Krummacher, Gottfried Daniel - Die Wanderungen Israels durch die Wüste nach Kanaan (Moab)

Neunundfünfzigste Predigt.

Text: 4. Buch Mosis 22, 14-35.

Sind alle Worte Christi wichtig, so ist namentlich dasjenige auch zugleich sehr zeitgemäß, was uns Lukas 17, 3 aufbewahrt hat, und das in zwei Wörtlein enthalten ist. Hütet euch so lautet diese wichtige Ermahnung. So sprach er zu seinen Jüngern, denen. er nach Vers 1 sagte: Es ist unmöglich, dass nicht Ärgernisse kommen. Dieses „Hütet euch!“ setzt Gefährlichkeiten voraus, und zwar solche, die einen guten Schein von sich geben, aber desto bedenklicher sind. Sie wegzuscheuchen, ist unmöglich. Sie sind nicht bloß dort, sondern auch hier, stecken nicht in einem oder vielen Dingen, sondern nichts ist davon ausgenommen. Hütet euch also. Dadurch soll verhütet werden, dass wir nicht in Versuchung und Stricke geraten und viel törichte und schändliche Lüste, soll bewirkt werden, dass wir sicher und unverletzt durchkommen und in einem bösen Stündlein alles wohl ausrichten und das Feld behalten. Dass den Jüngern Christi ein solches Verhalten nötig sei, ist keine Frage, denn sie sind zwar noch in, aber nicht von der Welt. Es ist höchst nötig und unentbehrlich, damit man nicht gefangen werde in den Schlingen des Teufels, welcher umhergeht wie ein brüllender Löwe und sucht, welche er verschlinge. Das Nützliche eines solchen Verhaltens leuchtet ebenfalls ein. Denn was kann nützlicher sein, als sich vor Schaden zu hüten und seinen Vorteil wahrzunehmen? Aber ist es ausführbar? Wenn das nicht wäre, hätte es Jesus nicht befohlen. Nur muss unser Herz demütig sein und erkennen, dass es sich selbst nicht hüten kann, rein und aufrichtig sein, dass kein heimliches Einverständnis mit dem Bösen in uns sei, zu dem Herrn im Gebet seine Zuflucht nehmen, namentlich aber an den Herrn glauben; deshalb beten die Apostel am Ende nach Vers 5 und sprachen: Herr, stärke uns den Glauben und der Herr sagte, so sei's recht, denn wer im Glauben zu diesem Maulbeerbaume spräche: Reiße dich aus und versetze dich ins Meer, so würde er ihm gehorsam sein. In demselben reichen wir also auch dar das Hüten. Zu dem Einen wie dem Andern erwecke uns der Herr auch durch das Wort, welches wir jetzt näher zu betrachten haben.

Gott hat dem Bileam verboten, zu dem König Balak zu reisen, welcher ihn brauchen wollte, Israel zu fluchen. Ein seltsamer Vorsatz. Die Gewalt der Waffen hatte gegen dies Volk nichts ausgerichtet; so will er nun unsichtbare, geheimnisvolle, geisterhafte Werkzeuge anwenden. Von den Worten eines einzelnen Menschen erwartet er mehr, als von einer ganzen Armee. Ist das nichts als Aberglaube, wo man Wirkungen von Ursachen erwartet, welche natürlicher Weise diese Wirkungen nicht haben können? Oder lag hier etwas mehr, etwas Wirkliches zu Grunde? Konnte es wirklich für Israel schädliche Wirkungen haben, wenn Bileam ihm fluchte, oder ging es damit, wie Salomo sagt: Ein unverdienter Fluch trifft nicht? Ich vermag dies nicht zu entscheiden. Lag das Ganze in dem Aberglauben jener grauen Vorzeit, wie bei allen alten unkultivierten Völkern, oder hatte es ein. wirkliches Gewicht? Ich weiß es nicht.

