ausgeartet. Diese Fälle sind aber so selten, dass es eine große Ungerechtigkeit sein würde, darauf ein allgemeines Urteil begründen zu wollen. Die Welt beweist auch dadurch ihre Feindschaft gegen das Christentum, dass sie falschen Versammlungen kein Hindernis in den Weg legt, die ein kräftiges Beförderungsmittel der Üppigkeit und Armut sind, und sich häufig auf eine blutige Weise enden, dagegen bei Versammlungen, welche christliche Erbauung bezwecken, nicht umsichtig und argwöhnisch genug sein zu können glaubt, oder gänzlich hemmend einschreitet, als ob die Gräuel wie Dispute überall zu besorgen wären. –

Unleugbar haben die eigentlich religiösen Versammlungen ihre Schatten-Seiten. Sie sind nicht zweckmäßig, nicht löblich und nützlich, wenn sie als ein Kennzeichen des wahren Christentum gelten sollen, und derjenige, der sie besucht, schon als ein guter Christ angesehen wird. Das ist eine Art von Pharisäismus. Wenn Einzelne regieren, und ihre Ansicht als die einzig richtige geltend machen wollen, und sich zu Richtern aufwerfen; wenn man sich selbst gern reden hört; wenn man denen nachspricht, die das meiste Ansehen haben, ohne doch die nämliche Erfahrung gemacht zu haben; kurz, wenn der Zweck nicht ausschließlich der ist, in der Gemeinschaft Jesu Christi gefördert zu werden, dann läuft man Gefahr, ein Hörer und Sprecher, nicht aber ein Täter des Worts zu werden, und eine Geschwätzigkeit über geistliche Dinge statt des Wesens derselben sich anzueignen, oder einzelne Religionsübungen, wobei doch der alte Mensch – wo nicht sein Futter findet, doch ungekränkt bleibt – als die Hauptsache betrachtet, und anderes, was noch weit wesentlicher ist, hintenansetzt. Wo aber zwei oder drei in meinem Namen beisammen sind, da bin Ich mitten unter ihnen. Es ist ja ein lieber Anblick, die Meister der Versammlung, wie es Pred. 12,11. heißt, in dem israelitischen Lager mit ihrem Häuflein erweckter, lern- und heilsbegieriger Seelen um sich her, zu erblicken, die ihren Frieden und Freude in unsichtbaren Dingen suchen, den ihnen die Wüste nicht gewährte. Es mag wohl sein, dass sie dieser Lagerstätte, wegen des daselbst durch die Versammlungen empfangenen Segens, von denselben den Namen gaben, und sie Kehelatha nannten, denn dies Wort bedeutet Versammlung, besonders geistlicher Art, die Gemeine, die Kirche.

Wollen wir diese Lagerstätte geistlich deuten: so finden wir die Erklärung in den Worten des Apostel Ebr. 12,22: Ihr seid gekommen zu dem Berge Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, zu dem himmlischen Jerusalem, und zu der Menge vieler tausend Engel, zu der Gemeine der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind. Durch alle diese Worte wird der Eine Begriff ausgedrückt: Ihr seid Glieder der wahren Kirche. Unter Kirche versteht man im weitesten Sinne alle Bekenner der Wahrheit, wo Gute und Böse, Gläubige und Ungläubige, Wiedergeborene und Unbekehrte untereinander gemengt sind, bis sie an jenem großen Gerichts- und Erntetag von einander geschieden werden. So stellt sie sich sichtbar vor Augen, vielfach mehr, wie ein Heidentum, denn als ein Christentum. Aber die wahre Kirche ist wie eine Rose unter den Dornen. In diesem Stalle ist doch Christus, unter dieser Spreu, unter diesem Unkraut Weizen, in dieser rauen Rinde ein köstlicher Kern, unter dem unschlachtigen und verkehrten Geschlecht ein heiliger Same. Dort sind Sekten, Parteien, Irrlehren, die als Wahrheiten aufgestellt, Wahrheiten, die ins Gebiet des Irrtums verwiesen werden. Aber unter allen Sekten und Parteien finden sich wenigstens einige wahre Schafe Christi, diejenigen ausgenommen, welche selbst die Grundwahrheiten leugnen, also aufhören, äußere Bekenner der Wahrheit zu bleiben, mithin in keinem Betracht mehr zur Kirche zu zählen sind. Zu der eigentlichen Kirche gehören keine andere, als alle diejenigen, die zu allen Zeiten, und aus allen Völkern, durch Christi Wort und Geist berufen, abgesondert, erleuchtet, geheiligt und vereinigt werden. Die eigentliche Kirche ist die auserwählte Gemeine, welche der Sohn Gottes, aus dem ganzen menschlichen Geschlecht zum ewigen Leben in Ewigkeit des wahren Glaubens von Anbeginn der Welt bis ans Ende derselben, versammelt, schützt und erhält, so dass nur diejenigen eigentliche Christen zu nennen sind, welche durch den wahren Glauben Glieder Christi, und also seiner Salbung teilhaftig sind, dass sie seinen Namen mit Wort und Wandel bekennen, sich ihm, der sie erkauft hat, zum lebendigen Opfer darstellen, in dieser Welt mit freiem Gewissen, wider Sünde und Teufel streiten, und hernach in Ewigkeit mit ihm über alle Kreaturen herrschen. Ein wahrer Christ ist demnach die herrlichste Person, und es zu sein oder zu werden, das höchste Glück und die höchste Ehre. Deswegen gibt der Apostel es in den angeführten Worten als ein erhabenes Vorrecht an, gekommen zu sein zu der Gemeine.

Hienieden ist sie eine streitende, dort eine triumphierende, die alles Widerwärtige hinter sich und unter ihrem Fuße hat, weil sie mit Christo dort herrscht, hier kämpft und siegt. von diesen beiden Hauptbeziehungen fasst sie die angeführte Schriftstelle ins Auge. Denn der Berg Zion, die Stadt Gottes, das himmlische Jerusalem, beziehen sich auf denjenigen Teil der Kirche, welcher noch im Streit ist, so wie die meisten der folgenden Ausdrücke auf ihre Herrlichkeit droben. Lasst uns dieselben in einige Erwägung ziehen.

Das Haupt der Kirche, die alles umfasst, was heilig, selig und Gott geweiht ist, ist Gott selbst, ihr Fundament ist Jesus Christus, in welchem alle Dinge zusammen unter Ein Haupt verfasst sind, beide, das im Himmel und auch auf Erden ist, durch ihn selbst. Epheser 1,10. Sintemal alles durch ihn versöhnt ist zu ihm selbst, damit dass er Friede machte durch sein Blut am Kreuze, durch sich selbst. Kol. 1. Sie ist darum unüberwindlich, was auch gegen sie anschleicht oder stürmt, und immerdar sieghaft auch im Unterliegen. Sie wird die letzte über dem Staube stehen, und – wie Simson – sagen können: da liegen sie mit Haufen. Wie es ihr hier auch gehen möge, so wird doch von allen ihren Gliedern gesagt: ihr seid gekommen zu dem Berge Zion. Zion im eigentlichen Sinne war ein Berg in Jerusalem, welcher zwei Spitzen hatte. Auf der einen, die eigentlich Zion hieß, stand die Burg, der königliche Palast, auf der anderen, Moriah genannt, Erscheinung des Herrn, wo Abraham seinen Sohn Isaak opfern wollte, erbaute Salomo nach göttlicher Anweisung den Tempel, beide Bilder Christi, in seinem priesterlichen und königlichen Amte. Deswegen redet die Schrift auch sehr herrlich von Zion, z.B. Psalm 48,3: Der Berg Zion ist ein schön Zweiglein, des sich das ganze Land tröstet. Macht euch um Zion, und umfaht sie, zählt ihre Türme. Ps. 87: Der Herr liebt die Tore Zion über alle Wohnungen Jakob. Herrliche Dinge werden in dir gepredigt, du Stadt Gottes. Sela. Denn unter Zion wird auch das Volk Gottes verstanden, darum heißt es z.B. Ps. 69: Gott wird Zion helfen, und Ps. 99: der Herr ist groß zu Zion. Ps. 129: Ach! dass da müssten zu Schanden werden und zurückkehren, die Zion gram sind. Jes. 2: Es wird zur letzten Zeit des Herrn Berg gewiss sein, und höher denn alle Berge, und über alle Hügel erhaben werden; und werden alle Heiden dazu laufen. Das 60. Kap. enthält eine sehr herrliche Beschreibung von Zion, von dem Volk Gottes in seiner glänzenden Gestalt, wiewohl Zion auch wohl nach Kap. 49. klagt: Der Herr hat mich verlassen, der Herr hat mein vergessen.

