Kind, Paul - Worte, wodurch man selig werden kann - Zweite Predigt. - Der muthige Entschluß einer aufgeweckten Seele.
Text: Luc. XV. 18, 19.
Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und zu ihm sagen: Vater! ich habe gesündiget gegen den Himmel und vor dir, und bin hinfort nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße, mache mich als einen deiner Taglöhner.
Komm ich um, so komm ich um. Das war der heldenmütige Entschluß der Königin von Persien, als sie sich in den bedrängtesten Umständen befand (Esth. 14, 16). Haman, der vornehmste Staatsminister des persischen Reiches hatte sich in Sinn kommen lassen, das ganze jüdische Volk seinem Ehrgeiz, seinem Neid, seiner Herrschsucht aufzuopfern.
Er wußte seinem unmenschlichen Vorhaben einen guten Titel zu geben und den König selbst dahin zu bringen, daß er den Juden den Tod schwur. Man schrieb in des Königs Namen Briefe an alle Nationen und Völker, die ihm unterthan waren: daß sie auf einen bestimmten Tag erwürgen, umbringen und vertilgen sollten alle Juden, beide Junge und Alte, Kinder und Weiber. Welch ein Wehklagen, Weinen und Jammern muß sich nicht auf dieses königliche Gebot verbreitet haben! Mardachai, der selbst ein Jude und der Oheim der Esther war, erscheint in dem kläglichsten Aufzug vor dem Schloß der Königin, und hinterbringt ihr diese schreckliche Nachricht; er ersucht sie einmal über das andere um ihr Vorwort bei dem König.
Hier sah sich die Esther in großer Verlegenheit; denn der König hatte bei Leibes- und Lebensstrafe verboten, vor ihn zu kommen. Esther denkt bald an das Verbot, bald an die hereinbrechende Noth. Sie sieht ihr Leben in Gefahr, wenn sie gehen würde; sie sieht den Tod, die Marter, das Blut, die Vertilgung ihres ganzen Volks, wenn sie nicht gehen würde. Wozu entschließt sie sich? Sie will hin zum König, um Gnade zu bitten. Sie hält ihr Leben nicht zu theuer. Sie geht hin; es möge ihr ausfallen, wie es immer wolle. Komm' ich um, so komm' ich um!
Ihr seht schon, liebe Freunde! wohin ich hiermit ziele. Luzifer, der ehedem ein Fürst der Knechte Gottes war, und jetzt das Haupt der Rebellen ist, beneidete unsere Glückseligkeit, er suchte unser Verderben, unfern Tod. Und o des Jammers! er machte uns seinem Bilde und seinen Sünden gleich, und dadurch erregte er Gottes Mißfallen, Gottes Zorn über uns. Der gerechte und heilige Gott, drohete uns den Tod, wegen unserer Sünden, und der Tod herrscht von Adam an bis auf Christus. Schon viel tausend Jahre hindurch hat er geschlachtet und erwürget, und er thut es noch. Jeden Augenblick, denn er ruhet nie, weder Tag noch Nacht, in jedem Nu zerstört er einen Sünder. Und ach! wer weiß, wann es an dich kommt, der du mich jetzt hörest?!
Was thun? liebe Freunde! Soll man diese ängstlichen Gedanken aus dem Sinn schlagen? Soll man sich überreden, das Urtheil des Todes werde nicht vollzogen, werden? Oder soll man ihm muthwillig entgegen eilen?
Ach nein! So sind wir des Todes! So werden wir gewiß umkommen, wie die von Sodom. So werden wir ein Ende nehmen mit Schrecken.
Ich will euch sagen, was zu thun ist? Wir wollen bekennen, daß wir werth wären, verstoßen zu werden. Man muß sich aufs Beten legen. Man muß keine Beschwerlichkeiten achten. Man muß Gnade suchen, es falle nun aus, wie es wolle. Man muß mit Esther sagen: komm' ich um, so komm' ich um. Folgende Betrachtung soll euch noch weiter hiervon unterrichten.
