Friedrich Wilhelm Krummacher - Blicke ins Reich der Gnade - IV. Judas Lager.
4. Mos. 2. 3.
Gegen Morgen soll sich lagern Juda mit seinem Panier und Heer, ihr Hauptmann Nahesson, der Sohn Amminadabs.
Unser Kapitel trägt die Überschrift: „Lagerordnung.“. Es berichtet uns, wie die Kinder Israel auf ihrem Zuge nach Kanaan sich lagern mussten. Dies alles miteinander bedeutet was. War doch das ganze Israel nur der Schatten eines andern, eines neuen und geistlichen Israels, das aus ihm und nach ihm kommen sollte, und alles, was Gott unter diesem Volke veranstaltete und mit ihm vornahm, hatte ein Absehen auf zukünftige, höhere Dinge; alles war Bilderwesen, alles prophetisch und vorbedeutend, Schatten, dessen Wesen und Körper im Reiche Christi zu suchen ist. So verhält sich's auch mit der Lagerordnung, nicht bloß des ganzen Volkes im allgemeinen, sondern auch des einzelnen Stammes, von welchem in unserem Texte die Rede ist. Sie schattet ab und bildet vor, wie das Volk Gottes geistlich bis diesen Tag gelagert ist. Ein angenehmes, fröhliches Schauspiel! Wir wollen's näher ins Auge fassen. Wir betrachten:
1. Den Stamm Juda,
2. sein Lager,
3. des Lagers Richtung,
4. sein Panier,
5. sein Heer und
6. seinen Hauptmann.
1.
Es ist bekannt, dass der Stamm Juda ein Vorbild des neutestamentlichen Volkes war. Sehr häufig wird die wahre Kirche geradezu unter dem Namen Juda angeredet. „Es freue sich der Berg Zion“, singt David im Blicke auf die freudenreiche Zukunft Christi, „und die Töchter Juda seien fröhlich.“ „Juda“, verkündet Joel, soll ewiglich bewahrt werden“. Zacharias weissagt: „Der Herr wird Juda erben für sein Teil in dem heiligen Lande.“ Und was der segnende Jakob meint mit seinem: „Juda, du bist's, dich werden deine Brüder loben!“ das wisst ihr schon. Und in der Tat; Juda hat alle Eigenschaften, um ein Bild der lebendigen Gemeine abzugeben. War er der vornehmste Stamm, der dem ganzen Israel seine Könige und Fürsten gab: siehe, hier ist ein auserwähltes Geschlecht, ein Reich, da alles König, alles Priester ist, und dessen Zepter den Erdkreis richten wird. War Juda das Volk, aus dessen Schoße der erste und andere Adam geboren ward: siehe, hier ist das Weib mit der Sonne bekleidet, das in Kindesnöten ist, und gebiert in sich durch Überschattung des Heiligen Geistes, und außer sich durch Zeugnis und Predigt das Kindlein, das alle Heiden mit eiserner Rute weiden soll, welches ist Christus. War Juda der Stamm, der an den Hügeln Zions wohnte und in Jerusalem, und das Heiligtum Gottes auf Moriah, in seinem Schoße trug: siehe! hier ist das königliche Priestertum, das zur Stadt Gottes ein- und auszieht, und ist selbst Jehovahs Stadt und Heiligtum, und trägt in seinem Schoße des Herrn Herd und Feuer und die Herrlichkeit des Herrn erfüllt das ganze Haus. Das ist das wahrhaftige Juda.
Der Name Juda bedeutet Lob. Gottlob! rief seine Mutter, da er geboren ward, daher der Name. So ist auch das geistliche Juda dem, der es geboren und gemacht hat, gesetzt und gefertigt zu Lobe auf Erden. Es ist, auch mit stummen Munde, ein rauschender Preisgesang von der gnädigen Macht, von der allmächtigen Gnade Jehovahs. Denn wer sind diese Könige? Sind sie nicht Feuerbrände aus den Flammen gerissen? Wer sind diese Priester des Heiligtums? Sind es nicht Gottlose, die Gott geheiligt hat? Wer sind diese fröhlichen Saitenspieler mit den goldenen Harfen in ihren Händen? Sind es nicht Steine, denen der Gott Jakobs den Mund geöffnet? Wer sind diese grünen Pflanzen in Gottes Garten? Waren es nicht verdorrte und erstorbene Reiser, reif für das Feuer, die nur die Allmacht konnte grünen und blühen machen? Und woher stammen sie, diese Reichsgenossen der Engel, diese Erben der zukünftigen Herrlichkeit? Sind sie nicht gehauen aus einem starren und toten Fels? Sind sie nicht gegraben aus der Tiefe der Hölle? Sind sie nicht hervorgegangen aus eklem Schlamm und grausamer Grube? Kommen sie nicht her vom Leichenfelde und aus dem Lager der Erschlagenen? Sind sie nicht der Verwesung aus den Zähnen und dem Teufel aus den Krallen gerissen? Steigen sie nicht herauf aus den Gefängnissen des geistlichen Todes, aus den Ketten des göttlichen Zornes und herab von den Höhen der Scheiterhaufen, deren Flammen sie verzehren sollten? Wunder über Wunder, die an diesem Volke zu sehen sind! Es mag wohl Juda heißen; denn alles, was an ihm ist, lobt den Herrn. Ein lebendiges Denkmal steht es da, von Christi Macht und Christi Gnade: ein Denkmal staunenswürdiger, als das ganze Weltgebäude. Und in ihm ist des Herrn Ruhm, des Herrn Stolz. Dieses Volk seines Eigentums setzt er als eine goldene Krone auf sein Haupt und nennt es seinen fürstlichen Hut und sein königliches Diadem. Dieses Geschlecht erkaufter