Kohlbrügge, Hermann Friedrich - III. Predigt über Evangelium Johannis, Cap. 3, Vers 12. 13.
12. Glaubet ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde? 13. Und niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder gekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist.
Wir wollen in dieser Morgenstunde das Gespräch wieder aufnehmen, welches unser Herr mit dem Pharisäer und Obersten der Juden Nicodemus gehalten hat. Ich hoffe, daß von euch dasjenige, was wir bis dahin behandelt haben, gut verstanden worden sei. Wo nicht: Anfechtung lehrt auf's Wort merken, und wenn man in der Noth ist und gar keinen Halt mehr hat weder in sich selbst noch in den Geschöpfen, und dann Gott sich eines Armen erbarmt, der zu ihm betet, alsbald fällt es einem wie Schuppen von den Augen, daß ihm die ganze Bibel klar wird, als wäre es alles bloß für ihn geschrieben, und da beginnt das ganze Wort Gottes in einem zu leiben und zu leben, daß er allerwärts so viele Schätze der Lichter des Lebens und des Trostes findet, daß er nicht weiß damit zu bleiben. Das Wissen an und für sich blähet auf, wo dagegen das Wort erfüllet wird, welches der Herr seiner betrübten und angefochtenen Kirchbraut gibt: „Ich will deine Fenster aus Kristallen machen und deine Thore von Rubinen und alle deine Grenzen von erwählten Steinen und alle deine Kinder gelehret vom Herrn und großen Frieden deinen Kindern“, da versteht man den Herrn wohl in seinen Worten; denn der Geist, durch welchen alle Worte des Herrn sind, ist da, und legt derselbige Geist solche Worte wohl sein aus. Wo aber des Herrn Wort bei uns erfüllt werden soll, da ist Anfechtung; wo aber Anfechtung ist, da ist auch Verlorenheit, da ist Hunger und Durst nach Gerechtigkeit; wo Verlorenheit ist, da muß man einen Boden unter seinen Füßen haben, der halten kann, da muß man gesättiget sein, da muß gestillet sein der Hunger und Kummer der Seelen, da schreit man: laß mich leben, daß ich dich lobe, und deine Rechte mir helfen; so wird dann auch Acht gegeben auf Gottes Wort, denn der Herr, der solchen Hunger und Durst gibt, öffnet auch das Herz; da sieht man aber, was vor den Füßen liegt.
Nicodemus und die Pharisäer gaben darauf nicht Acht, was vor den Füßen lag, darum läßt der Herr folgen: „Glaubet ihr nicht, wenn ich euch von den irdischen Dingen sage, wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde?“ Mancher von euch gibt eben darauf nicht Acht, was vor den Füßen liegt, und darum wird er wohl fragen: Was meint der Herr hier mit irdischen Dingen und was mit himmlischen Dingen? Wenn ihr es zu Herzen nehmen wollt, so will ich es euch gerne sagen: Der Mensch schwingt sich gerne in den Himmel hinein, und was er auf Erden treibt und thut, was ihm auf Erden Noth thut, wie er es hier liegen läßt, dafür hat er keine Augen. So gaben sich die Pharisäer mit allerlei Dingen des Gottesdienstes ab, und wie verkehrt sie sich als Menschen benahmen in ihrem Kreise und gegen ihren Nebenmenschen, das wollte ihnen nicht einfallen. Sie schienen bereits mit einem Fuße in dem Himmel zu stehen; es schien, sie wären bereit mit einem Eliaswagen gen Himmel fahren zu wollen, sie waren aber dabei gut in ihre Toga gewickelt und vergaßen, daß Elias seinen Mantel in der Fahrt abgeworfen und nackt gen Himmel gefahren ist. Wie oft und sehr sie der Herr auch strafte, so daß er bei einer gewissen Gelegenheit das Wehe sieben Mal über sie aussprach, so glaubten sie davon doch nichts. Seht, meine Geliebten! so geht's Manchem von euch auch; das werde ich in dem Umgang wohl gewahr und bin solches bei Vielen gewahr geworden. So lange wir noch unter Gesetz sind, was wir auch von Gnade mögen erfahren haben, sind