Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Rechtfertigung - 6. Predigt

Krummacher, Gottfried Daniel - Die evangelische Lehre von der Rechtfertigung - 6. Predigt

(gehalten am 12. Dezember 1830)

„Du Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem, jauchze; denn siehe, dien König kommt zu dir“ so mögen wir besonders in dieser kirchlichen Zeit aus Sach. 9, 9 uns einander ermuntern. Dein König kommt zu dir, dies ist für Zion eine Quelle und Veranlassung zu einer großen Freude, welche in Jauchzen, in ein lautes Rufen ausbricht. Denn das Kommen dieses Königs bringt dies in der Seele, zu welcher er kommt, zuwege, denn er kommt als Helfer, als ein Heilbringer. Er kommt, nicht etwas zu holen, sondern zu bringen; nicht sich bedienen zu lassen, sondern zu dienen; nicht zu fordern, sondern zu beschenken; nicht für sich streiten zu lassen, sondern für uns zu streiten bis zur Aufopferung seines Leibes und Lebens hin. Er kommt zu Zion, zu trösten alle Traurigen, daß ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit gegeben werden und schöne Kleider für einen geängstigten Geist, daß sie genannt werden Bäume der Gerechtigkeit, Pflanzen des Herrn zum Preise. Dein König kommt, er kommt zu dir! Freue dich des, du Seele, die du nicht zu ihm kommen vermagst, wie sehr du dich nach ihm sehnst. Er wird zu dir kommen, und wenn er mit dir zu Nacht essen will, so sollst du es aber auch mit ich. Sorge also nichts, denn er sorget für alles. Freue dich nur, und das nicht ein wenig, sondern sehr!

Jedoch setzt diese Freude Zutrauen voraus. Im gewöhnlichen Leben ist der Ruf: „Dein König kommt!“ wohl geeignet, Ehrfurcht und Stille auch allenfalls einen gewissen Enthusiasmus zu erzeugen, aber auch blöde Personen einzuschüchtern und zaghaft zu machen. Hier soll lauter Freude, große Freude entstehen, und woraus kann sie anders entspringen als aus dem Vertrauen und der Liebe? Den Gefangenen, Gebundenen, Blinden, Traurigen, Elenden gilt's, denen will er helfen,

Und o wie sehr bedürfen wir der Hülfe, und wie mächtig und bereit ist er dazu! Möchten wir ihm denn recht kindlich vertrauen lernen, und möchte dazu auch unsere anzustellende Betrachtung, welche vom Glauben handeln wird, gesegnet sein!

Ich sage aber von solcher Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ zu allen und auf alle, die da glauben.
Römer 3; 22

Unsere vorige Betrachtung beschäftigte sich hauptsächlich mit der Notwendigkeit des Glaubens, den Erfordernissen desselben und einigen Schwierigkeiten; jetzt wollen wir einiges von seiner Beschaffenheit und von seiner Hauptfrucht bemerken.

I.

Die Heilige Schrift gibt fast niemals Definitionen oder nähere, bestimmte Erklärungen dessen, was sie lehrt und sagt. Nikodemus z.B. begehrte eine solche nähere, bestimmte Erläuterung über die Wiedergeburt, welche ihm Jesus aber in dem Sinne, wie er sie wünschte, nicht gewährte, damit er desto begieriger würde, diese Wirkung an sich selbst zu erfahren, und sie also am glücklichsten kennen zu lernen. Die Heilige Schrift handelt die Lehren nie in einer solch systematischen Ordnung ab, wie wir in unseren Katechismen tun, weil es ihre Absicht ist, uns nicht bloß Begriffe, sondern vielmehr Gesinnungen und Leben einzuflößen, nicht bloß unsern Verstand aufzuklären, sondern zugleich unsern Sinn zu heiligen, aus uns nicht bloß Hörer und Wisser, sondern vielmehr Täter des Wortes zu bilden. Weil die Heilige Schrift von Gott ist, so will sie uns auch zu ihm und namentlich zum heiligen Geist leiten, der uns als ein solcher verheißen ist, der uns in alle Welt leiten soll; welcher es von dem, das Christus ist, nimmt und es uns verklärt, den aber freilich die Welt nicht kann empfangen, die deswegen die Schrift auch dann nicht versteht, wenn sie auch noch so umständlich erläutert wird. Paulus scheint zwar die großen Geheimnisse, welche er im 6. Kapitel seines Römerbriefes niederlegt, am Schluß desselben erläutern und faßlicher machen zu wollen, wenn er sagt: „Ich muß menschlich davon reden um der Schwachheit willen eures Fleisches.“ Inwiefern dies aber wirklich geschieht, hat jeder Leser dieses Kapitels selbst zu prüfen. Den Philippern aber sagt er gerade heraus: „Solltet ihr sonst etwas halten, so laßt es euch Gott offenbaren.“