Wenn Salomo sagt: Des Vaters Segen baut den Kindern Häuser, aber der Mutter Fluch reißt sie nieder, so ist dies was anders. Wenn das Neue Testament will, wir sollen diejenigen segnen, die uns verfluchen, so beweist dies zugleich, dass die Verwünschungen der Gottlosen an sich nicht schaden. Lukas berichtet uns Apostelgeschichte 19 von Ephesus, viele von denen, die gläubig geworden, hätten vorher vorwitzige, das ist zauberische Kunst getrieben, durch ihre Bekehrung aber derselben so gänzlich entsagt, dass sie die Bücher, welche davon handelten, zusammengebracht und öffentlich verbrannt hätten, wiewohl sie einen Geldwert von 7000 Talern hatten, also eine ganze Bibliothek ausmachen möchten. Das mussten denn doch gefährliche Bücher sein. Auch bei den Christen hat sich wohl schon eine sogenannte theosophische Richtung gezeigt, die etwas ganz Besonderes im Christentum affektierte, womit sie die Goldmacherei und andere verderbliche Künste verband. Man halte sich doch einfältig an den Weg, den unser Katechismus zur Seligkeit anweist, und der in den drei Stücken besteht, zu erkennen: 1) wie groß meine Sünde und Elend sei, 2) wie ich von aller meiner Sünde und Elend möge erlöst werden, und 3) wie ich Gott für solche Erlösung soll dankbar sein, so werden wir weder zu hoch noch zu niedrig fahren, in der Sache weder zu viel noch zu wenig tun, weder zur Rechten noch zur Linken abirren, indem Jemand hinter uns herruft: Dies ist der Weg, denselbigen geht, sonst weder zur Rechten noch zur Linken.

Merkwürdig ist es nur, dass Gott selbst Rücksicht nimmt auf das förmliche Verfluchen Israels, wozu Balak den Bileam, als der Sache mächtig, dringen will, was aber der Herr nicht zugibt. Man möchte fragen: warum denn nicht? Gott hätte ihn ja immerhin können fluchen lassen, und zu segnen fortfahren. Allerdings hätte er das, wie er's dem Simei zuließ, dem David zu fluchen, wiewohl es hier mit mehr Formel und von einem Propheten geschehen sollte. Eben deswegen wollte Gott es nicht zulassen. Er wollte nicht zugeben, dass sein gesegnetes Volk so förmlich und öffentlich von einem Propheten - wenn auch einem falschen - sollte verwünscht werden, nicht zugeben, dass die heidnischen Völker eine solche Vorstellung von Israel bekommen, ja von ihrem Gott denken sollten, er sei veränderlich und was er gesegnet habe, verfluche er hernach, da ihn doch seine Gaben und Berufungen nicht gereuen. Auch wollte er sein Volk jetzt mit der allerdings nicht leichten Glaubensprobe verschonen, gegen die Verwünschungen, die ein Prophet im Namen Gottes aussprechen sollte, an dem verheißenen Segen fest zu halten, dessen sie sich freilich so oft und so sehr unwürdig gemacht hatten. Vielmehr sollten ihnen die feindseligen Umtriebe Balaks zu einer herrlichen Glaubensstärkung gereichen und ihnen ihre herrlichen Vorzüge als Gottes liebes Volk deutlicher gemacht werden, wie bis jetzt noch nie. Gott gedachte es in dem Maße gut zu machen, als Balak es böse vorhatte.