wir auch Pharisäer, und da geben wir kein Acht drauf, wie wir es auch wissen könnten, daß wir um und um Menschen sind; wir meinen mit unserm Evangelio über's Gesetz hinaus zu sein; wir übertreten in unserem Kreise und an unserem Nächsten das eine Gebot vor, das andere nach ganz buchstäblich, dünken uns gleichwohl in der rechten Heiligkeit einherzugehen, eifern auch für die Gerechtigkeit; da soll ein jeder Andere nicht taugen, wir aber haben immerdar etwas, um uns selbst zu rechtfertigen, und sollte unser Benehmen nicht gerecht sein, so geben wir am Ende Gott den Sack und werden verdrießlich oder rächen uns an dem, der uns straft. - Nun wisset ihr wohl, daß uns der Herr die Erde gegeben hat, daß hier sein Name soll geheiliget sein, daß sein Reich hier kommen soll, daß sein Wille hienieden geschehen soll. Dort oben ist die Krone, hier ist der Streit. Gehört es demnach nicht zu der Erde, zu dem hiesigen Leben, daß wir in einem solchen Verhältnisse zu Gott und seinem Gesetze stehen, daß unser Leben und unser Wandel keine Heuchelei, keine Gleißnerei, sondern Wahrheit sei vor Christo und seinen heiligen Engeln? Will das der Apostel Paulus nicht sagen, wenn er bezeugt: „Diejenigen welche von der Beschneidung sind, sind Feinde des Kreuzes Christi, sie sind irdisch gesinnt, ihr Bauch ist ihr Gott, unser Wandel aber ist im Himmel“?
Wenn der Herr von sich und von dem Vater vor Nicodemus bezeugt: „Wahrlich, wahrlich ich sage dir, wir wissen, was wir reden“, - so wußte Nicodemus es recht gut: mein verborgenes Treiben liegt vor ihm und vor Gott aufgedeckt. Aber die Pharisäer machten es nicht wie die Samaritanerin, welche bekannte: „Er hat mir alles gesagt, was ich gethan habe“, sondern zu Nicodemus hieß es: „Ihr nehmet unser Zeugniß nicht an“. Das war aber das Zeugniß, welches der Vater und der Sohn von den Menschen zeugten: „Das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“, und wiederum: „Israel, du bringst dich selbst in's Unglück, denn dein Heil steht allein bei mir“.
Die irdischen Dinge also, wovon der Herr zu den Pharisäern sagte, das ist zu Nicodemo, welcher es den Uebrigen wieder sagen konnte, - waren Wahrheiten, welche zu diesem Leben gehörten, welche aber derartig sind, daß man dessen, was bei Gott ist, nicht gewärtig sein darf, wenn man solche Wahrheiten vernachlässigt, wenn man sie in den Wind schlägt. Diese Wahrheiten werden in Einem wiedergegeben, wenn es bei dem Prediger heißt: „Laßt uns die Haupt-Summa aller Lehre hören: Fürchte Gott und halte seine Gebote, denn das gehöret allen Menschen zu. Denn Gott wird alle Werke vor Gericht bringen, das verborgen ist, es sei gut oder böse“. Nach diesen Wahrheiten heißt es zu den Menschenkindern: „Ihr seid nicht, was ihr meint zu sein; ihr seid nicht, was ihr sein solltet, und ihr handelt bei allem, was ihr vorgebet von Gesetz und Gerechtigkeit, nicht so, wie ihr es von Anderen verlanget, daß sie handeln sollen; - es ist also nichts mit eurem Gottesdienst“. Soll aber euer Sein und Benehmen ein wahres sein vor Gott und Menschen, so habt ihr abzustehen von eurer ganzen Gerechtigkeit, so thut es euch Noth, daß ihr von neuem geboren seid, thut es euch Noth, daß ihr Gottes Freimacht der Gnade glaubet, euch unter diese Freimacht beuget und an den glaubet, welchen Gott zur Weisheit gegeben hat, auf daß ihr nicht mehr durch eigne Werke, sondern aus Gott in ihm Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung geworden seid. Seht, das waren irdische Dinge, welche der Herr den Pharisäern vorhielt und welche er auch noch einem Jeglichen von uns vorhält. Denn das sind Wahrheiten für dieses Leben, auf daß uns das Leben jenseits nicht durch Selbstbetrug entgehe.
