Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 14. Betrachtung

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Kolosser in 36 Betrachtungen - 14. Betrachtung

Was der Apostel im Allgemeinen gesagt hat Kap. 1,29., er arbeite und kämpfe für das große Ziel, einen jeglichen Menschen vollkommen in Christo darzustellen, das wendet er nun insbesondere auf sein Verhältnis zu den Kolossern an. Er erinnert sie an seine Sorge und an seinen Kampf für ihre Befestigung in der Erkenntnis Jesu Christi. „Denn spricht er ihr sollt wissen, welch großen Kampf ich für euch habe.“ Dies „Denn“ gibt ihnen das nähere Verständnis des zuvor Gesagten; es ist die Erklärung, dass er zwar für alle Christen kämpfe, aber für alle übrigen nicht so sehr, als für sie, die er persönlich nicht kenne, und für die er eben deshalb um so mehr besorgt sei, da er sie in so großer Gefahr wisse. Hören wir seine Worte.

Kap. 2, 1-3: Denn ihr sollt wissen, welch einen Kampf ich habe um euch und um die zu Laodicea und alle, die meine Person im Fleisch nicht gesehen haben, auf dass ihre Herzen ermahnt und zusammengefasst werden in der Liebe, und zu allem Reichtum des gewissen Verstandes, zu erkennen das Geheimnis Gottes, in welchem Geheimnisse verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.

Wie eine Henne ihre Küchlein unter die Flügel nimmt, wenn der Habicht sichtbar wird, so sucht der treue Paulus die Christen zu schützen wider die Irrlehrer. Unser Text zeigt uns, was uns Schutz wider die Irrlehre gewährt. Das tut: der Gebetskampf, der zur Festigkeit, die Festigkeit, die zur Einigkeit, die Einigkeit, die zum Verständnis, das Verständnis, das zur Erkenntnis, die Erkenntnis, die zur Treue gegen Christum führt.

„Ihr sollt wissen, welch einen Kampf ich für euch habe.“ Es scheint, als wolle Paulus sich rühmen, gegen die Regel Spr. 27,2: „Lass dich einen andern loben, und nicht deinen eigenen Mund.“ Es ist aber ein ganz anderes, wenn ein Christ, als wenn ein Kind der Welt sich rühmt. Dort ist der Ruhm nicht eine Frucht des Fleisches, sondern eine Frucht des Geistes, wie Paulus sagt Röm. 15,17: „Ich kann mich rühmen in Christo Jesu.“ Der Apostel will sein Vertrauen bei den Kolossern stärken, indem er ihnen sagt, welchen Anteil er an ihnen nehme, wie er um sie kämpfe, für sie bete, das mit er dadurch ihre Herzen befestigen und ihnen einen kräftigen Antrieb zur Treue geben möge. In diesem Sinn und Geiste spricht er: „Ihr sollt wissen, welch großen Kampf ich für euch habe.“ Was war das für ein Kampf? Ein Kampf in Bekümmernis und in Gebet. Es musste ihn ja freilich tief bekümmern, da er hörte, dass falsche Propheten in der Gemeinde aufgestanden wären, die den Lauf des Evangelii zu hemmen und das Werk Gottes zu zerstören suchten, dadurch, dass sie die Christen von dem Evangelio abführten zu den Satzungen Mosts, dass sie Christi Würde verkleinerten, und allerlei törichte Fragen aufbrachten, die nichts nützen zur Besserung. Das bekümmerte den Apostel tief, und erfüllte ihn mit bangen Sorgen. Hätte er noch hineilen können nach Kolossä, wie einst Luther von der Wartburg hineilte nach Wittenberg! Aber Hand und Fuß waren ihm gebunden, er schmachtete im Kerker. Seine Sorge war um so größer, da sie seine Person im Fleisch, das ist, sein leibliches Angesicht nicht gesehen hatten. Sie kannten zwar sein geistliches Angesicht, denn was in ihm war, sein Glaube, seine Liebe, seine Hoffnung, das war ihnen wohlbekannt; aber seine Stimme hatten sie nicht vernommen, ins Angesicht hatten sie ihm nicht geblickt. Nun sollte man zwar denken, dass ihm die, unter denen er gewandelt hatte, weit mehr hätten am Herzen liegen müssen, als die, welche er persönlich nicht kannte. Aber das war umgekehrt. Wen man liebt, wie ein Bräutigam die Braut, dessen Gefahr nimmt Riesengröße an, wenn man sie bloß aus der Ferne sieht. Und auch sie ihrerseits, wenn sie mit dem Apostel umgegangen wären, hätten in der Erinnerung an seine Gestalt, an seine Miene, an seinen Blick, an sein lebendiges Wort, in ihrer Gefahr eine kräftige Stütze gehabt, die jetzt ihnen fehlte. Daher sein großer Kampf der Bekümmernis, der Sorge, des Gebets. Tag und Nacht lag er Gott gleichsam in den Ohren, und kämpfte mit ihm, dass er sich der Christen erbarmte. Dadurch wurde sein Kampf erst recht ein Kampf für sie. Denn wir wissen, wie viel das Gebet für andere vermag, wenn es ernstlich ist. Paulus selbst sagt 2 Kor. 1,11: „Wir hoffen, er werde uns auch hinfort erlösen durch die Hilfe eurer Fürbitte für uns.“ Betet nur, wenn ihr in Gefahr steht, betet selbst und lasst für euch beten, so werdet ihr erfahren, welcher Schild das Gebet ist wider die Gefahr.