Der Glaube macht allein eine Ausnahme. Von demselben gibt die Heilige Schrift wider ihre Gewohnheit eine Erklärung oder Definition, wenn es Hebr. 11, 1 heißt: „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hoffet, und nicht zweifelt an dem, das man nicht siehet“. Derselben gemäß haben christliche Gelehrte die heilige Wirksamkeit der Seele, die Glauben heißt, auf verschiedene Art angedeutet. Calvin sagt: Nur derjenige ist wahrhaftig gläubig, welcher auf die Verheißungen gestützt, gründlich überzeugt ist, Gott sei sein gnädiger und wohlwollender Vater, der sich alles Gute von ihm verspricht und seine Seligkeit ohne allen Zweifel von ihm erwartet. Derjenige, setzt er hinzu, hofft nicht wohl auf den Herrn, der sich nicht voll Vertrauen rühmen kann, ein Erbe des Himmels zu sein; derjenige ist kein Gläubiger, der nicht seiner ewigen Seligkeit gewiß getrost dem Teufel und dem Tode Trotz bietet. Sodann beginnt er die Erläuterung der Einwendungen dagegen mit folgenden Worten: Aber, wird jemand sagen, das erfahren die Gläubigen viel anders, welche, in Anerkennung der Gnade Gottes gegen sich, nicht nur durch Unruhe versucht werden, wie es oft geschieht, sondern sogar zuweilen von den schwersten Schrecken erschüttert werden. Die Beschreibung unseres Katechismus vom Glauben, der ihn ein herzliches Vertrauen nennt, daß nicht allein andern, sondern auch mir Vergebung der Sünden, ewige Gerechtigkeit und Seligkeit von Gott geschenket sei, aus lauter Gnaden, allein um des Verdienstes Christi willen, ist unter uns so bekannt, wie die des seligen Lampe, der ihn als eine Annahme Christi zur alleinigen Ursache des Lebens und der Gerechtigkeit beschreibt. Die einfachste und kürzeste Beschreibung vom Glauben, die mir bekannt ist, gibt der sehr erleuchtete Marschall, wenn er sagt: An Christum glauben heißt so viel, als sich auf ihn zur Erlangung der Seligkeit verlassen.

Worin das Glauben bestehe, können wir ja auch an denen merken, welche sich in irgend einer geistlichen oder leiblichen Angelegenheit und Not an Christum wandten, während er noch hier auf Erden wandelte. In geistlichen Angelegenheiten kam z.B. Nikodemus zu ihm, welcher Belehrung, und jene große Sünderin, welche die Vergebung ihrer Sünden bei ihm suchte; in leiblichen unzählige Andere. Ihr Kommen zu ihm setzte ein gewisses Vertrauen zu Jesu in ihrer Not voraus. Ohne diese Not hätten sie ihn nie bedurft, und ohne jenes Vertrauen sich nicht an ihn gewandt. Dies sei genug zur Beantwortung der Frage, was Glauben sei, welches man erst dann recht wird verstehen lernen, wenn es einem verliehen wird, dies große Werk zu üben.

