Newton, John Henry - Von der freien Gnade.

Newton, John Henry - Von der freien Gnade.

Daß der Richter aller Welt nicht unrecht richten wird, ist mir so einleuchtend und ausgemacht gewiß, als daß zweimal zwei vier sind. Ich glaube, daß er unumschränkt bemächtigt ist, mit den Seinigen zu thun, was er will, daß aber auch seine unumschränkte Gewalt nichts anders ist, als höchst freie Anwendung seiner Weisheit und Güte. Nichts destoweniger sind doch meine Urtheile oft so beschaffen, als wenn ich von diesen Grundwahrheiten nie gehört oder sie doch förmlich verleugnet hätte. Ich bemerke in mir einen vermessenen Geist, der von allem, was sich zuträgt, gerne Rechenschaft gethan hätte, und, was er nicht begreifen kann, zu bestreiten waget. Welch ein Elend ist es doch, daß die irdene Scherbe mit ihrem Töpfer rechten will! Gegen meine Nebenmenschen handle ich nicht so, die Aussprüche eines Richters oder die Einrichtungen eines Feldherrn tadle ich nicht, weil ich, ob ich gleich weiß, daß sie fehlen können, dennoch voraussetze, daß sie, jeder in seinem Fach, geübter sind, als ich bin. Da aber, wo es am unvernünftigsten und unverzeihlichsten ist, bin ich oft bereit, mir diese Freiheit herauszunehmen. O! daß man mit tausend Zungen den wichtigen Ausspruch unseres Herrn in die Ohren der gedankenlosen Sterblichen rufen könnte: „Eins ist Noth!“ doch auch tausend Zungen würden umsonst sein, und sind umsonst, wenn nicht der Herr nach seinem Wohlgefallen, durch die kraft und Wirkung seines Geistes, seine warnende Weckstimme ergehen läßt.

Nach dem Worte, daß du im Namen des Herrn uns sagest, wollen wir dir nicht gehorchen; sondern wir wollen thun nach alle dem Wort, das aus unserm Munde gehet. Jerem. 44,16.17. Wahrlich, wir müßten keine Erkenntniß von dem Werth der uns anvertrauten Seelen, und kein Mitleiden gegen dieselbigen haben, wenn dieses nicht schmerzliche Betrübniß bei uns verursachen sollte, und unsere Erfahrung muß uns zum Theil lehren, was der herzrührende Ausruf des Jeremias sagen will, Jerem. 9,1.: O, daß ich Wasser genug hätte in meinem Haupte, und meine Augen Thränenquellen wären, daß ich Tag und Nacht beweinen möchte die Erschlagenen in meinem Volk! Es kommt uns zu, wir sollten so bewegt darüber sein! Die Betrachtung der Weisheit und unumschränkten Oberherrschaft Gottes ist es, was noch allein dabei beruhigen kann. Er offenbaret sein Heil, wem er will, größtentheils den Unmündigen; der Menge von Weisen und Klugen ist es aber verborgen. So hat es ihm gefallen, und so muß es daher recht sein. Ja! es kommt ein Tag, an welchem er sich dazu herablassen wird, die Schicklichkeit und Billigkeit dieses Verfahrens gegen seine Geschöpfe zu rechtfertigen; dann wird ein jeder schweigen müssen, und keiner im Stande sein, etwas wider ihren Richter vorzubringen. Das Licht ist in die Welt gekommen, aber die Menschen lieben die Finsterniß mehr, denn das Licht. Sie hassen das Licht, widersetzen sich demselben, empören sich dawider. Es ist freilich wahr, daß alle es so machen, und wenn also sie alle zur Verdammniß verstoßen würden, so würden sie sich selbst die Schuld davon beimessen müssen. Daher ist es allein aus Gnaden, daß einige errettet und selig werden; und in Ansehung der Austheilung dieser Gnade thut Gott mit dem Seinigen, was er will. Ein Recht, welches die Mehrsten in ihren eigenen Angelegenheiten sich anmaßen, und doch wollen sie es dem, der der Herr ist über alles, nicht zugestehen. es sind über diese Materie viele hitzige und erbitternde Streitigkeiten geführt worden, aber die Erlöseten des Herrn sind berufen, nicht mit Worten zu streiten, sondern ihn in ihrem Herzen zu bewundern, sich seiner zu freuen, ihn zu lieben, anzubeten und zu gehorchen. Daß wir wissen, daß er uns geliebet, und sich selbst für uns dahingegeben hat, ist eine dringende Ursache und Bewegungsgrund, ihn wieder zu lieben und uns ihm hinzugeben, daß wir uns nicht als unser eigen ansehen, sondern uns ihm zu seinem Dienst und Ehre mit unserm ganzen Vermögen, mit allen unsern Kräften und Gaben aufopfern. Ja! er verdient, daß wir ihm alles aufopfern; denn er hat sich ganz mit allem für uns aufgeopfert. Er machte sich selbst arm, er erduldete Schande, Marter, Tod und den Fluch um unsertwillen, daß wir durch ihn ewiges Leben erwerben möchten. Ach, welche Härtigkeit meines Herzens, daß dieser Gedanke mich nicht noch weit mehr rührt, in Erstaunen setzt und überwältigt!


