Heliand - 45 - Das Scherflein der Wittwe.
Vor dem Weihhaus stand der waltende Christ,
Der liebe Landeswart, der Leute Sinn
Und Treiben betrachtend. Viele kamen und trugen
In das heilige Haus gar herliche Schätze,
Begabten es mit Gold und gutem Gewebe,
Köstlichem Schmuck: Christ unser Herr
Gewahrt' es weislich. Eine Wittwe kam da auch,
Eine arme Frau, und gieng zu dem Frohnaltar,
Legte da nieder vor dem Schatzhause nur
Zwei eherne Pfennige, einfältigen Herzens
Und guten Willens. Da sprach der waltende Christ,
Der gute, zu den Jüngern: „Der Gaben brachte sie
Mehr hiemit als sonst ein Menschensohn.
Wenn begüterte Männer zur Gabe trugen
Manchen Schatzes Hort, so ließen sie mehr daheim
Des gewonnenen Wohlstands. Diese Wittwe nicht so:
Sie opferte dem Altar Alles was sie hatte
An Reichthum errungen: nicht das Geringste blieb ihr
Daheim in der Hütte. Darum hat ihre Gabe
Mehr Werth vor dem Waltenden, weil sie es so willig gab
An das Gotteshaus. Das wird ihr vergolten
Mit langdauerndem Lohn, daß sie solchen Glauben hat.“