Warum betet Paulus für die Christen in Phrygien? „Dass ihre Herzen ermahnt oder befestigt werden.“ Zwar nennt der Apostel die Kolosser „gläubige und heilige Brüder“ (Kap. 1. V. 2.); aber sie standen gleich wohl in Gefahr abzufallen, und die Christen zu Laodicea wurden wirklich lau (Offenb. 3.). Wer weiß nicht, ein wie schwaches Ding das menschliche Herz ist, und wie leicht es fallen kann, wenn es auf den schlüpfrigen Weg der Versuchung tritt! Schon mancher hat am Glauben Schiffbruch gelitten, der einst mit vollen Segeln fuhr. Darum nun geht das Sorgen, Wachen und Beten des Apostels dahin, dass der Herr der Christen Herzen gewiss machen und ihnen Kraft zur Beständigkeit verleihen möge.

Wanken die Herzen der einzelnen Christen, so wankt das ganze Gebäude, worin sie wie Bausteine zusammengefügt sind. Sind aber die Herzen fest, so wird damit auch das Band fester, das sie verknüpft, und dieser feste Zusammenhang, diese Einigkeit der Christen ist ein zweiter Schutz wider die Gefahr des Abfalls. Darum betet Paulus, nicht nur, dass ihre Herzen befestigt werden, sondern auch, dass sie zusammengefasst, das ist, eng verbunden sein und bleiben möchten in der Liebe. Verbunden, wie am menschlichen Körper die Glieder verbunden sind zu einem wohlzusammenhängenden Ganzen. Eben das meint der Apostel, dass wir sollen alle Ein Leib sein, dessen Haupt Jesus Christus ist, alle Ein Herz und Eine Seele, und also gewaffnet stehen wider den Feind, Einer für Alle und Alle für Einen. Und er nennt uns auch das Bindungsmittel, welches die Liebe ist. Denn was die Nerven am menschlichen Körper sind, dessen Glieder sie verknüpfen, das ist die Liebe am geistlichen Leibe Jesu Christi, daher sie auch das Band des Friedens heißet und das Band der Vollkommenheit (Eph. 4.). Wo diese Liebe, folglich auch der rechte Zusammenhang, die rechte Einigkeit in der Gemeinde fehlt, da ist den Verführern Tür und Tor geöffnet. Denn da ist der Einzelne sich selbst überlassen, hat keine Stütze, keinen Anhalt in der Gemeinde, und wird so mit leichter Mühe geblendet und verführt von den falschen Propheten. Da ist Zank und Streit, die Leute beißen, fressen und verzehren sich unter einander (Gal. 5.). Es kann nichts Gutes erfolgen, wo die Einigkeit fehlt; ein jegliches Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das wird wüste, und ein Haus fällt über das andere (Luk. 11.). Wo aber die Liebe alle mit einander verknüpft, da ist einerlei Rede und die Leute lassen nicht Spaltungen unter sich sein, sondern halten fest an einander, in einem Sinn und in einerlei Meinung (1 Kor. 1,10.). Wo Schwache und Irrende sind, da führt die Liebe sie wieder zurecht, und lässt es sich angelegen sein, die Finsternis zu vertreiben, und das Licht der evangelischen Wahrheit immer heller leuchten zu lassen. Einer öffnet dem andern das Verständnis der Schrift, der Gatte seiner Gattin, der Vater seinen Kindern, der Nachbar seinem Nachbarn, der Lehrer seinen Schülern, der Seelsorger seiner Gemeinde rc. und wo es so steht, wie soll da der Krebs der Irrlehre um sich greifen? Ach, es stände weit besser um unsere Gemeinden, und die Wölfe würden nicht so viele Schafe fressen, wenn nicht das Gemeindeband so lose unter uns geworden wäre, dass alle vereinzelt stehen und von einer gliedlichen Gemeinschaft kaum die Rede sein kann! Daher auch so wenig Verständnis des Evangeliums, das doch ebenfalls ein unentbehrlicher Schild ist wider die Anläufe der falschen Propheten.