Moses, wenn er von den Mitteln redet, deren sich der Herr bediente, um Israel zu demüthigen, führt die Speisung desselben mit Manna als ein Mittel an. Ich konnte dieses eine Zeitlang nicht verstehen; ich dachte, sie wären eher in der Gefahr gewesen, stolz zu werden, als sie sahen, daß sie auf eine so außerordentliche Weise ernährt wurden. Allein das Manna wollte sich nicht halten, sie konnten es nicht aufbewahren, und daher befanden sie sich von Tag zu Tag in einer unvermeidlichen Abhängigkeit von ihm; diese Einrichtung war recht geschickt, sie zu demüthigen. Eben so verhält sich’s mit uns im Geistlichen. Es würde uns vielleicht besser gefallen, wenn wir auf einmal mit einem hinreichenden Vorrathe versehen würden, mit einem solchen, uns beständig verbleibenden Maaß von Weisheit und Kraft, worauf wir uns, wenigstens bei gemeinen Vorfällen, verlassen könnten, ohne durch eine Empfindung von Mangel gezwungen zu werden, für eine jede Sache, die uns fehlt, beständig unsere Zuflucht wieder zu dem Herrn zu nehmen. allein seine Weise ist die beste. Seine eigene Ehre wird am meisten geoffenbaret, und unser eigenes Wohl am besten dadurch gesichert, daß wir ganz arm und leer in uns selbst erhalten, und von einer Minute zur andern, je nachdem wir es bedürfen, unterstützt werden. Dieses wird, wen etwas es zu thun vermag, uns vor aller Ruhmredigkeit bewahren, und stets ein Gefühl der Dankbarkeit in unserm Herzen erhalten. Dieses ist besonders dienlich, uns fleißig und brünstig zum Gebet zu machen, und gibt uns tausend Veranlassungen zu seiner Lobpreisung, die unserer Aufmerksamkeit sonst gänzlich entgehen würden.

Aber wer oder was sind wir, daß der Allerhöchste unserer achten sollte? daß er uns alle Morgen besuchen, und uns alle Augenblicke begießen sollte? Es ist ein erstaunlicher Gedanke, daß Gott auf diese Weise bei Menschen wohnen sollte; daß Er, vor dem die mächtigsten Monarchen der Erde weniger als Nichts, und eine Eitelkeit sind, sich so herabneigen und zu den Umständen, Bedürfnissen und Fähigkeiten der schwächsten, der elendesten und ärmsten seiner Kinder bequemen sollte! Aber er hat Wohlgefallen daran. Er siehet nicht, wie der Mensch siehet.


