Hofacker, Ludwig - V. Am Grabe eines gläubigen Gatten und Vaters.
Wir stehen an dem Grabe eines Mannes, von dem wir mit Zuversicht glauben dürfen, daß er zum Genusse des unvergänglichen Erbes gelangt sey, daß Christus Denen bereitet hat, die Ihn lieb haben. Nicht sage ich solches um seines rechtschaffenen und christlichen Wandels willen, von welchem Alle Zeugniß geben, die ihn gekannt haben; ich sage es auch nicht, weil er von so vielen Menschen geliebt wurde und nun betrauert wird; auch nicht um seines friedlichen, stillen und demüthigen Geistes willen; auch nicht deßwegen, weil er den Seinigen als Gatte, Vater, Bruder und Freund so viel war; oder um seiner andern guten Eigenschaften willen, wofür das tiefe Trauern der verschiedenen Kreise, aus welchen er getreten ist, lauter und mehr spricht, als ich in dieser Hinsicht sagen könnte. Um seiner Werke, seines Lebens und Wandels willen sage ich nicht, daß er nun selig sey, sondern ich sage es deßwegen, weil er als ein armer, fluch- und verdammungswürdiger Sünder Gnade bey dem HErrn gesucht und auch gefunden hat. Dieß ist der Grund, und zwar der einzige Grund, warum wir glauben dürfen, daß unser entschlafener Mitbruder zu seines HErrn Freude eingegangen sey, und was er hier geglaubt, dort nun schauen werde.
Es mag sich für Christen nicht ziemen, die Todten, die in dem HErrn gestorben sind, an ihren Gräbern ihrer Tugend halben zu loben. Denn was wir an ihnen Gutes gefunden und genossen haben, das ist ja nicht ihnen und ihrer Kraft zuzuschreiben, sondern einzig der Gnade JEsu Christi, die in den Schwachen mächtig ist, und sich dadurch verherrlicht, daß sie gerade das Elendeste, das Verirrteste, das Unwürdigste, ja, das da Nichts ist, suchet und erwählet, und die Gefäße des Zornes zurichtet zu Gefäßen der Barmherzigkeit, auf daß sich vor dem HErrn kein Fleisch rühme. Dem HErrn allein, nur Ihm gebühret für alles Gute, für alle Tugenden Seiner Erlöseten die Ehre, und wir würden den Sinn unseres heimgegangenen Mitbruders nicht treffen, wenn wir nicht alle Ehre dem HErrn allein geben würden.
Aber doch gibt es einen Ruhm, der nicht von unserem entschlafenen Mitbruder genommen werden soll, worüber wir freilich auch allein dem HErrn zu danken haben, den aber unser heimgegangener Freund auch vor dem Throne Gottes nicht von sich ablehnen würde – ich meine den Ruhm, daß er durch den Glauben Barmherzigkeit gefunden hat im Blute des Lammes. Aller andere Ruhm – o! wie schwindet er zusammen, wie wird er zu Nichts, zu gar Nichts vor dem Lichte Dessen, der allein heilig ist, und vor Dem nichts gilt als ein durch das Blut Christi gewaschenes und helle gemachtes Kleid! Aber dieser Ruhm bleibet, dieser hält aus, auch mitten im Thale des Todes, auch bis vor das Angesicht des allwissenden Richters, ja bis in die ewigen Ewigkeiten hinein, und dieser Ruhm soll als die Beilage unseres entschlafenen Freundes nicht von ihm genommen werden.
Er wußte, woran er war, wußte, wer seine Sünden getragen hatte, und er wußte es nicht nur, sondern er erfuhr auch die Kraft davon an seinem eigenen Herzen, und diese Kraft zeigte sich wirksam durch seine Freudigkeit im Tode, durch seine Sehnsucht, den HErrn JEsum, der Sein Leben für ihn in den Tod gegeben, persönlich von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Er hatte durch die Gnade des HErrn die lebendige Versicherung in sich, daß sein Name in dem Himmel angeschrieben, und um des Verdienstes JEsu Christi willen in das Buch des Lebens eingezeichnet sey, und er sehnete sich darum Tag und Nacht, heimzukommen zu dem HErrn, und einzugehen zu den Thoren der neuen Stadt, in welcher Gerechtigkeit wohnt, wo kein Leid und kein Geschrey und kein Schmerz mehr ist, wo das Lamm selbst die Seinen waidet und leitet zu den lebendigen Wasserbrunnen.