Sünder zieht er an als einen Schmuck und als ein festliches Gewand, auf das, wie David singet, der Balsam seines Hauptes in Strömen herabfließt. Dieses Volk ist das Geschmeide, das er anlegt am Tage seines Triumphs und ist die goldene Kette, die er um seinen Hals hängt. Die Namen dieses Volkes funkeln in dem Priesterschilde auf seiner Brust; die Tränen dieses Volkes blitzen als Edelsteine auf seinem Purpur, und die Opfer desselben bewahrt er treulich im Allerheiligsten; sie gelten ihm mehr denn der Engel Opfer. Und wenn er wiederkehren wird am Tage seiner Herrlichkeit, dass alle Kreaturen seine Glorie sehen, siehe! im Geleite dieses Volkes wird er kommen; mit diesem Volke wird er sich umgeben, als mit einer Ehrenwache, mit diesem Volke den Thron teilen und sein Sohn Juda wird mit ihm den Erdkreis richten. Er ist gemacht zu Lobe seiner herrlichen Gnade, darum Juda. Ja Juda, du bist's.
Ihr kennt nun das Völklein, von dem wir reden. Wir haben's aber nach dem Texte nicht mit dem Juda zu tun, das friedlich zwischen den Hügeln Zions und am Ufer des Jordans wohnt, und daheim unter dem Ölbaum und dem Weinstocke sich vergnügt, sondern mit dem Juda, das draußen auf dem Marsche begriffen, unter Trompetenschall und Waffengerassel in der Wüste lagert und an Krieg und Kampf gedenkt. Diesem Juda sieht auch das geistliche in dieser Welt weit ähnlicher, als jenem zwischen den friedlichen Grenzen Kanaans. Auch das geistliche ist ein Kriegsvolk, und seines Kämpfens ist kein Ende. Seine Feinde kennt ihr. Wahrlich, es ist hier mehr, als Midian und Amalek, Feinde von außen und von innen, und manche sind Fürsten und Gewaltige. Feinde in der Luft und Feinde auf der Erde, Feinde im Hause und Feinde im Herzen und in den Gliedern, Feinde im Geräusche der Welt und Feinde in der einsamen Kammer, und Nachstellungen, Hinterhalte und verdeckte Minen, wo man geht und wo man steht. Da muss ja Juda gerüstet stehen, es mag nun wollen oder nicht. Das alte Juda teilte sich in verschiedene Häuflein, deren jedes seine besondere Rüstung hatte; so auch das geistliche. Wie diese Davidskinder verschieden sind nach Form und Zuschnitt ihrer äußerlichen Tracht, nach Ausdruck, Gepräge, und geistlicher Farbe, so streiten sie auch nicht alle mit denselben Waffen. Da schlägt der eine den Feind mit Tränen, nach Kinderart, die, wenn Gefahr sich zeigt, sogleich nach der Mutter weinen. Das ist ein blödes Streiterheer, und dennoch, ein Sieg folgt auf den anderen. Da ficht ein anderer in jungfräulicher Art: heilige Scheu und Scham heißt die Waffe, die ihm in die Hand gegeben wurde. Kaum ist die Versuchung da, da bebt auch das Herz schon zurück: „Wie sollt ich ein so groß Übel tun?“ und Joseph ist gerettet. Ein dritter führt das Schwert des Wortes. „Es steht geschrieben“ heißt es da bei jedem Anfalle des Versuchers, und dann: „Hebe dich hinweg von mir Satan! denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was teuflisch ist.“ Mit Geschrei und Seufzen streitet ein vierter, und überwindet den Feind, wie Moses, da er die Hände gen Himmel reckte, die ihm Aaron halten musste: da ward Amalek geschlagen; oder wie die Küchlein den Feind zu überwinden pflegen, indem sie unter die Flügelbedeckung der Henne sich bergen: so sind sie sicher. Ein fünfter kämpft mit dem Kreuze: Ein Blick auf die blutige Martergestalt an diesem Holze, und der Sturm in den Gliedern legt sich, und Satan schießt seine Pfeile vergebens. Ein sechster schlägt den Feind mit dem nackten Glauben. Trotzend auf die tausend Gottes-Verheißungen, die in den Fels der Unvergänglichkeit eingehauen sind, ist er bei sich gewiss, ihm könne der Feind nichts anhaben. Er verlacht ihn, wo er naht, und wahrlich solch Lachen kann Satan nicht ertragen. Er schleicht von hinnen. Und wie die Waffen gegen Teufel und Fleisch, so sind auch die Waffen verschieden gegen menschliche Feinde, Gotteslästerer und Verächter. Da kämpft der eine mit dem durchdringenden Geschosse der Liebe und Sanftmut, die Flucher segnend und den Feinden Feuerkohlen auf den Schädel sammelnd. Da ist es einem anderen gegeben, zu streiten mit Tat und leuchtendem Beispiel und also die Lästermäuler zu stopfen. Ein dritter überwindet sie durch eine beschämende und verwirrende Einfalt, welche die größten Geister verlegen macht. Ein vierter führt das Schwert des Geistes, und weiß die Feinde der Sache Gottes mit mächtigen Gründen, gewaltigen Gedanken und siegreichen Beweistümern in den Staub zu legen. Ihr seht also, wie allerlei Leute, so auch allerlei Waffen in Juda, gerade wie in dem Juda nach dem Fleische. Und doch ist wieder aller Schwert und aller Harnisch und aller Schild nur einer, der, der an ihrer Spike steht, der Fürst über das Heer Gottes, Christus der Herr.