- Sie mögen bemerkt haben, daß ich verschiedene Male von Prädestination oder Gnadenwahl zu reden, mit Fleiß vermieden habe, nicht als wenn ich mich der Lehre schämte, weil, wenn sie in der That dumm, schrecklich und ungerecht wäre, die Schuld davon mit Recht nicht auf mich, denn ich erfand sie ja nicht, sondern auf die H. Schrift fiele, worin sie, wie ich gewiß versichert bin, in eben so deutlichen Worten vorgetragen wird, als die Wahrheit, daß Gott Himmel und Erde schuf. Ich bekenne, daß ich nicht umhin kann, mich darüber zu verwundern, daß Leute, die Hochachtung gegen die Bibel vorgeben, so geradezu und stark ihren Abscheu an dem erklären sollen, was doch die Bibel so ausdrücklich lehret, nämlich: daß Gott nach seiner Gnade und seinem Wohlgefallen einen Unterschied unter den Menschen macht, wenn auch gleich von Natur kein Unterschied unter ihnen Statt findet, und daß alle Dinge, die die Seligkeit solcher Menschen betreffen, durch eine göttliche Prädestination oder Vorherbestimmung untrüglich gesichert sind.

Ich gebe dieses nicht für eine vernünftige Lehre aus, (wiewohl sie mir im höchsten Grade vernünftig vorkommt,) sondern sie ist eine Schriftlehre, oder wenn sie das nicht ist, ist die H. Schrift eine bloße wächserne Rose, und hat keinen entschiedenen Sinn. Was für Geschicklichkeit wird doch dazu erfordert, um viele Stellen so auszulegen und ihnen einen solchen Sinn zu geben, daß sie die Vorurtheile, die wir von Natur gegen Gottes unumschränkte Oberherrschaft hegen, besser begünstigen! Matth. 11,25.26. und 13,10-17. Marc. 13,20.22. Joh. 17, hin und wieder in diesem Capitel. Joh. 10,26. Röm. 8,28-30., und 9,13-24. und 11,7. Ephes. 1,4.5. 1 Petr. 1,2. Wäre ich sowohl ein Freund vom Disputiren, wie ich keiner bin, so deucht mir, ich könnte es einem Vernünftler, der alles auf das Genaueste nimmt, schwer machen, die Wahrheit der schriftlichen Prophezeiungen oder den Glauben an eine besondere Vorsehung, es sei denn, daß er eine göttliche Prädestination der Ursachen und Begebenheiten zum Grunde seiner Behauptungen legen wollte, zu behaupten. Jedoch, wie gesagt, ich habe mir vorgenommen, diesen Punkt dahin gestellt sein zu lassen, weil, so wahr und nothwendig auch immer derselbige an sich selbst ist, die Erkenntniß und das Begreifen desselben nicht nothwendig erfordert wird, um ein wahrer Christ zu sein, wiewohl ich auch fast nicht glauben kann, daß Einer, dem es daran fehlt, ein ächter, standhafter Gläubiger sein könne.

Es ist leicht, falsche Folgerungen zu machen, die ich weder zugebe, noch sich auch mit Recht aus meinen Grundsätzen herleiten lassen. Gott kann nicht der Urheber von der Sünde in dem Verstande sein, mit dem sie, wenn ich es so nähme, mich bald festgesetzt haben würden; allein ist es wohl möglich, daß Sie nach Ihrem Plan keine Schwierigkeiten in Ansehung dessen, was die H. Schrift uns von dieser Materie lehret, finden? Ich halte dafür, daß diejenigen, die etwas zu dem Tode Christi beitrugen, sehr große Sünder waren, und daß sie dadurch, daß sie ihn an das Kreuz nagelten, himmelschreienden Frevel begingen; dennoch, wenn wir dem Apostel glauben dürfen, geschahe dieß Alles aus bedachtem Rathe und Vorsehung Gottes, wie wir lesen Apostelg. 