Knox, John - An Mistreß Bowes (Dieppe 1554)
Ich kann es weder mit der Zunge noch mit der Feder ausdrücken, geliebte Mutter, wie sehr es mich verlangt, einige Nachrichten von Eurer Beharrlichkeit bei der reinen Lehre Jesu in diesen Tagen des Kampfes zu erhalten, der sich so gewiß in kurzer Zeit zu der Beschämung seiner stolzen Feinde endigen wird. Dieß Verlangen ist bei mir so groß, daß es keinen Gedanken an die Erhaltung meines Körpers und keine Sorge bei mir aufkommen läßt, wo ich die Mittel zu derselben hernehmen soll. Weiß ich doch, daß Gott in jedem Lande oder in jedem Reiche, in das ich kommen mag, irgend eine Person erwecken wird, die mir das Nothwendige dazu darreichen muß, und wenn Menschen es nicht thun wollen, so kann er nur seine Raben schicken; mithin zweifle ich gar nicht, daß mein Leib an jedem Ort einen Vater und Ernährer finden wird. Aber wo ich Kinder finden werde, welche ich Gott durch das Wort des Lebens erzeugen könnte, dieß kann ich leider jetzt nicht absehen; und deßwegen ist das geistliche Leben derjenigen unter euch, welche einmal sich so muthig zu der Lehre Jesu bekannten, meinem Herzen unendlich theurer, als alle Herrlichkeit, Güter und Ehre der Welt und der Rückfall einiger von ihnen zu dem alten Götzendienst ist tausendmal schmerzhafter für mich, als einmal der leibliche Tod, wann und wie er mich auch nach Gottes Zulassung treffen mag, für mich sein wird. Nun werden wohl Einige fragen, warum ich denn floh: und ich kann wahrhaftig die Ursache selbst nicht genau angeben. Nur deß bin ich gewiß, daß es nicht Furcht vor dem Tode war, was mich am Stärksten zur Flucht antrieb. Ich denke, daß eine der Ursachen, warum sie Gott zuließ, auch diese war, damit ich mit eigenen Augen sehen sollte, daß nicht alle mit einem ganzen und ganz redlichen Herzen an Jesu hiengen, die in den Tagen der Ruhe und des Friedens einen so schönen Schein hatten. Doch mein jetziges Fliehen trägt nicht viel aus, denn durch Gottes Gnade kann ich immer noch in die Schlacht kommen, ehe der Kampf ganz geendigt ist, und gebe nur Gott, daß die Stunde bald erscheine, in welcher meine Zunge seinen heiligen Namen noch einmal in seiner Gemeinde preisen kann, wenn es auch die Stunde meines Todes werden sollte.
Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren