Krummacher, Friedrich Wilhelm - Der leidende Christus - XI. Das Abendmahl.
Leider fehlen in dieser Predigt zwei Seiten - falls jemand das Buch komplett hat und mir die fehlenden Seiten senden kann, wäre ich mehr als dankbar. Andreas.
Als einst unser Herr bei einem Obersten der Pharisäer zu Gaste war, und unter Anderm seinem Wirth über Tisch die Lehre gab, wenn er ein Mahl mache, so solle er die Armen, Krüppel, Lahmen und Blinden laden; dies werde ihm vergolten werden in der Auferstehung der Gerechten: da rief der Gäste einer, in freudiger Aufwallung den Herrn unterbrechend: „Selig ist, der das Brod isset im Reiche Gottes!“ - So lesen wir Lucas 14, 15.
Wie herrlich und bedeutsam dieser Ausruf an und für sich erscheinen mag, so war er doch im Munde jenes Juden nur der Wiederhall einer sehr eiteln Erwartung. Er dachte an die Festgenüsse eines Messiasreiches, wie es die Propheten nicht verkündet hatten; und im Blick auf diese erträumte Herrlichkeit brach er aus in sein entzücktes „Selig! selig!“ Wie es aber öfter in der evangelischen Geschichte vorkommt, daß auch Irrende, ja Feinde des Lichts, ohne es zu wissen und zu wollen, gleich Bileams Eselin, Weissagung und tiefe Wahrheit reden müssen, also auch hier. Der Jude hat mit seinem Ausspruche Recht. Wir rufen ihm mit verstärktem Nachdruck nach: „Selig, wer das Brod isset im Reiche Gottes!“
Was ist das aber für ein Brod, das in diesem Reiche gegessen wird? - Fragt die Kinder des Reichs, und sie werden's euch sagen, was täglich sie nähre, stärke, erquicke und labe, und ihrer unsterblichen Seele Leben und Gedeihen gebe. Das Brod ist Christus. „Ich bin das Brod des Lebens,“ spricht er selbst; „wer zu mir kommt, den wird nicht hungern, und wer an mich glaubet, den wird nimmermehr dürsten.“ Beides ist Er: Wirth und Brod; wie er auch zugleich der Hirt ist und die grüne Au, der Weg und des Weges Ziel. Dieses Brod will gegessen, d. h. mit dem Munde des Glaubens auf-, an- und eingenommen, dem inwendigen Menschen einverleibt, und innerlich verarbeitet und in Saft und Blut verwandelt sein. Geschiehet dies, wie gerne läßt man dann denen da draußen die Trabern der Welt! Unser Geschmack ist ein anderer worden. Wir haben an jenem Brode genug, und sprechen freudig: „Selig, wer es isset im Reiche Gottes!“
In mancherlei Weise wird dieses Brod uns aufgetragen. In der Schüssel des Worts zunächst: in der der Vorbilder und Verheißungen des alten, so wie in der der Geschichten und Lehrsprüche des neuen Testaments. Hier genießen wir das Himmelbrod vermittelst gläubiger Betrachtung und aneignender Erwägung. Viel süßer aber noch will es schmecken, wenn wir's leibhaftig finden auf der Tafel unsres eignen Lebens und Innewerdens. Wenn Er uns persönlich nahe tritt, und wir Seine Fußtritte in unsern Führungen und Geschicken rauschen hören, und der Hauch Seines Mundes umfächelt unsre Stirn, und Er selbst spricht Grüße des Friedens in unsre Seele, und greift uns unter die Anne, wo wir schwanken, und richtet uns wieder auf, wo wir straucheln, und trocknet uns das Auge von Thränen, wo wir weinen, und bettet uns traut an Seinem Mutterherzen: wie rufen wir da erst mit himmlischem Entzücken: „Selig, selig, wer das Brod isset im Reiche Gottes!“
Nun aber gibt es eine Stelle auf Erden, da kann's, wie nirgend sonst, erfahren werden, daß es „selig, selig“ sei, das Brod zu essen im Reiche Gottes. Sicher wird uns da das Wunderbrod zu Theil, und wir empfangen ganz, wie Gott es zur Nahrung seiner Kinder bereitet hat; und in einer neuen, eigenthümlichen Weise werden wir seiner da theilhaftig. Diese Stelle ist der Tisch des Herrn. Der Bedeutung dieser hochheiligen Bundestafel Immanuels nachzufragen, ist der Zweck unsres heutigen kirchlichen Zusammenseins.