Die Hauptfrage ist die: worauf stützt und gründet sich denn dies Vertrauen auf Christum zur Erlangung der Seligkeit? Das Vertrauen zu jemandem muß doch einen gehörigen Grund haben, oder es führt zu nichts. Wenn jemand, der sich in zerrütteten Vermögensumständen befindet, einem reichen Manne zutrauen wollte, er werde ihm heraushelfen, weil er so reich ist und es wohl tun könnte, ja wenn er meinte, er werde es eben deswegen tun, weil er es ihm zutraue; würde der wohl ein gut begründetes Vertrauen hegen, ja würde dieses Zutrauen nicht als sehr unzeitig und verwegen erscheinen, wenn er sich früher gegen diesen reichen Mann sehr unartig benommen und ihn verachtet, geschmäht und beleidigt hätte? Müßte er nicht statt unverdienter Hülfe gerechte Vorwürfe erwarten? Und ist das nicht ziemlich das Verhältnis eines Sünders zu Christo? Wie sollte sich derselbe doch wohl beigehen lassen und unterstehen dürfen, auf Christum zu vertrauen, er werde ihn selig, werde ihn ganz gewiß selig machen? Und wenn er's sich untersteht, was für einen Grund hat er zu diesem Vertrauen? Nicht eine ihm selbst beiwohnende Würdigkeit, welche ganz unverträglich damit ist. Zwar suchten die Juden Jesum durch die Vorstellung, er sei es wert, zu bewegen, dem heidnischen Hauptmann die begehrte wundertätige Hülfe zu gewähren; er selbst aber ließ Jesu sagen, er sei nicht wert, daß er in sein Haus einkehre, habe sich auch nicht wert geachtet, selbst mit ihm zu reden; doch hinderte dies sein Vertrauen keineswegs. Es ist ein durchaus falscher Grund, wenn Menschen vertrauen, Jesus werde sich darum ihrer gnädig annehmen, weil sie so sittlich gelebt haben, wie sie haben. Unrichtig ist es ebenfalls, wenn andere sich von diesem Vertrauen abhalten lassen, weil sie die guten Eigenschaften nicht in sich befinden, welche sie wünschen, welches doch oft der Fall ist. Es ist aber ein sehr törichtes Verhalten, denn wie sollen gute Eigenschaften eben anders als durch den Glauben an Jesum Christum in unser Herz kommen, da wir ja ohne ihn nichts Gutes tun können. Dieses Glauben an den Herrn Jesum aufschieben, ist daher nichts anderes, als seinen elenden Zustand verlängern. Hätte jenes kranke Weib sich irgend durch Gründe abhalten lassen, den Saum des Kleides Jesu anzurühren, was hätte sie damit anders ausgerichtet, als daß sie krank geblieben wäre? Es klingt zwar gar nicht übel, wenn jemand sagt: Er würde glauben, wenn er frömmer, gebeugter wäre, mehr Eifer und Liebe hätte; es klingt demütig. Aber es ist doch nichts als Unverstand. „So du glauben würdest, solltest du die Herrlichkeit Gottes sehen.“ Aber du kannst eben nicht glauben, da, da liegt es, magst du auch in deiner Blindheit vorgeben, du würdest glauben, wenn nur dies und das anders wäre. Jawohl würdest du glauben, wenn du nicht so ungläubig wärest. In uns selbst liegt und kommt der Grund nimmermehr, warum wir Christo zutrauen dürfen, er werde uns gewißlich selig machen, auf der andern Seite aber auch nicht zum Gegenteil - und dies gehörig einsehen, ist gewiß eine nützliche Weisheit, die wir uns durch den Glauben erwerben sollen.

Welches ist denn der eigentliche, feste und wahre Grund des Glaubens? Er liegt ganz außer uns im Evangelium. Dies Evangelium enthält keine Forderungen noch Drohungen, sondern besteht aus lauter Verheißungen. Diese Verheißungen enthalten alles dasjenige, was zu unserer Seligmachung erforderlich ist. Vom kleinsten, dem Wollen an, bis zum höchsten, der ewigen Herrlichkeit. Die Versehung, Verordnung, Berufung, Gerechtsprechung und Herrlichmachung bilden eine goldene Kette, wo ein Glied sich an das andere schließt. Es sind das gleichsam Kleider und Schuhe, Wasser und Salben, eine volle Tafel, Arzneien, Waffen, Ruten, Erquickungen - kurz, alles ist da, ist bereitet, was nötig, nützlich und angenehm sein kann. Es ist alles versprochen.