2.
Schaut nun das Volk in seinem Lager, denn „Juda soll sich lagern“, spricht der Herr. Freilich, ein gelagertes Volk ist das geistliche Juda. Es war's nicht immer. Von Haus aus stand's in erträumter Kraft und Herrlichkeit sich brüstend. Da hat die Hand der Gnade es gefällt und hat die stolzen Wipfel zur Erde niedergebogen. Nun liegt's am Staube, schwach, arm und bloß, und spricht: im Herrn hab' ich Gerechtigkeit und Stärke. Gelagert kämpft, siegt, strebt und wandert es, und was es tut, das tut's gelagert; gelagert in der Tiefe der Selbstvernichtigung, der Geistesarmut, des Armen-Sündertums. Es liegt am Staub, zu Jesu Füßen. Und fällt's jemanden ein in Juda, dies Lager zu verlassen, sich aufzurichten, sich zu erheben, gleich ruft der Herr in dieser oder jener Weise sein „Juda soll sich lagern!“ und die alte, gute Bettler-Stellung ist wieder eingenommen. Darum herunter mit euch allen in die Tiefe, die ihr einer eigenen Würdigkeit euch rühmt, und selbsterworb'ner Kronen euch getröstet. Das ist nicht Brauch in Juda. Schnell lagert euch. Und euer einziger Ruhm und Trost, das sei die Krone, die euer König für euch trug auf Gabbatha; das sei sein blutbesprengter Rock, und nicht ein eigner. Herunter, die ihr im Rennen und im Laufen nach selbsteigner Verdienstlichkeit begriffen seid! das ist nicht Judas Art. Juda ist gelagert und zehrt in seliger Muße vom Kapitale fremder Tugenden und zugerechneter Verdienste. Herunter von der Höhe, die ihr strebt, durch selbsterwählte Besserung eure Fehler wieder gut zu machen! Das ist Irrung, und nicht Judas Weise. Juda legt sein Antlitz auf die Stufen des Gnadenthrones, und so wird wieder gut gemacht im Blut des Priesters, was man versehen. So lagert Juda.
Juda soll sich lagern! spricht der Herr. Damit geschieht Gott kein Gefallen, dass Juda eitler Weise, und in ungebotener Arbeit sich zerplage. Das Volk soll Ruhe haben und genießen, was er mit saurem Schweiße für Juda ausgemacht, erstritten und erworben hat. Der Tisch ist bereitet, das Mahl ist aufgetragen; es ist nichts mehr auszumachen, es ist nichts mehr abzutun; Juda soll Feiertage haben essen und trinken. Es soll sich lagern ins tiefe Ruhebett der blutigen Verdienste seines Bürgen. Ach sel'ges Lager! Da liegt man sanft; da schläft man ganz mit Frieden; denn du, Herr, schaffst, dass man sicher wohne! Hört man von da die Stürme sausen, man hört's mit Lust; je stürmischer da draußen, um desto trauter drinnen in der Lagerstätte. Hört man von da die Feinde schreien, es macht Vergnügen; je lauter ihr Geschrei, desto melodischer die Stimme jenes Blutes, das bess're Dinge redet, denn Abels. Hört man von da die Hölle toben, es macht Behagen. Je schwerer die Gefahr, um desto seliger die Freistadt, da wir wohnen. Hört man von da im Geiste die Posaunen des Weltgerichts erklingen, man hört's mit Jauchzen; je ernster und je schrecklicher die Zukunft, um desto süßer das Gefühl der Sicherheit und das Bewusstsein: „wir sind geborgen!“ Ja, ja, ein kostbar Lager! da wirf du dich hinein, tief tief, wie in ein Meer. Denn wer mit Christo in Gethsemane am Staub gelegen, und mit dem Wurm ein Wurm geworden ist, der darf auch dieses Lager mit ihm teilen.