Der muthige Entschluß einer aufgeweckten Seele. Merkt hier insonderheit drei Stücke:
- Sie entschließt sich von Stund an anders zu werden.
- Sie verzaget an allen ihren Kräften, sich selbst zu helfen.
- Sie kommt als eine unwürdige Sünderin, zu Gott.
Gnädiger Jesu! gib einem jeden unter uns sein Elend zu erkennen; gib ihm Augensalbe, seine Blöße, seinen Jammer, sein unausbleibliches Verderben außer dir, recht lebendig einzusehen. Wen du aber durch deine Gnade in diesen Zustand gebracht, ach, den ziehe doch recht zu dir, verschließe ihm seine eigene Wege, wo er sich zu helfen sucht, und öffne ihm die Thüre zu dir, damit er in dir, dem Lamme Gottes, Ruhe, Frieden, Leben, ja eine ewige Seligkeit finden möge. Stärke die, so du zu deiner und deines Vaters Gemeinschaft gebracht hast; lasse sie auch in dieser Stunde aufs neue lernen, daß sie nur durch deine Gnade selig, und durch deinen Tod dem ewigen Tod entronnen seien. Amen!
I.
Sünder! was zaudert ihr so, euch zu euerm Erbarmer hinzuwenden? Warum soll der Gott der Liebe länger vor euern Herzensthüren stehen? Warum soll Jesu Blut länger mit Füßen getreten, der Geist der Gnade länger geschmähet, die Anerbietung des Evangelii länger aus der Acht gelassen werden? Warum soll es immer heißen: Morgen! Morgen! und niemals: Heute! Heute!
Kommt, geliebte Brüder! und betrachtet den umkehrenden Sünder, ach ja! werdet ihm gleich! Sehet da das erste Kennzeichen einer rechtschaffenen Seele: Sie will von Stund an anders werden; sie fährt alsobald zu, und bespricht sich nicht länger mit Fleisch und Blut (Galat. 4,16); sie kränkt sich nicht darüber, daß sie ihr Gott und Heiland schon zu sich rufe; aber das betrübt sie, daß sie Ihn nicht eher kennen gelernt. Es ist genug, sagt sie zu sich selbst, es ist genug, daß ich die vergangene Zeit des Lebens zugebracht habe nach heidnischer Weise; da ich wandelte in Unzucht, Lüsten, Trunkenheit, Fresserei, Sauferei, und greulichen Götzendiensten. Schande! ewige Schande! daß schon so viele Zeit des Lebens vorbei, im Dienste der Sünde vorbei gegangen! O ich Unglückselige! daß ich dem Teufel gelebt, was ich gelebt habe! daß meine Tage und Stunden verloren sind! daß ich in der Ewigkeit keinen Segen davon finden kann. Nun kauft der Sünder die Zeit aus. Nun ist ihm kein Augenblick mehr zu früh, Erbarmung zu suchen: Er sucht sogleich einen Ort, wo er vor dem Herrn sein Herz ausschütten, und mit Ihm in Bund treten könne. Gottes Gnade, Jesu Erbarmen kommt ihm erstaunend wichtig vor. Zeigen sich ihm auch Hindernisse, dennoch spricht er: Ich will mich aufmachen!
So lang es einem Menschen noch nicht recht Ernst um seine Seligkeit ist, so stellt er sich die Hindernisse als unüberwindlich vor. Da redet er von lauter Unmöglichkeit. Es ist seiner Meinung nach unmöglich, jemals bekehrt zu werden, unmöglich eine neue Kreatur zu werden, unmöglich, zum Frieden mit Gott zu gelangen, unmöglich, den Geist der Kindschaft zu bekommen; da sind auf dem Wege zum Leben lauter Steine, Klippen, Felsen, Dornen, Gesträuche, Löwen und Ottern. Aber wenn es einer Seele geht, wie dem verlornen Sohne; dann ist ihr kein Hinderniß mehr zu groß; dann mag sie nichts mehr abhalten; sie faßt den Entschluß: Ich will zum Vater gehen!