2,23. Und sie thaten nichts mehr, denn was seine Hand und sein Rath zuvor bedacht hatte, das geschehen sollte. Cap. 4,28. Sie werden auch zugeben, daß diese frevelhafte That (frevelhaft in Rücksicht auf diejenigen, die sie begingen,) nicht nur zugelassen wurde, sondern auch verordnet war, und zwar in der strengsten und eigentlichsten Bedeutung dieses Wortes; die Ehre Gottes und das Heil der Menschen hing davon ab, daß sie geschah, und zwar gerade auf die Weise und unter allen denen Umständen, die wirklich Statt fanden, und dennoch handelten Judas und die Uebrigen nach freiem Willen, und ihre Ruchlosigkeit war ganz eigentlich ihre eigene Ruchlosigkeit. Nun, mein Freund, werden die Gründe, die Ihnen zum Beweis hinlänglich sind, daß die H. Schrift Gott nicht als den Urheber der Sünde bei dieser Anordnung vorstelle, zu gleicher Zeit auch zu meiner Rechtfertigung dienen; und wenn Sie in der Meinung stehen, daß Sie leicht durch Vorlegung der Frage den Sieg über mich davon tragen würden: „Kann Gott der Urheber der Sünde sein?“ so fällt das, was Sie mir zur Last legen, geradezu auf das Wort Gottes selbst. Gott ist eben so wenig der Urheber der Sünde, als die Sonne die Ursache des Eises ist; sondern die Natur des Wassers bringt es so mit sich, daß es zu Eis gefrieret, wenn es auf eine Zeitlang in einem gewissen Grade der Kraft der Sonne entbehren muß. So ist auch in den Herzen der Menschen Sünde genug, um, wenn er aufhörte, an denselben seine Kraft zu beweisen, und sie im Zaum zu halten, die Erde der Hölle ähnlich zu machen, und zu zeigen, daß Menschen nicht besser denn eingefleischte Teufel sind. Manchmal und in einigen Fällen gefällt es ihm, es wirklich auf eine augenscheinliche Weise zu thun, und insofern er es thut, erscheint sogleich die menschliche Natur in ihrer wahren Gestalt. Zweifel dieser Art sind, ehe noch einer von uns geboren war, schon zu wiederholten Malen aufgeworfen und widerlegt worden, und der Apostel wußte augenscheinlich zum Voraus, daß sie wider seine Lehre vorgebracht werden würden, daher er mit der Frage selbst einem Jeden entgegenkömmt: Was schuldiget er denn uns? Wer kann seinem Willen widerstehen? Röm. 9,19. Und diesen, die so fragen, gibt er keine andere Antwort, denn daß er die Ursache davon in Gottes unumschränkte Obermacht, und in die Macht, die ein Töpfer über seinen Thon hat, setzt. Ich glaube, daß ich schon einmal in einem meiner vorigen Briefe die Beschuldigung, als bestünde ich mit Eigensinn auf meine eigenen Meinungen, von mir abzulehnen gesucht habe. Ich bekenne recht gern, daß ich mich irren kann, aber in Ansehung des Weges zur Seligkeit mache ich doch auch Anspruch auf eine Gewißheit. Ich bin von einigen Dingen eben so gewiß, als von meinem eigenen Dasein, und ich würde es sein, wenn außer mir keine menschliche Seele mehr in der Welt wäre. Jedoch meine Meinungen sind durch die Genehmigung vieler Tausende, die vor mir gelebt haben, und sehr vieler, mit denen ich an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Umständen, so daß der eine den andern gar nicht kannte, umgegangen bin, bestätiget worden; sie hatten, so wenig sie auch miteinander bekannt waren, doch alle die nämlichen Einsichten erlangt, weil sie alle von dem nämlichen Geiste waren unterrichtet worden.