Darum kämpft auch Paulus und betet, dass die Christen eng verbunden sein mögen in der Liebe, damit sie in dieser Verbundenheit zu allem Reichtum des gewissen Verstandes gelangen. Was bedeutet das Verständnis, wovon der Apostel redet? Es ist das Eingehen und immer tiefere Eindringen in die Tiefen des Evangeliums, und die dadurch herbeigeführte, immer wachsende Festigkeit der Überzeugung. Welchen Reichtum, oder wie der Apostel diesen Reichtum bald nachher näher bezeichnet, welche Schätze der Weisheit und Erkenntnis bietet uns das Evangelium dar! Wenn ihr bloß denken wollet an die Schätze der Erkenntnis, die in dieser Epistel Pauli an die Kolosser uns geboten werden: müssen wir sie nicht reiche Schätze nennen? Nun nehmt noch hinzu alle übrigen Briefe Pauli, nehmt zu diesen die Schriften der andern Apostel, nehmt zum neuen Testament alles, was Moses und die Propheten geredet haben: ist das nicht viel, ist das nicht eine außerordentliche Fülle von Weisheit und Erkenntnis? Aber was hilft der Schatz, wenn wir ihn nicht kennen und zu schätzen wissen? Darum will der Apostel, dass wir, jeder für sich, und alle vereint, Hand ans Werk legen sollen, um zu verstehen, was uns im Evangelio geboten ist, und durch das Verständnis es gewissermaßen in Blut und Saft zu verwandeln. Denn erst was ich verstanden habe, das ist mein; unverstanden ist es eine Speise, die noch genossen, verdaut, verwandelt werden muss, ehe ich sie mein Fleisch und Blut nennen kann? Nun sagt, wächst mit dem Verständnis der Schrift nicht auch unsere Gewissheit und Überzeugung? Ja, wahrhaftig, ich merke, dass, während mir das Verständnis selbst nur von zwei oder drei Versen unserer Epistel aufgeht, das durch schon meine Freude am Worte Gottes und meine Überzeugung von der Wahrheit desselben wächst. Je weiter ich komme mit meinem Verständnis, desto mehr schäme ich mich meiner früheren Unbekanntschaft mit dem Evangelium, desto eifriger dringe ich in dem Verständnis weiter vor, desto größer wird meine Freude an dem Wort, desto entschiedener meine Abneigung gegen alles, was diesem Worte widerstreitet, desto fester mein Entschluss, im Glauben an dies Wort zu verharren bis an meinen Gott wird's geben seligen Tod. Eben darum nun müssen wir das Verständnis einen Schild und Schutz wider die Irrlehre nennen. Lernt das Geheimnis Gottes, lernt das Evangelium verstehen; ihr gewinnt dadurch einen Schatz der Erkenntnis, gegen den alle Weisheit der Welt wie Rechenpfennige ist, und eine Festigkeit der Überzeugung, die wie ein Fels im Meere allen Stürmen und Wogen der Irrlehre trotzt. Warum wird es so leicht, die Leute für eine neue Lehre zu gewinnen? Weil ihnen das Evangelium verschlossen ist. Die Unkenntnis der Schrift ist in unsern Tagen so erschrecklich groß, dass man sich darüber wundern muss, dass nicht in jeder Gemeinde Hunderte schon abgefallen sind zu einer der neuen Irrlehren, wovon die Welt so voll ist. Darum tut nichts mehr not, als dass wir uns und andere waffnen mit dem rechten Verständnis des Evangeliums.