Bläst ihr dann der Seelenfeind ein: du bist schon zu weit von Gott weg, zu weit von Ihm abgesondert, bleibe so, wie du warst. Nein sagt sie: bin ich schon so weit von Ihm, so will ich desto mehr eilen, zu Ihm zu kommen. Sind Berge zwischen mir und Gott, im Glauben will ich sie heben, oder übersteigen. Sind es Meere, Seen, Flüsse, so will ich durchschwimmen. Sind es Gesträuche und Dornen, ich will mich ritzen lassen. Soll mich die Sonne der Trübsal stechen; sie mag mich immerhin brennen, wenn ich nur zum Vater komme.
Aber wie kömmt es? Der verlorne Sohn will nicht erst Gesellschaft suchen. Er will zum Vater, und sollte er den Weg nur allein machen. Das zeigt die Eilfertigkeit der Seele an, die sich rechtschaffen um ihr Heil bekümmert. Sie sieht nicht mehr auf andre.
Es ist ein Unglück, daß man gemeiniglich immer nur auf den großen Haufen sieht. Es ist ein Satz, den der Vater der Lügen erdacht: ich meine den Satz: was nicht zu allen Zeiten von den meisten Menschen ist geglaubt und gethan worden, kann nicht recht seyn.
Das ist ein verdammlicher Grundsatz. Mit dem will ich erweisen, daß Noah und seine Familie weder den wahren Glauben, noch den rechten Gottesdienst gehabt; erweisen, daß die abgöttische Welt, und nicht Abraham, recht geglaubt, und gottselig gelebt habe. Damit könnte man darthun, daß Jehova, der Gott Israels, nicht der wahre Gott, sondern daß es Jupiter sey und Diana, und die Melechet des Himmels und Moloch und viele tausend Abentheuer mehr. Nach diesem Satz ist noch heut zu Tage die heidnische, und nicht die christliche, die wahre Religion. Wir Protestanten sind nicht die Rechtgläubig gen, sondern die Papisten. Aus dem Grund verwirft der sorglose Sünder ein rechtschaffenes Wesen in Christo.
Aber so macht es die Seele nicht, von der ich rede. Sie erschrickt zwar auch, wenn sie wenige sieht, die den Weg des Lebens finden; aber das schwächt ihren Entschluß nicht; es befestiget ihn vielmehr. Sie sieht, daß es in der That so sei, wie es Gottes Wort längst vorher bezeuget (Joh. 17.1. Cor. 1). Man macht sich auf; wenn man auch niemand um sich sieht, der den gleichen Entschluß faßt. Wenn Vater und Mutter, wenn Brüder und Schwestern, wenn die allernächsten Anverwandten den Rath Gottes, von ihrer Seligkeit verachten, dennoch bleibt man auf seinem Entschluß, ihn anzunehmen.
Es ist wahr. Der heilsbegierige Sünder beklagt sie, er hasset sie nicht. Er erbarmet sich über sie, er bittet sie, er weinet vor dem Herrn für ihre Erleuchtung, für ihre Bekehrung; aber aufhalten läßt er sich nicht. Es heißt bei ihm: Ich muß zum Vater hin. So ist der Entschluß der aufgeweckten Seele, er ist ohne Aufschub, er ist über alle Hindernisse, kehrt sich an das Ansehen der Menschen nicht.
II.
Wir kommen zum zweiten Theile unserer Betrachtung, und zeigen euch, wie die Seele an allen ihren Kräften, sich selbst zu helfen, verzage.