„Juda soll sich lagern!“ Wie aber und in welcher Ordnung? „Wie ein Webeopfer,“ spricht der Herr (Kap. 8, 11) ins Gevierte, in Gestalt des Kreuzes. Bedeutsame Lage. Ja freilich, das ganze Juda Gottes, so liegt es auf dem Kreuze des Hohenpriesters, als auf der einz'gen Planke, die aus dem Schiffbruch rettet, als auf dem eigentlichen Fundamente all seines Lebens, Freuens, Hoffens und Erwartens, und was neben diesem Kreuze liegt, gehört zu Juda nicht. Kreuz unter Judas Füßen und Knieen, Kreuz auf seinem Nacken und seinen Schultern. Ein Kreuzlager in mancherlei Weise.
Aber wo sind denn Judas Wohnungen und Häuser? Juda liegt im Lager. Da gibt's nicht feste Häuser, da sind nur Hütten und Gezelte, die leicht und ohne Mühe auf und abgeschlagen werden. Denn die Kinder Judas müssen sich marschfertig halten. Sie sind Gäste in der Welt; Gefühl der Fremdlingschaft erfüllt die Seele, und alles, was in ihnen ist, ist auf der Reise. Sie leben in den lieblichsten Verhältnissen der Zeit nur als in Laubhütten, mit losgebundenem Herzen. Die da Weiber haben, sind, als hätten sie keine; und die sich freuen, als freuten sie sich nicht; und die da kaufen, als besäßen sie nicht; und die da weinen, als weinten sie nicht; denn sie wissen, auch das Trübsalsleiden sei nur ein Wohnen in Hütten, ein Übernachten in beweglichen Zelten. Einen Abend lang währt das Weinen, und am Morgen kehrt die Freude ein. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Ach, sel'ge Kunst, allwärts und immer nur als in Wanderzelten zu übernachten. Das lernt man in der Gnadenschule. Es ist nicht auszureden, wie tief und fest die Anker unseres Herzens ins Erdreich der Vergänglichkeiten sich verbissen haben. Ein einziger Steuermann versteht es, sie zu lichten. Ach Juda, selig bist du in deinem Lager und unter deinen leichten Hütten!
3.
Des Lagers Richtung, das ist das dritte, was wir zu betrachten haben. Juda soll sich lagern gegen Morgen. Das klingt ermunternd und freudig. Ja, so liegt dieses teure Volk, den Abend im Rücken, den Morgen im Auge. Seht nur genau! von den Kindlein in Juda bis zu den Greisen, alles schaut nach Ausgang, alles nach Osten. Da, wo die helle Saronsrose erblühte, die Wurzel Davids aus dürrem Erdreich ausschoss und der Fürst der Sterne über die Nacht sich emporschwang; da wandeln sie mit ihren Blicken, ihren Gedanken. Bald tauchen Bethlehems Hügel vor ihnen auf in der Ferne, und sie hören mit entzücktem Geiste das Jauchzen der Engel; bald stehen sie am Ufer des Meeres und freuen sich des Mannes, dem auch Sturm und Wellen gehorsam sind. Jetzt bauen sie mit Petrus sich ein Hüttlein auf dem Berge der Verklärung und haben Träume und sehen Gesichte von herrlichen Dingen, die da kommen sollen; dann besuchen sie Jesum in der einfachen Zimmerstätte, den Bruder in Knechtsgestalt, und freuen sich, dass er so nahe ihnen verwandt geworden und sprechen mit Tränen: „Bruder, mein Bruder!“ Jetzt treten sie ein in Gethsemanes Dunkel und fangen auf die Schweiß- und Bluttröpflein, die von des Herrn Stirne triefen, und die bittersten Wunden ihrer Seele beginnen heil zu werden unter diesem Balsam. Und nun erhebt sich vor ihnen der Kreuzesberg. Die Seele schwingt die Flügel und hängt sich an des Schächers Stelle: „Herr, gedenke mein, wenn du in dein Reich kommst!“ und reißt an sich des Schächers Trost: Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese sein. Dann geht's wieder herunter. Ach siehe! das Grab in Josephs Garten ist gesprengt, Hallelujah! es hat überwunden der Löwe aus dem Stamme Juda. Und nun lichtet sich vor ihren Blicken die Höhe des Ölberges. Hinauf schwingt sich die Seele; sie sieht den Himmel offen, Gott fährt auf mit Jauchzen und der Herr mit heller Posaune. Und die Seele atmet Paradiesesluft und breitet ihre Fittiche weit auseinander und möchte mit dem Bräutigam hinauf, hinauf in den seligen Hochzeitssaal; seht, seht, so schaut Juda gen Osten, so ist es gelagert gegen Morgen.