Diese Verheißungen haben eine große Ausdehnung. Gott versichert überhaupt, ja schwört: „so wahr ich lebe, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daß sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe. So bekehret euch doch nun von eurem bösen Wesen! Warum wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel?“ Aller Welt Ende werden aufgefordert, sich zu ihm zu wenden und selig zu werden. Alle, welche durstig sind, sollen zum Wasser kommen, und wer kommt, den will er nicht hinausstoßen. allen Völkern, ja allen Kreaturen soll das Evangelium gepredigt werden, und Gott ist sowohl der Heiden als der Juden Gott.

Diese Verheißungen haben eine unaussprechliche Zuverlässigkeit. Es sind Verheißungen Gottes, der unmöglich lügen kann, und der Macht genug hat, sie zu erfüllen. Er hat sie obendrein mit einem, ja mit mehreren Eidschwüren bekräftigt und so jeden möglichen Zweifel und Argwohn beseitigt. Und sollte das noch nicht genug sein, so hat er sie in die Form eines Testaments eingekleidet. Respektiert man nun, wie der Apostel Gal. 3 sagt, eines Menschen Testament, wenn es bestätigt ist, tut auch nichts davon noch dazu, wie vielmehr sollen wir ein Testament Gottes respektieren, welches durch den Tod dessen, der es gemacht hat, nach Hebr. 10 fest, unwiderruflich und unveränderlich geworden ist. Welch' ein festes, unerschütterliches Vertrauen mögen wir also darauf gründen, so daß wir uns durch nichts irre oder wankend machen lassen.

Es sind aber doch sowohl in Gott als in uns Eigenschaften, welche kein Vertrauen aufkommen lassen zu können scheinen, es vielmehr ganz und gar niederschlagen. In uns ist's die Sünde, in Gott seine Heiligkeit. Nahen wir uns seinem Thron, wie wir denn endlich schon müssen, was haben wir zu erwarten als ein Todesurteil? Ja, werden wir nicht, wie unser Vater Adam, wo möglich fliehen und uns verstecken? Worauf wollen wir Sünder, sonderlich diejenigen unter uns, welche sich vieler und schwerer Sünden bewußt sind, worauf wollen sie es wagen, einen vertrauenden Blick zu dem hochheiligen Gott zu erheben? Wird das nicht einer schweren Beleidigung seiner Majestät gleich kommen, und es das Ansehen gewinnen, als wollten wir ihn zu einem Sündendiener machen? Wird es nicht am geratensten sein, an dies Vertrauen nicht eher zu denken, bis wir's in Ablegung der Sünde und in Erwerbung guter Eigenschaften zu etwas namhaften gebracht haben? Diese Bedenklichkeit ist allerdings schwer und würde unauflöslich sein, zeigte uns hier das Evangelium nicht den gekreuzigten Mittler zwischen Gott und uns. Alles ist dahin gerichtet, unsern Glauben auf das vollkommene Opfer Christi am Kreuz als auf den einigen Grund unsers Vertrauens zu weisen und uns zu lehren, daß unsere ganze Seligkeit stehe in dem einigen Opfer, so er selbst einmal am Kreuz vollbracht hat. Jetzt sind aber auch alle Hindernisse gänzlich hinweggeräumt. Gott ist vollkommen mit dem Sünder versöhnt, seiner Heiligkeit ist ein vollkommenes Genüge geschehen, durch sein Blut sind wir gerecht geworden, um desselben willen hat Gott uns geschenket alle Sünde und die Handschrift derselben aus dem Mittel getan, der Vater selbst hat uns lieb. Nach dem Evangelium wissen wir auf die Frage: Was ist Gott? nichts anderes zu antworten, als: Er ist die Liebe. Da, da hat der Glaube den Grund gefunden, wo er den Anker auswerfen kann, der sein Schiff in allen Stürmen festhält. Jetzt steht ihm nichts im Wege, mit aller Freimütigkeit zum Gnadenthron hinzutreten, und da er sonst wohl dachte, wie er Vertrauen fassen möge, so möchte er jetzt wohl fragen, warum er zweifeln sollte, weil unzählige Gründe der allererhabensten Art für den Glauben, kein einziger tauglicher Grund aber für den Zweifel ist. Und o selig bist du, der du also geglaubt hast, denn es wird erfüllt werden, was der Herr geredet hat.