Hier weise ich euch nun wieder auf den verlornen Sohn hin. Was macht er? was fängt er an? will er sich selbst helfen? Glaubt er noch, er könne sich versorgen, durchbringen in der Theurung? Ehedem dachte er wohl so, er hieng sich an einen Bürger und, welche Schmach für einen Juden! er hütete die Schweine. Er suchte sich durchzubringen, wie er immer konnte. Er litt, er duldete, er achtete alles nichts, er bot alle seine Kräfte auf, und meinte, er wolle sich selbst helfen; allein umsonst! Er mochte thun, was er wollte, er bekam nur Träbern, und nach denen mußte er noch hungern. Nun sieht's der Verlorne ein, er könne sich selbst nicht mehr rathen; er macht den Ueberschlag von seinem ganzen Gewinn, den er für die Zukunft haben könnte, und er findet nichts Anderes, denn das Verderben. Hat uns der theure Heiland hiemit nicht recht natürlich, recht lebendig vorgestellt, daß der Sünder an allen seinen eigenen Kräften verzagen müßte, daß er's erkennen und fühlen müßte, er sey eine verlorne Kreatur, wo ihn nicht eine höhere Hand errette. Und so ist es in der That, der Mensch kann sich nicht selbst helfen, er sehe nun auf das Vergangene oder Zukünftige.
Im Vergangenen findet er keine Hülfe, keine Ruhe. Er trifft ja da nichts anders an, als Sünden und Untugenden. Er mag so weit zurück denken als er will, überall sieht er da Gräuel und Missethaten, deren viele recht blutroth sind. Er mag sich alle die Umstände vorstellen, in denen er bisher gewesen, er sieht lauter Gegenstände die sein Herz erschüttern und in die empfindlichste Unruhe und Schmerzen versetzen. Selbst seine vermeintlichen Tugenden kränken ihn nun. Er erkennt, daß sie aus keiner rechten Quelle und Absicht hergeflossen, daß sie mit den schändlichsten Sünden vergesellschaftet gewesen und Gottes Zorn über sie angezündet haben. O es heißt da nicht mehr: Es gibt noch viele die schlimmer sind als ich; sondern man bekennt da von ganzem Herzen: Ich bin der größte Sünder. Man weiß von keinem so viel Arges, als von sich selbst; weil man bei andern nur einige grobe Ausbrüche, bei sich selbst aber alles Böse des Herzens gewahr wird. Es heißt nicht mehr: O ich bin nicht allein! Es sind viele die so leben wie ich; sondern vielmehr: O ich Verruchter! ich war unter dem großen Haufen, der nach Gott nichts fraget und den Felsen seines Heils verachtet, der Gräuel mit Gräuel häuft, und bei allem dem frech genug ist, auf Christum zu hoffen.
Sieht man nun vor sich, so findet man es eben so unmöglich, sich selbst zu helfen.
Wie will man für seine Sünden genug thun? Womit will man den beleidigten Gott versöhnen? Womit will man seinen Zorn stillen? Wollte man sich gleich entschließen, durch einen tugendhaften Wandel seine Sünden wieder gut zu machen, so würde doch alles nichts zur Beruhigung des Herzens helfen. Man würde mit etwas zahlen wollen, was man ohnedem schuldig ist. Wer begreift nicht die Ungereimtheit davon? Man würde etwas versprechen, das man doch nicht halten könnte. Oder ist denn wahre Tugend eine Wirkung der Natur? Sind wir denn nicht von uns selbst untüchtig, was Gutes nur zu denken, geschweige denn zu thun? Muß man denn nicht schon ein guter Baum, schon ein begnadigter Christ sein, wenn man gute Früchte bringen will? Das ist ja die Lehre des Evangelii, zu der wir uns bekennen.
Ja, noch mehr! Der Gedanke: ich will Gott durch diese und jene tugendhafte Handlungen befriedigen, ist eine Mißgeburt unsers natürlichen Stolzes und Hochmuths, er ist eine Beleidigung Gottes. Die ewige Majestät wird dadurch der Lügen beschuldiget; denn sie hat bezeuget: daß das Leben in dem Sohn Gottes stehe; und dieser Gedanke sagt: daß es in uns selbst liege.
III.
