Hofacker, Ludwig - Predigt am Oster-Montage

Hofacker, Ludwig - Predigt am Oster-Montage

Text: Ephes. 3,14-21.

Derhalben beuge ich meine Kniee gegen den Vater unsers HErrn JEsu Christi, der der rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißet im Himmel und auf Erden, daß Er euch Kraft gebe nach dem Reichthum Seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch Seinen Geist an dem inwendigen Menschen. Und Christum zu wohnen durch den Glauben in euern Herzen, und durch die Liebe eingewurzelt und gegründet zu werden; auf daß ihr begreifen möget mit allen Heiligen, welches da sey die Breite, und die Länge und die Tiefe, und die Höhe; auch erkennen, daß Christum lieb haben viel besser ist denn alles Wissen, auf daß ihr erfüllet werdet mit allerley Gottesfülle. Dem aber, der überschwenglich thun kann über Alles, das wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die da in uns wirket, dem sey Ehre in der Gemeine, die in Christo JEsu ist, zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Der Apostel Paulus hatte sich zwey Jahre lang in Ephesus aufgehalten, und in dieser Zeit daselbst das Evangelium verkündiget. Er kannte die Gemeinde zu Ephesus gar gut, und deßwegen entwickelte er auch in dem Briefe an dieselbe, aus welchem unser Text entnommen ist, meistens tiefere Wahrheiten als in seinen andern Briefen, weil diese Gemeinde dieselben am besten fassen und verstehen konnte. Zudem war er auch mit einer ganz besonderen Liebe zu den Ephesern erfüllt; dieß erhellt aus dem Gebet, das er für die Gemeinde zu Ephesus vor den HErrn brachte, und das unserer dießmaligen Betrachtung zu Grunde liegen soll. Wenn wir dieses Gebet mit den andern Gebeten vergleichen, die Paulus in seinen Briefen für die andern Gemeinden vor den Thron der Gnade zu bringen versichert, so müssen wir bekennen, dieß Gebet ist ein ganz besonderes, ein ganz erstaunliches Gebet. Je mehr wir es betrachten, desto mehr müssen wir uns wundern über die Kraft, über die Salbung, über den Geist, der aus demselben heraus uns entgegen strömt. Wir wollen deßhalb dieses Gebet ganz so, wie es uns von dem Apostel gegeben ist, unserer Betrachtung vorhalten, nicht um das Ganze zu erschöpfen, was unmöglich wäre, sondern um den Spuren des Heiligen Geistes, der uns hier einen so großen Reichthum göttlicher Wahrheiten aufgeschlossen hat, desto treuer und sorgfältiger nachgehen zu können.

Himmlischer Vater! Du Vater unsers HErrn JEsu Christi! – segne uns, und schenke uns den Sinn, daß wir, wie Dein Knecht Paulus, auch unsere Kniee beugen vor Dir, und Dich um Segen, Kraft und Leben aus dem Reichthum Deiner Herrlichkeit immer mehr anrufen. Ja, segne uns um Deines Namens willen. Amen!

„Ich beuge meine Kniee gegen den Vater unsers HErrn JEsu Christi, der der rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißet im Himmel und auf Erden“, so beginnt der Apostel. Sogleich hier bey diesen Worten tritt uns mit großer Klarheit ein Haupt-Charakter eines Menschen Gottes entgegen; ein Charakter, von welchem freilich die selbstsüchtige und eigenliebige Natur nichts weiß, der nur einem Herzen eingedrückt wird, in welches die Liebe Gottes ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, aber ein Charakter, der so unzertrennlich ist von dem Wesen eines wahren Kindes Gottes, daß er noch denjenigen Knechten und Kindern Gottes, die schon in das obere Reich des Lichtes und der Wahrheit aufgenommen sind, bleibt, - ja als etwas wahrhaft Göttliches je mehr und mehr wächst, und aus der ewigen Fülle Gottes selber heraus zunimmt; - ich meine den Charakter des Priesters. „Er hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und Seinem Vater“ (Offenb. 4,10. 1,6.); dieß rühmen zur Ehre des Heilandes die seligen Geister, die vor dem Throne Gottes stehen: und daß auch er, der Apostel, von dem HErrn zu einem solchen Priester geweiht worden sey, das hat er hier sehr deutlich dargeleget. Denn was ist ein Priester? Ein Priester ist derjenige, der für Andere vor den HErrn tritt, den die Liebe (diese ist ja das Element des Priestersinnes) treibt, zu erscheinen vor dem Angesichte Gottes für Andere, für Bekannte und Unbekannte, für Bekehrte und Unbekehrte, ja für die ganze Welt.