Balak nun hatte mehr richtige Einsicht, als alle die andern heidnischen Könige. Er glaubte, ein Volk, das unter dem besonderen Schutze Jehovahs stände, könne durch bloß irdische Macht nicht überwunden werden. Auch glaubte er, eines Propheten Ausspruch, betreffe er Segen oder Fluch, müsse seinen Erfolg haben. Sein Volk verehrte einen abscheulichen, unzüchtigen Götzen, den Baal Peor. Der König aber verließ sich weder auf den Götzen noch auf dessen Priester: er schickte also zu einem Propheten, der den höchsten Gott verehrte, den auch einst dessen Stammvater, nämlich Lot, Abrahams Vetter, verehrt hatte, wo sich also leicht noch viel Erkenntnis Gottes erhalten haben konnte, und das war eben bei Bileam der Fall. Balak, der wohl gar keinen Gott verehren mochte, wollte sich der Religion und dieses ihres Dieners zur Beförderung seiner Staatszwecke bedienen, wie zum Werkzeug seines Hasses gegen Israel. Er glaubte, man könne einen Propheten brauchen, wie man wolle, wie jener Bote auch meinte, der auf Ersuchen Josaphats den wahren Propheten Micha zum Ahab rufen musste, und unterwegs zu ihm sagte: Siehe, der Propheten Reden sind einhellig gut für den König; Lieber, lass dein Wort sein, wie ihres und rede Gutes. 2. Chron. 18. Die Midianiter, aus welchen Mosis Weib war, machten mit Balak gemeinschaftliche Sache, und es wurde eine Gesandtschaft, mit barem Wahrsagerlohn in Händen, an ihn geschickt, welchen Lohn man zu geben pflegte, wes wegen auch Saul wegen Samuel in Verlegenheit geriet, weil er nicht genug bei sich hatte, um ihn dafür zu belohnen, wenn er ihm Nachricht von den entlaufenen Eselinnen seines Vaters gegeben hätte.

In der ersten Probe verhält sich Bileam noch ziemlich gut. Er prüft den ihm gemachten Antrag vor Gott und fragt, wie er sich verhalten solle. Gott sagt: Gehe nicht mit ihnen, verfluche auch das Volk nicht, denn es ist gesegnet. Dieses Verbot war dem Propheten zuwider, weil es gegen seine Busensünden, den Geldgeiz und die Ehrsucht, stritt, denen er lieber gefrönt, als den offenbaren Willen Gottes befolgt hätte, der die fleischliche Gesinnung seines Herzens besonders in dem Geld und Ehrgeiz hasste. Er gab den Gesandten also eine ziemlich kahle Antwort, wodurch er sich und ihnen noch Hoffnung ließ. Gott will es nicht gestatten, dass ich mit euch ziehe, sagte er, und gab damit zu verstehen, er seines Orts täte es übrigens gern. Auch sagte er ihnen kein Wort davon, dass dies Volk gesegnet sei, also nicht mit Erfolg verflucht werden könne. Seht, so gut hat's das Volk, hat's die einzelne Person, die von Gott gesegnet ist. Er ist der Gott Amen, und nicht Ja und Nein, sondern lauter Ja in Christo. Aller Zeug, der auch ohne sein Wissen, durch die gefährlichsten Operationen wider sie zubereitet wird, dem soll es nicht gelingen. Seht aber auch, in welche Gefahr uns unsere Busen- und Temperaments-Sünden verwickeln können, da sie diejenigen sind, zu welchen wir vorzüglich Neigung haben. Wehe denen, zwischen welchen und irgendeiner Sünde ein heimliches Einverständnis stattfindet, deren Herz nicht rechtschaffen ist vor Gott!