Woran bist du nun Seele? Wo willst du dich hinwenden? Was willst du anfangen, um dir zu helfen, um deiner Seele Hülfe und Ruhe zu schaffen? Es ist aus mit dir, wenn du bei dir selbst stehen bleibest. Deine Kräfte sind geschwächt, dein Schiff ist gescheitert und du hast gleichsam kein Brett mehr davon, um dein Leben zu retten. Es ist um dich geschehen. Du bist verloren, wenn du nicht etwan mehr Hülfe außer dir finden kannst! So lehrt uns der Heiland denken, wenn Er dem verlornen Sohn die Worte in den Mund legt: Ich will zum Vater gehen!
Zum Vater! O wie ungern thut das der Mensch! o wie viel kostet es nicht, ehe die Seele alle Hoffnung und Vertrauen, so sie außer Gott hat, fahren läßt! Gewiß! Niemand kommt dazu, als der recht gezwungen wird. Man tritt zu seinem Heiland erst alsdann, wenn man alle seine Güter an die Aerzte gewandt und weder Hülfe noch Besserung verspürt hat. Wenn die Noth je langer je größer wird; wenn einem das Verderben recht nahe ist: dann, und nicht eher, kann man das von ganzem Herzen sagen: Ich will zum Vater!
Aber wie? darf denn das verlorne Kind so kommen, wie es ist? Muß es sich nicht erst zu kleiden, nicht erst zu schmücken suchen? Aber woher? möchten wir fragen.
Man muss gerade kommen wie man ist, soll einem anders geholfen werden.
O da liegt man nun vor Gott in seinem Blute, bedeckt, umgeben, beschwert, niedergedrückt unter der Last seiner Sünden. Man hört die Anklage Gottes und seines Gewissens, und gibt ihnen recht. Ich habe gesündiget, das ist unsere ganze Lebensbeschreibung, die wir vor Gott mit beklemmtem Herzen ablegen. Wir haben gesündiget, unrecht gethan und sind gottlos gewesen (Dan. 9,5). Statt auf eigene Gerechtigkeit zu weisen, wie das sonst auch der größten Sünder Brauch ist, sagt man mit David: Siehe an meinen Jammer und Elend (Ps. 25,18). Der Bußfertige spricht selbst das Urtheil über sich: „Ich bin nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße.“ So lange man nicht auf sich selbst bös ist, so lange man sich Gottes Gnade noch wohl würdig und werth schätzet, so lange ist noch keine wahre Buße im Herzen; man ist noch nicht gedemüthiget genug; man ist des göttlichen Trostes noch unfähig. O, wo es mit der Wiederkehr zu Gott rechter Ernst ist, wo es nicht Falschheit oder Heuchelei oder bloße knechtische Furcht ist, da findet sich ein Richten, ein Verurtheilen, ein Verdammen seiner selbst. Man ist gelind gegen andere und hart gegen sich selbst. Man hält sich der geringsten Gnadenbezeugungen ganz und gar unwürdig. So oft der Sünder eine Verheißung hört oder liest, so sagt er bei sich selbst: ich bin derselben unwürdig, unwürdig bin ich, daß der Herr seine Ohren zu mir neige und auf die Stimme meines Flehens merke. Nicht werth bin ich, daß Er sein Gnadenantlitz zu mir kehre, nicht werth, daß mir Jesus meine schwere Sündenlast abnehme und mir seine Versöhnung schenke. Ich bins nicht werth, daß er mir in meinem äußersten Elend die Hände reiche. Ich bin nicht werth, daß er zu mir einkehre. Im Gegentheil hält er sich schuldig des Fluches und des Todes; er erkennet, daß er werth sei, ewig von Gott verstoßen und verworfen zu werden. Er kann es selbst nicht begreifen, daß ihn Gott noch so lange geduldet und getragen. Er glaubt, es geschehe ihm ganz recht, wenn ihn sein Gott in einem Zustand liegen ließe, von dem Er ihn so lang vergebens zurücke gerufen. Er bekennt: es gebühre ihm nichts, als Schmach und Schande; billig, sagt er bei sich selbst, erfüllte Gott die Drohungen seines heiligen Gesetzes, billig Machte Er dich zu einem Adama und richtete dich zu wie Zeboym. Wenn nun selbst vom Gnadenstuhl Feuer ausfahren, und das Blut Jesu, das so lang durch muthwillige und vorsätzliche Sünden mit Füßen getreten worden, wider dich um Rache schreien würde, das wäre deine wohlverdiente Strafe. Wenn er dir ein Wetter zum Lohn geben, und statt Gnade auf dich auszugießen, die Schaalen feuerbrennenden Zorns herabschütten würde, das wäre deine gerechte Belohnung!