Zion ist demnach die Kirche, die Gemeine Gottes in ihrer neutestamentlichen Vollkommenheit besonders hier auf Erden. Zu dem Berge Zion gekommen sein, heißt also, der wahren Kirche einverleibt sein, und Teil haben an all den herrlichen Vorrechten, die ihr im Wort Gottes zuerkannt sind; an all den herrlichen Verheißungen, die ihr gegeben sind; Teil haben an all der Liebe und Sorgfalt Gottes für Zion; an aller Herrlichkeit, die demselben zugewendet werden, folglich höchst glückselig sein. Zu diesen sagt Petrus: ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht. In Gemäßheit dieser Verheißung sollen alle Bürger zu Zion mit Gott unterhandeln, wie David tat, da er sprach: du hast gesagt: ihr sollt mein Angesicht suchen, darum suche ich auch, Herr, Dein Antlitz. – Mag ihr äußerlicher Stand auch sein, welcher er will, mögen sie noch so arm und klein sein, mögen sie gedrückt, verfolgt, verhöhnt werden, mag nicht nur der Teufel, sondern sogar Gott selbst für eine Weile ihnen zuwider sein: so sind doch alle Herrlichkeiten Zions die ihrigen, und in Gottes Augen schon an ihnen erfüllt. Sie alle sind Könige, und müssen sie ihr Königtum hienieden auch meistens im Kriegführen beweisen: so muss ihnen dennoch alles zum Besten dienen, Niederlage und Sieg. Darum fürchte dich nicht, du Würmlein Jakob, und du armer Haufe Israel.

Größeres Heil kann demnach Niemand wiederfahren, als wenn er nach Zion kommt, und würde er der Geringste unter den königlichen Bürgern dieser Stadt Gottes, und müsste er auch einen bedeutenden Teil der Lasten derselben tragen. Jedoch führt zu derselben nur der schmale Weg der Buße und Verleugnung, und das enge Tor der neuen Geburt, und wenige sind, die ihn finden. Es geht nicht ohne Kampf, Traurigkeit, Schmerz und Opfer zu. Seid ihr aber durch die Barmherzigkeit Gottes dazu gelangt: so wandelt würdig und immer würdiger dem Evangelium und dessen Vorrechten, seid dankbar für die Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, freut euch eurer Glückseligkeit, und lasst euch dadurch zu allem Gehorsam bereiten. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet.

Dies Vorrecht drückt der Apostel noch mit anderen Worten aus, wenn er hinzusetzt: und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem. Was er eben einen Berg genannt hat, nennt er nun eine Stadt, deren Straßen von Gold waren, durchströmt von einem kristallhellen Strom, an beiden Seiten mit Obstbäumen bepflanzt, welche beständig zwölferlei Früchte tragen, mit Fundamenten von Edelsteinen, mit Toren von Perlen, ohne Sonne und ohne Tempel, weil beides der Herr ist. Der Begriff einer Stadt gibt die Idee der Größe, der Sicherheit, der Ordnung, Schönheit und des Überflusses. Und die Gläubigen sind durch die Gnade in eine Stadt versetzt, welche dies alles im höchsten Sinne enthält und darbietet. In dem Stande der Gnade ist alles wahrhaft groß, und in einem erwünschten Sinne groß. Ihre Einwohner sind klein und eben deswegen groß. Groß ist die Vergebung der Sünden, die das Volk hat, das drinnen wohnt. Sie ist groß, wegen der Größe der Sünden, die ihnen gänzlich vergeben sind, wegen der Größe des Preises, der dafür bezahlt wurde, wegen der Güter, die damit verknüpft sind. Groß ist diese Stadt, denn sie reicht vom Anfang der Welt bis ans Ende derselben; sie umfasst alle Zeitalter und Nationen, denn aus allem Volk, wer Gott fürchtet und recht tut, ist ihm angenehm; sie erstreckt sich von der Erde bis in den Himmel, und es ist noch Raum da, und gewiss gilt von dieser Stadt, was Philo von Jerusalem bemerkt, dass es niemals jemand an Herberge gefehlt habe, welche Menge auch möchte hingekommen sein. –