1. Korinther 10, 16-21. 11, 26.
Der Kelch der Segnung, welchen wir segnen, ist er nicht eine Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brod, welches wir brechen, ist es nicht eine Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn Ein Brod ist es, so sind wir Viele Ein Leib; dieweil wir alle des Einen Brodes theilhaftig sind. Sehet an den Israel nach dem Fleisch: welche die Opfer essen, sind die nicht in der Gemeinschaft des Altars? Was will ich denn nun sagen? Will ich sagen, daß der Götze etwas sei? oder daß das Götzenopfer etwas sei? Aber ich sage, daß die Heiden, was sie opfern, das opfern sie den Teufeln und nicht Gott. Nun will ich nicht, daß ihr in der Teufel Gemeinschaft sein sollt. Ihr könnet nicht zugleich trinken des Herrn Kelch und der Teufel Kelch; ihr könnet nicht zugleich theilhaftig sein des Herrn Tisches, und der Teufel Tisches. So oft ihr von diesem Brod esset, und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen, bis daß er kommt
Aus unsern bisherigen Betrachtungen über das heilige Abendmahl wird euch klar geworden sein, daß dasselbe mehr als eine Seite habe, und daß wir deßhalb darauf verzichten müssen, seine Bestimmung mit einem Worte auszusprechen. Stand's doch von vornherein zu erwarten, daß, wenn der Herr der Herrlichkeit eine Stiftung der Liebe hinterlassen wollte, dieselbe von göttlichem Gehalt und hehrer Bedeutung überfließen würde. Und insofern hat der Streit der Schriftgelehrten, der sich um dieses erhabene Institut entsponnen hat, auch sein tröstliches Moment, als er im Grunde nur von der Tiefe des Reichthums in dem heiligen Sakramente Zeugniß gibt.
Wird Alles, was Gottes Wort über das heiligen Abendmahl enthält, sorgfältig und vorurtheilsfrei von uns erwogen, so ergibt sich, die Bestimmung des Abendmahls sei eine dreifache. Das heilige Abendmahl erscheint zuerst als Gedächtniß-, dann als Versiegelungs- und endlich als Vereinigungsmahl.
Schauen wir's aus diesem dreifachen Gesichtspunkte näher an; und gebe uns der Herr das Geleite auf unserm Betrachtungswege!
1.
Es gehört ein hoher Grad von Verblendung oder Eigensinn dazu, um zu verkennen, daß das heilige Abendmahl wenigstens auch die Bestimmung habe, eine Gedächtnißfeier zu sein. Spricht doch der Herr sowol bei Anordnung des Brodbrechens, als bei der Kelchstiftung ausdrücklich: „Solches thut zu meinem Gedächtniß“. Und wenn er 1. Corinth. 11, 26 erklärend hinzufügt: „Denn so oft ihr von diesem Brode esset und von diesem Kelche trinket, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen, bis daß er kommt,“ so ist damit derjenigen Deutung jener Worte, die sich sofort beim ersten Anblick derselben jedem unbefangenen Leser aufdrängt, und gemäß welcher die Nachtmahlsstiftung zunächst als Denkmal, die Communion als heiliges Erinnerungsfest des Glaubens und der Liebe sich darstellt, das göttlich bestätigende Siegel aufgedrückt.
