Krummacher, Gottfried Daniel - Brief an einen Ratsuchenden

Krummacher, Gottfried Daniel - Brief an einen Ratsuchenden

Elberfeld, 12. Juni 1830.

Mein lieber Freund!

Ihr Brief ist mir durch Herr F. richtig geworden. Zwar vermute ich, daß Sie eigentlich mehr an meinen Vetter, den Pastor Krummacher in Gemarke, den wir aber jetzt hierher gewählt, als an mich haben schreiben wollen; indes kann ich mich dadurch doch nicht abhalten lassen, Ihnen zu schreiben, und zweifle nicht, daß Ihnen das angenehm sei, wenn Sie auch zugleich erfahren, daß es mehr Krummacher gibt, als Sie bisher noch gewußt haben. Der Inhalt Ihres Briefes hat mich erfreut und betrübt. Erfreut, weil ich daraus ersehe, daß die Gnade Gottes an und in Ihnen arbeitet, die sich gewiß durcharbeiten wird. Betrübt, weil so gar wenig Vertrauen zu dem vertrauenswürdigen Herrn Jesu daraus hervorleuchtet, doch wird Ihnen das auch schon verliehen werden.

Das erste Stück, was zum Heil erforderlich ist, findet sich klar und deutlich bei Ihnen, nämlich Erkenntnis, Empfindung Ihres Sündenelendes, Schmerz darüber, Verlangen nach Erlösung. Das ist etwas sehr Wichtiges und Nötiges, und Sie hätten große Ursache, Gott dafür zu danken. Sie würden es gewiß tun, wenn Sie dergleichen an den Ihrigen statt der Feindschaft, Sicherheit und Selbstgerechtigkeit, worin sie versunken sind, bemerkten. Achten Sie es denn auch bei sich selbst nicht gering; denken Sie, es geschehe jetzt das mit Ihrem Herzen, was mit dem Acker geschieht, wenn er gepflügt wird! Glauben Sie nicht, es gehe Ihnen deswegen so, weil Gott Ihnen ungnädig ist, sondern vielmehr, weil er Ihnen wohl will, weil er Sie retten und selig machen will, und glauben Sie das fest! Sie malen sich die Höllenqualen aus; gewiß sind sie entsetzlicher, als man sich's vorstellen kann. Sie, ja Sie sind dieser Qualen wert. Ihre Sünden haben sie verdient. Gott wird gerecht sein, wenn er Sie denselben preisgibt. Wenn Ihre geheime Lebensgeschichte da enthüllt wird, stehen Sie wie ein Scheusal da, das sich selbst verdammen muß. Aber, lieber Freund, was meinen Sie damit auszurichten, wenn oder daß Sie sich diese Schrecken vergegenwärtigen und sie sich immer aufs Neue wieder vorhalten, da es Ihnen doch weit mehr darum zu tun sein wolle, derselben auf die rechte Weise los und recht getrost und beruhigt zu werden? Ohne Zweifel gehen Sie finster und seufzend umher, so daß man das Christentum für einen harten Frohndienst halten müßte, wenn man es nach Ihnen beurteilen sollte.

Und nun, mein lieber bekümmerter Freund, frage ich Sie: Wie kommt das? Sie zählen und nennen eine Menge von Namen und Büchern, die mir zum Teil gar nicht bekannt sind, die ich zum Teil auch gar nicht kennen mag. Sie nenne, ja wen nennen Sie nicht? Den Herrn Jesu nennen Sie gar nicht. Wie? Den nicht, durch den Glauben an welchen Sie allein, aber auch vollkommen gerecht, heilig und selig werden können, und durchaus durch nichts und durch niemand anders? Wie geht das zu? Den nennen Sie nicht, da doch in keinem andern das Heil und kein anderer Name den Menschen gegeben ist, darinnen wir sollen selig werden?

Kennten Sie den, glaubten Sie an den, vertrauten Sie gänzlich und zweifellos auf ihn, ja würden Sie augenblicklich an Herz, Mut, Sinn und allen Kräften ein so ganz anderer Mensch werden, wie würde Ihre Angst sich in Frieden umwandeln, Ihre Zaghaftigkeit in Mut, Ihre Schwachheit in Kraft, Ihre Klagen in Dank, und Gott selbst Ihnen aus einem Grausamen ein freundlicher Vater! lassen Sie mich von Klopstock und Gellert, von Lavater und den vielen andern, die Sie nenne, halten, was ich will. Was halten Sie aber von dem Seligmacher von Nazareth? Was ist er Dir, Dir?

Was haben, genießen, empfangen, erwarten Sie von ihm?

Zu dem, mein lieber Freund, wenden Sie sich mit der größtmöglichen Zuversicht, zu dem, der da sagt: Her zu mir, ihr arbeitenden und beladenen Seelen; ich will euch erquicken!

Thun Sie das, so werden Sie nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben. Amen.

In diesem teuren Namen Ihr herzlicher Freund

G. D. Krummacher.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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