Harms, Claus - Die Erhebung der Seelen im Gebet nach Stufen beschrieben.
Predigt
am Sonntage Rogate über Joh. 4,23.24.
von
Dr. Claus Harms,
Probst zu Kiel.
Den Weitergang in unserm Gottesdienst und den Übergang vom Gesang zur Predigt wollen wir thun mit jenem Bibelwort, es ist Christi, Matth. 7. Bittet, so werdet ihr nehmen! Suchet, so werdet ihr finden! Klopfet an, so wird euch aufgethan! – und mit einem anderen Bibelwort Jacobi Cap. 4: Ihr habet nicht, darum daß ihr nicht bittet. Letzteres zunächst denen gesagt, die in allerlei geistlichem Mangel gehen, auf daß sie wissen, woher das rühre, und zugleich wo Hülfe für sie sei.
Einen wie freien Weg wir auch in unseren sonntäglichen Betrachtungen nehmen, ungebunden von den üblichen Sonntags-Episteln und Evangelien, so sind es doch zwei Sonntage im Kirchenjahr, an welchen ich bei diesen mich gehalten fühle, d. h. bei dem, was durch sie uns vorgestellt wird. Der eine Sonntag ist der sechszehnte Trinitatis, der das Evangelium vom Jüngling zu Nain hat. Der Tod will betrachtet sein, die Bereitung auf den Tod will gepredigt sein, insonderheit wollen alle, die einen Geliebten durch den Tod, wie man spricht, verloren haben, getröstet sein und erwarten es an dem genannten Sonntage. Der andere gemeinte Sonntag ist der heutige, Rogate, Betsonntag genannt. Zwar findet das Gebet seine Stätte in unseren Betrachtungen manchmal und in keinem Jahre wird davon während des Jahres geschwiegen, aber heute stehet doch der Kirchengänger Sinn vornämlich darauf, weil sie von jeher an diesem Sonntag über das Gebet haben predigen hören. Komme noch dazu in Anschlag das: Wir stehen in der Nähe einer großen Verleihung, nur noch zweimal hier, so feiern wir Pfingsten und sind des heiligen Geistes gewärtig, welcher dann abermals werde über uns kommen. Eine Bereitung hierauf, die beste Bereitung, ihr wisset's wohl, die besteht in dem beiden, in der Reinigung unserer Seelen und im fleißigen Beten. Oder soll ich sagen im Beten allein? denn das Beten ist zugleich eine Reinigung, wie es in einem Gesange heißt, im 696ten: Und tödten wird in meiner Brust das Gebet die Gott verhaßte Lust. Eins denn zum andern genommen ist gut guter Grund da, daß wir heute das Gebet unsere Predigt sein lassen.
Aber was für ein weites Feld wird uns gewiesen damit! Es können Bücher davon geschrieben werden, und sind davon geschrieben, wie mag der Vortrag einer kurzen Stunde dies weite Feld bemessen? Treten wir denn auf den einen und andern Punkt und reden über denselben. Ueber welchen? Liebe Brüder, ich halte dafür, daß es von besonderem Nutzen sei, wenn wir von der Beschaffenheit des Gebets reden, auf das Maaß der Andacht dabei insonderheit Acht gebend. Seht, es heißt so vieles ein Beten, manches, was keines ist, und anderes möchte nicht dafür gehalten werden, ist es aber. Die Andacht im Gebet macht das Gebet zum Gebet, aber die ist schwach, die ist stark, zuweilen sehr schwach, das man wohl sagen kann: Ist das schon eine Andacht zu nennen? und wieder so stark zur Zeit, daß man wohl sagen könnte: Ist auch das noch Gebet zu heißen? Laßt es dieses sein, womit wir unseren Geist heute beschäftigen. Das untergelegene Bibelwort sei