Das heilige Abendmahl ist ein fortgehendes Zeugniß des Herrn; ein Zeugniß in Zeichen, statt in Lauten, in Bildern, statt in Worten. Er entrollt in demselben vor dem Angesicht Seiner Kirche ein erhabenes Gemälde, zunächst dazu bestimmt, das Bewußtsein von dem, was den Mittelpunkt des ganzen Christenthums bilde, und das Evangelium erst zum Evangelium mache, in ihr lebendig und wach zu erhalten. Seine Passion malt Er ihr darin vor Augen. Die geheimnißvollen Schauer des Kalvarienberges läßt er in bedeutsamen Symbolen an ihr vorüberziehn. Er erscheint in dem Bilde als das Lamm, das der Welt Sünde trägt; als der Bürge, der zahlend für die Schuldigen eintritt; als der Hohepriester, der für die Uebertreter sein Leben zum Lösegelde gibt; als der Mann der Schmerzen, der ein Fluch wird an ihrer Statt, auf daß Er sie vom Fluch erlöse. Das Kreuz wird auf der Höhe Zions aufgepflanzt, und zwar als der Grundpfeiler alles Heils, als das Wunderzeichen der Welterrettung, als der Lebensbaum, dessen Früchte zur Genesung der Völker dienen; und Er, der einst an diesem Marterholze die Sünde gesühnt, den Tod getödtet hat, ist es selbst, der in Seinem Sakramente jenes Panier auswirft und erhöht. -
Welch' einen hohen Weich hat aber das heilige Abendmahl schon in dieser Eigenschaft einer authentischen Urkunde des Herrn Christi selbst über das durch Ihn vollbrachte Versöhnungswerl als über das unwandelbare und überschwenglich genügende Fundament unserer ewigen Seligkeit! Und welch' einen Segen stiftet es insofern bereits, als es mit der Autorität eines untrüglichen Zeugnisses der Welt die Erhaltung und ununterbrochene Verkündigung des wesentlichsten Lehr-Artikels der evangelischen Kirche sichert. Es hat eine Zeit gegeben, da in weiten Strecken der Christenheit das Dogma von der großen Friedensstiftung im Blut des Lammes in der öffentlichen Predigt so gut wie verschollen war. Der Born des Sündertrostes wäre damals völlig verschüttet gewesen, hätte das heilige Abendmahl ihn nicht noch offen und in Fluß erhalten. Es gibt noch heute ganze Landeskirchen oder doch einzelne kirchliche Sprengel, auf deren Kanzeln das lautere Evangelium längst verstummte. Verstummte es aber auch auf den Kanzeln, so doch nicht in den Gemeinden, in die, während die Schriftgelehrten schweigen, der Tisch des Herrn nach wie vor mit stummem und doch so beredten Munde dasselbe laut hineinposaunt. Prediger gibt's, die Jahr aus Jahr ein den Namen Jesu kaum auf ihre Lippen bringen, geschweige die Herzen ihrer Hörer Ihm zu gewinnen suchen. Dieselben Prediger sehn sich nichtsdestoweniger, so oft ein Abendmahlssonntag erscheint, wider ihren Willen genöthigt, Christum den Gekreuzigten zu verkündigen und die Gemeinde zu Ihm einzuladen. Sie müssen ja zu Zeiten in ihren Gotteshäusern die heilige Tafel bieten; und was thun sie da, als daß sie der Gemeine die versöhnende Passion Immanuels vor Augen malen? Sie müssen ja an die Gemeinde die Aufforderung ergehen lassen, zu diesem Tisch hinzuzunahm; und zu wem laden sie sie dann, als zu dem einigen Retter armer Sünder? Sie müssen ja den Hinzunahenden die Zeichen des Leibes und des Blutes zum Genusse reichen; und wozu rufen sie hiemit gezwungenerweise die Leute auf, als zu gläubiger Umfassung des in jenen Bildern abgeschatteten Kreuzesopfers? Sie müssen ja bei der Darreichung des Brods und Weins die heiligen Einsetzungsworte sprechen; und was bezeugen sie damit, als daß in Christi Opfer der Grund jedweden Heils, ja das ganze Neue Testament beschlossen ruhe? - So sind also selbst die Miethlinge und falschen Propheten in der Kirche gezwungen, bei diesem Tische wenigstens je und dann einmal ihren Schafen die rechte Weide zu erschließen. Mit weiser Berechnung hat der große Erzhirte dafür gesorgt, daß auch da, wo geistliche Seelenmörder sich in den Schafstall seiner Kirche einschleichen möchten, diese selbst wenigstens dann und wann nothgedrungen als Botschafter an Christi Statt auftreten, und, ob auch mit widerstrebendem Geiste, den Gliedern der Gemeine zurufen müssen: „Lasset euch versöhnen mit Gott durch das Blut des Lammes!“ - O, welche süße Beruhigung gewährt mir diese Betrachtung im Hinblick auf so manche Gegenden und Gemeinden auch unsres Vaterlandes, in welchen die armen Leute von Kindesbeinen auf bis zu ihrem Ende nie sonst ein evangelisches Wort, und kaum eine Sylbe von Christi Kreuz und dessen Bedeutung zu hören bekommen. Nun steht aber auch dort, als ein hellscheinendes Wahrheitszeugniß inmitten der Lügentempel, der heilige Tisch mit seiner klaren, kindfaßlichen Bilderpredigt; und ich bin gewiß, daß diese zu unzähligen Herzen mächtiger und überzeugender reden wird, als alles glaubenslose Geschwätz, das irreleitend von den Kanzeln auf sie eindringt. Wie, daß wir nicht schon aus diesem Grunde die heilige Bundestafel segnen, und den Herrn für Seine Liebesstiftung Dank, Lob und Anbetung bringen sollten! -