Sie haben Zweifel wider die Lehre von der Erwählung. Sie werden inzwischen darin mit mir einstimmen, daß die H. Schrift davon redet, und zwar in sehr starken und klaren Ausdrücken; besonders der Apostel Paulus. Es sind mir einige (wie ich nicht anders glaube) aufrichtige Leute vorgekommen, die mir gesagt haben, daß sie nicht ausstehen könnten, sein neuntes Kapitel an die Römer zu lesen, sondern allemal es überschlügen, - so daß also ihre Vorurtheile wider die Erwählung, ihnen auch Vorurtheile wider einen Theil der H. Schrift einflößten. Aber warum denn das? Warum wohl anders, als weil die Lehre, welche man scheuet, zu deutlich darin enthalten ist, als daß ihr ausgewichen werden könnte. Allein Sie werden sagen, daß doch manche Schriftsteller und Prediger es versuchten, den Worten des Apostels einen leichteren Sinn beizulegen. Lassen Sie uns denn (wie ich oben gerathen habe) aus der Erfahrung urtheilen. Wenn Sie das zugeben, was ich gewiß weiß, daß Sie zugeben werden, die gänzliche Verdorbenheit der menschlichen Natur, wie können wir uns auf die Bekehrung einer Seele zu Gott Rechnung machen, es sei denn, daß wir auch eine Gnadenwahl annehmen? Das Werk muß irgend von einer Seite den Anfang nehmen. Entweder sucht der Sünder zuerst den Herrn, oder der Herr zuerst den Sünder. Das erstere ist unmöglich, wenn wir von Natur todt sind in Sünden und Uebertretungen, wenn der Gott dieser Welt unsere Augen verblendet hat, und den Besitz von unsern Herzen behauptet, und wenn unsere fleischlichen Gesinnungen so sehr abgeneigt sind, Gott zu suchen, daß sie vielmehr eine Feindschaft wider ihn sind. Erlauben Sie mir, daß ich mich auf Sie selbst berufe. Mir deucht, Sie kennen sich selbst zu gut, als daß Sie sagen sollten, daß Sie zuerst den Herrn entweder gesucht oder geliebt hätten; vielleicht sind Sie sich’s bewußt, daß Sie für eine Zeitlang, und in soweit als es an Ihnen gelegen war, so gar sich seinem Rufe widersetzt haben, und daß Sie hätten verloren gehen müssen, wenn er Sie nicht am Tage seiner Macht willig gemacht hätte, und Sie Ihnen selbst zum Trotze errettet hätte. In Ihrem eigenen Fall erkennen Sie, daß er den Anfang bei Ihnen machte; und das muß auch durchgehends der Fall bei allen sein, die berufen werden, wenn das ganze Menschengeschlecht von Natur Feinde Gottes sind. Nun weiter: es muß eine Erwählung Statt finden, es sei denn, daß alle berufen werden. Allein wir werden versichert, daß der breite Weg, worauf der größte Haufe von Menschen sich dränget, zum Verderben führet. Befanden nicht Sie und ich uns auf diesem Wege? Waren wir besser, als diejenigen sind, die noch auf demselbigen fortwandeln? Was hat es gemacht, daß wir uns selbst so, wie wir ehemals waren, gar nicht mehr ähnlich sind? Gnade! Was hat es gemacht, daß wir so unähnlich sind denen, die jetzt so sind, wie wir ehemals waren? Gnade! So muß denn diese Gnade im eigentlichsten Sinne der Worte eine unterscheidende oder absondernde Gnade, d.i. mit andern Worten erwählende Gnade sein. Wenn wir nun auch annehmen wollten, daß Gott die Aussonderung oder Auswahl nur zur Zeit unserer Berufung machen sollte, so würde dieses nicht nur ganz unschriftmäßig, sondern auch den Aussprüchen der Vernunft und den Begriffen, die wir von den göttlichen Eigenschaften, besonders der Allwissenheit und Unveränderlichkeit Gottes haben, ganz zuwider sein. diejenigen, welche glauben, daß der Mensch von Natur einiges Vermögen besitze, nach welchem er sich zu Gott bekehren könne, mögen für eine Erwählung, mit Bedingung auf das Voraussehen des Glaubens und des Gehorsams streiten. Allein während Andere disputiren, lassen Sie uns beide die Sache bewundern; denn wir wissen, daß der Herr uns voraussahe (so wie wir waren) in dem Zustande des äußersten Unvermögens, sowohl zu glauben als auch gehorsam zu sein, bis es ihm gefallen würde, in uns das Wollen und das Vollbringen nach seinem eigenen Wohlgefallen zu wirken.