Diese Stadt gewährt die vollkommenste Sicherheit und Ruhe. Außer derselben wütet der Feind, würget der Tod, donnert und blitzt das Gesetz, brennt der Zorn, regiert das Elend, stürmts, hagelts. Wind, Regen dringen auf mich zu, mein matter Geist findet nirgend Ruhe. Aber wenn gleich das Meer wütete und wallte, und von seinem Ungestüm die Berge einfielen, dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben, mit ihrem Brünnlein drin, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben. Gott hilft ihr, Sela. Ps. 46. Sie ist eine Freistadt, und wer drinnen ist, ist gesichert gegen der Bluträcher, gegen den Fluch des Gesetzes, gegen den Zorn Gottes, den Tod, den Teufel, die Hölle. Entfallt darum nicht eurer Festung, bleibt stets zu Kehelatha. Schien es auch zu Zeiten, als wäre die Stadt nicht sicher; sie ist es doch, denn wir stark sind ihre Bewohner! Der Schwächste ist, wie David, von dem die Weiber sangen: Saul hat 1000 aber David 10.000 geschlagen. Sie überwinden in allem weit. Wie klug sind sie, da sie alles wissen. Mögen sie immerhin schwach sein: so sind sie eben alsdann stark; unmündig sein: so sind sie eben alsdann klug. Der Herr ist eine feurige Mauer um sie her, sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus seiner Hand reißen.

Diese Stadt ist eine Stadt der Ordnung. Draußen ist lauter Unordnung und Verkehrtheit, Hass, Liebe, Begierde, Abscheu ist in der grässlichsten Unordnung; verkehrte Meinungen und Neigungen. Was der Mensch suchen sollte, flieht er – fliehen sollte, sucht er – glauben sollte, verneint er – verneinen sollte, glaubt er, usf. Hier ist Ordnung und alles wohl geordnet, und gehalten, wie David 2 Sam. 23 sagt. nur durch Bequemung in der Ordnung der Buße und des Glaubens, der Welt- und Selbst-Verleugnung, des Gehorsams und der Untertänigkeit kommt man durchs Tor, welches nur unter dieser Bedingung durchlässt. Denn da ist die Ordnung des Kreuzes, wodurch man treulich gedemütigt wird. Was etwas werden will, muss sich gefallen lassen, vorher nichts zu werden. Die Ordnung, unter dem Fluch zu bleiben, so lange jemand mit des Gesetzes Werk umgeht, aber gerecht zu werden, sobald man an den glaubt, der die Gottlosen gerecht spricht; schwach zu bleiben, solange man sich stark glaubt, und nichts zu wissen, so lange man meint, etwas zu wissen; dem Fall nahe zu sein, so lange man meint, zu stehen; selig zu sein, wenn man arm, leidtragend, sanftmütig, barmherzig ist, nach Gerechtigkeit hungert und dürstet, reines Herzens ist, Frieden stiftet, und um Gerechtigkeit verfolgt wird. In dieser Stadt gilt die herrliche Ordnung, dass nichts auf die eigenen Kräfte und Fähigkeiten der Einwohner berechnet, sondern von dem Herrn dargereicht wird, allerlei seiner göttlichen Kraft, was zum Leben und göttlichen Wandel dient. Wie gebrechlich in sich selbst, sind sie vollkommen in Ihm. –

Diese Stadt ist die allerschönste. Schön ist sie wie der Mond, auserwählt, wie die Sonne, schrecklich wie Heeresspitzen, und bricht hervor, wie die Morgenröte. Hässlich und verunstaltet ist alles außerhalb derselben, krumm und verdreht, aussätzig und voll Kot. Wer aber in diese Stadt Gottes kommt, wird wohlgestaltet, rein und schön. –