Von diesen irdischen Dingen sprach der Herr wiederholt zu den Pharisäern, spricht er auch wiederholt zu uns in allen seinen Gleichnissen, z. B. in dem Gleichniß von dem vielerlei Acker, wo der Samen hineingeworfen wurde, denn da sagt er selbst, daß der Acker die Erde ist und der Same das Wort, welches geprediget wird. Von irdischen Dingen spricht so der Herr, wenn er uns in seinem Worte alle die verkehrten Gründe aufdeckt, worauf ein Menschenkind seine Seligkeit baut, und es ist doch nur ein Säen auf eignes Fleisch; auch wenn er spricht von Selbstverleugnung, von dem täglich auf sich Nehmen seines Kreuzes, von dem Abhauen seiner Hände und Füße, von dem Ausreißen seiner Augen, sobald sie einen ärgern, und davon, daß man Salz bei sich haben sollte und Frieden unter einander. Wenn es aber einem aufgedeckt wird, daß er diese Dinge nicht hat, und daß sie bei ihm nicht zur Hand sind, und daß er einer gänzlichen Umschaffung, einer neuen Geburt bedarf, und er solches nicht glaubt, vielmehr sich verhärtet in selbst gewählten Wegen, so wird und kann er auch nicht glauben, wenn ihm von himmlischen Dingen gesagt wird. Kurz, daß der Mensch die Schlechtigkeit verlasse und daß er den Weg einschlage, um in Gerechtigkeit vor Gott erfunden zu sein, sind irdische Dinge, denn das gehört dem Menschen, der auf Erden ist, und so gehört denn die Wiedergeburt einem Menschen, wie er hier leibt und lebt; darum ist es ein irdisches Ding, - denn das geht den Menschen selbst an. Himmlische Dinge dagegen sind solche Dinge, welche Gott gehören; das ist sein ewiger Rath, nach welchem er in Christo Jesu bei sich selbst sich vorgenommen hat, Verlorne zu erretten, und wie er diesen Rath hat wollen vollführen in Christo Jesu. So sind denn die himmlischen Dinge alles das, was in dem Himmel vorgegangen ist zwischen dem Vater und dem Sohn, und wie, da die Zeit erfüllet war, Gott seinen Sohn gesandt hat, geboren von einem Weibe, geworden unter Gesetz, auf daß er diejenigen, die unter Gesetz waren, erlösete und also den nach dem Vorsatze der Gnade Berufenen zum ewigen Leben helfen und sie wieder zu Gott bringen sollte; auch wie der Sohn dazu ein im Fleische Gekommener sein würde, sich selbst entäußern, Knechtsgestalt annehmen und erfunden werden wie ein Mensch, auf daß er, als der zweite Adam, alles wiederbringen möchte, was der erste Adam verdorben, und in sich eine Gemeine sich erkaufen und heiligen, daß sie wäre ohne Flecken und Runzel, vor ihm in Liebe untadelig.