Ja, gegen Morgen, denn es harrt auf den Aufgang der Sonne. Bald wird sie kommen, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, Heil und Genesung unter ihren Flügeln. Schon lässt das Hahnengeschrei sich vernehmen, aller Orten unter Christen, Heiden und Juden; schon dämmert's über den Nächten, schon rötet sich der Himmel, und die Nebel, die den kommenden Tag verkünden, die Nebel des Aufruhrs und des Geschreies, aus den Feindeslagern empordunstend, setzen sich mit Macht in Bewegung. Er wird erscheinen, der Ausgang aus der Höhe; die Braut schreit ihm entgegen: „Komm, ja, komme bald!“ Und er wird kommen, der große Fürst, in den Wolken des Himmels, und dem Toben seiner Feinde bald ein Ende machen und den Berg Zion erhöhen über alle Berge der Erde. Darum sind wir gelagert nach Osten und haben unsere Fenster gegen Morgen. Und ob die Stunde, in der wir leben, auch noch Mitternacht heiße, wir atmen Morgenluft, hoffend und glaubend.
Gegen Morgen ist Juda gelagert. Dahin schweifen seine Blicke, dahin tränen seine Augen, dahin schmachtet seine Seele. Durchwandert die Gottesstadt und schaut, alles liegt gegen Morgen. Der ist des Pilgerns müde in diesem kalten, kahlen Mesechslande; Heimweh brennt in seinem Herzen, er sieht hinaus nach dem Morgen des ewigen Sabbats, ob er doch bald tagen möge. Der hat des Kämpfens genug in dieser stürmischen Fremde; er sehnt sich nach den Friedenshütten und fragt ohn Unterlass „Hüter, ist die Nacht bald hin?“ Dieser, von Dunkelheiten und Zweifeln umlagert, lässt nicht ab, sein Fensterlein zu öffnen, ob nicht bald erscheinen werde jener Morgen, dessen Licht und Helle von keiner Nacht mehr soll verschlungen werden. Und dieser von tausenderlei Verlegenheiten und Nöten umringt, würde keine fröhliche Stunde mehr haben, wenn er nicht mit den Hoffnungsaugen durch allen Wirrwarr jenen Morgen dämmern sähe, von dem der Dichter singt: „Träume sind des Pilgers Sorgen, großer Tag, an deinem Morgen.“ Und dieser, an geliebten Gräbern weinend, möchte weinen und jauchzen zugleich, denn sein Auge ruht auf einem Morgen, der alle Heiligen in seinem Lichte zu einem ewigen Zusammensein wieder vereinigen wird. Ja durchwandere die Tränenkammern der Kinder Gottes und tritt an ihr Schmerzenslager, siehe diesen Hiobsbruder und jene Lazarusschwester! Ja, da magst du wohl fragen, wie sie's nur aushalten, und dich höchlich verwundern, wie ihre Augen noch so heiter sehen mögen. Aber wisse, in ihre Finsternis leuchtet von fern ein Morgen herüber, wie die Erde noch keinen gesehen: ein ewiger Sonn- und Festtagsmorgen mit tausend Kronen und tausend Herrlichkeiten, und Jesus die Sonne, die ihn macht. Das ist ihr Trost und ihre Freude. Sie sind gelagert gegen Morgen, und es ist ihnen, als hörten sie die Hähne schon krähen, als bliesen die Frühwinde schon frisch an ihre Fenster, als sähen sie die Dämmerung schon in die Kammer fallen. Hallelujah! die Nacht ist bald vergangen, der Tag herbeigekommen.
Und wie nun das ganze lebendige Juda gegen Morgen gelagert ist: so auch das tote, so auch die Heiligen Israels in ihren Gräbern. Da liegen sie, die ehrwürdigen Gebeine, diese ehemaligen Tempel Gottes und Wohnstätten des Heiligen Geistes. Da liegen sie in ihren kühlen Grüften, still und stumm, und haben die Hände gefaltet. Aber auch sie stehen in der Wartezeit, auch sie schauen hinaus nach Morgen. Und er wird über sie hereinbrechen, der große Morgen der Auferstehung. Der Wind des Herrn wird über sie blasen und sein Posaunenklang sie wecken aus dem langen Schlafe. Da werden sie hervorgehen in unaussprechlicher Klarheit, und ihre Geister werden wieder zu ihnen kommen. „Ja, deine Toten, Juda, werden leben,“ spricht der Herr, und mit dem Leichnam auferstehen.“ Wacht auf und rühmt, ihr Bewohner des Staubes; denn sein Tau ist ein Tau des grünen Feldes, und die Erde wirst die Toten aus. Ach gesegnet seist du, du ganzes Juda, das du gelagert bist gen Morgen. Harre nur ein wenig, dein Morgen wird schon kommen. Singe du nur die Heimwehklage:
„Heimweh fühl ich Sohn vom Hause!
Draußen ist es kalt und kahl:
Birg mich vor des Sturms Gesause
Bald im warmen Ruhesaal!“
Ehe du dich versiehst, wird deine Klage in einen Reigen verwandelt sein. Seufze nur aus deiner Pilger-Hütte:
„Heimweh fühl ich, Fürst des Lichtes!