Und welch' einen belebenden Einfluß übt das heilige Abendmahl schon in der Eigenschaft eines bloßen Bildes und göttlichen Denkmals auch auf den Glauben der Gläubigen aus! Wie thut es wohl, den Herrn der Herrlichkeit vermittelst jener Stiftung aufs neue gleichsam leibhaftig bezeugen zu hören, daß das Opfer, mit welchem seine Geheiligten in Ewigkeit vollendet sind, wirklich gebracht sei! Wie trostvoll ist's, die ganze Güterfülle, die Christus uns erwarb, in die symbolische Gestalt eines Mahls gefaßt zu sehn, zu welchem es eines anderweitigen Einlaßbriefes nicht bedarf, als den der arme Sünder in seinem geistigen Hunger und Durst schon mit sich bringt! Und wie erquicklich, in den süßen Friedensglockenklängen: „Nehmet, esset, trinket; für euch gebrochen, für euch vergossen“, die leutseligste und verheißungsvollste aller Einladungen verlauten zu hören! O, wie verjüngt sich da in uns das Bewußtsein um das liebliche Loos, das in Christo Jesu uns gefallen ist! Wie frischt und steigert sich die Gegenliebe zu dem, der alle Strahlen Seiner Erbarmung in diesem Sakramente als in einem Brennpunkt vereinigte! Wie fühlt man sich neu ermuntert und gedrängt, „den Tod des Herrn zu verkündigen, bis daß er kommt“, und es laut zu bezeugen, daß man nichts mehr wissen wolle, als Jesum Christum, den Gekreuzigten! Wie hebt sich bei dieser Tafel der Bekennermuth; und wie belebt und stärkt sich, gegenüber der Sünde, der Welt, dem Tode und dem Teufel, das Siegesbewußtsein! Ich kann mir's erklären, wie selbst Solche, welche das Sakrament nur Zwinglisch anzuschauen unterwiesen waren, nichtsdestoweniger aus demselben schon eine weltüberwindende Märtyrerfreudigkeit zu schöpfen vermochten. Nicht allein veranschaulichte ihnen ja das Mahl die für alle Ewigkeit gelegten Gründe ihrer göttlichen Kindschaft und Erlösung; sondern als Mahl verbürgte es ihnen zugleich die persönliche Gegenwart des Wirths, der die Tafel deckte, und der, nachdem er verheißen, alle Tage bis an das Ende der Welt bei den Seinen zu verbleiben, sicher dort am letzten fehlen werde, wo er so hausväterlich traut seine Kinder zu sich zu Tische lade. -
Urtheilt nun selbst, Geliebte, welchen Namen das Verfahren derjenigen verdient, welche, in offenbarem Widerspruch mit der ausdrücklichen Bestimmung der göttlichen Stiftungsurkunde, von dem heiligen Abendmahle als einem Gedächtnißmahle, nicht allein nichts wissen wollen, sondern sogar von dieser Seite und Bedeutung des Sakraments geringschätzig, ja wegwerfend reden können. Welche die menschlichen Autoritäten auch immer seien, auf die sie sich bei diesem ihrem Thun berufen: über Aller Autorität steht der unzweideutige Buchstabe des göttlichen Wortes; und der nöthigt uns eine andere Anschauung der Sache auf.
2.
So fest wir jedoch auch daran halten, daß das Abendmahl nach des Herrn Willen und Verordnung zunächst veranschaulichendes Denkmal seiner großen Liebesthat, und Gedächtnißfeier unsrer ewigen Erlösung sei; ebenso entschieden treten wir denen entgegen, welche hierauf die ganze Bedeutung des Sakraments beschränken wollen. Ihre, das heilige Vermächtniß ausleerende, Ansicht scheitert schon, wie gesagt, an der ganzen feierlichen Stimmung und Haltung, mit der wir den Herrn zur Einsetzung seines Mahles schreiten sahen, und kann vollends vor dem Wörtlein „ist“ in der Stiftungsformel, so wie vor dem apostolischen Ausdruck: „Die Gemeinschaft des Leibes und des Blutes Christi“, und vor den wider die unwürdig Essenden und Trinkenden ausgesprochenen schweren Drohungen nimmermehr bestehn. Von vorneherein ist ja mit Zuversicht anzunehmen, daß eine letztwillige testamentarische Bestimmung des Königes der Könige auf Größeres und Bedeutungsvolleres berechnet sein mußte, als auf die bloße Anordnung eines ob auch noch so lieblichen, erquicklichen und glaubensstärkenden Erinnerungsfestes. Und freilich hat es mit seiner Stiftung noch eine andere, erheblichere und ungleich tiefere Bewandtniß.