Was die Erhaltung bis ans Ende betrifft, so mögen wir von der Sache in einer gelehrten Hinsicht urtheilen, was wir wollen, so wird, wes sei denn, daß wir uns selbst so erhalten, unser Bekenntniß der Religion gänzlich vergebens sein; denn nur „die, die bis ans Ende beharren, werden selig.“ Matth. 10,22. Man sollte meinen, daß ein jeder, der dieses glaubet und von seiner eigenen Schwachheit, der Anzahl und Stärke seiner geistlichen Feinde, und von den Schwierigkeiten und Gefahren, die von seiner Lage in dieser bösen Welt herrühren, eine gehörige Erkenntniß hat, wenigstens es wünschen wird, (wo möglich) einige Sicherheit zu haben, daß seine Arbeit und seine Erwartung nicht vergebens sein werde. In einer Ungewißheit sich zu befinden, in Ansehung eines Punktes von so großer Wichtigkeit, nichts zu haben, worauf wir uns in Ansehung unserer Beständigkeit im Gutesthun verlassen könnten, als nur unsere eigene schwache Bemühungen, unsern partheiischen Fleiß und kurzsichtige Sorgfalt, das muß doch sicherlich für uns beunruhigend sein, wenn wir recht bedenken, wie unvermögend wir an uns selbst sind, den mächtigen Versuchungen der Welt, des Fleisches und des Teufels, die sich wider unseren Frieden vereinigen, Widerstand zu leisten. In dieser Hinsicht sollte ich erwarten, daß die Gegner dieser Lehre, wenn sei eine vollkommene Einsicht von ihrem Zustande und Umständen hätten, gesetzt, daß sie auch wirklich im Stande wären, sie als schriftwidrig und falsch zu beweisen, über ihren Sieg weinen und betrübt sein würden, daß eine Meinung, die so augenscheinlich geschickt ist, unsere Hoffnung anzufrischen und zu beleben, in der Wahrheit nicht gegründet sein sollte. Man darf sich ganz und gar nicht darüber wundern, daß diese Lehre, welche dem Herrn die Ehre giebt, die seinem Namen gebühret und seinem Volk so kräftige Beruhigung darbietet, von Menschen mit verdorbenen Herzen widersprochen und verschmähet wird. Aber wohl mag es uns sehr befremdend vorkommen, daß diejenigen, die es empfinden, wie nöthig sie dieselbige haben und ohne dieselbe nicht ruhig sein können, furchtsam oder abgeneigt sein sollten, sie anzunehmen. Dennoch giebt es viele Kinder des Lichts, die in diesem Stück in der Finsterniß wandeln. Entweder werden sie durch die Urtheile derer, von denen sie glauben, daß sie weiser wären als sie selbst, wankend gemacht, oder sie stoßen sich an dem Abfall der Christen, die einst Vertheidiger der Lehre waren, oder sie werden endlich verwirrt, weil sie jene Stellen der H. Schrift nicht verstehen können, die eine andere Sprache zu führen scheinen. Allein so wie Licht und Erkenntniß bei ihnen zunehmen, so nehmen diese Schwierigkeiten bei ihnen ab. Der Herr behauptet die Ehre, und er macht sich zur Vollendung eines vollkommenen Werkes der Seligkeit anheischig, daß keine Macht sein Volk aus seinen Händen reißen oder sie von seiner Liebe scheiden soll. Ihre Erhaltung in der Gnade kann, außerdem, daß sie in vielen ausdrücklichen Verheißungen versichert wird, auch noch bis zur vollkommensten Ueberzeugung aus der Unveränderlichkeit Gottes, aus der Stellvertretung Christi, aus der Vereinigung, die zwischen ihm und seinem Volk Statt findet und aus der Quelle des geistlichen Lebens, die er in ihren Herzen angerichtet hat, und die selbst ihrer Natur nach mit dem ewigen Leben in der genauesten Verbindung steht, (denn Gnade ist der Same der Herrlichkeit) bewiesen werden. Ich habe nicht Platz genug, von diesen