Dämmerung behagt mir nicht:
Gönn' mir deines Angesichtes
Freuden bald im Saal voll Licht!“
Deine Stätte ist schon bereitet in diesem Saale, du liebwerter Mann; harre nur noch ein wenig auf den Hoffnungshügeln. Siehe, während du seufzest:
„Heimweh fühl ich, Gott der Liebe!
Lange währt der Sehnsucht Qual:
Stille bald die heißen Triebe
Mir im sel'gen Hochzeitssaal!“
bricht unvermerkt und stille die Dämmerung deines Tages an, und eh du's denkst, ist deine Sonne da, um aller deiner Nacht ein ewiges Ziel zu sehen.
4.
„Juda soll sich lagern gegen Morgen!“ spricht der Herr, und setzt hinzu: „mit seinem Paniere!“ Juda hatte sein besonderes Panier, oben mit einem Querholze, also kreuzförmig; das Fähnlein, wie alte Überlieferungen sagen, rot, und darauf das Bildnis eines Löwen. Das Panier Judas war mithin ein Schatten des unsrigen, des Kreuzes, des gekreuzigten Christi. Der ist die Fahne des geistlichen Israels. Fahnen gaben das Signal zum Aufbruch des Volkes. Auf Berge und Hügel pflegte man sie zu pflanzen, dass sie weithin gesehen wurden, und sofort sammelten sich um sie die Scharen. So ist's auch mit unserm Kreuzpaniere. Es ist ein Magnet darin, der allmächtig zieht. Wo es aufgeworfen wird, da gibt's Bewegung, da rumort's, da rauscht's, da regt sich's, und die Erwählten Gottes sammeln sich mit Jauchzen oder Weinen. Da sieht man Menschen, welche die Krippe nicht zu rühren, der Thron der Majestät nicht zu schrecken, das ew'ge Wohl nicht zu locken und das ewige Wehe nicht zu ängstigen vermochte, und siehe, nun zerbricht ihnen plötzlich das Kreuz ihr Herz, und die Dornenkrone bohrt in ihre Seele, der Rohrstab schlägt sie zu Boden, und das Blut des Lämmleins, das vom Holze trieft, zerschmelzt, wie mit allmächtiger Feuerskraft, in einem Nu den Stein in ihrem Busen. Seht euch um! wo werden Rahabs und Magdalenen zu Gottesbräuten, wo erblühen alte Simeone zu Jünglingen und Hannahs zu Jungfrauen, wo verwandeln sich wütende Saulusse in Priester des Höchsten, und wo fallen dem Herrn die Starken zum Raube? Ist es nicht da, wo das Wort vom Kreuze verkündigt und das Panier des Kreuzes aufgeworfen wird? Die Kreuzesfahne zieht und sammelt. Ja siehe! sie ist das Zentrum, um das viel tausend Geister, im Himmel und auf Erden, Tag und Nacht geschart stehen, denn unter dieser Fahne ist das Leben.
Wenn einem Heere seine Fahne geraubt wird, so ist das ein großer Verlust, eine große Schande und fast mehr als eine Niederlage. Unsere Feinde wissen das, und was wünschten sie lieber, als dass sie diese Fahne aus unseren Händen winden könnten. Den Heiligen Christum, den Gottessohn Christum, den Königlichen Christum, den erhöhten und verherrlichten Christum, den ließen sie uns tausendmal; könnten sie nur den gekreuzigten uns nehmen. Alle Pfeile ihres Hohnes und Spottes, auf den sind sie gerichtet. Den uns zur Narrheit und zum abgeschmackten Märlein zu machen, dahin geht all ihr Bemühen. Unsere Fahne möchten sie erbeuten. Brüder! die Fahne unseres Stammes, zu welcher wir geschworen. Schließt eure Reihen. Eher sterben, als diese Fahne lassen.
Die Fahne zieht dem Heere voran. So uns das Kreuz. Dann heißt unsere Losung: „durch!“ Geht's in Sturm und Streit, das Kreuz voran: das macht uns Mut, das gibt Geduld, das bringt Den Sieg. Geht's in Not und Nacht, das Kreuz voran: das muntert auf, das kühlt die Stirn, das verheißt Licht. Geht's ins Feuer der Anfechtung und Versuchung; das Kreuz voran: das wird uns schon die Welt verleiden, die Lust versalzen und das Fleisch bezähmen. Wollen die Sünden uns schrecken, will das Herz uns richten; das Kreuz zur Hand: wer will verdammen unter dieser Fahne? Geht's ins Todestal hinunter, das Kreuz voran: das vertreibt die Nacht, das schlägt den Tod und reißt den Himmel auf. Geht's endlich zum Gerichte, voran das Kreuz; denn wird dies Zeichen uns gemeldet haben, so wird der König sein Szepter freundlich neigen und die Engel uns „willkomm“ entgegen rufen. Solche Macht liegt in der Kreuzessahne. Sie bringt durch, wo sonst kein Durchkommens ist; sie zerbricht eherne Riegel und eiserne Tore und macht uns Bahn durch starre Felsen und über himmelhohe Berge.