Das theuerwertheste und seligste Gut, das ein Mensch auf Erden besitzen kann, ist, nächst der Vergebung der Sünden selbst, das klare und bestimmte Bewußtsein von dieser ihm zu Theil gewordenen Vergebung. An solchem Begnadigungsbewußtsein hat er hienieden bereits einen Vorschmack der himmlischen Seligkeit. Frei von Furcht und Sorge zieht er seinen Weg; Friede und Freude sind die Engel, die ihn geleiten. Fröhlich blickt er zu den Sternen als zu den Lichtern der Heimath auf, zu der er pilgert; und die Wetterwolken jeder äußeren Trübsal lichten sich ihm in der Bestrahlung des heitern Tages, der in seinem Innern leuchtet. Zu jenem entzückenden Bewußtsein aber soll uns armen Sündern durch Genuß des heilige Abendmahls verholfen werden; und dies ist der wesentlichsten Zwecke einer, zu denen der Herr die Stiftung seiner Liebe verordnet hat. Wer es schon weiß, daß ihm Erbarmung widerfahren ist, den soll das heilige Mahl in diesem Wissen neu bestärken. Wer erst solche Gewißheit sucht, soll dieselbe bei der Bundestafel finden. Wahr ist's, daß der Heilige Geist auch ohne das Sakrament uns „Zeugniß“ geben kann, „daß wir Kinder Gottes sind“; aber wäre uns dieses Zeugniß auch schon geworden, wo ist der Christ, der sagen könnte, daß er einer weiteren Befestigung und Belebung dieser seiner Zuversicht nicht bedürfe? Wer stünde so fest in dem Glauben an seine Kindschaft, daß er niemals wieder irre würde und wankte? Wen föchte nicht zu Zeiten wieder ein Zweifel an, ob das, was er für ein Zeugniß des Heiligen Geistes in sich halte, auch wirklich ein solches sei? Und wer, wenn er auch seines Antheils an Christo noch so versichert ist, wird nicht gestehen müssen, daß seine Ueberzeugung eine noch stärkere sein würde, wenn er den beneidenswerthen Vorzug der Zeitgenossen Jesu theilen konnte, und, wie einst der Gichtbrüchige, Maria Magdalene und Andere, sinnlich hörbar aus dem Munde des Herrn selbst das süße Wort: „Gehe hin mit Frieden; deine Sünden sind dir vergeben!“ vernommen hätte? - Wisset aber, Geliebte, daß uns eben für jenen Vorzug der ersten Christen das heilige Abendmahl eine Art Ersatzes bieten, und uns möglichst vollständig für dasjenige entschädigen soll, was etwa durch den Rücktritt der sichtbaren Erscheinung Jesu von der Erde Begehrenswerthes und Köstliches uns entzogen wurde. Die Sichtbarkeit unseres Heilandes ist für uns gleichsam in die Sakramente übergegangen; und indem der Herr uns auffordert, im heiligen Abendmahle sein Gedächtnis zu feiern, „bis daß er wiederkomme“, deutet er unverkennbar selber an, daß das heilige Mahl dazu bestimmt sei, während der Zeit, die zwischen seiner Himmelfahrt und seinem sichtbaren Wiedererscheinen in der Mitte liegt, die Stelle seiner leibhaftigen Gegenwart uns zu vertreten.