Joh. 4,23. 24
“Aber, es kommt die Zeit, und ist schon jetzt, daß die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist und in der Wahrheit, denn der Vater will auch haben, die ihn also anbeten. Gott ist ein Geist und die ihn anbeten, müssen ihm im Geist und in der Wahrheit anbeten.“
Man kennt diesen Spruch, allein wie kennt man ihn! Ich sage das nicht von uns hier, sondern von denen, die draußen sind, – die beständig sich draußen aufhalten. Es findet sich in der ganzen Bibel kein Spruch, welcher noch häufiger als dieser von den Vernunftgläubigen, d. h. Schriftungläubigen im Munde geführt wird wider alles, was öffentlicher Gottesdienst an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Weisen heißt, deren Urtheil zufolge, fälschlich aus dem verlesenen Wort genommen, ständen wir als Gottesverehrer noch tief unter den Juden und den Samaritanern zu jener Zeit. Die hatten doch nur zwei Orte, wo sie Gott anbeteten, wir aber setzen unsere Altäre, unsere Kirchen groß und klein überall hin, und achten's für unsere Pflicht, an bestimmten Tagen hinein zu gehen. Dawider soll Christus gesprochen haben. Was anders sagen sie damit, als: Wir haben keinen Glauben und kein Glaubensbekenntnis, ein jeder glaubt, was er kann; wir haben keine Gemeinschaft und keinen öffentlichen Gottesdienst, ein jeder hält's damit, wie er will, ist andächtig in seinem Hause, unter den grünen Bäumen, auf seinen Wegen, wo er will. Sagten sie aufrichtiger: Gar nicht! Das soll der Geist sein, in welchem sie anbeten, und ist ein Gespenst und verlachen es, das soll die Wahrheit sein, in welcher sie anbeten und ist ein Nebel, durch den sie mit ihren Armen fahren und sagen, es ist nichts. Was denn wir von diesem Spruch halten? Dieses, das wir zu dem Geist, der wir sind, oder der mit uns geboren wird, einen andern neuen bekommen durch Christum, und in diesem Geist soll der Christ beten, wie so auch der frömmste Israelit nicht beten konnte. Wir nehmen den Spruch so: Das Beten in diesem Geist ist erst das rechte Beten, zu welchem es mit uns kommen soll, wohinan wir kommen sollen durch Uebung unsererseits und durch Gnade von Gottes Seiten, zu diesem wahren Beten, in Vergleich mit welchem alles andere eins von Beiden, entweder gar keins oder ein noch unvollkommenes Beten ist. Dahin kommen wir auf Stufen, es sei denn, daß eine besondere Gnade des Herrn jemand, als durch die Luft dahin bringt, – auf Stufen, von der niedern zu der höhern mit unserer Andacht steigend. Unser Thema:
Die Erhebung der Seelen im Gebet, nach Stufen beschrieben.
Das sind die sechs Stufen:
- Das Gebet in Worten, ohne bestimmte Gedanken und Empfindungen dabei;
- da die Gedanken bei den Worten sind, die Empfindungen aber noch fehlen;
- da auch die Empfindungen hinzukommen;
- die Gedanken aber zurücktreten;
- auch die Worte dem Beter ausgehen;
- selbst eine bestimmte, besondere Empfindung nicht anzugeben ist. —
Wir werden Rede genug haben allein über die ersten drei Stufen. Ob die andern, die letzten drei von der Art seien, daß wir mit einer öffentlichen Predigt über sie noch auf dem Kanzelgebiet bleiben? in einer Versammlung wie sie sich machet hierorts? —
I.