So ist JEsus Christus ein Priester gewesen. Als Priester hat Er sich bewiesen, da Er für Simon Petrus bat, daß Ihn Satan nicht möchte sichten wie den Waitzen, auf daß sein Glaube nicht aufhöre; als Priester hat Er sich bewiesen in Seinem letzten feierlichen Gebet, das man deßwegen das hohepriesterliche nennet, worin Er Seine Jünger, ja Alle, die durch ihr Wort an Ihn glauben werden, der besondersten Aufsicht Seines himmlischen Vaters empfahl; als Priester hat Er sich bewiesen, da Er am Kreuze noch für Seine Feinde bat: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun!“ Ja noch jetzt ist Er ein Priester; denn „Er ist eingegangen in das Allerheiligste, nicht durch eine Hütte, die mit der Hand gemacht ist, auch nicht durch der Böcke und der Kälber Blut, sondern Er ist durch Sein eigenes Blut einmal eingegangen in das Heilige, und hat eine ewige Erlösung erfunden.“ Da sitzet Er und führet unsere Sache, und bleibet ein Priester ewiglich nach der Ordnung Melchisedeks. Deßwegen ruft Johannes seinen Geliebten zu: „Meine Kindlein, solches schreibe ich euch, auf daß ihr nicht sündiget. Und ob Jemand sündiget, so haben wir einen Fürsprecher bey dem Vater, JEsum Christum, der gerecht ist; und derselbige ist die Versöhnung für unsere Sünden: nicht allein aber für die unsern, sondern auch für der ganzen Welt.“ Freilich ohne Sein Hohepriesterthum wäre es nicht denkbar, daß ein Mensch Priester würde vor Gott und Seinem Vater; ohne Sein Hohepriesterthum müßte aller Mund der Sünder verstummen, dürfte kein Sünder die Augen aufheben, müßten wir Alle scheu zurücktreten; ja, ohne Sein Hohepriesterthum könnte kein Sünder sich erkühnen, hinzutreten vor die allerheiligste Majestät Gottes, um von Ihm etwas sich zu erbitten. Wie sollte ein Sünder nur ein Herz zu dem großen Gotte fassen, wenn nicht der rechte Hohepriester vor dem Angesichte Gottes erschienen wäre für uns?

Wirst Du uns, Priester, nicht selber vertreten,
So ist es vergeblich mit Flehen und Beten.

Was ist der Mensch, die Made, und das Menschenkind, der Wurm? Ja noch mehr, nicht bloß elend und niedrig, nicht bloß Staub und Asche sind wir vor dem großen allgewaltigen Gott; sondern wir sind auch verunreiniget; wir sind befleckt; wir sind verschuldet vor der höchsten Heiligkeit; wir sind der Strafgerechtigkeit Gottes verfallen; wir sind mit Einem Worte Sünder, und haben die Herrlichkeit verloren, die wir vor Gott haben sollten. Wenn die Versöhnung nicht geschehen wäre, wenn nicht unsere Unwürdigkeit und unser tiefer Abfall gut gemacht und bedecket wäre durch das Blut des Neuen Bundes, wenn wir nicht einen Hohenpriester hätten, der für uns hineingegangen ist in das Inwendige des Vorhangs, und nach dem göttlichen Rechte Sein ewiges Priester-Geschäft für uns vollendet hat, wenn nicht der Zorn Gottes getilget und ausgelöschet wäre; - nimmermehr dürfte ein Mensch, eine gefallene unheilige Kreatur, sich erkühnen, vor Gott zu treten, und, wenn auch in der besten Absicht, ihre Kniee zu beugen vor der allerheiligsten Majestät, vor welcher die Seraphim sich bedecken, und mit heiligem Schauer ihr „Heilig, Heilig, Heilig“ rufen. Ja, wenn es auch allen Kreaturen erlaubt wäre, mit aufgedecktem Angesichte die Herrlichkeit des HErrn zu schauen; wenn die Engel vor Seinem Throne, und der Wurm, der im Staube kriecht, und der Sperling auf dem Dache, und das Thier auf dem Felde zusammen kämen zum Lobe und zur Verherrlichung ihres Schöpfers, so müßte allein der Mensch zurückbleiben, so wäre der Mensch allein nicht werth, in dieser Gesellschaft zu stehen und vor das Angesicht Gottes zu treten; der schnöde Sünderhaufe müßte allein wegbleiben. Denn alle Kreaturen sind ja in dem Stande, in welchem sie der HErr geschaffen hat; nur der Mensch ist nicht in diesem Stande; er hat die Herrlichkeit verloren, die er vor Gott haben sollte. Darum könnte er ohne das Hohepriesterthum Christi nicht aufblicken zu Gott; sondern er müßte vor Seinem heiligen Angesichte fliehen, wie geschrieben steht, daß einst Himmel und Erde fliehen vor Dem, der auf dem großen weißen Stuhle sitzt, und vor dem Strahl Seines Mundes, daß sie hinausfliehen in die unendliche Leere und Weite, und ihnen wird keine Stätte erfunden (Offenb. 20,11.)