Aber das Verständnis ist noch nicht das Höchste und Letzte. Es steht darüber noch die Erkenntnis. Das Verständnis, sagt Paulus, soll führen „zur Erkenntnis des Geheimnisses Gottes, in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“ Worin sind denn Verständnis und Erkenntnis verschieden? In gewissem Betrachte sind sie Eins; denn das Verständnis ist zugleich eine Erkenntnis, und die Erkenntnis zugleich ein Verständnis. Aber das ist der Unterschied: wenn das Evangelium ein großer Wald von Obstbäumen wäre, so geht das Verständnis von Baum zu Baum, betrachtet sie, isst von ihrer Frucht und freut sich ihrer; die Erkenntnis aber steht auf einem Hügel und steht, wie alle diese Bäume vereinigt sind zu Einem herrlichen Walde, angelegt von Gott und der Hand seiner Gnade und Weisheit. So erfasst und versammelt das Verständnis das Einzelne, die Erkenntnis aber erfasst das Ganze, und freut sich, wenn sie sieht, wie das Geheimnis Gottes eine goldene Kette sei, darin ein Ring an dem andern hängt. Die Erkenntnis macht Katechismen, Glaubenslehren und andere schöne Bücher, darin man die Geschichte und Ordnung des Reiches Gottes liest und die Artikel des Glaubens zusammengereiht sieht, wie Perlen an einem Halsband. Da erkennt man denn vollends, dass alle Weisheit dieser Welt eine Torheit ist, wenn man sie hält an die Weisheit des Evangeliums, und dass in diesem Evangelium nichts fehlt von alle dem, das man glauben und wissen muss, um selig zu werden. Darum auch der Apostel sagt, dass in dem Geheimnis verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. Das Geheimnis bedeutet auch hier, wie Kap. 1,26 und 27 den in Christo offenbar gewordenen Rat Gottes zu unserer Seligkeit, wie ihn das Evangelium uns zeigt. In diesem Evangelium nun oder auch in Christo, in welchem die heilsame Gnade Gottes erschienen ist, finden wir Menschen alles, was uns not tut an Weisheit und Erkenntnis.

Die Erkenntnis geht auf das Glauben, die Weisheit auf das Tun; also will der Apostel sagen, dass man alles, was man irgend zu glauben und zu tun hat, um selig zu werden, in Christo und in seinem Evangelium beisammen hat. Das sagt er wider die Irrlehrer zu Kolossä, die zu dem Evangelium noch die Satzungen des Gesetzes und allerlei Weisheit ihrer verkehrten törichten Spekulation hinzutaten und als zur Seligfeit nötig priesen. Das ist Lüge und Wahn! Man soll seine Seligkeit in Christo suchen, und in ihm allein. Es ist ein Unglück, dass die wenigsten Menschen die rechte Quelle der wahren Weisheit kennen, sondern dass man sich hie und da Brunnen macht, die löcherig sind und kein Wasser geben. Jesus Christus ist uns von Gott gemacht zur Weisheit (1 Kor. 1,30.), darum Ihn erkennen das ewige Leben ist (Joh. 17.). Bei Ihm findet man alle Schätze. Es kommt keine Zeit, wo eine Wahrheit gefunden würde, die umfassender, höher und herrlicher wäre, als die wir in Christo haben. Man kommt wohl näher an das Evangelium hinan, aber über das Evangelium hinaus kommt man nicht. Alles, was der Geist zu allen Zeiten offenbart, nimmt er von dem, was Christi ist (Joh. 16,15.). Forsche in dem Geheimnis Gottes, es gleicht dem Monde, von dem jemand sagt: Je mehr man eine und dieselbe Stelle betrachtet, desto mehr entdecket man. Paulus nennt die Weisheit und Erkenntnis Schätze, nicht nur wegen ihrer Herrlichkeit und ihrer Fülle und Mannigfaltigkeit, sondern vornehmlich auch darum, dass er uns ermuntern will, diese Schätze mit allem Fleiß zu suchen und ans Licht zu bringen. Es liegt in der Natur eines Schatzes, dass er verborgen ist. Auch die evangelische Wahrheit ist ein Schatz im Acker. Die Klugen und Weisen dieser Welt finden ihn nicht (Matth. 11.), und der Ungläubigen Sinne sind verblendet, dass sie nicht sehen das helle Licht des Evangeli (2 Kor. 4.); aber den Unmündigen und Nathanaelsseelen, in denen kein Falsch ist, offenbart es Gott. Darum lasst uns mit einfältigem Herzen und mit Gebet nach den herrlichen Schätzen der Erkenntnis streben, damit ein helles Licht der Erkenntnis in uns angezündet werde, und wir inne werden, dass Christus, was das Heil der Seele betrifft, uns alles in allem ist. Solche Erkenntnis ist der herrlichste Schutz und Schild wider alle Verführung durch Irrlehre. Sie erfüllt uns mit Freude über das, was wir haben, und versiegelt in uns den Entschluss, dass, wie viele auch abfallen von dem alten Evangelium, wir doch treu daran halten wollen bis an unser Ende.

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autoren/k/kaehler_c/kaehler_kolosserbrief_14_betrachtung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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