einzelnen Stücken weitläuftig zu handeln, sondern verweise Sie auf folgende Schriftstellen, aus welchen starke und unumstößliche Beweise für ihre Gewißheit hergeleitet werden können: Luc. 14,28-30. Wer ist unter euch, der einen Thurm bauen will etc. Verglichen mit Phil. 1,6. Ich bin desselben in guter Zuversicht etc. Hebr. 7,25. Er kann selig machen immerdar etc. Röm. 8,24-39. Wer will verdammen? etc. Joh. 14,19. Es ist noch um ein Kleines etc. Joh. 15,1-2. Ich bin ein rechter Weinstock etc. Joh. 4,14. Wer des Wassers trinken wird etc. Warum sollten denn nun Sie, mein Freund, wenn Sie alle diese Gründe betrachten, da Sie Ihre Zuflucht zu der Hoffnung genommen haben, die Ihnen vorgehalten wurde, und Ihre Seele übergeben haben, sich nicht in ihrem Heil freuen und sagen: So lange Christus der Grundstein, die Wurzel, das Haupt und der Bräutigam seines Volkes ist, so lange das Wort Gottes Ja und Amen ist, so lange die Rathschlüsse unveränderlich sind, so lange wir einen Mittler und Hohenpriester vor dem Thron im Himmel haben, so lange der H. Geist bereit und vermögend ist, den Wahrheiten des Evangeliums Zeugniß zu geben, so lange Gott weiser ist, als die Menschen sind, und stärker als der Satan, so lange wird der Gläubige in Jesu sein, und ist sicher! Himmel und Erde müssen vergehen, aber die Verheißung, der Eid und das Blut, worauf sich meine Seele verläßt, giebt mir eine sichere Hoffnung, die mir niemals fehlschlagen kann.


So wie die Lehren von der Erwählung und beständigen Erhaltung in der Gnade tröstlich sind, so benehmen sie uns alles Recht zum Eigenruhm und zum Selbstvertrauen, wenn sie wahrhaftig in dem Herzen angenommen worden sind, und gereichen deßwegen natürlicherweise dazu, den Heiland zu erheben. Sie machen den Stolz alles menschlichen Ruhms zu Schanden, und lassen uns nichts über, dessen wir uns mit rühmen könnten, als den Herrn. Je mehr wir von unserer äußersten Verdorbenheit und Unvermögen in der Sache von Anfang an bis zu Ende überzeugt sind, desto vortrefflicher wird uns Jesus vorkommen. Der Gesunde mag wohl einmal dem Arzt ein gutes Wort geben, aber der Kranke allein weiß ihn recht zu schätzen, und hier kann ich nicht anders als einen Unterschied bemerken zwischen denen, die nichts haben, worauf sie ihr Vertrauen setzen, als nur die freie Gnade, und denen, die zum wenigsten ein Etwas, eine gewisse gute Anlage und Fähigkeit dem Menschen zuschreiben. Wir pflichten allem und jedem bei, was sie aus dem Wort Gottes über die Materie von der Heiligung herleiten. Wir gestehen ihre Wichtigkeit, ihre Vortrefflichkeit, ihre Schönheit ein. Aber wir möchten wünschen, daß sie sich mehr mit uns in Erhöhung des Namens des Erlösers vereinigen möchten. Ihre Erfahrung scheint sie zu verleiten, von sich selbst, von der Veränderung, die in ihnen gewirkt worden ist, und dem Vielen, das von ihrer eigenen Wachsamkeit und Bestreben abhängt, zu reden. Wir möchten auch gern dankbar dafür sein, wenn wir wahrnehmen können, daß eine Veränderung durch die Macht der Gnade in uns gewirkt worden ist; es ist unser Wunsch, daß wir auch wachsam erfunden werden mögen. Aber wenn unsere Hoffnungen am allerlebendigsten sind, so kommt es nicht sowohl von einer Erkenntniß der unvollkommenen Anfänger der Gnade in unsern Herzen her, als von Ergreifung dessen, der unser Alles in Allem ist. Seine Person, seine Liebe, seine Leiden, seine Stellvertretung, sein Mitleiden, seine Fülle und Treue – diese sind