Seht euch die heilige Tafel an. An und für sich ist es ein Geringes, was sie zum Genusse darbeut: ein wenig Brods und Weins. Aber beachtet wohl: ein Brod, das der König aller Könige seinen Gästen bricht und „seinen Leib“, nennt; und ein Wein, den der Herr aller Herrn seinen Freunden einschenkt, und als „sein Blut“ oder als das „neue Testament in seinem Blut“ bezeichnet. „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“, spricht Er, der seine Worte zu wägen und zu wählen pflegt. Und wie weit sind auch wir davon entfernt, das Wörtlein „ist“ in dieser Rede zu übersehen und zu unterschätzen. Wir belassen demselben sein volles Gewicht, und gestehen zu, daß es mehr besagt, als ein „es bedeutet.“ Es vergleicht nicht blos; es stellt die Gegenstände, die es nennt, einander gleich. Es hat sich damit, daß ich Niedres mit dem Erhabensten in Parallele stelle, wie mit dem „dies ist“ eines menschlichen Fürsten, welches einem Schatzscheine den vollen Werth derjenigen Summe verleiht, den die einfache Erklärung des hohen Ausstellers und Garanten ihm zuerkannte. An und für sich ist das papierene Brieflein völlig werthlos; aber das königliche Wort legte ihm eine goldgleiche Währung bei. Das Oberhaupt des Staates, dessen Namen die Anweisung trägt, wird die letztere nicht verleugnen, sondern allaugenblicklich bereit sein, das an sich geringfügige Unterpfand gegen den realen Schatz, den es repräsentirt, einzulösen. Denkt euch nun, es reichte der König aller Könige uns irgend Etwas dar, und begleitete dasselbe mit den Worten: „Dies ist meines Leidens und Sterbens Frucht: die Vergebung der Sünden, das Kindschaftsrecht, das ewige Leben u. s. w.“, empfingen wir dann nicht mit dem dargereichten Gegenstande, und wäre dieser auch nur ein Bissen Brodes oder ein Tropfen Weins, zugleich dasjenige wirklich, als was Er den Gegenstand bezeichnete; und hieße es nicht die Wahrhaftigkeit des Darreichenden in Zweifel ziehn, wollten wir noch Bedenken tragen, uns fortan zu rühmen, daß es nicht blos Brod und Wein gewesen, dessen wir theilhaftig wurden, sondern daß wir mit dem Brod und Wein auch die genannten Güter selbst wahrhaftig und unmittelbar aus der Hand des Herrn empfangen hätten? Nun geschieht es aber in der That, daß uns der Herr bei seinem Mahle ein Aeußeres jener geringfügigen Gattung darreicht; aber dabei die Worte spricht: „Dies ist mein für euch gebrochener Leib, und mein für euch vergossenes Blut,“ oder: „Das ists, was ich in meinem blutigen Opfertode euch erwarb.“ Was sollte nach gläubiger Hinnahme jener Unterpfänder mich noch hindern können, aufs zuversichtlichste zu jubeln: „Ich habe Theil an der Erlösungsgnade Jesu Christi! Mein Mund, mein Auge, ja, alle meine Sinne sind Zeugen, daß er persönlich einen Antheil an demselben mir zugesprochen. Er sprach sein „Dies ist mein Leib, mein Blut“ in gleichem Sinne, wie ein Schuldner bei Ueberreichung eines gerichtlich abgefaßten und untersiegelten Verschreibungsdokumentes sagen dürfte: Dies ist mein Haus, mein Hof, mein ganzes Erbe. Christus würde, um jedes Zweifels mich zu überheben, die Frucht seines Todes mir, wie wir zu sagen pflegen, in meinen Mund und Hände legen, wäre jene Frucht nicht etwas Geistiges und Unsichtbares. Dennoch gelangt er zu demselben Ziele, indem er mir in dem Brod und Wein ein sinnlich Faßliches zum Genusse darbeut, und mich kraft göttlicher Autorität ermächtigt, es als die bezeichnete Sache selber anzusehn.“ -
Zu solcher Sprache bin ich nach würdigem Genuß des Sakraments nunmehr befugt. Was ist somit das heilige Abendmahl? Eine Stiftung der Liebe, durch welche mir der Herr, in leutseliger Herablassung zu meiner Schwachheit, für Seine sichtbare Gegenwart und Seinen sinnlich vernehmbaren Zuspruch eine meinem menschlichen Bedürfniß entsprechende Entschädigung bieten will. Als Ersatz für seine unmittelbare mündliche Huldversicherung überreicht er mir in den Abendmahlselementen ein Etwas, das einer handfaßlichen Urkunde über meinen Antheil an den Gütern des neuen Testamentes gleich kommt. Ich berufe mich darauf vor seinem Throne als auf eine Schuldverschreibung, die Seine eigne Königshand mir ausgestellt; und begegne protestirend damit allen Anklagen des Satans, als mit einem Freibriefe, vor dessen Unterschrift auch er verstummen muß.