In ihr herrscht der erwünschteste Überfluss, so dass die Einwohner keinerlei Mangel haben. Draußen ist wohl eingebildeter Reichtum, aber wirklicher und gänzlicher Mangel an den allerwesentlichsten Gütern. Wer in diese Stadt kommt, ist geborgen. Die Armen werden da unmäßig reich, und wenn sie gleich nichts in die Hände kriegen, haben sie doch alles. Die Zerlumpten und Nackten werden mit Goldstoff gekleidet, und in gestickten Kleidern zum König geführt. Zu den Hungrigen heißt es: esst meine Lieben, und trinkt meine Freunde, und werdet trunken; da ist alles zu haben, was man bedarf, und zwar umsonst und ohne Geld, und der Herr tut, was die Gottesfürchtigen begehren. Wer sie ängstigt, ängstet Ihn. In allen ihren Nöten mit bedrängt. Er ist gekommen, dass seine Schafe Leben und volles Genüge haben. –

Doch, wie könnte man sich über die Herrlichkeit dieser Stadt verwundern, da sie die Stadt Gottes ist? Er hat von Ewigkeit her den Plan dazu entworfen. Er hat sie durch seinen Sohn erbaut. Er hat sie durch seinen Geist mit Einwohner erfüllt, die sein Werk sind. Er regiert in derselben, wenn auch wunderbar, doch herrlich. Alles in der Stadt ist sein Werk. Da sind z.B. Harfen Gottes, und was müssen das für Instrumente sein, die von solcher Hand sind! Vor ihm hat sie ihre Immunität und Freiheit, die ihr deswegen niemand streitig machen kann, so dass sie fragen darf: Wer will verdammen? wer wider uns sein? wer ist, der Recht zu mir hat? Er wohnt, Er wandelt drinnen, lässt sich daselbst sehen, sprechen, hören. Hier werden alle seine Kinder zu einer Gesellschaft vereint, Mitbürger mit den Heiligen, Hausgenossen Gottes. Wo ist eine Stadt, wo ist eine Bürgerschaft, wie diese? Glänzen einige wie die Sonne, andere wie der Mond, und noch andere wie die Sterne, und der Eine mit größerer Klarheit, wie der Andere, so sind sie doch alle Eins in Demut und Liebe.

Sie ist die Stadt des lebendigen Gottes, der mächtig genug ist, sie zu erhalten und zu bewahren, der allein Unsterblichkeit hat, der lebendig macht, der vom Verderben errettet, und dem keine Not noch Bedürfnis zu groß ist. –

Der Apostel bezeichnet sie näher, als das himmlische Jerusalem. Gesicht des Friedens. Das irdische Jerusalem, in aller seiner Salomonischen Pracht, wo Salomo des Silbers mehr machte, als der Steine, und der Zedern so viel, als der Maulbeerbäume in den Gründen, 2 Chron. 9., war nichts gegen dieses himmlische Jerusalem, wovon es nur ein schwaches Bild war, und schon längst in Trümmern liegt. Dies ist das neue Jerusalem, welches Johannes sah von Gott aus dem Himmel herabfahren, zubereitet als eine geschmückte Braut ihrem Manne, und hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen, und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und Er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein. Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihrem Angesicht, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein. Offenb. 21. Dies ist ein Bild der Gemeinde Jesu Christi, nach demjenigen betrachtet, was sie schon hienieden in Ihm ist, welches sich in künftiger Zeit noch näher erweisen wird, da es bis jetzt nur noch im Glauben wahrgenommen wird. Es ist himmlisch, denn ein nicht geringer, wo nicht gar der größte Teil, ist schon im Himmel, wiewohl noch eine Zahl wird hinzugetan werden, die Niemand zählen kann, aus allen Völkern, wenn ihm Kinder geboren werden, wie der Tau aus der Morgenröte. – Obschon hier auf Erden, hat sie doch ihren Ursprung und Wurzel, ihr Bürgerrecht, Heimat und Schatz im Himmel, wohin auch ihr Sehnen gerichtet ist, und von dannen sie wartet auf ihres Leibes Erlösung. Ja, in Christo Jesu ist sie schon ins himmlische Wesen versetzt, wiewohl sie noch hienieden wallet und traurig ist in mancherlei Anfechtung, doch so, dass der Gott aller Gnade sie wird vollbereiten, stärken, kräftigen, gründen. –