Wer nun ein Pharisäer sein will, das ist, kein Mensch, sondern ein halber Engel, kann solche himmlische Dinge nicht glauben, ob er auch viel davon schwatzen möge, denn er zeigt es mit seinem Benehmen, daß es ihm nicht geht um die Erfüllung der Gebote Gottes, weshalb er auch nichts Wahres und Rechtes weiß von seiner Verlorenheit; wie sollte der also etwas Rechtes und Wahres annehmen und glauben können von dem was im Himmel vorgegangen; wie etwas Rechtes verstehen, lehren oder vernehmen können davon, was es ist, daß Gott seines eigenen Sohnes nicht verschonet, sondern ihn für uns Alle dahingegeben, und daß der Sohn sich selbst für uns gegeben hat nach dem Willen Gottes, auf daß er uns errettete von der gegenwärtigen argen Welt? - Wem es nicht auf Erden um Liebe und Barmherzigkeit geht, Liebe und Barmherzigkeit zu finden und auszuüben, versteht nichts von der Liebe und Barmherzigkeit, welche im Himmel ist für einen Verlornen.
Von dieser Liebe und Barmherzigkeit, von der mächtigen Gnade Gottes in der Sendung seines Sohnes in Knechtsgestalt, so daß er ward gleich wie ein anderer Mensch und daß er an Geberden als ein Mensch erfunden wurde, auf daß er an unserer Stelle Fluch, Tod und Verdammung trüge, und alle Gerechtigkeit erfüllete und Gott dargebracht hätte, welche vom Gesetz erfordert wurde, - sahen die Pharisäer nichts, da sie Jesum sahen; davon sah auch Nicodemus nichts, obgleich er ihn vor sich hatte; - und von solchem Jesus, jetzt aber erhöht zur Rechten des Vaters, sehen wir auch nichts Rechtes und Wahres, so lange wir uns selbst suchen. Und da meinen wir im Grunde des Herzens, was die Pharisäer auch meinten, wir könnten es selbst durch unsere Werke und Gottesdienst bei Gott in's Gleiche bringen, und wir pflögen Umgang mit Gott, weil wir so gottesdienstlich sind. Nun soll aber Nicodemus bei alledem wissen, und wir sollen es auch wissen, daß für uns an und für uns selbst an keinen Zutritt zu Gott zu denken sei, daß wir nichts wissen an und für uns selbst von dem, was im Himmel vorgeht, auch nichts davon wissen an und für uns selbst, ob Gott wirklich Gedanken des Friedens über uns habe oder nicht, daß wir keine Correspondenz mit dem Himmel haben, sondern daß nur Einer diese hat, der Mensch Christus Jesus, und daß dieser allein, obgleich in Knechtsgestalt, so daß wir keine Gestalt noch Schöne an ihm wahrnehmen, dennoch im Himmel der Jehovah, dem Vater gleich ist; - darum spricht der Herr: „Und Niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel herniedergekommen ist, nämlich des Menschen Sohn, der im Himmel ist“. Nach dem Griechischen heißt es: „Und Niemand ist gen Himmel gefahren, denn der vom Himmel herniedergekommen ist, des Menschen Sohn, der Seiende in dem Himmel“. Der Herr macht hier den in der Schrift sonst so bewanderten Nicodemus aufmerksam auf Mosis Worte, 5. B. Mos., Cap. 30, V. 12, welche Worte der Apostel Paulus Römer 10, V. 6 wiederholt, wenn er schreibt: „Aber die Gerechtigkeit aus Glauben spricht also: Sprich nicht in deinem Herzen, wer will hinauf gen Himmel fahren? (Das ist nichts anders, denn Christum herabholen.) Oder, wer will hinab in die Tiefe fahren? (Das ist nichts anders, denn Christum von den Todten hole.) Aber was sagt sie? Das Wort ist dir nahe, nämlich in deinem Munde und in deinem Herzen. Dies ist das Wort vom Glauben, das wir predigen“.