Man lasse das Gebet auf der ersten Stufe doch auch ein Gebet sein. Wir meinen dasjenige, da die Worte gesprochen werden, ohne daß noch bestimmte Gedanken und Empfindungen sich mit diesen Worten verbinden. Zwar nicht alles Beten ohne Gedanken und Empfindung ist eins. Seien die Worte, wenn auch noch so gut, Bibelworte selbst oder aus dem Gesangbuch oder woher, seien diese Worte auch mancher betenden Seele Ausdruck gewesen und Himmelsleiter, – fehlen Gedanken und Empfindungen durchaus, wird gar nicht dabei an Gott gedacht, an Jesum Christum, an den heiligen Geist, ist während der Mund spricht oder das Ohr beten höret, an die Welt gedacht, an Weltliches, als da ist Essen und Trinken, Kleider und Putz, Arbeit und Vorhaben, Reisen oder Hausstand, Freundschaft, Feindschaft und dergleichen, unverbunden mit irgend etwas Heiligem, Christlichem, Göttlichem, nein, da findet sich kein Beten, und ob es auch eine Stunde lang währte. Das ist, wovon Gott gesprochen hat Amos 5.: Thue weg von mir das Geplärr deiner Lippen; und ebenfalls Jes. 29.: Dies Volk nahet zu mir mit seinem Munde und ehret mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir. Das soll es nicht sein, von Gott nicht ferne. Ob auch die Worte, die gebetet werden, ihren Weg gehen, und das Herz des Betenden einen andern, als den eben die Worte gehen, so soll mit irgend welchem Gedanken, mit irgend welcher, ob auch noch so schwacher Empfindung das Herz des Betenden auf Gott gerichtet sein, und ob auch noch so viele fremde Gedanken und unheiligen Empfindungen hinzutreten, darunterlaufen, so dürfen diese doch nicht das Herz einnehmen, die Seele wie gebunden halten, so daß alles, was ernst und feierlich und fromm heisset, davor nicht Bleibens hat und keinen Zutritt bekommen kann. Liebe Christen, beobachtet euer Beten, was in euch eigentlich vorgehe während deß. Freilich, das weiß ich wohl, eine Beobachtung würde das Beten unterbrechen, aber was schadet's? Ihr könnt ja sogleich danach wieder anfangen, und glaubt mir, es wird euer Gebet danach ein besseres, ein andächtigeres sein. Ihr habt damit gethan, was Abraham bei seinem Opfer, 1. Mos. 15. er scheuchte die Vögel von seinem Opfer weg, so scheucht ihr auch die Vögel, die fremden oder die schändlichen Gedanken von eurem Gebet durch eine solche Wahrnehmung weg. Oder wüßtet ihrs aus Erinnerungen, wie es in eurem Leben zugeht? Da werdet ihr eingestehen, daß oft bei euren Worten die Gedanken nicht seien, die heiligen Gedanken ununterbrochen nicht, sondern mit unheiligen vermengt. Nicht wahr, deshalb laßt ihr's euch von keinem Absprechen, daß ihr nicht wirklich betetet, ob auch? Denn wahrlich, das dürfen, müssen wir schon ein Beten heißen, wem das heilige Wort, das wir sprechen, nur irgendwelchen Stillstand in unserem Innern macht und eine andere Richtung nur unsern Gedanken gibt auf etwas Ernsteres, Wichtigeres. Wenn auch weiter nichts gethan würde bewußter Weise, als daß wir einen Gehorsam zeigen, indem wir beten, eine fromme Sitte befolgen indem wir beten, ob etwa das Mal uns selbst nicht, doch vielleicht andere erbauen und zur Andacht bringen, indem wir das äußerliche Werk der Andacht thun, selber zu uns selber herein dem Geiste der Andacht damit eine Thür öffnen, ob er nicht wolle kommen und uns bringen, die wir den Augenblick freilich nicht haben, heilige Gedanken und Empfindungen. Ja, ja, das heißt beten, ist schon beten, wenn es allerdings auch nur die erste, die unterste Stufe einer Seelenerhebung ist.
Haltet's nicht für unwichtig, liebe Zuhörer, was ich damit gelehret habe. Das hat diese Wichtigkeit im Allgemeinen: Wir wissen alle, daß wir nicht jederzeit mit wirklicher, voller Andacht beten, unterlassen wir deshalb das Gebet nicht! Und diese besondere Wichtigkeit, die eine: Wartet nicht mit dem Beten, bis ihr andächtig schon seid, oder wie man spricht, bis ihr euch dazu aufgelegt fühlet! Das findet sich, sprecht nur erst euer Gebet. Und diese andere: das ist die besondere Wichtigkeit für die Jugend, für die Kindheit: O habet die verkehrte Meinung nicht, theilt sie nicht mit den unfrommen Leuten unserer Zeit, daß die Kinder erst müßten zu Verstand und Religionsgefühl gekommen sein, eh ihr sie dürfet beten lassen. Weit gefehlt. Aus dem Munde der Kinder hat sich Gott ein Lob zubereitet, Psalm 8. – und ihr Mund bringt die Sache in ihre Seele, mit ihren gefalteten Händen füllen sie allmälig ihre leeren Herzen. Eltern, Lehrer, behaltet das.