Aber – „ich beuge meine Kniee gegen den Vater unsers HErrn JEsu Christi“, sagt der Apostel Paulus; und dieß könne, dieß dürfe darum, weil Gott, als der Vater unsers HErrn JEsu Christi, um Seinetwillen und durch Ihn „der rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißet im Himmel und auf Erden.“ Darin liegt es eben, daß wir nicht allein, daß wir nicht bloß und nackt vor Gott erscheinen dürfen, sondern wir erscheinen vor Ihm im Namen JEsu Christi, vor Ihm als dem Vater unsers HErrn JEsu Christi. Christus ist unser Bruder geworden; nun können und dürfen wir anrufen Gott als Seinen Vater, als den Vater Dessen, der Sich nicht schämet, uns Seine Brüder zu heißen. Nun ist den Sündern ein neuer Weg des Lebens geöffnet, auf welchem sie wieder zum Gnadenthrone nahen, und Gnade und Barmherzigkeit nehmen dürfen um JEsu Christi willen. In Christo können nun Sünder wieder Kinder werden; in Christo ist der Reichthum der Erbarmungen Gottes wieder aufgethan; in Christo dürfen sie mit großer Zuversicht zu Seinem Throne nahen, dürfen hineinschauen in die Klarheit des Vaters mit aufgedecktem Angesicht, dürfen priesterlich für sich und Andere vor Ihn treten: in Christo ist Er ein Vater und zwar ein rechter Vater über Alles, was da Kinder heißet im Himmel und auf Erden: über die ganze Familie Gottes geht nun Seine väterliche Huld und Gnade; über Seine Kinder ist Seine Güte alle Morgenneu.

Wir schauen hinauf, Er siehet herab;
An Lieb’ und Treue geht uns nichts ab,
Bis wir zusammen kommen.

O liebe Zuhörer, was muß das Herz des Apostels empfunden haben, als er jene Worte niederschrieb; von welch’ einer heiligen Freude und Wonne mußte er durchdrungen gewesen seyn, als er schrieb, daß der majestätische Gott, vor dessen Heiligkeit der schnöde Sünder vergehen müßte, nun der rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißet im Himmel und auf Erden! Dieß ist ja das ganze Evangelium: das ist der Triumph der ewigen Liebe; das sind die seligen Früchte des sauern Verdienstes JEsu Christi, die Früchte Seiner Erniedrigung, die Früchte Seines Lebens, Leidens und Sterbens, die Früchte Seiner Auferstehung und der treuen Ausrichtung Seines ganzen Hohepriester-Amtes, das, daß Gott der rechte Vater ist über Alles, was da Kinder heißet im Himmel und auf Erden.

O ewiger Abgrund der ewigen Liebe,
In JEsu Christo aufgethan;
Wie brennen, wie flammen die feurigen Triebe,
Die kein Verstand begreifen kann!
Was liebest Du? Sünder, die schnöde Zucht.
Wen segnest Du? Kinder, die Dir geflucht.
O großes, ja gutes, ja freundliches Wesen!
Du hast Dir was Schlechtes zum Lustspiel erlesen.

Nun, um was bittet denn der Apostel? „Daß Er euch Kraft gebe nach dem Reichthum Seiner Herrlichkeit, stark zu werden durch Seinen Geist an dem inwendigen Menschen.“ Dieß ist der allgemeine Inhalt seines Gebets; denn was nachfolgt, ist im Ganzen nur Ausführung dieses allgemeinen Inhalts. Stark sollen die Epheser werden am inwendigen Menschen. Was heißt das? Ein jeder Christ, liebe Zuhörer, hat einen inwendigen Menschen, einen geistlichen Menschen, der ißt, trinkt, schmeckt, fühlt, sieht, der zunehmen und abnehmen, stark oder schwach werden kann wie der äußere Mensch. Wenn ein gesundes Kind zur Welt geboren wird, so hat es seine Bedürfnisse; es ißt und trinkt; es sieht und hört; es fühlt und empfindet Schmerz und Vergnügen, freilich Alles noch sehr dunkel; aber doch ist Alles dieß vorhanden. Eben so ist es bey der Geburt des neuen Menschen, von dem die Heilige Schrift redet. Dieser neue Mensch empfindet Hunger und Durst, sieht und hört auf eine ganz andere Weise als der alte Mensch, nicht äußerlich, sondern innerlich. Die Schrift weist unzählige Male auf diese Wahrheit hin. Wenn z.B. der Heiland sagt: „Wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, der hat das ewige Leben; mein Fleisch ist die rechte Speise, mein Blut ist der rechte Trank“; wenn Er sagt: „selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden“; wenn Er zum Bischof in Laodicäa sagt: „ Ich rathe dir, daß du von mir Kleider kaufest, daß du dich anthust, und nicht offenbaret werde die Schande deiner Blöße, und daß du Augensalbe kaufest, auf daß du sehen mögest“; oder wenn der Apostel sagt: „Gott gebe euch erleuchtete Augen des Verständnisses“, und: „ihr habt geschmecket die Kräfte der zukünftigen Welt“ u.s.w. – so bezieht sich das Alles auf den inwendigen Menschen, - auf den neuen Menschen, der aus Gott geboren ist. Denn freilich, wer nicht wiedergeboren ist, der hat keinen solchen inwendigen Menschen, wenn er auch der denkendste, der gefühlvollste Mensch wäre; seine Gedanken und Gefühle stammen aus dem alten adamischen Leben des natürlichen Menschen.