Unser Text redet daher vom Glauben an Jesum Christ, wörtlich Glauben Jesu Christi. Unser Glaube heißt aber alsdann ein Glaube Jesu Christi, wenn Jesus Christus ihn durch seinen heiligen Geist in uns gewirket hat, wie er denn sowohl der Anfänger als der Vollender des Glaubens ist; und wenn Jesus Christus sein Verdienst und Gnade, der einige und vollkommene Grund und Gegenstand des Glaubens ist, wobei er anfängt und endet, worin er wandelt, so wie er ihn angenommen hat, in dem er bleibt, aus dessen Fülle er Gnade um Gnade nimmt, und das, was er im Fleische lebet, lebet im Glauben des Sohnes Gottes, der uns geliebt und sich selbst für uns dahingegeben hat, und so wächset zur göttlichen Größe, indem er sich an dem hält, welcher das Haupt ist.

II.

Laßt uns denn jetzt die Hauptfrucht des Glaubens erwägen. Unsere kleinen Kindlein haben sie schon in der „Milch der Wahrheit“ nennen und auf die Frage: „Was ist die vornehmste Frucht des Glaubens?“ antworten gelernt: „Die Rechtfertigung des Sünders vor Gott“. Möchten wir Erwachsene es nur recht verstehen gelernt haben! Unser Text bestätigt das. Durch den Glauben kommt die Gerechtigkeit vor Gott, sagt er.

Macht Jesus diejenigen denn ganz gewiß selig, welche es ihm zutrauen, er werde es tun? Ist das ganz gewiß? Kann man sich darauf verlassen? Hat das kein Bedenken, ist das keinerlei Zweifel unterworfen? Kann derjenige, welcher diesen Weg einschlägt, die gewisse Versicherung haben, er werde ganz gewiß das herrliche Ziel der ewigen Seligkeit erreichen, unangesehen er des ganz unwürdig ist? Ganz gewiß. Dafür bürgt ihm die Ehre Gottes selbst. Denn durch den Glauben kommt die Gerechtigkeit, was kann deutlicher sein?

Sobald jemand glaubt, wird er auch gerecht vor Gott, und zwar so gerecht, wie Jesus Christus selber. Das ist freilich ein erstaunenswürdiges Wunder, wodurch aus Gottlosen auf einmal göttlich Gerechte, aus Unreinen mehr als Engelreine, aus Verfluchten Gesegnete werden und das in einem Augenblick, in demjenigen nämlich, wo die Vereinigung zwischen Christus und der Seele durch den Glauben vollzogen wird, wo er sich mit der Seele verlobt und sie den Herrn erkennt. Das ist ein rechter Wunderglaube, welcher Berge versetzt. Sind aber nicht dem, der da glaubt, alle Dinge möglich? Wie das zugehen mag, ist leicht erklärbar. Denn durch den Glauben wird ein Mensch, welcher bisher ohne Gott, ohne Christum war, mit Christus vereinigt, eine Pflanze, ein Leib mit ihm, irgend ein Glied an ihm, eins mit ihm. Christus und er machen also eins aus, ja nicht er und Christus, sondern er nicht mehr, sondern Christus in ihm, wie Paulus spricht. Christus selbst wird seine Gerechtigkeit. Wollen wir dies durch ein entgegengesetztes Bild erläutern? Ist jemand auch nur leicht von einer Schlange gebissen, so nennt man ihn mit Recht vergiftet, und er muß sterben. Ist jemand, auch nur noch den ersten Anfängen nach, von Christus tingiert, so hat er die Rechtfertigung des Lebens und wird nicht sterben, sondern leben und des Herrn Ruhm verkündigen.

Dieser Glaube nun, der mit Christo vereinigt, ist das einzige Mittel, der Gerechtigkeit Gottes teilhaftig zu werden. Einen andern Weg gibt es nicht. Dies ist der Gehorsam des Glaubens, den das Evangelium fordert, den es aufrichtet. Es ist wahr, der Glaube soll und wird durch die Liebe tätig sein. Aber seine gerecht machende Kraft liegt doch nicht in dieser Tätigkeit der Liebe, sondern in der Ergreifung Jesu Christi, welches seine eigentliche Art, Wirksamkeit und Natur ist. Sollen wir beide Richtungen nicht scheiden, so dürfen wir sie auch nicht vermengen, noch in ihrer Folge umkehren; mögen wir auch immerhin aus der Liebe, dem Frieden, der Freude der Willigkeit zum Guten den Schluß machen, daß unser Glaube rechter Art sei, welcher allerdings ohne diese Früchte nicht sein kann,

Denn das kein rechter Glaube wär',
Dem man die Werk' wollt' rauben.