Wenn ein Krieger auf dem Kampfplatz fällt, so ist es eine Ehre, wenn die Fahne über ihn geworfen und er damit bedeckt wird. Juda, dir geschehe ein Gleiches. Wenn du fällst und weichst, gleich müsse die blutige Fahne über dir wehen und dich decken, und dir wieder zu Ehren helfen. Und wenn du endlich stirbst, so stirb im Schatten dieses Banners, stirb unter der Bedeckung dieses rotfarbenen Feldzeichens, siehe! so bleibst du, als ein rechter Streiter. Dann geht's zur Krönung!
5.
Es ist nun die Rede noch von Judas Heer und Hauptmann. Ach, meine Brüder, wie würden wir erstaunen, welch ein freudiges Erschrecken würde uns ergreifen, wenn plötzlich einmal das bedeckende Geschwader, von dem das geistliche Israel umgeben ist, die Schleier zerrisse und aus seiner Verborgenheit heraus in die Erscheinung. träte. Etlichen Menschen ist es vergönnt gewesen, diese unsichtbare Eskorte der Kinder Gottes mit leiblichen Augen anzuschauen. Jakob sah sie, da er von Laban auszog. Da begegneten ihm unterwegs die Engel Gottes. Welch ein Anblick mag das gewesen sein. Und da er sie sah, sprach er: „es sind Gottes Heere,“ und hieß die Stätte Mahanaim, das ist „Heerschar.“ Elisas Knabe hat sie gesehen, da er bange ward vor dem Könige der Syrier und erschrocken ausrief: „Ach weh, mein Herr, wie wollen wir nun tun.“ Da erwiderte Elisa: „fürchte dich nicht; denn derer ist mehr, die bei uns sind, als derer, die bei ihnen sind. Und Elisa rief zum Herrn: Herr, öffne ihm die Augen! da öffnete der Herr dem Knaben die Augen, dass er sah, und siehe, da war der Berg voll feuriger Rosse und Wagen um Elisa her. Das waren abermals die Mahanaim. Juda, des geistlichen, Heer ist der himmlische Wächterchor, zum Dienst um derer willen ausgesendet, die ererben sollen die Seligkeit. Es sind die starken Helden, mit den goldnen Harfen am Stuhl der Majestät, die das Angesicht des Alten der Tage im Lichte schauen; es sind die seligen Boten, die vom Himmel ausfliegen und so gern die lieben Gotteskinder auf Erden besuchen, so gern die Angelegenheiten derselben vor Gott bringen, so gern über sie Bericht erstatten mögen in den ewigen Wohnungen, die an den goldenen Stufen Jehovahs Befehl erwarten, und zu Hilfe und Beschirmung der Auserwählten gleich Sturmwinden und Feuerflammen, mit Blitzesschnelle und heiligem Ungestüm einherfahren. Die Engel Gottes sind es, die zur Gemeine der Heiligen herniederschweben und zur Gottesstadt auf Erden aus- und eingehen, mit unseren Kindlein zu spielen und sie zu bewahren, unsere Jünglinge zu warnen und zu leiten, unsere Männer zu ermuntern und den Schweiß ihnen von der Stirn zu trocknen und unseren Greisen gute Botschaft zu bringen aus der nahen Heimat, und im Voraus schon das erste, leise Gesäusel ihrer Himmlischen Harfen ihnen ertönen zu lassen. Ach ein süßer Schauer muss uns ergreifen, bei dem Gedanken, dass solch ein Heer uns unsichtbar umlagere. Und wer weiß, wie nahe auch die Wolke jener Zeugen uns möge kommen können, die vor uns heimgegangen und Deren die Welt nicht wert war! Oder sollte die Pforte, durch welche ein Samuel, ein Moses und Elias aus dem Gebiet der ewigen Ruhe, wenn auch nur auf Augenblicke in den Kreis der sterblichen Brüder zurück traten, sollte sie seitdem verschlossen, ganz verschlossen und verrammelt sein? Wer möchte das behaupten? Genug, wir leben schon mitten in der unsichtbaren Welt und haben Himmlische zu Freunden und Gesellen und Geister zum Umgang und Geleite. Und dieses unsichtbaren Heeres um uns her, des mögen die Verzagten unter uns, die Kleinmütigen und Klagbaren sich getrösten, die noch so schnell und gerne sagen mögen: „Ach weh, mein Herr, wie wollen wir nun tun!“ Ei, Brüder, derer ist mehr, die bei uns sind, denn derer, die bei ihnen sind. Des freut euch und habt Ruhe.
6.