Doch bei allem dem wird der Mensch nicht abgeschreckt, Gnade bei dem Herrn zu suchen und zu erwarten. Sein Elend zieht ihn nicht lange weg von Gott, sondern hinzu. Er flieht nicht wie Adam, vor Gott. Nein! er eilt vielmehr mit David zu Gott. Er ruft aus der Tiefe seines Elendes zu Ihm. Er hält sich zwar für unwürdig, etwas zu bitten; doch bittet er, doch hält er an. Er will nicht nachlassen, er will es nicht aufgeben. O wie lärmt er da nicht, wie schreit er da nicht um Segen! Wie oft heißt es da nicht bei ihm: ich kann Ihn nicht lassen, ich will Ihn nicht lassen. Er muß mich segnen; Er wird mir doch noch helfen! Er wird mir noch gnädig seyn! Er wird mich nicht in meinen Sünden sterben lassen. Ich werde Ihm doch noch einmal danken, daß er meines Angesichtes Hilfe und mein Gott ist. Ich müßte Ihn zwar dennoch rechtfertigen, wenn Er es gleich nicht thun würde; aber ich weiß, sein Herz ist anderes Sinnes und seine Barmherzigkeit ist viel zu groß; darauf will ich es wagen. Ich will mich einmal aufmachen, und zu meinem Vater gehen, und will zu Ihm sagen: Vater! ich habe gesündiget im Himmel und vor Dir und bin nicht mehr werth, daß ich dein Sohn heiße. Mache es mit mir, wie du willst, laß mich nur nicht völlig umkommen! nur nicht verderben! nur nicht verloren gehen!
So habt ihr denn gehört, geliebte Freunde! wie es Seelen machen, die gerne, selig würden, wie ein verirrtes und verlornes Schaf sich entschließe zu seinem guten Hirten umzukehren. O daß wir viele von euch beschrieben hätten! O daß ein jedes seine eigene Gestalt an dem Bilde gesehen hätte, welches wir euch eben entworfen! Aber vielleicht glaubt ihr, ihr habet das nicht nothwendig! Wie? Ihr habt nicht vonnöthen dergleichen Entschlüsse zu saßen? habt ihr euch denn nicht auch durch die Sünde von eurem guten Gott verloren? Ist euer Herz nicht auch von Ihm abgewichen? Mangelt ihr denn nicht auch des Ruhms, den ihr vor Gott haben solltet. Seid ihr denn von Natur im Stande der Gnade? Seid ihr von Natur Kinder Gottes? O prüfet euch! O erforschet euch! Ihr habt nothwendig, euch zu Gott zu wenden! Ihr müßt dahin sehen, daß Jesu Verdienst euren armen Seelen zugeeignet werde, daß euch eure Sünden vorgeben werden, daß euch die fleischliche Sicherheit benommen, und der Friede des Geistes Gottes geschenkt werde.
Aber trachtet man auch darnach? Wo sind die, die mit dem verlornen Sohn sagen: ich will mich aufmachen; ich will nicht so bleiben, wie ich bis jetzt war, nicht in der Ferne von Gott bleiben; ich will zum Vater! O seltene Entschlüsse! O viel verlorne! aber wenig umkehrende Menschen! Man hört im Gegentheil Entschlüsse von einigen unter euch, darüber eine jede gottliebende Seele bitterlich weinen möchte. Ist's nicht wahr? heißt es nicht bei vielen: wir wollen nicht anders werden. Bekehrung, Buße, Glauben, Rechtfertigung, sind Träume einfältiger Leute. Wir wollen uns darum nichts bekümmern. Man muß Gott walten lassen. Wir gehen doch nicht verloren. Wenn Gott alle Menschen verstoßen wollte, die nicht bekehrt sind, bekäme er wenig in den Himmel! Unsere Altväter haben davon nichts gewußt! und sind doch selig geworden; und was dergleichen gottlose Reden mehr sind.