II.
Allerdings, nicht auf dieser Stufe darf der Kinder Gebet, darf jemandes Gebet stehen bleiben, höher soll sich die betende Seele erheben. Eine höhere Stufe, die zweite, ist die, wann Gedanken, die Gedanken auch bei den Worten sind. Die Gedanken, spreche ich, meinend, die es sein sollen, nämlich die einen Ausdruck, ihren Ausdruck haben in dem Betwort. Das Wort muß zuerst vorhanden sein, eben wie zuerst der Leib Adams geschaffen wurde aus einem Erdenkloß, danach hauchte ihm sein Schöpfer die lebende Seele ein, so geht es auch mit dem Beten zu. Nicht, als wenn es keine Möglichkeit wäre, daß jemand zu seinen Gedanken die Worte suchte, wählte und brauchte sie dann, aber das ist nur Sache der Geübten, Geförderten, der Gehobeneren auf den unteren Stufen, will, muß zuvor der Beter sich in den Besitz der Worte gesetzt haben, wofern es nicht bei einem O und Ach, bei einem Stoß und Seufzer bleiben soll. Höre man das, sprech ich in die Versammlung. Höre man das doch, denn wahrlich, daß so wenig gebetet wird, daß selbst nicht unfromme und nicht ungelehrte Personen so wenig beten, das kommt mehrentheils daher, weil sie nicht beten gelernt haben, das will sagen, weil sie keine Gebete gelernt haben. Hören insonderheit diejenigen mich in eurer Zahl, die einst, nach wenigen Jahren schon, Andern sollen vorbeten von Amtswegen. Freunde lernt Gebete, macht euch schöner Betworte teilhaftig, wie ihr sie brauchen sollt, um betend euren bekümmerten, leidenden Anvertrauten nützlich an der Seite zu stehen. Ferner ist das noch ein Grund und der für Jedermann gilt, ich will als zu einem sprechen: Wenn du betest mit deinem eigenen Wort und niemals anders als mit deinem eignen, so besorge, daß du auf dem Fleck bleibest, wo du schon stehst, und werdet nicht anderswo hin gebracht, um zu sehen es fehle dir auch daran und daran. Wahrlich, unter dem mehrfältigen Nutzen des fremden Betworts ist dies einer, der mit obenan steht: Es lehrt dich beten, wie du beten sollst, und bringt deine Gedanken auf die rechten Stellen. Hast du mich beten hören, oder einen Anderen meines Amts, mußt du nicht sagen, daß deine Gedanken auf Dinge geführt worden seien, die du seither oder seit längerer Zeit gar nicht in deine Andacht mit hereingezogen hast? Wir sprechen hier von dem Beten mit Andacht. Jenes auf der unteren Stufe heißen wir ein Beten nicht ohne Andacht, dies aber geschieht mit Andacht. Spricht der Mund: Gott, – höret das Ohr: Gott, – dann ist der Gedanke an Gott da, an den Allgegenwärtigen, Himmel und Erde Erfüllenden, alle Dinge und dich auch mit deinen Dingen allmächtig Tragenden. Spricht der Mund, höret das Ohr: Jesus Christus, dann denkst du an den, der die ewig geltende Erlösung gebraucht hat und auch dich erlöset, den verirrten, versunkenen, verlornen Menschen, der auch um deiner Missethat willen verwundet, auch um deiner Sünden willen zerschlagen ist, die Strafe getragen und dich, was du nicht warst, Gott wieder angenehm gemacht hat.