Jetzt frage dich, liebes Herz: habe ich einen inwendigen Menschen? bin ich wiedergeboren? habe ich inwendigen Geschmack am Worte Gottes? habe ich eine Geistes-Freude an dem Heilande? ist der Geist Gottes so mächtig bey mir geworden, daß er durch alle Hindernisse und falsche Gedanken hindurchgebrochen ist? Hat er eine neue Gedanken-Bildung in mir hervorgebracht? bin ich es auch inne geworden, daß zwey Menschen in mir sind, ein neuer und ein alter, zwey Willen, ein neuer und ein alter? oder ist mein ganzes bisheriges Christenthum vielleicht nur auf natürliche Willigkeit, auf natürliche Gutmüthigkeit, auf natürliches Gefühl gegründet, also gleichsam nur auf den alten Menschen gepfropft gewesen? O, eine wichtige Frage, die allerwichtigste Frage ist es: bin ich wiedergeboren, bin ich eine neue Kreatur, bin ich ein neuer Mensch Gottes?

Wo aber ein inwendiger Mensch ist, da muß er wachsen; er darf nicht abnehmen. Bey einem Kinde ist es ein schlimmes Zeichen, wenn es in seinem Wachsthum einen Stillstand gibt, wenn Essen und Trinken nichts fruchten will zum Starkwerden; - dieser Stillstand ist ein Beweis, daß es siecht, daß es kränkelt, daß es an diesem oder jenem Uebel leidet. So ist es auch mit dem inwendigen Menschen. Ein neugebornes Kind in Christo darf nicht immer ein Kind bleiben; es muß heranwachsen, es muß ein Jüngling, es muß ein Mann werden; sonst hat es seine Bestimmung nicht erfüllt. Aber da geht es oft gerade umgekehrt; bey Vielen geht es den Krebsgang. – Man hat einen guten Anfang gemacht; der neue Mensch ist mit Gottes Hülfe geboren worden; aber nun kommt dieß und das; man wird träge; man wird schläfrig; man läßt dem Fleische Raum; man entfernt sich von der Gemeinschaft des Kreuzes Christi; man will es nicht so streng mit der Sünde nehmen; man weiß es ja, daß man ein Kind Gottes ist; man hauset auf diese Ehre hinein; man erlaubt sich Manches, was man sich vor einem Jahre noch nicht erlaubt hätte; man geht leichtsinnig mit der Gnade um, und so gibt es im Wachsthum einen Stillstand. Ja, man bleibet nicht nur stehen, sondern man kommt zurück; man wird schwach, matt, krank; das innere Leben bekommt einen Stoß nach dem andern, und endlich stirbt ein solcher neuer Mensch ab wie ein verdorrter Baum, und mit demselben Menschen wird es dann ärger, denn es zuvor gewesen ist. Das ist aber noch nicht das Traurigste: ein solcher Mensch weiß dieß erst nicht; er redet von seinem Christenthume fort, spricht von seinen Erfahrungen, die er gemacht, wie wenn der innere Mensch noch lebendig wäre, betrügt sich selbst, und geht als ein Betrogener der Ewigkeit entgegen. O, das ist ein trauriger Zustand!

Darum bittet nun eben der Apostel, daß doch dieß bey den Ephesern nicht der Fall seyn möchte, daß sie wachsen und hinanreifen möchten zu der vollkommenen Mannheit in Christo. Wie geht aber Solches zu? wodurch kann denn der inwendige Mensch wachsen? Der Apostel antwortet uns: „Durch Seinen Geist.“ Wenn ein Mensch von Oben geboren werden soll, so kann dieß nicht anders geschehen, denn durch den Geist Gottes, und wenn der neugeborne Mensch wachsen und zunehmen soll, so kann dieß wieder nur durch den Geist Gottes, durch allmählich vermehrte Mittheilung dieses Geistes geschehen. Denn unser inwendiger Mensch ist geistiger, göttlicher Natur, und Geist kann nur durch Geist gestärkt und vermehrt werden. So sind denn auch alle äußeren Gnaden-Mittel, die Sacramente, das Wort Gottes, das Gebet u.s.w. nur Kanäle, wodurch sich uns der Geist Gottes mittheilt, wodurch wir je mehr und mehr der göttlichen Natur theilhaftig werden. O liebe Zuhörer! wie viele Herablassung Gottes, wie viele Geduld und Langmuth, wie viele erneuerte Anfassung, wie viele Treue und Pflege von Oben gehört dazu, wenn ein neugebornes Kind in Christo wachsen und gedeihen soll. Die Welt, der Satan, die Lüste des Fleisches, der Hochmuth, die Eigenliebe, alle möglichen Hindernisse sind da, die jenes Wachsthum untergraben, und auf die Zerstörung desselben hinarbeiten; nur durch Gottes Macht kann der inwendige Mensch stark werden; Menschenmacht reichet nicht zu. Bekennet es Alle, die ihr es erfahren habt, wie unbeschreiblich große Geduld und Treue, welche unbegreifliche Macht und Kraft Gottes dazu erforderlich ist, bis ein blindes, eigenliebiges, eigenwilliges Menschenherz unter das Joch Christi gebeugt, und in der Nachfolge des Heilandes erhalten und gefördert wird. Ja, dieselbe überschwengliche Größe der Kraft Gottes, welche gewirket hat in Christo, da Er Ihn von den Todten auferwecket hat, ist nothwendig, wenn ein neuer Mensch auferstehen, und zu voller Kraft und Mannes-Stärke heranreifen soll.