Wohl recht hat euch der Urheber des Buchs der Weisheit beschrieben, wenn er Leute also redend einführet: Was wir nur thun können, das soll recht seyn; denn wer nicht thun kann, was ihm gelüstet, der gilt nichts. So lasset uns nun auf den Gerechten lauern, denn er macht uns viel Unlust, und setzt sich wider unser Thun, und schilt uns, daß wir wider das Gesetz sündigen, und rufet aus unser Wesen für Sünde. In Schmach und Qual wollen wir ihn stecken. Aber! o ihr Elende! auch euch gilt, was daselbst im 21. V. stehet: Solches schlagen sie an, und fehlen: ihre Bosheit hat sie verblendet.
Noch einmal! o erschreckliche Entschlüsse! unsinniges Vorhaben! Nicht anders werden wollen? Sich nicht bekehren wollen, wo man noch unbekehrt ist? Ein Feind Gottes seyn? (Ephes. 2. Röm. 8,7) und nicht aufhören wollen es zu seyn? Sünde thun? An den Sünden noch seine Lust und Wohlgefallen haben, und folglich nach dem Ausspruch der Schrift selbst, vom Teufel seyn? (1. Joh. 3) und doch nicht anders werden wollen? Dem heiligen Geist allezeit widerstrebt haben, und nicht einmal anders werden wollen? Können sich Menschen so weit vergehen? Können Leute, die da wollen Christen heißen, die Sprache eines so verstockten Sinnes reden?
Sieht es gleich bei einigen besser aus: ach! so gibt es dennoch sehr wenige, die einen solchen Entschluß fassen, wie der verlorne Sohn. Bespricht man sich nicht mit Fleisch und Blut? Schiebt man nicht seine Bekehrung von einem Tag zum andern auf? Scheut man sich nicht noch immer vor den Schwierigkeiten des schmalen Weges? Wo gesteht man recht sein Elend und Unvermögen? Wo braucht man die von Gott vorgeschriebenen Mittel und Wege, eine wahre Sinnesänderung an seinem Herzen zu erfahren? Wer will in die Gnadenordnung treten? Wer machte sich mit ganzem Ernst auf, um zum Vater zu gehen? Es scheint, es sei dem armen Menschen noch wohl ohne Gott. O Sünder! wirst du dich nicht aufmachen, deinem Erbarmer zu begegnen, weil du noch in der Gnadenzeit lebest, so wird Er einmal dir begegnen; aber so, wie du es nicht wünschen wirst. Er wird kommen und nicht schweigen; fressend Feuer wird vor Ihm hergehen, und um Ihn her ein großes Wetter (Ps. 50,3). Er wird kommen mit Feuer und seine Wege wie ein Wetter: daß Er vergelte im Grimm seines Zorns, und sein Schelten in Feuerflammen (Es. 66,15). Kommen wird Er mit Feuerflammen, Rache zu geben über die, so Gott nicht erkennen, und über die, so nicht gehorsam sind dem Evangelio unsers Herrn Jesu Christi (2. Thess. 1,8).
Will mans hier nicht erkennen, daß man für sich selbst im Gericht Gottes nicht bestehen könne, daß man viel zu ohnmächtig sei sich selbst zu helfen: ich meine wohl, alsdann wird man es erfahren müssen. Alsdann, wenn sein Zorn entbrannt ist und kein Retten mehr da sein wird!