Diese wahre feuerbeständige Gerechtigkeit kommt zu allen und auf alle, die da glauben. Kein Gläubiger hat eine andere. Sie alle haben einerlei Uniform, einerlei Livree, einerlei Feierkleid. Möchte jemand so fromm und heilig sein wie Abraham, so würde er doch nicht durch die Werke gerecht, wie Abraham dadurch nicht ist gerecht geworden, sondern durch den Glauben, und wenn er glaubte, sah er weder dies noch das, weder seinen erstorbenen noch blühenden Leib an, sondern den treuen und zuverlässigen Gott, der es verheißen hatte und auch tun konnte und wurde. Der gerecht machende Glaube vergißt aller eignen guten und bösen Werke, um allein des Werkes Christi zu gedenken, welcher ist dahingegeben um unserer Sünde willen und auferwecket um unserer Gerechtigkeit willen.

Wenn der Apostel sagt, die Gerechtigkeit komme zu allen und auf alle, die da glauben, so hat er ohne Zweifel eine Absicht, warum er diese beiden Wörtlein „zu“ und „auf“ gebraucht, und versteht unter dem einen Wörtlein Gläubige aus den Heiden, und unter dem andern Gläubige aus den Juden. Und so schließen wir denn hiermit unsere Betrachtungen über die Rechtfertigung nach den Worten unseres Textes. Der Same des Worts ist auch dadurch gesäet. Sein Erfolg wird durch die Beschaffenheit des Ackers bedingt, worauf er gefallen ist. Gar viele unter euch halten sich selbst für klug, haben Gefallen an sich selbst, an ihrer Meinung, Weise und Thun. Ihr habt nur Sinn für irdische Dinge, lebt stets außer euch und in einer gänzlichen Unbekanntschaft mit euch selbst. Eure Geschäfte, eure Vergnügungen, die Sorgen des Reichwerdens, der Nahrung und die Wollüste dieses Lebens nehmen euren Verstand, euer Herz, euer Gedächtnis, eure Überlegung ganz in Anspruch. Aber die höchste Angelegenheit des Menschen, diejenigen Fragen, die zu allererst sollten und müßten erörtert und auf eine beruhigende Weise ausgemacht werden, die fragen: „Wie stehst du zu Gott? Wirst du selig werden? Wie sieht's um deine Sünden aus? Sind sie dir vergeben? Herrschen sie nicht mehr bei dir? Bist du in einem Gott gefälligen Zustande? Hast du den heiligen Geist, den wahren Glauben? Wandelst du auf dem schmalen Weg, der zum Leben führt und den wenige finden?“ Fragen der Art liegen samt ihrer Beantwortung wenigen unter euch am Herzen, wie sie doch vor allen Dingen tun sollten.

Was ist das? Ist das ein Zeichen, daß ihr zu denjenigen Leuten gehört, von denen geschrieben steht: „Gott hat ihnen gegeben einen erbitterten Geist, Augen, daß sie nicht sehen, Ohren, daß sie nicht hören,“ von denen David spricht: „Verblende ihre Augen, daß sie nicht sehen, und beuge ihren Rücken allezeit?“ Oder wollt ihr Buße tun? Ja, ringet darnach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet, denn viele werden, das sage ich euch, darnach trachten, wie sie hineinkommen, und werden es nicht tun können.

Gibt's aber unter euch mühselige und beladene Seelen, Seelen, deren erste und meiste Sorge es geworden ist und mehr und mehr wird, wie sie mögen selig werden, „neiget ihr eure Ohren her und kommt zu mir; höret, so wird eure Seele leben! Warum zählet ihr Geld dar, da kein Brot ist, und eure Arbeit, da ihr nicht satt von werden könnt? Höret mir doch zu und esset das Gute, so wird eure Seele in Wollust fett werden.“ Amen.

Quelle: Krummacher, G. D. - Gesammelte Ähren

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