Wie heißt nun endlich Judas Hauptmann? Er heißt Nahesson, ein Sohn, Amminadab. So mag auch unser Hauptmann heißen, unser Herzog. Nahesson heißt verdolmetscht Erfahrung. Wer aber ist erfahrener im Streite, als der, dessen blutige Fußstapfen von den Schlachtfeldern Gethsemanes und Golgathas uns entgegen leuchten und von dem im Garten Josephs, wo er den Tod geschlagen und in den Sieg verschlungen; und wer ist geschickter im Kampfe, als der, der die Fürstentümer, Gewalten und Obrigkeiten hat ausgezogen und öffentlich zur Schau getragen, und aus ihnen einen Triumph gemacht hat durch sich selber? Wer ist im Kampf erfahrener als der, der nun schon zweitausend Jahre lang auf seiner Kriegswarte nicht geschlafen noch geschlummert, und wer weiß besser wohl das Schwert zu führen, als der, der ganz allein bis diesen Tag durch so viel Millionen Feinde und Feindesglieder sein schwaches, armseliges Kirchlein mit Triumph hat durchgeschlagen! Wer ist erfahrener im Kriegsgetümmel, als der, gegen welchen die blinde, kalte Welt so manch Jahrtausend schon die Waffen führt, ihm keine Stunde Ruhe lassend, und wer ist sieggewohnter als er, der alle Widersacher zum Schemel seiner Füße legt und überall der Ruhm auf dem Staube steht! Er mag wohl Nahesson heißen, Erfahrung; ja ein erfahrener Held, ein tapferer Hauptmann. Ach wohl dir Israel, wer ist dir gleich? Volk, das du durch den Herrn selig wirst, der deiner Hilfe Schild, und das Schwert deines Sieges ist. Deinen Feinden wird es fehlen an dir; du aber wirst auf ihren Höhen einhertreten! Dieser Nahesson heißt ein Sohn Amminadab, das ist verdolmetscht: er hat ein Volk geschenkt. Ja dessen Sohn ist unser Hauptmann, der ihm vor Anbeginn der Welt ein Volk verlorener Feinde, toter Hunde angewiesen und übergeben hat, dass er an ihnen den Reichtum seiner Güte und die Allmacht seiner Gnade zu seines eigenen Namens Preis und Verherrlichung erweisen möge. „Alles, spricht er, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Und wiederum: „das ist der Wille des Vaters, der mich gesandt hat, dass ich nichts verliere von allem, das er mir gegeben hat, sondern dass ich es auferwecke am jüngsten Tage.“ Ach selig, selig, wer zu diesem Haufen frei ausgewählter, von Ewigkeit dem Friedensfürsten von Gott geschenkter Sünder sich zählen darf! der ruht in Händen aufbewahrt, die, ehe sie das anvertraute Gut preis gäben, sich selber im Feuerpfuhl Gehennas zu Asche brennen ließen! Nahesson Ben Amminadab heißt unser Hauptmann. Wohl uns! in diesem Namen liegt die Bürgerschaft für unsere ewige Bewahrung.
So sei denn gelagert mit Frieden, du Juda Gottes! Ja sei gelagert! Lass sich andere vermessen, stehen und gehen zu wollen. Halte du dich herunter zu den Ohnmächtigen und Armen; bleib am Staube, lebe von Gnade, sei Null und Nichts, und alles, was du bist, das sei in ihm und habe Ruhe in den Verdiensten deines Bürgen. Verharre unter dem Paniere, zu welchem du geschworen hast, welches dein Ruhm ist und dein Trost, dein Sieg und deine Freiheit. Vorwärts das Angesicht nach Morgen; die da draußen sind, die mögen nach Abend schauen und nach Mitternacht, wo auch für sie der Himmel sich rötet, aber schrecklich und furchtbare Donnerwolken, Fluch und Verderben bringend, in die Höhe quellen. Du schau nach Ausgang, atme Morgenluft; so wills dein Gott. Du sollst nicht ansehen die Nacht, die dich noch umgibt, vorwärts die Augen auf den Sonnentag, der dir entgegen dämmert. Du sollst nicht stehen bleiben mit deinen Blicken bei dem trübseligen, dunklen Gesichte der Sünden, Schwachheiten und Gebrechen, die dich noch umgeben, ein Leib des Todes. Schau drüber weg nach Morgen und weide deine Augen an jenem großen Frei- und Jubeltage, der verheißen ist. Schwing Hoffnungsflügel durch die Luft und überfliege Nacht, Kreuz und Tod. Im Überfliegen liegt die Klugheit der Gerechten. Ach Juda sei getrost; du darfst es sein. Sing frohe Morgenlieder, auch mitten in den Nebeltälern, durch die dein Weg dich führt.
Der Weg ist dir gebahnt, gesprengt das Schloss;
Durchs Abendland, durch dunkler Nächte Schoß
Führt dich die Bahn
Nach Gottes Kanaan.
Dort bist im lichten Morgen
Du ewiglich geborgen.
Getrost voran!
Ja, vorwärts, meine Brüder; denn der uns führt, der heißt Immanuel: der Herr ist mit uns. Amen.