Meine Brüder! es ist noch nicht erschienen, was die Erlöseten des HErrn JEsu sind. „Wir wissen aber, daß wenn es erscheinen wird, sie Ihm gleich seyn werden, denn sie werden Ihn sehen, wie Er ist.“ Das Leben der Christen ist noch verborgen mit Christo in Gott; sie stehen noch in der Gemeinschaft des Kreuzes Christi; sie tragen noch den Leib der Sünde und des Todes an sich, und ihr göttliches Leben ist mit der Hülle eines schwachen und verweslichen Fleisches umgeben. Wie Christus in der Welt war, so sind auch sie in der Welt; - die Welt kennet sie nicht, sie müssen noch hören das Geschrey der Dränger und derer, die Unrecht thun; sie müssen noch sehen die Thränen derer, die Unrecht leiden und keinen Tröster haben (Prediger 4,1.). Darum sehnen sie sich heraus aus dem Dienste des vergänglichen Wesens, heraus aus dem Leibe des Todes und dem fremden Lande, wo sie durch so manchen schweren Stand durchgehen müssen, und warten auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes und ihres Heilandes JEsu Christi; denn sie sind wohl selig, doch in der Hoffnung.
Wenn nun aber Christus, ihr Leben, sich offenbaren wird, dann wird es gar anders seyn, dann werden sie auch offenbar werden mit Ihm in der Herrlichkeit. Wenn alles Auge Ihn sehen, und jede Zunge wird bekennen müssen, daß JEsus der HErr sey, dann wird auch die Herrlichkeit der Kinder Gottes hervorbrechen wie der Glanz der Morgenröthe, und Er wird ihre Namen bekennen vor Seinem Vater und Seinen heiligen Engeln.
O! welche Freud’ und welche Wonne!
Welch’ unaussprechlich heller Schein
Von aller Himmel Himmel Sonne (Offenb. 21,23.)
Wird über ihrem Haupte seyn,
Wenn sie das neue Lied mitsingen,
Wo Gott sich offenbart,
Und Ruhm und Preis und Ehre bringen,
Dem Lamme, das geschlachtet ward!
Zu dieser Herrlichkeit sind Sünder berufen, und gelangen alle die, welche im Glauben an die Erlösung, so durch Christum JEsum geschehen ist, Vergebung und von Ihm die Macht erlangt haben, Gottes Kinder zu heißen. Wer könnte aber die Alles übersteigende Größe ihrer Seligkeit jetzt auch nur ahnen und beschreiben? Wer unter uns, wenn wir das herrliche Loos unseres heimgegangenen Mitbruders als einen Uebergang zu den ersten Anfängen der Seligkeit ansehen, die mit der Erscheinung des HErrn erst in vollem Glanze offenbar werden wird, wer möchte ihm nicht Glück wünschen?
Freilich fordert die Natur ihre Rechte. Aber wie schwer und wie schmerzhaft es den Herzen der Hinterbliebenen fallen mag, ihren geliebten Gatten, Vater, Bruder und Freund nicht mehr in ihrer Mitte zu sehen, so wird doch das ein fester und gewisser Trost für die seyn, daß ihr Entschlafener daheim ist bey dem HErrn, und ruhet von seiner Arbeit. Ja, und wenn ihr es euch nun desto angelegener seyn lasset, theure Hinterbliebene, euren eigenen Beruf und Erwählung fest zu machen, und darnach zu trachten, daß es auch euch einst vergönnt werde, nach dieser Zeit Leiden das Erbe zu empfahen, das euch bereitet ist; wenn ihr euch durch diesen Heimgang eures theuren Entschlafenen desto fester zu dem Heiland, dem ungesehenen, aber gewissen Freund, hinziehen lasset, so ist ja im Grunde die Gemeinschaft zwischen euch und eurem Entschlafenen durch sein Abscheiden nur gar nicht aufgehoben. Ihr lebet mit ihm dem Einen HErrn, in demselbigen Reiche, dessen Oberhaupt und König JEsus ist, in derselbigen Liebe und für dieselbige Sache.