Aber wird denn Gott nicht müde? Fließt denn die Quelle für solche schnöden Sünder unaufhörlich fort? Wenn in einem Menschen ein neues Leben beginnt, so möchte er etwa denken: ich habe vielleicht noch manche Jahre auf dieser Welt zu durchleben, wie viele Fehler werde ich noch machen! wie ist mein inneres Leben noch so unvollkommen! in wie Vielem fehlt es mir noch! wie wenig bin ich noch geschickt zum Wandel in Seinen Wegen, wie ungeistlich bin ich noch! Darf ich denn auch die Hoffnung haben, daß aus mir noch etwas werde zum Lobe der herrlichen Gnade Gottes? Dieß scheint ja fast unmöglich. Denn wie Vieles ist noch hinwegzuräumen, bis ich voll werde des Heiligen Geistes. Wird Er auch Sein Werk in mir fortsetzen? Ja, freilich, liebe Seele! wird Er das thun, und zwar, wie der Apostel sagt, nach dem Reichthum Seiner Herrlichkeit. Es ist ein unerschöpflicher Reichthum von Herrlichkeit und Gotteskraft in Ihm; Gnade um Gnade, Herrlichkeit um Herrlichkeit kann Er aus diesem Reichthum hervorgeben; Er kann durch Seine Gottes-Macht alle Hindernisse beseitigen: durch diesen Reichthum kann Er uns vollbereiten, kräftigen, gründen und uns vollkommen machen in Christo. Dieß ist ein Reichthum nicht wie irdischer Reichthum, der nach 40 – 50 Jahren zerronnen, und wie vom Winde zerstreuet ist; sondern ein Reichthum, der nimmermehr sich verzehret, der nicht erschöpft wird, dieweil er aus der Fülle Gottes herausfließet; aus welchem der Sünder, der heute von seinem Sündendienste sich bekehret, Gnade nehmen darf, und mit welchem gesättiget wird der, welcher schon Jahrtausende vor Seinem Throne steht; es ist ein unerschöpflicher Gnaden-Reichthum, der auf die Sünder von Ewigkeit zu Ewigkeit herabfließet. Wenn heute ein Mensch etwas Herrliches, etwas Großes, etwas Köstliches an seinem inwendigen Menschen erfährt, so darf er nicht denken und glauben: das ist der Gipfel von Allem, was mir der HErr schenken kann; weiter kann Er mir nicht geben, nicht größere Seligkeit, nicht mehr Kraft, nicht mehr Glauben, nicht mehr Liebe. O nein! Seine Schätze sind unerschöpflich: Allezeit kann Er etwas noch Herrlicheres, etwas noch Edleres, etwas noch Anbetungswürdigeres schenken; die ewige Weisheit kann sich in ihren Kindern immer noch mehr verherrlichen, und es ist auch ihr Wille, den Reichthum ihrer Schätze immer mehr und mehr an den schnöden Sündern, an denen, die doch so arg sind, zu offenbaren, daß sie verkläret werden von einer Klarheit in die andere, von einer Herrlichkeit in die andere. Und dieser Reichthum ist in Christo aufgethan; Er ist der Pfleger der herrlichen himmlischen Güter, Er ist der HErr der Schätze Gottes, und wer da will, der kann von Ihm nehmen, was er auf allen seinen Wegen bedarf.

Hier wird kein Gutes je vermißt;
Dieweil der Hirt’ ein HErr der Schätze Gottes ist.

O liebe Zuhörer! wie Viele sind unter uns, die von diesem Reichthum Seiner Herrlichkeit noch gar nichts wissen! noch gar nichts davon geschmecket haben! Und welchen Ersatz für den Reichthum jener Herrlichkeit gibt denn der Reichthum und die Güter und die Dinge dieser Welt? Sehet an eure Geldquellen, - können sie nicht versiegen? sehet an eure Wollustquellen, können sie nicht vertrocknen? sehet an eure Freudenquellen, können sich nicht ausbleiben? Wenn ihr den Weg alles Fleisches gehen müsset, so versiegen alle jene Quellen für euch. Ja, es sind erst noch trübe Wasserquellen, aus welchen ihr bisher getrunken habt: Eckel, Ueberdruß, lange Weile, Schmerz, Reue, das ist die Erquickung, die man aus ihnen schöpfen kann; den Tod, den ewigen Tod, kann man aus ihnen in sich hineintrinken. O Sünder! lüstet es dich nicht, aus der Quelle der göttlichen Gnade zu schöpfen; aus dem Reichthum Dessen dich zu erquicken, der gesprochen hat: „Ich bin gekommen, daß sie das Leben und die volle Genüge haben sollen“; der versprochen hat: „Wer das Wasser trinken wird, das Ich ihm geben werde, das wird in ihm ein Brunnen des Wassers werden, der in das ewige Leben quillet.“ Bey dem Heilande ist ein Reichthum göttlicher Gnade zu finden, dessen Schätze immer lieblicher geoffenbaret und dargereicht werden, und erst am Tage der Herrlichkeit JEsu Christi in vollem Maaße sich zeigen sollen, wenn Er Seine Schafe weidet und leitet zu den lebendigen Wasserbrunnen auf den Auen des oberes Königreiches.