Die Gesandten begriffen den tückischen Propheten wohl. Seine Geldliebe, seine Neigung, sich Schätze zu sammeln, seine Bereitwilligkeit, mit ihnen zu gehen, und seine Unzufriedenheit mit Gott lag ihnen klar vor Augen. Denn oft kennen und beurteilen uns andere Menschen richtiger, wie wir selbst, da wir uns von Eigenliebe blenden lassen. Sie zogen heim und ihr König begriff, dass es vornehmerer Gesandten und reicherer Geschenke bedurfte, um den Propheten zu allem willig zu machen, was man von ihm begehrte. Als er daher der zweiten Einladung folgte, sagte Balak zu ihm: Meinst du, ich könnte und würde dich nicht ehren? Dies hatte er ihm auch durch diese zweite Gesandtschaft versichern lassen: Ich will dich hoch ehren. Ehre, Wollust und Geld sind gewiss drei schwere Versuchungsmittel, denen Jeder erliegt, der nicht lauteren Herzens und durch den Glauben in Christo gewurzelt ist, dass er aus ihm Allerlei seiner göttlichen Kraft empfange. Ohne dies geht's vielmehr von einer Versuchung in die andere, und das Folgende wird ärger, als das Vorhergehende. Das sehen wir an Bileam. Sollte ihm aber der erste göttliche Bescheid: Tue es nicht nicht entscheidend genug für allezeit gewesen sein? Sollte er nicht sich selbst als seinen ärgsten Feind angesehen, wider sich selbst gebetet, gestritten und zu Gott geschrien haben? Aber nein, er hatte die Liebe Gottes nicht in sich wohnend; er war nicht aus der Wahrheit; er hing an Ehre und Geld; die waren seine Götter, denen er so diente, wie er dem wahren Gott hätte dienen sollen, der mit unendlich höherem Fug, als Balak, fragen darf: meinst du, ich könnte und würde dich nicht ehren? möchtest du auch verleugnen müssen, was es immer sei.

Über der zweiten Gesandtschaft tritt Bileam, in seiner wahren Beschaffenheit mehr hervor, Gott aber mehr zurück ins Dunkel. Kann das Wort Gottes dem Menschen also werden, wie er selbst ist, nach Jes. 28, so kann es auch Gott selbst, der bei den Heiligen heilig, bei den Frommen fromm, bei den Reinen rein, bei den Verkehrten verkehrt ist. Ps. 18. Wer daher heilig ist, der sei immerhin heilig. Offenb. 22. Dem Menschen kann auch genommen werden, was er hat, und wer wider besser Wissen und wider das Gewissen sündigt, steht mit Bileam auf einer Linie. Er versucht Gott, und Gott versucht ihn dafür nach seiner Gewohnheit wieder. Er untersteht sich, abermals bei Gott nachzufragen, wie er sich verhalten solle, da ihm doch Gott deutlich genug gesagt hatte, das Volk sei gesegnet, er solle sich zum Verfluchen nicht brauchen lassen. Er behandelte Gott als veränderlich, und siehe, in seinem gerechten Zorn wider den Propheten erscheint er ihm auch wirklich so. Es heißt nicht zu ihm: Zeuch mit ihnen. Das war ihm äußerst angenehm, das öffnete ihm die schönsten Aussichten auf Ehre und Geld; das tat seinem Herzen wohl. Was hatte er also Eiligeres zu tun, als früh Morgens seine Eselin in Bereitschaft setzen zu lassen und in Begleitung zweier Bedienten mit den moabitischen Fürsten abzureisen. Die Juden sagen, diese zwei Bedienten seien Jannes und Jambres gewesen, deren der Apostel 2. Tim. 3 als jener Erzzauberer gedenkt, welche Mosi in Ägypten widerstanden. Eine saubere Begleitung in der Tat. Man kann sich leicht vorstellen, wie verächtlich Bileam sich selbst und sogar Gott bei den midianitischen Fürsten gemacht haben musste, da sie nicht anders denken konnten, als der Prophet sei samt seinem Gott für Geld feil, wenn nur die Summe bedeutend genug sei. Eine solche Vernachlässigung seiner Ehre nimmt Gott sehr übel und wir haben uns in Sinn, Wort und Wandel davor zu hüten, und sollen Gott geben, was Gottes ist. Er ehrt, wer ihn ehrt, wer aber ihn verachtet, den will er wieder verachten. Wer sich Jesu und seiner Worte schämt, des wird er sich auch schämen, wenn er kommen wird in seiner Herrlichkeit; wer ihn aber bekennt vor den Leuten, den wird er wieder bekennen vor seinem himmlischen Vater. Es ist ein schwerer Vorwurf, den Paulus den Juden macht, dass ihrethalben Gottes Name gelästert werde bei den Heiden. Wollte Gott, er träfe die Christen nicht!