Zwar er wird in der himmlischen Stadt, in die er eingegangen ist, nicht mehr geprüft – denn sein Glaubenslauf ist vollendet – aber auf euch und uns Alle möchte noch manche Prüfung warten. Wie könnte es auch anders seyn? Christus gieng ja selbst auch auf dem Wege des Kreuzes in Seine Herrlichkeit, und es ist Ordnung Gottes, daß wir nur durch viel Trübsal können in das Reich Gottes eingehen. Doch wenn wir nur laufen durch Geduld in dem Kampfe, der uns verordnet ist, und uns nicht müde machen lassen, so werden auch wir durch die Kraft Gottes überwinden, und zuletzt dem HErrn danken, der unseres Angesichtes Hülfe und unser Gott ist, und Sich an uns, wie an unserem Entschlafenen, als Den beweisen wird, der getreu ist und viel mehr thut, als wir bitten und verstehen.
O Du wahrer, lebendiger und getreuer HErr und Gott, JEsus Christus, wir danken Dir für alle Treue und Barmherzigkeit, die Du bisher durch unsern Vollendeten an uns gethan hast, und bekennen Dir, daß wir derselben viel zu gering sind. Habe Dank für Deine Geduld und Gnade, und für alle die unzähligen Wohlthaten an Seele und Leib, womit Du Dich an uns in der bisherigen sichtbaren Gemeinschaft mit ihm verherrlichtest. Habe Dank für Alles, was Du dem Entschlafenen während seines Pilgerlaufes erwiesen hast, besonders dafür, daß Du seinen Geist zu Dir gezogen und so zubereitet hast, daß er mit Glaubensfreudigkeit der Auflösung seines Leibes entgegen sah, und wir mit Grund glauben dürfen, er werde jetzt daheim seyn bey Dir. Vollführe nun an ihm und an uns Allen Deine ewigen Liebesabsichten. Bewahre auch uns unsere Stätte in dem himmlischen Vaterlande, wie Du sie unserem entschlafenen Mitbruder bewahrt, und noch in seinen letzten Stunden zugesichert hast.
Tröste die Hinterbliebenen mit Deinem Troste, lasse sie durch Deine göttliche Liebe, und durch das Trachten nach der Gerechtigkeit, die von oben ist, immer näher und inniger mit einander verbunden werden, damit sie einander treulich zur Seite stehen in ihrem Laufe durch diese Zeit, und sich wechselseitig fördern auf dem Wege zur Seligkeit. Du trägst uns Alle in Deinem hohenpriesterlichen Herzen, darum hilf uns, und bewahre uns zur Seligkeit durch Deine Gottesmacht, damit wir einst, wie der Entschlafene, unsere Seelen in Deine Hände übergeben, und zum Anschauen der Herrlichkeit, die in Dir ist, gelangen.
O wer wird wissen, wie ihm da geschieht,
Wenn man Dich endlich von Nahem sieht,
So wie Du bist!
O wie wird’s so wohl thun, an Deinen Wunden
Von unsern jetz’gen Arbeitsstunden
Sanft auszuruh’n!
Und welch’ Lobgetöne wird dann erschallen,
Wenn Dir von Deinen Erlösten allen
Gesungen wird:
Lamm, für uns geschlachtet, nimm Preis und Ehre,
Und Lob und Dank, durch viele tausend Chöre,
Denn Du bist’s werth!
Alles sage Amen, den HErrn zu loben,
Hier auf der Erd’, und im Himmel droben,
Was Odem hat.
Amen!