Dieß nun ist der allgemeine Inhalt des Gebets: nun folgt noch die besondere Ausführung desselben. „Und Christum zu wohnen in euren Herzen durch den Glauben, und durch die Liebe eingewurzelt und gegründet zu werden“ – so fährt Paulus fort. Glaube und Liebe, das sind die zwey, die wir so oft in der heiligen Schrift und auch hier bey einander finden, und die auch das innere Geistes-Leben ausmachen. Wenn von Glauben hier die Rede ist, so ist natürlich nicht ein todter, historischer Glaube gemeint, denn darum bittet der Apostel nicht für seine Epheser, sondern es ist ein wahrer, lebendiger Glaube gemeint, der auch die Kraft hat, das Herz, in welchem er wohnt, zu einem Wohnhause Christi zu machen. O großes Wunder, das ein ächter Glaube hervorzubringen vermag! o große Gabe, welcher der wahre Glaube gewürdiget wird! Christus, der HErr der Herrlichkeit, will in uns armen Menschen wohnen. Hier müssen wir uns beugen und bücken; ein armes Menschen-Herz soll ein Wohnhaus Christi seyn. Müssen wir nicht mit dem Hauptmann zu Capernaum hier sagen: „ich bin nicht werth, daß Du unter mein Dach gehest?“ Ist es denn auch möglich, ist es denn auch wahr: in uns, in mir will der Heiland Seinen Wohnplatz haben, in mir, der ich doch arg, der ich ein Sünder bin? der Reine, der Heilige will in mir wohnen, so daß es heißen soll: „Siehe da, eine Hütte, darinnen Gott wohnt!“ Wer kann das fassen? Und das einfache Mittel dazu solle seyn der Glaube an Ihn. Aber wie Viele unter uns werden seyn, die sagen können: „Christus wohnt in mir durch den Glauben?“ Ja, wenn man den Geiz, den Neid, die wollüstigen, die eigenliebigen, die fleischlichen Gedanken, Begierden und Lüste zugleich im Herzen behalten könnte, dann würden wohl Viele gerne ein Tempel des lebendigen Gottes werden. Aber Christus und Belial taugen nicht zusammen. Wo der Heiland einkehrt, da wirft Er alle diese Gäste hinaus, und legt sie zum Schemel Seiner Füße. Das ist Seine Art. Jedoch dürfen wir nicht denken, ein solcher Mensch, in dem der Heiland wohne, habe gar keine Anfechtung der Sünde mehr zu erdulden. Nein, Christus muß, so lange Er in dieser Zeit in einem Menschen wohnt, immer im Kampfe liegen gegen Seine Feinde; aber wenn ein Mensch die Sünde als ein Kreuz trägt, wenn es ihm leid ist, daß er durch dieselbe den Heiland betrübt, wenn sie ihm Schmerzen, Leid und bittere Reue verursacht, daran kann man erkennen, ob Christus die Wohnung im Herzen aufgeschlagen, und in demselben ein Gestalt gewonnen hat; da führt Er Sein Regiment in der Seele. Liebe Zuhörer! sollten wir es nicht die höchst Angelegenheit unsers Herzens seyn lassen, sollten wir uns nicht Tag und Nacht bemühen, dieser hohen Ehre theilhaftig zu werden, ein Tempel des lebendigen Gottes zu seyn? Sollten wir nicht mit Paulus sprechen: „Ich achte Alles für Schaden, ich achte Alles für Koth gegen der überschwenglichen Erkenntniß JEsu Christi?“ Wie wäre es, lieber Zuhörer, wenn du einmal so keck, so muthig wärest und den Entschluß fassen würdest: ich will mich heute nicht eher zur Ruhe niederlegen, als bis ich es gewiß weiß: ich bin Sein Eigenthum; der Heiland wohnt in mir durch den Glauben; ich bin zu einem Tempel des lebendigen Gottes geweiht. Versuch’ es einmal, beuge deine Kniee, wie es Paulus gethan hat, und sprich zu Ihm: „laß mich ganz Dein Eigenthum, laß mich Dein alleine seyn!“ Versuch’ es einmal, sey so keck, denn du bist zu den Stufen des Lammes berufen; du verlierst sonst deine Krone in der Ewigkeit, das, was dich ewig ergötzt und erfreut, deine Schätze im Himmel.

Durch den Glauben soll Christus in den Herzen wohnen, und durch die Liebe sollen sie eingewurzelt und gegründet werden. Denn wenn einmal der wahre Glaube in einem Herzen aufgerichtet ist; wenn in des Herzens Grunde der Name des Heilandes funkelt: so kann es natürlich auch nicht an der Liebe fohlen. Wie sollte man Den nicht lieben, der an’s Kreuz für uns gegangen ist, und Sein großes Verdienst im Herzen versiegelt hat, der als der wertheste, als der längst ersehnte Gast im Innern einkehrt? Da entsteht nothwendig die Liebe, eine Liebe, von welcher die Menschen dieser Welt keinen Begriff haben, eine brünstige, eine feurige Liebe, eine Liebe, die um Dessen willen, der uns zuerst geliebet hat, Alles gerne hingibt und hinopfert. Da heißt es im Herzen:

Stoß’ Alles aus, nimm Alles hin,
Was mich und Dich will trennen,
Und nicht gönnen,
Daß all’ mein Thun und Sinn
In Deiner Liebe brennen.