unsere ergötzliche Materien, die uns wenig Zeit übrig lassen (wenn wir uns in unserer besten Fassung befinden), von uns selbst zu reden. Wie zerschmelzen unsere Herzen, und unsere Augen gehen über, wenn wir meinen, einige Freiheit zu besitzen, an ihn zu denken und von ihm zu reden! Denn wir haben ehemals keine Hülfe gehabt, noch können wir künftig welche hoffen, als von Ihm allein. Wenn es irgendwo Menschen geben, die nur ein Scherflein zu ihrer eigenen Errettung und Seligkeit beigetragen haben, so haben sie mehr gethan, als wir thun können. Wenn irgendwo welche waren, die sich gegen den ersten Ruf gehorsam und treu bewiesen, so war das der Fall bei uns nicht. Wenn irgend welche gewesen sind, die zum Voraus bereit waren, ihn anzunehmen, so wissen wir, daß wir uns in einem Zustande der Entfremdung von ihm befunden haben. Wir hatten eine allgewaltige, unwiderstehliche Gnade zu unserer Errettung nöthig, oder wir würden auf ewig verloren gewesen sein. Wenn irgend einige sein sollten, die an sich selbst ein Vermögen besitzen, so müssen wir bekennen, daß wir ärmer sind als sie. Wir können nicht wachen, es sei denn, daß Er mit uns wacht; wir können nicht kämpfen, es sei denn, daß Er mit uns kämpft; wir können uns keinen Augenblick erhalten, es sei denn, daß Er uns festhält. Wir glauben auch, daß wir am Ende doch noch verloren gehen müßten, wenn seine Treue nicht geschäftig wäre, uns zu bewahren. Aber wir haben ein festes Vertrauen, daß er dieses thun werde, nicht um unserer Gerechtigkeit, sondern um seines eigenen Namens willen, und weil es ihm, da er uns mit einer ewigen Liebe geliebet hat, gefallen hat, mit liebreicher Güte uns zu sich zu ziehen und sich von uns finden zu lassen, da wir ihn nicht suchten.


Können Sie wohl, mein Theuerster, dem Gedanken bei sich Raum geben, daß ein Mensch, der unter dem Einfluß dieser Grundsätze lebet, ein Verlangen haben werde, in der Sünde zu beharren, weil die Gnade so viel mächtiger ist! Nein, Sie sind ein zu gutgesinnter Beobachter der Menschen und ihrer Sitten, um die Verleumungen, die wider uns ausgestreut werden, zu glauben. Es ist wahr, es giebt nur zu viele falsche und eitele Mundchristen unter uns; aber giebt es denn keine solche unter denen, die sich zu den entgegengesetzten Meinungen halten? so wollte ich auch eben anmerken, daß der Einwurf, der von den Fehltritten der in Ansehen stehenden Reformirten hergeleitet wird, ganz und gar nichts zu sagen hat. Wir behaupten, daß keine Lehre noch mittel das Herz verändern, oder einen tugendhaften Lebenswandel hervorbringen können, ohne die wirksame Kraft der Gnade des Allmächtigen. Deswegen, wenn es gefunden würde, daß es in der That so wäre, so sollte es nicht unserer Lehre zur Last gelegt werden, sondern man sollte es vielmehr für einen Beweis und eine Bestätigung derselben gelten lassen. Wir bekennen, daß wir in einer jeden Sache schrecklich weit zurück blieben, und Ursache haben, uns darüber zu schämen und zu entsetzen, daß solche aufmunternde Grundsätze so wenig Einfluß auf unsere Gesinnung und unsern Wandel haben; dennoch giebt uns unser Gewissen im Ganzen ein gutes Zeugniß, und wir hoffen, daß wir es vor der Kirche und der Welt an den Tag legen können, daß die Lehren von der Gnade Lehren zur Gottseligkeit sind.

Quelle: Krummacher, Emil Wilhelm - Goldene Worte über die theure Lehre von der freien Gnade
Elberfeld 1832. Bei Wilhelm Hassel

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