Das war also zu Nicodemus, das war zu den Pharisäern, das ist auch zu uns gesagt, daß wir zu glauben haben, was Gott durch seinen Sohn redet, daß wir zu glauben haben, was unser Herr und Heiland Jesus zu uns sagt. Mancher würde denken: könnte ich doch, und wäre es auch nur eine fünf Minuten vor meinem Tode in den Himmel hinauffahren und daselbst mit Gott sprechen, so wüßte ich, wie es um meine Seligkeit steht. Ein anderer wiederum: könnte ich mit einem Menschen nur eine halbe Stunde sprechen, der in dem Himmel gewesen wäre, so würde der mir zuverlässig sagen können, wie man selig wird. So wollte auch der reiche Mann in der Hölle, der Vater Abraham möchte einen aus dem Himmel zu seinen Brüdern auf Erden hinabsenden. Lauter fromme Wünsche der Selbstgerechtigkeit. Wer gen Himmel hinauffahren möchte, um dort zu sehen, wie es mit der Seligkeit beschaffen sei, leugnet mit diesem Wunsch, daß Christus in dem Himmel ist, und wer in die Hölle hinabsteigen möchte, um zu sehen, ob er auch die Hölle mit seinen frommen Werken überwinden könnte, leugnet, daß Christus vom Himmel herabgekommen und sich für uns aufs Tiefste erniedriget hat. Aber es ist noch kein Mensch gen Himmel gefahren und wieder vom Himmel herabgekommen, der uns angesagt, was und wie Gott ist, und wie sein Zorn über unsere Ungerechtigkeit gestillet werde, keiner, der uns würde sagen können: du wirst selig. Auch ist keiner mit seinen Gedanken oder mit seinem Verstande gen Himmel gefahren, um es uns anzusagen, was Gott über uns denkt. Und alle Leute, die in Schein-Demuth der Engel einhergehen, reden von Dingen, wovon sie doch nichts wissen, und die sie nie gesehen haben, als in ihrer Phantasie und überspannten Schwärmerei.
Darum sollt ihr euch hüten vor solchen Geistern, die aus der Hölle kommen und wollen einem den Himmel und den himmlischen Wandel vormalen. Nur Einer ist gen Himmel gefahren, - ich meine nicht, gen Himmel gefahren, da er nach seiner Auferstehung gen Himmel fuhr, denn das ist hier des Herrn Meinung nicht, - unser Herr ist gen Himmel gefahren und fuhr gen Himmel jeden Tag, da er hier auf Erden war. Da fuhr er aber nicht dem Leibe nach gen Himmel, sondern mit seinem Geiste, mit seinem Verstande und Erkenntniß, welche er von den himmlischen Dingen hatte; das that er besonders in seinen Gebeten, und wenn er die Schrift las, in seiner Einsamkeit u. s. w. Dann fuhr er gen Himmel mit seinem Geiste, mit seinem Verstande, und was er dann von dem Vater hörte und sah, das that, das redete, das zeugte er, wenn er unter den Menschen war. - So wollte denn der Herr sagen: daß er in seiner Erniedrigung, als des Menschen Sohn, da er für uns hier war, allein Correspondenz mit dem Himmel hatte, er allein einen solchen Umgang mit dem Vater, daß er allein alles wußte von dem Rathe Gottes zu unserer Seligkeit, und daß man ihm deshalb zu glauben hätte. Es möchte den Nicodemus wundern, daß der Herr solches von sich aussagte, darum nannte er sich „des Menschen Sohn“ und gibt damit zu verstehen, daß er unser gänzliches Elend auf sich genommen; darum sagt er auch, daß er vom Himmel herniedergekommen war, nämlich um solchen Rath Gottes zur Seligkeit für alles, was verloren war, zu vollführen. Auf daß es den Nicodemus auch nicht wundern sollte, daß er als Menschensohn, das ist, in solcher Erniedrigung allein Correspondenz mit dem Himmel hatte, d. i. mit dem Vater, nennt er sich zu gleicher Zeit den Seienden in dem Himmel; - wer aber der Seiende in dem Himmel war, konnte es allein sagen, wie es in dem Himmel vor Gott um einen armen Sünder stand, weil er dem, was Nichts war, als der allmächtige Jehovah zu Hülfe kommen konnte mit seiner Gnade, und über den Himmel zu verfügen hatte. Weshalb er auch, obschon am Kreuzholze hangend als Fluch für uns, zu dem Schächer sagen konnte: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein“. -