Wollte man hier nicht bußfertig seufzen: „Ich habe gesündiget“! O so wird Er es dann dereinst dem Halsstarrigen zu seiner ewigen Verzweiflung sagen: Du hast gesündiget, du bist ein Rebell von Rebellen! Ich habe dir zwar aus großer Liebe den Weg zur Seligkeit wieder gebahnet; aber du wolltest ihn nicht gehen. Ich bin das Heil gewesen, bis an der Welt Ende; aber du wolltest mich nicht annehmen. Meine Gnadengeschenke, meine Gnadenmittel, mein Wort, mein Geist, alles ist von dir verworfen worden. Du hast gesündiget und dich nie darüber geschämt, gesündiget und nie Buße gethan. Alsdann würdest du vielleicht gewonnen geben; ja du wirst mit Beben sagen: Ich habe gesündiget! Aber es wird zu spät sein! Du kannst Gnade suchen und nicht finden! Wie jammert ihr mich, geliebte Freunde! Soll euer mühseliges Leben sich in lauter Mühe endigen? Wollt ihr denn nicht lieber selig werden? Wollt ihr denn nicht lieber die Wege des Verderbens meiden? Wollt ihr euch nicht lieber ein bußfertiges, ein gläubiges Herz schenken lassen? Wollt ihr euch nicht lieber mit dem verlornen Sohn aufmachen? weinend und betend euern Heiland suchen? Braucht's noch Bedenkzeit, euch hier zu entschließen? Ach! daß weiter kein unbußfertiges Herz unter euch sein möchte! Ach daß ein jedes, so bis jetzt noch ohne Gott in dieser Welt gelebt hat, mit dem seligen Vorsatz nach Hause gehen möchte: Ich will mich aufmachen. O theuer erkaufte Seelen! Ach ja! machet euch auf! Eilet aus dem Sodoma eurer Lüste und Begierden. Gehet aus, aus dem geistlichen Egypten, aus der Knechtschaft des leidigen Satans! O laßt euch helfen! helfen von euerm Leichtsinn! helfen von eurer Unbußfertigkeit! helfen von euerm Unglauben! Fragst du: wie wird mir denn geholfen? So antworte ich, es kann dir nicht geholfen werden, wenn du nicht mit einem wahren Ernst an dein Heil denkest. Nur dann und wann, so etwan zur gelegenen Zeit, sich mit Gott beschäftigen, auf eine laue, träge Art sich zu seinem Angesicht wenden: das ist zwar der Welt Brauch; aber damit kommt man nirgends hin. Im Traum, im Schlaf wird man des Heils in Christo gewiß nicht theilhaftig. Dein Herz muß sich in ernstliche Beschäftigungen einlassen. Es muß dir die Wichtigkeit, die unendliche Wichtigkeit, deine Seele, zu erretten, recht vor Augen schweben. Es muß das dein Hauptgeschäft werden; das einzige Trachten, dessen sich deine Seele bewußt ist. Du mußt in deinem unwiedergebornen Zustande weder Ruhe noch Frieden haben. Fragst du wieder: wie komme ich dazu? so antworte ich dir: bitte Gott darum, daß Er dein Herz aufwecke. Er kann es thun, Er hat es schon an vielen gethan und wird es auch an dir thun.
1) Wann du dahin gekommen bist, daß dein Herz erschrocken, die Lust der Sünden dir vergällt worden, daß dir nun bange ist wegen deiner Missethaten, und du wegen der Menge und Größe derselben nicht weißt weder aus noch an; o dann fange es ja nicht auf deine eigene Kräfte an; wer mit Werken umgeht, der ist unter dem Fluch, wer da suchet eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten, der gefällt Gott nicht.
2) Bekenne es deinem Heiland, sage es Ihm frei heraus, wie es mit dir stehe, klage dich selbst in seinem Gericht an und berufe dich auf seine freie Gnade. Sage ihm mit Wehmuth und Thränen: Schau her, hier liege ich Armer, der Zorn verdienet hat! Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnade!
Nun meine werthesten Freunde! wollt ihr umkehrende Sünder werden? wollt ihr euch in der Kraft des Herrn aufmachen und zum Vater gehen? Ach, Er ziehe Euch selbst! Er gebe das Wollen und das Vollbringen. Amen!