Und durch diese Liebe wird man je mehr und mehr gewurzelt und gegründet; das gibt einen Grund ab, der die Feuerprobe aushält, der nicht umgestoßen werden kann, wenn alles Andere fällt, der da bleibet, ja sich immer mehr befestiget unter der täglichen Uebung der Liebe durch Treue im Kleinen, einen Grund, der da bleibet, auch wenn der HErr selbst mit Seinen feuerflammenden Augen erscheinet, so daß man Ihm auch dann in’s Angesicht hineinsehen und mit Petrus sagen kann: „HErr, Du weißest alle Dinge, Du weißest, daß ich Dich lieb habe!“ Denn daran ist Liebe völlig bey uns, auf daß wir eine Freudigkeit haben auf den Tag des Gerichts.

Diese Liebe aber ist nicht ein träges, dumpfes Gefühl, wobey man Nichts denkt; nein, diese Liebe ist gegründet auf Licht- und Lebens-Blicke, die man aus Gnaden in den Reichthum der Erbarmungen Gottes thun darf. – Denn so fährt der Apostel fort: „Auf daß ihr begreifen möget mit allen Heiligen, welches da sey die Breite, und die Länge, und die Tiefe, und die Höhe, und erkennen (denn so sollte es dem Grund-Texte nach richtiger heißen) die Liebe Christi, die alle Erkenntniß übersteigt.“ O liebe Zuhörer, was für Worte hat doch hier der Apostel Paulus niedergeschrieben! Wenn die Jünger des Heilandes am ersten Pfingstfeste so geredet, wenn sie solche Worte herausgegeben haben in der Kraft des Heiligen Geistes: so ist es in der That kein Wunder, daß die Menschen, die zuhöreten, zum Theil ausriefen: „Sie sind voll süßen Weines!“ Paulus redet von dem Begreifen der Breite und Länge und Höhe und Tiefe der Erbarmungen Gottes und der Liebe Christi; er redet von der Erkenntniß einer Sache, die doch alle Erkenntniß weit übersteigt. Sind das keine Begriffe, die einander widersprechen? Oberflächlich betrachtet, wohl; aber nicht nach der Tiefe des Geistes. Der Apostel stellt sich gleichsam im Geiste vor den Abgrund, der Erbarmungen Gottes hin, blickt hinein und ruft verwundernd aus: O welche Tiefe, welche Breite, welche Länge, welche Höhe! ich erkenne, ich sehe nur ein Tröpflein, nur ein Pünktlein von der Erbarmung Gottes und der Liebe Christi; aber ich sehe, daß sie unermeßlich, unergründlich, ewig und unendlich ist wie Gott selbst. Paulus steht hier gleichsam mit betrachtendem, mit sinnendem Geiste vor der erbarmenden Liebe des Heilandes, wie ein Mensch etwa sich hinstellt bey Nacht gegen den Sternen-Himmel. Er weiß es, daß die unzähligen Sterne, die er sieht, Sonnen und wandelnde Welten sind; er weiß es, daß das Sternenmeer der Milchstraße ein zahlloses Heer einzelner Gestirne enthält, die er nicht mehr zu unterscheiden vermag; er weiß es, daß noch weiter, als seine schwachen Blicke reichen, andere Welten und andere Sonnen sich ausbreiten; und darum verliert sich sein Geist in der stillen Anbetung und Bewunderung: „Der HErr ist unendlich groß: allmächtig ist der HErr!“ Doch was ist der Sternen-Himmel, was ist die ganze sichtbare Schöpfung gegen die Liebe Gottes und den Reichthum Seiner Erbarmungen! Da reicht keine Vergleichung hin; dagegen ist Alles zu klein, zu gering. Denn schauet an die Breite der Erbarmung Gottes! sie gehet über alle Kreaturen, von einem Ende der Erde zum andern, vom ersten Fixsterne bis zum letzten, über alle Nationen, Geschlechter und Sprachen und Zungen. So weit und breit die Welt ist, so weit und breit geht und reicht auch die Erbarmung Gottes. Schauet an ihre Länge – sie reicht von einer Ewigkeit zur andern, von dem ersten Schöpfungs-Augenblick bis hinaus zum neuen Jerusalem; es ist Ein großes Liebes-Seil, das sich durch alle Ewigkeiten hindurchzieht. Die Liebe höret nimmer auf; und wenn auch Alles zerbrochen wird, und in Staub zerfällt und in Nichts zerrinnt, die Liebe, das erbarmende Herz Gottes bleibet in Ewigkeit dasselbe; JEsus Christus gestern und heute und derselbige in alle Ewigkeit.

Schauet an die Tiefe der Erbarmungen Gottes! Das Weltmeer ist auszuschöpfen; aber nicht die Liebe Gottes. Wenn ein Sünder auch noch so tief gefallen, wenn er auch ganz zu Boden geschlagen ist: so ist doch das Liebesmeer der Erbarmungen Gottes größer als seine Schuld, immer noch tief genug, um seine Sünde darein zu versenken. Aus diesem Meere der Liebe Gottes schöpft der Seraph, der vor dem Throne Gottes steht, und der Sünder, der Gnade und Vergebung bedarf, und es wird nie leer. Denn jenes Meer ist unergründlich; jene Liebe ist unendlich.