Diese Ansicht vom heiligen Abendmahle als einem Siegelmahle findet ihre Stütze zuvörderst in dem Wörtlein „ist“, welches den sakramentlichen Elementen die Bedeutung einer wirklichen Repräsentation der bildlich bezeichneten Güter mittheilt; sodann in den Worten: „Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blute“, welche zunächst nicht sowol an das Blut Christi selbst, als vielmehr an die Seligkeiten denken heißen, welche durch Vergießung jenes Blutes erzielt und erworben wurden; drittens in der Analogie des Passamahls, das ja gleichfalls die Stelle eines bestätigenden Siegels zu einer göttlichen Verheißung einnahm; viertens in dem apostolischen Ausdruck, welcher das gebrochene Brod „eine Gemeinschaft des Leibes Christi“, d. i. dem nächsten Wortsinn nach, „eine Betheiligung an demselben“ nennt; und endlich fünftens in der Parallele, in welche unser Text das heilige Abendmahl mit den jüdischen Opfermahlzeiten stellt, vermittelst deren die Feiernden die Frucht der dargebrachten Opfer sich zuzueignen und mit Freuden durch den Glauben zu genießen pflegten. Ich fasse nicht, wie lutherische Kirchenlehrer haben behaupten wollen, daß denen, welche zu ihrem Dogma sich zu bekennen Anstand nähmen, an Brod und Wein nichts Anderes übrig bliebe, als bloße Symbole und Erinnerungszeichen. Hätten sie die Bekenntnißschriften der reformirten Kirche, namentlich die des Genfer Gepräges, vorurtheilsfrei durchforscht, sie würden sich eines Andern haben überzeugen müssen.
3.
Nicht einen Augenblick jedoch steht mir's in Frage, daß in demjenigen, was wir bisher als Sinn und Zweck des heiligen Mahles fanden, die Bedeutung desselben sich noch nicht erschöpfte. Das Mahl ist mehr, als Gedächtniß- und Siegelmahl. Ja, es gipfelt sich seine Bedeutung erst in derjenigen eines Mahles der Vereinigung mit Christo. Die persönliche Gegenwart des Herrn bei der Communion wird schon, wie bereits bemerkt, durch die Form verbürgt, in welche das Sakrament gekleidet ward. Ein Mahl ist's, und als solches fordert es die Anwesenheit des Wirths. Es wird dabei gegessen und getrunken; und Essen und Trinken vermittelt eine innige Vereinigung der genossenen Elemente mit unsrer Natur, ja eine Einverleibung derselben in unser Wesen. Daß eine solche auch im Sakramente sich vollziehe, und daß das hier mit uns sich einende Objekt Christus selber sei, wird durch unsern heutigen Text über allen Widerspruch erhoben. „Sehet an“, spricht Paulus, „den Israel nach dem Fleisch.
Welche die Opfer essen (an den Opfermahlen sich betheiligen), sind die nicht in der Gemeinschaft des Altars?“ Zunächst will der Apostel hiemit sagen: „Sie haben am Altar, oder an der durch den priesterlichen Altardienst erwirkten vorbildlichen Versöhnung Theil“; sodann: „Sie bezeugen durch ihre Theilnahme an dem Opfermahle, daß sie der israelitischen Glaubensgenossenschaft beigehören“; und endlich: „Sie stellen sich damit in ein Verhältniß der Untergebenheit und Leidentlichkeit zu dem Gott, dem das Opfer gebracht ward, und treten dadurch in den Kreis Seiner führenden, erziehenden und zum Himmelreich bildenden Einwirkungen ein.“ - Der Apostel gedenkt hierauf der heidnischen Götzenopfermahle, von denen er die zum Theil einer falschen Freiheit sich rühmenden Corinther allen Ernstes abmahnt. „Was will ich denn nun sagen?“ beginnt er. „Will ich sagen, daß der Götze Etwas sei, oder daß das Götzenopfer etwas sei?“ - Von vornherein verwahrt er sich hiemit gegen die Folgerung, als erkenne er den Göttern der Heiden eine reale Existenz, und ihren Götzenopfern eine ihnen einwohnende Kraft und Wirkung zu. „Nein“, sagt er, „die Götzen sind nichts, als leere Phantasiegebilde, und die Götzenopfer Fleisch, wie andres Fleisch, das an sich keinerlei zauberischen Einfluß übt.“ „Aber“, fährt er fort, „die Dämonen haben im Götzendienst ihr Werk, und halten durch die Opferfeste das verblendete Volk in dem abgöttischen Lügenwesen überhaupt verstrickt. Was also die Heiden opfern, opfern sie (ob auch unbewußt) den Teufeln,“ welche vermittelst dieses Opferwerks ihre Zwecke erreichen und darin ihre Triumphe feiern. - „Nun aber“, fährt der Apostel fort, - und hier liegt der eigentliche Nerv seiner ganzen Rede, - „will ich nicht, daß ihr in der Teufel Gemeinschaft sein sollt.