Spricht der Mund, höret das Ohr: Heiliger Geist, dann führt der Gedanke dich zu dem, der dich, Gläubiger, wenn du es bist, Jesum einen Herrn zu heißen gelehret hat und das Wort Gottes, todt bis dahin in dir, lebendig gemacht hat, den Samen des bessern Lebens in dir zum Aufgehen gebracht hat, und sucht dich zu erhalten, zu fördern in solchem Leben, das mit Christo verborgen in Gott ist, sofern du ihn nicht betrübst und er wieder von dir weichen muß. O betrübe keiner den heiligen Geist! Oder was sonst das Gebet, das du betest, selbst sprechend, oder als hörender folgend, dir vor deine Seele bringet, mein lieber Christ. Lasset mich noch dessen Einiges nennen. Ich werde es mein Lebenlang nicht vergessen, wie meine Seele einst den Gedanken und mehr, als den Gedanken, das Wort in sich gezogen hat, gesenket hat: Ich bin ja nicht mein eigen. Es steht in dem Gesang 680: Wie Gott mich führet, will ich gehn. Ein Aehnliches kann ich sagen von dem Wort in dem Gesang 13: Hilf du in allen Sachen rathen! ich bin mir selber nicht genug. Der Apostel sagt 1. Tim. 2.: Thut Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, – wenn es der Dank am Morgen ist und der Dank am Abend, so fordert das Wort selber die Gedanken dir ab, und du vergissest deine Schuldigkeit nicht. Oder die Bitte als eine Anbefehlung deiner Sache, deiner Sorge, deines Kummers, darin du gehst, deiner Schwachheit, derer dein himmlischer Vater, aller Menschen Erbarmer, auch dein Erbarmer möge eingedenk sein, so ruft es, wenn nichts mehr, die Gedanken herzu, die von dir auf ihn und von ihm auf dich gehen. Oder das Gebet ist Fürbitte. Sei aufrichtig, ob du fleißig für andere betest? daß es ein gottbefohlenes Werk ist, hast du eben gehört. Thust du es? Ihr Gatten betet ihr einer für den andern? Eltern, betet ihr für eure Kinder? Ihr Kinder, etliche von euch, weiß ich, haben vor Jahreszeit in der Kinderlehre den Reimspruch gelernt: „Eines frommen Kindes Gebet nützt seinen Eltern früh und spät, beseligt ihren Lebenslauf und schleußt ihnen den Himmel auf“ – wird hiernach gethan von euch? Aber wir sollen ja unsern Betkreis noch viel weiter ziehen, sollen keinen Menschen außerhalb lassen, es hieß ja 1 Tim. 2, für alle Menschen. Siehe, Christ, sonst hast du keine Zeit und auch kein Herz an so viele zu denken, aber das Gebet richtet deine Gedanken auf den auch und den und auf alle. Um nur soviel davon zu sagen, als womit, hoffe ich, das Gebet auf der zweiten Stufe, wir vorgemalet ist, das Gebet, da die Gedanken bei den Worten sind, höher, als wenn die bestimmten Gedanken fehlen, die Seele hebend.
III.
Oder, Theure, wäre schon nicht mehr bloß auf die Gedanken gewiesen, wenn die bei den Worten sind, sondern zugleich auf die hinzutretenden Empfindungen schon gewiesen. Wir haben es die dritte Stufe genannt, da zu den Betworten nächst den Gedanken auch die Empfindungen hinzuträten. Es sollte zwar immer so sein im Gebet, und vielleicht in den allermeisten Fällen ist es auch so: Mit den Gedanken zugleich stellen die Empfindungen sich auch ein. Man möchte es unnatürlich nennen, widernatürlich sogar, wenn wirklich an dasjenige gedacht wird, was wir betend aussprechen oder mitbetend anhören, daß dabei nicht Empfindungen in uns aufkommen sollten. Welcher Art sie denn auch sind, es mögen oft bei einem vorgesprochenen Wort die entgegengesetzten Empfindungen sein. Versteht mich. Jemand will einen Psalm Davids beten und trifft einen Bußpsalm, soll er das Blatt umschlagen und einen andern Psalm suchen, weil er in einer solchen Gemüthsstimmung doch auch gar nicht sei? Mein Rath ist: Bete nur mit David das Bußgebet. Es sei der erste Bußpsalm oder nach der Zählung der sechste: Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn, meine Seele