So herrlich ist der Stand der Gläubigen schon hier auf Erden. Sie sind gelagert zu Kehelatha. Sie sind wirklich gekommen gen Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes. Ihre Namen sind im Himmel angeschrieben. Freut euch dessen! Es bleibt doch dabei, mags ihnen auch manchmal bestritten werden. Es bleibt doch dabei, mögen sich ihnen auch Hindernisse in den Weg stellen, die sie selbst zu beseitigen durchaus unvermögend sind, mag auch noch gar vieles bei ihnen abzutun sein, und man allerdings nur durch Libna und Rissa nach Kehelatha gelangen. O, wohl denen, von welchen es heißen kann: sie brachen unter dem Vortritt der Wolken- und Feuer-Säule auf, und lagerten sich zu Kehelatha. Wohl, wohl denn, von welchen gesagt werden kann: ihr seid gekommen. Der uns aber dazu bereitet, das ist Gott. 2. Kor. 3.

Gekommen sind sie zu der Menge vieler Tausend Engel, die mit der Gemeine unter Einem Herrn stehen, die als dienstbare Geister ausgesandt werden zum Dienste derer, welche die Seligkeit besitzen sollen, Freunde, Beschützer derselben. Sie wehrten dem gefallenen Menschen den Eingang in das verscherzte Paradies, aber seitdem es ihm wieder auf Golgatha geöffnet ist, freuen sie sich über jeden Sünder, der Buße tut, und gern tragen sie seine Seele, wenn sie abscheidet, in Abrahams Schoß, und wo es Not tut, springen sie rettend zu, so dass Elisas Knabe, wenn ihm die Augen geöffnet werden, die Berge voll feurige Rosse und Wagen erblickt, und sieht, dass derer, die mit uns sind, mehr sind als derer, die wider uns sind.

Obschon noch hier auf Erden streitend und leitend, stehen sie doch in der genauesten Verbindung mit der oberen Gemeine. Denn sie sind gekommen zu der Gemeine der Erstgebornen, die im Himmel angeschrieben ist, und zu den Geistern der vollkommenen Gerechten. Sie sind mit denselben die Auserwählten, deren Namen geschrieben sind in dem lebendigen Buche des Lammes, und in Christo Gottes Erstgeborne, seiner Natur teilhaftig, und deshalb Erstlinge seiner Kreatur, so sie anders fliehen die vergängliche Lust der Welt. Jak. 1. Sie sind erkauft aus den Menschen zu Erstlingen Gott und dem Lamm. Offenb. 14,4. Sie sind Könige und Priester, Erben Gottes, und Miterben Christi. Sie sind gerecht; doch noch nicht in der Wirklichkeit, dem Besitz und Genuss nach vollendet. Ein Teil ist auch dies, aber er ist im Himmel. Mit diesem sind sie so genau verbrüdert, und was jene vollendet und erreicht haben, sollen sie auch so gewiss erreichen, als ob sie schon wirklich dort angelangt wären, wie sie’s auch in Christo Jesu sind. Das Vollbereiten ist ebenso gewiss, als das Stärken, Kräftigen, Gründen, mögen sie hienieden auch, wo es sein soll, eine kleine Zeit leiden, und traurig sein in mancherlei Anfechtungen. –

O! wie herrlich lagert sich denn nicht zu Kehelatha, mag es auch in der Wüste liegen! Wohl dir Israel, das daselbst wohnt. Du wohnst in Hütten, und bist indessen beschwert und seufzt. Wir wissen aber, so das irdische Haus dieser Hütte zerbrochen wird, dass wir einen Bau haben von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel. – Zeuch mich, zeuch mich, so laufen wir! Ei du schöne Freudenkrone, bleib nicht lange, Deiner wart ich mit Verlangen. Amen.

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