“- „Durch eure Theilnahme an den Götzenmahlen“ (zumal den Corinthischen, welche zur Ehre der Venus gefeiert zu werden pflegten,) „gerathet ihr selbst“, - dies ist der apostolischen Worte Sinn, - „ehe ihr es euch verseht, unter den Einfluß der finstern Geister, die hier ihr Wesen treiben. Das aber sollt ihr nicht.“ „Ihr könnt nicht zugleich trinken des Herrn Kelch und der Teufel Kelch; ihr könnt nicht zugleich theilhaftig sein des Herrn Tisches und der Teufel Tisches.“ - Beachtet nun mit aller Sorgfalt, lieben Brüder, was der Apostel in dieser Erörterung zur Beleuchtung des heiligen Abendmahles beibringt. Indem er sagt, das Opfermahl der Israeliten setze diese mit dem Gott, dem der Altardienst gelte, das Götzenmahl hingegen die Heiden mit den Teufeln, die hier in un hier fehlen die Seiten
54ster Vers: „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am jüngsten Tage auferwecken“, in Beziehung zum heiligen Abendmahle aufzufassen. Jedenfalls würde der Herr, wenn Ihm hier nicht auch eine leibliche Vereinigung mit Ihm vorgeschwebt hätte, sich anders ausgedrückt, und namentlich auch die über die „harte Rede“ murrenden Jünger mit einem andern Bescheide zurechtgewiesen haben, als mit demjenigen, der euch bekannt ist. Genug, indem der Heiland bei seinem Sakramente spricht: „Dies“ - (ich erinnere hier wieder an die neutrale, oder sächliche Form dieses Fürworts,) „ist mein Leib; dies ist mein Blut,“ theilt er uns neben den geistlichen Gütern zugleich von seiner verklärten Leiblichkeit mit, und versetzt uns mit seiner gottmenschlichen Persönlichkeit in die wesenhafteste und umfassendste Gemeinschaft, eine Gemeinschaft, deren Herrlichkeit und segensreiche Folgen sich hienieden nur theilweise unserm Bewußtsein erschließen.
Seht, Freunde, so legt sich die Bestimmung des heiligen Abendmahls in der dreifachen Bedeutung eines Gedächtniß-, Siegel- und Vereinigungsmahles vor uns auseinander. Wo man sich in dieser Anschauung vom Tische des Herrn begegnet, sollte man doch nicht ferner hadern und streiten, sondern der Einheit des Glaubens mit Dank zu Gott sich freuen. Was über die Grenzen jener Anschauung hinaus liegt, gehört der menschlichen Schule und nicht mehr der biblischen Theologie an. Mindestens sollte Niemand sich vergehenlassen, über die Art und Weise, wie Christus vermittelst des Brodes und Weines in die Gemeinschaft seiner Leiblichkeit uns erhebe, eine bestimmte Satzung aufzustellen, da die Schrift selbst Solches zu thun nicht für gut befunden hat. Der in aller Demuth sich bescheidenden Ahnung und Vermuthung möge hier immerhin ein weiter Spielraum offen bleiben. Jeder herrischen Dogmenbildung dagegen ist in diesem Punkt durch Gottes Wort der Raum benommen. Das Wie der Speisung und Tränkung mit dem verklärten Leibe und Blute Christi dürfte, so lange wir im Diesseits wallen, unserm Begriffe ein Geheimniß bleiben; daß aber eine solche wirklich im Sakrament geschehe, steht, meiner Ueberzeugung nach, biblisch fest, und kann mit Gründen des göttlichen Wortes nicht bestritten werden.
Welch' unvergleichliches Vermächtnis also, das uns der Herr in Seinem Mahle hinterlassen hat! Welch' eine Fülle himmlischer Segnungen und Gnaden, die Er in diese unscheinbare Stiftung für uns ausgoß! O, halten wir drum das köstliche Erbe hoch in Ehren! - Beuten wir's durch oft wiederholtes heilsbegieriges Hinzunahn zur Heiligung und Verklärung unsres inwendigen Menschen aus! Erscheinen wir nur im rechten Communionsschmuck, das heißt: in Kindeseinfalt und der göttlichen Geistesarmuth; und es wird sich bei der Rückkehr von der heiligen Stätte auch in unserm Herzenskirchlein ein Wiederhall der brünstigen Worte des allen Kirchensängers nie vermissen lassen:
Wohl mir, ich bin versehen
Mit Himmelsspeis und Engeltrank
Nun will ich rüstig stehen,
Zu singen Dir Lob, Ehr und Dank.
Hinweg, du Weltgetümmel,
Du bist ein eitler Tand
Ich seufze nach dem Himmel,
Dem rechten Vaterland:
Hinweg, dort werd ich leben
Ohn Unglück und Verdruß-
Mein Gott, Du wirst mir geben
Der Freuden Ueberfluß! - Amen.