Aber die Ehre Gottes sollte über Bileams Reise gerettet, er selbst aber ein Rachopfer des heiligen göttlichen Eifers werden. Hätte er Gott redlich gefürchtet, so würde auch das an ihm erfüllet sein, was David Ps. 25 rühmt: Er unterweist die Sünder auf dem Wege, er leitet die Elenden recht und lehrt die Elenden seinen Weg. Weil er aber tückisch und halsstarrig war, so wurde er auf einen Weg geführt, der von Seiten Gottes recht, für ihn aber ein glattes Eis war, worauf er fiel, dass er umkam. Die Wege des Herrn sind richtig, die Gerechten wandeln darinnen, aber die Übertreter fallen darin. Nur denen, die des Herrn Namen fürchten und auf seine Güte hoffen, sind des Herrn Wege lauter Güte und Wahrheit. Aufrichtigkeit ist ihm angenehm. - Bileam ritt mit einem leichtsinnigen, munteren Herzen dahin, aber der Zorn Gottes schwebte, wie ein schweres Gewitter über ihm. Statt, dass es sein höchstes Anliegen hätte sein sollen, demselben zu entgehen, bekümmerte er sich darum nichts, gefiel er sich selbst, dass er nun auf dem Wege war, ein tüchtiges Teil von Geld und Ehre zu erlangen. Der Lohn der Ungerechtigkeit gefiel ihm, er hatte aber nach 2. Petri 2 eine Strafe seiner Übertretung, nämlich das stumme, lastbare Tier redete mit Menschenstimme und wehrte des Propheten Torheit. Er hielt sich für weise, aber welch ein Narr war er und sind Alle, die ihm gleichen! Zieht Geld, Wollust und Ehre der Gnade Gottes, zieht die Spanne dieses Lebens der Ewigkeit vor, widerstrebt Gottes Willen, um den Seinigen zu tun. Torheit der ärgsten Art! Sie wehrte ihm, aber ach! er ließ sich nicht wehren; er setzte seinen Weg fort, aber unter der schrecklichen Feststellung: lasst sie fahren. Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, die werden ausgereutet. Jeglicher Rebe an mir, der nicht Frucht bringt, der wird abgehauen und muss brennen.