O meine Geliebten! lasset uns bekennen die Gnade Jesu Christi. Was ist das für ein Wunder der Liebe, welche er zu uns verlornen Menschen gehabt. Ihr hört es aus seinem Munde, daß er ist der Seiende im Himmel, das war er also, auch da er hier auf Erden war, und zu gleicher Zeit hat er für uns sein wollen der Sohn des Menschen, das ist der, welcher unsere Sünde, Schuld und Strafe an unsrer Statt hat auf sich nehmen, tragen und büßen wollen. Zu gleicher Zeit war er in einer Person der Seiende im Himmel, also wahrhaftig der Herr Jehovah, den die Himmel der Himmel nicht umfassen können, - und wahrhaftig Mensch, und zwar ein solcher Mann, den wir klagen hören: ich aber bin ein Wurm und kein Mensch. Er wollte um unseretwillen von dem Himmel herabkommen, und es gar nicht für einen Raub achten, es nicht zur Schau tragen, daß er Gott gleich war. Und da er seinen Thron und seine Herrlichkeit um unseretwillen verlassen hatte, wollte er auf dieser verfluchten Erde einhergehen, Sünde und Fluch für uns, und also des Vaters Gebot halten, daß er am heiligen Geist mit dem Himmel, mit dem Vater stets in Verbindung blieb, ohne etwas für sich selbst von solcher Herrlichkeit zu schmecken, vielmehr in Verbindung blieb, um für uns den Tod schmecken zu können am verfluchten Holze des Kreuzes.
Danksagen wir dem Gott aller Erbarmung, daß nachdem wir uns selbst den Eingang in den Himmel hier auf Erden abgeschnitten und versperrt haben durch unsere Sünde, und wir als Sünder nicht mehr mit dem heiligen Gott sprechen, ihn auch nicht sehen können, Er seinen lieben Sohn vom Himmel herab hat kommen lassen, - und daß unser theurer Herr und Heiland, obgleich der Seiende im Himmel, für uns des Menschen Sohn hat sein wollen, und daß er am Glauben durch alle Zornesfluthen hindurch Gemeinschaft mit dem Vater gehalten hat. Durch ihn redet Gott zu uns, durch ihn können wir wissen, ob Gott Gedanken des Friedens über uns hat. Ja, den Frieden führet er uns armen Sündern zu, denn auf ihm lag die Strafe, auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir heil geworden. Er führet uns Frieden zu von Gott dem Vater und Gnade von sich, durch das Blut seines Kreuzes. - Darum haben wir an ihn zu glauben, dürfen auf sein Wort vertrauen, daß er die Versöhnung unserer Sünde ist, und daß wir Gerechtigkeit und Stärke haben in ihm. Das bezeugt der Herr in den Worten seines Gesprächs. - Glauben wir das Zeugniß, daß er uns von den irdischen Dingen zeugt, so werden wir auch das Zeugniß glauben, dass er uns von den himmlischen zeugt. Das ist aber sein Zeugniß von den irdischen Dingen: „Ihr nun, ihr Schafe, ihr Schafe meiner Weide, ihr seid Menschen“, und wiederum: „An mir soll man deine Frucht finden“; - und das ist sein Zeugniß von den himmlischen Dingen: „Ich aber bin euer Gott“, und wiederum: „Nachdem er hat gemacht die Reinigung unserer Sünden durch sich selbst, hat er sich gesetzt zu der Rechten der Majestät in der Höhe“. Amen. -