Schauet an ihre Höhe! sie ist unantastbar, sie ist unverletzlich; kein Engel und kein Teufel, keine Gegenwart und keine Zukunft, weder Tod, noch Leben, weder Hohes, noch Tiefes, noch irgend eine Creatur kann sie umstoßen; sie stehet fest von Ewigkeit zu Ewigkeit. Das Wort Gottes vergehet nicht, die Liebe Gottes auch nicht. Was können wir Anderes noch hinzusetzen als den Ausspruch des Apostels Johannes: Gott ist die Liebe, lauter Liebe. Gott ist unendlich, also eine unendliche Liebe; Gott ist ewig, also eine ewige Liebe; Gott ist allgegenwärtig, also eine allgegenwärtige Liebe; Gott ist allmächtig, also eine allmächtige Liebe; Gott Lob! eine allmächtige Liebe, die mich und alle meine Mitbrüder aus Allem, aus allen Banden des Unglaubens, aus dem finstersten Kerker der Sünde herausheben und erlösen, und zu geheiligten, zu ewigen Denkmalen der erbarmenden Liebe machen kann.

Diese Liebe hat denn auch Gott bewiesen durch Christum; deßwegen sagt der Apostel: „Auf daß ihr erkennen möget die Liebe Christi, die alle Erkenntniß übersteigt.“ Diese Liebe Christi finden wir am herrlichsten, am deutlichsten geoffenbaret auf Golgatha. Dort ist der Mittelpunkt der Liebe Christi. Wer sie da nicht gefunden, wer sie nicht in dem erblaßten Angesichte des Heilandes, in den Wunden, in den Schmerzen, in der Todesmühe des großen Dulders auf Golgatha gefunden hat, der bleibet ferne von ihrer Erkenntniß.

Ich bin durch alle Zeiten,
Wohl gar durch Ewigkeiten,
In meinem Geist gereist;
Nichts hat mir’s Herz genommen,
Als da ich angekommen
Auf Golgatha – Gott sey gepreist!

Denn „also hat Gott die Welt geliebet, daß Er Seinen eingebornen Sohn dahingab, auf daß Alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben“; also hat der Hirte Seine Schafe geliebet, daß Er freiwillig Sein Leben in den Tod dahingab, und Sein theures Blut vergoß, auf daß sie durch Seine Wunden heil würden. O dieses „Also“ ist unbegreiflich, ist unerschöpflich! Wenn nur ein kleiner Blick in dieses „Also“ einem Herzen geschenkt wird, wie wird es dadurch erquickt; und was wird noch die Ewigkeit von diesem „Also“ offenbaren, wenn der Heiland als der gute Hirte Seine Schafe, Eines um das Andere, hineinführen wird in das neue Jerusalem! Da werden wir dieses „Also“ deutlicher erkennen; aber ganz deutlich, ganz klar wird es uns nie. Wenn Millionen von Jahren werden verstrichen seyn, wenn Ewigkeiten hinabgeflossen seyn werden, und nach dem Abflusse vieler tausend Aeonen neue und neue hereinbrechen, und der Donner, der von dem Throne Gottes ausgeht, den Anbruch neuer Aeonen verkündet, so werden wir an diesem „Also“ noch zu lernen haben, so wird dieses „Also“ doch kein Erschaffener begreifen können von dem obersten Seraph herab bis auf den letzten Sünder, der seine Kleider gewaschen und helle gemacht hat im Blute des Lammes; dieses „Also“ wird ein Wunder bleiben den Kreaturen von Ewigkeit zu Ewigkeit, und wird niemalen erschöpft werden.

Rühm’s, du Menge heil’ger Knechte,
Preist’s, vollendete Gerechte,
Und du Schaar, die Palmen trägt,
Und du Blutvolk in der Krone,
Und du Chor vor Gottes Throne,
Das die Gottes-Harfen schlägt!

Ach, daß es dem Geiste der Gnade gefiele, diese Liebe in uns anzuzünden; o daß doch bald das Feuer brennen möchte in meinem und dieser Aller Herzen! o daß wir bald Alle erfüllet würden mit allerley Gottesfülle.

Ihr Schlafwandler! stehet doch auf! betrüget euch doch nicht; denn das sage ich euch: wer sich nicht aufmacht, dem HErrn entgegen zu wandeln, gegen den wird Sich der HErr selber aufmachen, nicht zur Offenbarung Seiner Liebe, sondern zur Offenbarung Seines Zorns und Seiner gerechten Gerichte. Aber jetzt ist es noch Zeit, daß wir zu Dem uns wenden, „der überschwenglich thun kann über Alles, was wir bitten und verstehen, nach der Kraft, die da in uns wirket.“ Darum wer rufen kann, rufe doch, seufze doch, bete doch. Er soll erhalten, was er verlangt, ja noch viel mehr über alles Bitten und Verstehen.

Dir aber, Du Gott und Vater unsers HErrn JEsu Christi, vor dem wir unsere Kniee beugen, Dir sey Ehre in der Gemeine, die in Christo JEsu noch hienieden ist, und in der Gemeine, die Dein Angesicht schaut, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen!

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