Seine Eselin war es, die seiner Torheit wehrte, da er sonst jetzt schon die Todesstrafe durch des Engels Schwert würde empfangen haben. Sie aber wich immer aus, so lange sie konnte, sonst würde Bileam von dem ausgereckten Schwert des Engels gerade getroffen worden sein, den er, der sich doch seiner geöffneten Augen prahlerisch rühmte, nicht, die dumme Eselin aber doch sah. Ein Engel hatte sich nämlich, mit einem bloßen Schwert in der Hand, in den Weg gestellt. Wunderbarer Weise sah das Tier diese majestätische und schreckliche Gestalt, derer sein Reiter nicht gewahr wurde. Wie Tiere tun, wich die Eselin dieser glänzenden Gestalt, so lange sie konnte, aus. Bileam schlug sie, dass sie im Wege bleiben sollte, und schlug sie zum zweiten Mal noch mehr, da sie so auswich, dass sie ihm den Fuß an die Wand klemmte. Endlich konnte sie nicht mehr weichen, um dem Engel aus dem Wege zu gehen; sie fiel also auf die Knie und blieb liegen, obschon der ergrimmte Prophet gewaltig darauf losschlug und sie zwingen wollte, mit ihm in das verzehrende Feuer der englischen Natur hineinzurennen, welches ihr nicht geschadet, ihm aber den Tod zugezogen haben würde. Jetzt war aber auch die Stunde gekommen, wo Bileam den übernatürlichen Grund des Verhaltens seines sonst so treuen Tieres einsehen sollte. Indem er sie schlägt, tut der nahe stehende Engel der Eselin den Mund auf. Sie redet mit ihrem Herrn, und statt sich über diese Wunderbegebenheit zu entsetzen, antwortet er ihr, droht ihr sogar den Tod, statt nachzudenken, ob er aus diesem ihrem ungewöhnlichen Benehmen etwas lernen könne. Aber ach! geht's nicht häufig auf eine ähnliche Art? Welche merkwürdige Vorfälle ereignen sich nicht in dem öffentlichen oder in dem Privatleben, woraus doch die großen Lehren nicht gelernt werden, die sie so nahe legen und gleichsam aufdringen. Es wird Krieg, es wird Friede, es sind fruchtbare, es sind unfruchtbare Jahre, es gibt Unglücksfälle, es gibt Errettungen, merkwürdige Todesfälle und Genesungen, Seuchen kommen und gehen - aber die Menschen bleiben, wie sie sind, unbußfertig, ungläubig, dem Bösen ergeben, vom Guten abgewendet, so dass auch Gott durch den Propheten sagt, Jes. 1: Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn, aber Israel kennt es nicht und mein Volk vernimmt es nicht. O! welch eine lebendige, durchgreifende Kraft Gottes ist doch dazu erforderlich, den widerspenstigen Menschen auf einen andern Weg zu bringen. Wie muss sie bis ins Innerste hineinreichen, da alles Äußere seines Zweckes verfehlt, und wäre es noch weit merkwürdiger, als die vornehmliche Sprache eines vernunftlosen Tieres. Gott sei aber Lob, dass er in uns schafft Beide, das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen, und wir so auch schaffen können, dass wir selig werden, mit Furcht und Zittern.

Bileam war voll Zorn von seiner auf der Erde liegenden Eselin abgestiegen. Jetzt tat der Herr, wie seiner Eselin den Mund, so dem Propheten die Augen auf. War er über ihrer vernünftigen, zusammenhängenden Rede nicht erschrocken, so entsetzte er sich jetzt über das, was er nun sah, umso mehr, denn er sah den Engel des Herrn mit einem bloßen, ihm entgegengekehrten Schwert gegen sich über, eben in dem Wege stehen, den sein Tier zu seinem Glücke nicht hatte gehen wollen. Jetzt fand er sich unter sein Tier gedemütigt und sich genötigt, nicht nur dem Agur nachzusagen: Ich bin der Allernärrischste und Menschenverstand ist nicht bei mir, nicht nur dem Assaph nachzusagen: Ich bin wie ein großes Tier vor dir, sondern sogar zu bekennen, er habe weniger Verstand und Einsicht als seine Eselin. Aber was half diese Demütigung, da sie das Herz nicht traf, mochte er sich auch mit seinem Angesicht selbst tief beschämt neigen und bücken. Da lag er nun neben seiner Eselin, die er hätte erstechen mögen: der aufgeblasene Prophet, zu den Füßen des Engels mit dem Schwert, und musste abwarten, ob er sich desselben nicht bedienen würde, ihn damit zu durchbohren. Große Veranlassung, sich aufs Tiefste zu demütigen; wiewohl auch dies ohne Erfolg blich, zum Beweise der Unverbesserlichkeit der menschlichen Natur, wenn die Veränderung nicht von innen beginnt. Inwendig steckt die Sünde ja, inwendig muss Gott kommen nah.