ist sehr erschrocken, ich bin so müde vom Seufzen. Das bist du nicht, aber solltest du es nicht sein? Habe nicht so schwer gesündigt, wie David, so hast du doch eben sowohl gesündigt und eben so viel gesündigt, und du bist so ruhig, wie er unruhig war, – ist das Recht vor Gott? Du willst nicht um Vergebung bitten? Er mußte weinen, du kannst nicht einmal wünschen? nicht einmal wünschen traurig zu sein darüber, daß du so wenig traurig bist, gar nicht traurig, obgleich ein vieljähriger vor Menschen und vor Gott? Es diene euch dies als Beispiel, wie wir können mitbeten und zu Empfindungen kommen, auch wenn die Worte eben nicht ein Ausdruck dessen sind, was dermalen in uns ist. Oder sie seien dies, Ausdrücke unserem Seelenzustande ganz angemessen, unsere Gedanken sind ganz dabei, habt ihr nimmer erfahren, wie es im Gesange 691 heißt: – Bin abgeneigt vor Gott zu treten, ich bet und kann nicht gläubig beten, ich denke Gott, doch ohne Licht! Fassen wir das Wort: ohne Licht allgemein und nehmen es für Empfindung überhaupt. Ich möchte doch nicht vor lauter so Erfahrungslosen stehen und habe eine bessere Meinung von euch. Dieser besseren Meinung zufolge sage ich: Ihr alle kennt den Seelenzustand, da die Erkenntniß vorhanden ist, aber die Empfindung fehlet. Gott ist mein liebevoller Vater, und ich bin ein so gefühlloses Kind! Jesus ist mein Jesus, so hat er sich erwiesen, und fähret fort, ich aber ein so unerkenntlicher und unfolgsamer Jünger, ein Jünger gar nicht! ein Schüler bloß und nicht einmal ein dankbarer! Ergriffen hat mich das göttliche Erbarmen, umfangen hat mich die himmlische Güte, überschüttet mit allerlei Segen bin ich, wohin ich blicke und wie weit zurück, aber doch kein Herz, kein gerührtes Herz? Ich kann, wie ich thue diesen Augenblick an das alles denken und die Gedanken sind todtenbleich und todtenkalt! und ob sich zuweilen auch etwas in mir regete, das Empfindung heißen kann, was ist's? ein wie Schwaches und und reicht nicht aufs Tausende an die rechte Gemäßheit, gibt nicht Leben und Lebensfarbe! Meine Lieben, nicht wahr, ihr alle kennt solche Seelenzustände? Die kennt ihr, allein kennt ihr doch nicht auch, die von solchen das Gegentheil sind? Das Gebet auch, welches ihr stehend nicht sprechen könnt, ihr müsset niederknieen? das Gebet auch, welches ihr mit trockenen Augen nicht sprechen könnt, euer Weinen erstickt eure Stimme? Das Gebet auch, welches keine bloße Rede vor Gott und an Gott ist, sondern zugleich eine Rede mit Gott und von Gott, wobei euch nicht anders in der Seele ist, als umfinge euch die nähere Gottesnähe und als sähet ihr in das milde Versöhnerauge Jesu Christi? gar nicht anders, als wäret ihr nicht auf der Erde mehr und im irdischen Leibe, sondern im Himmel schon und die Seele mit ihrem dereinstigen verklärtem Leibe schon hienieden, angethan zu der Stunde? Ich nenne die Empfindung in ihrer Stärke, doch sollen die minder starken, vielleicht heilsameren im Vergleich, gar nicht unangeschlagen sein, davon ich sage wie von jenen: die sind der Geist, in welchem wir Gott anbeten sollen, die sind die Wahrheit, in welcher es gethan werden soll, – ob in Jerusalem oder in Sichem, ob mit einem Buch in der Hand oder mit eigenem Wort, ob in Einsamkeit oder zur Versammlung der Andächtigen gerufen, gilt alles gleich und ob es wäre mit einem Rosenkranz in der Hand, wenn solche Empfindungen nur eines christlichen Wuchses sind, unter der Sonne des Evangeliums aufgeschossen, so heißt das: Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten, wie solche Anbeter der Vater auch, – zwar er verachtet keine, – wie solche Anbeter auch der Vater haben will. Hebe seine Gnade alle Menschen auf diesen Stand! Hebe seine Hülf' uns oft auf diese dritte Stufe! Amen.