Der Engel redet mit dem vor ihm liegenden Propheten. Er sagt ihm: Ich bin ausgegangen, dir zu widerstehen, dir feindlich entgegen zu treten, denn dein Weg ist vor mir verkehrt. Diesen nämlichen Engel sah auch Josua, der ihn fragte: Gehörst du uns an oder unsern Feinden? worauf er antwortete: Nein, sondern ich bin der Fürst über das Heer des Herrn, also für uns. Und dann muss es gelingen. Ihn sah auch Gideon, der ihm einen Altar baute, und hieß ihn den Herrn des Friedens. Beider Weg war recht vor dem Herrn, und er deswegen mit ihnen. Wohl Allen, von denen das gilt, möchten sie sich auch etwa in Umständen befinden, dass sie mit Gideon zu fragen geneigt und veranlasst wären: Ist der Herr mit uns, warum ist uns denn solches Alles widerfahren?

Bileam bekennt: Ich habe gesündigt. Aber wie wenig sah er von seiner Sünde und davon ein, dass sein ganzer Weg, seine ganze Gesinnung, seine gesamte Handlungsweise nichts tauge. Und eine solche Einsicht in unsere Sünde ist doch erforderlich, wenn sie eine vollständige sein soll. Er dachte wohl nur hauptsächlich an die, allerdings tadelnswerte, zornige Misshandlung seiner Eselin, die denn doch am Ende nicht viel bedeutete. Und gerade so gering denkt der Mensch von seiner Sünde, hat ihn der Heilige Geist nicht davon überzeugt, und eben deswegen sucht er die Gnade gar nicht oder so lau, dass es nicht mehr ist, wie nichts. So hören wir auch den Bileam nicht bußfertig um Vergebung seiner Sünde, nicht um Gnade und Barmherzigkeit flehen; es ist ihm nicht wie dem Hiskia sehr bange, dass er gewinselt hätte wie eine Turteltaube oder Schwalbe; er fleht nicht wie David: Die Angst meines Herzens ist groß, vergib mir alle meine Sünde, kurz, es ist in seinem Benehmen nichts, das einem Kinde Gottes ziemt. Sein Wille bleibt derselbe, da der's doch hauptsächlich ist, der durch eine wahre Wiedergeburt verändert wird, dass er hasst das Arge und dem Guten anhängt. Sein Hang zur Welt ist noch in seiner vollen Herrschaft da: weil er aber gewahr wird, dass ihm dies lebensgefährlich werden könnte, sagt er: Ich will wieder umkehren, wenn dir's nicht gefällt. Aber mit solchem murrenden, erzwungenen Dienst geschieht Gott kein Gefallen. Mit Unwillen sagte deswegen der Engel: Zeuch hin! wie der Herr einst zum Judas sagte: Was du tust, das tue bald! Und Bileam zog hin in sein Verderben, und musste doch reden, was der Herr dieser widerspenstigen Seele gebot.

Lasst uns diesen Abschnitt aus der Geschichte Bileams mit folgenden zwei Bemerkungen schließen: Erstlich schöpfen wir hieraus einen Beitrag zur Kenntnis und Würdigung der Beschaffenheit unserer Natur, wie sie jetzt ist. Dieser Prophet hatte kein anderes Herz, wie wir, und wir haben das nämliche Herz wie er. Arglistig und betrüglich ist des Menschen Herz, ja verzweifelt böse ist es. Wie viel Ursache, alles Vertrauen auf unsere eigene Weisheit, Kraft und Würdigkeit gänzlich fahren zu lassen, ja Alles, was in uns ist, ganz und gar zu verdammen! Zweitens: Wer soll dies Herz ändern? Wer anders, als der allmächtige Bundesgott? Er kann's, kann's allein, kann's gewiss. Er will's auch, will's gewiss, denn er hat's verheißen. Indem wir also alles Vertrauen auf uns selbst fahren lassen, ja verabscheuen, lasst uns vollkommen hoffen auf seine Gnade in Christo Jesu allein, und aus aller Macht mit David schreien: Schaffe in mir, Gott, ein rein Herz und gib mir einen neuen gewissen Geist; lehre mich tun nach deinem Wohlgefallen; dein guter Geist leite mich auf ebener Bahn! Amen.

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