Hamann, Johann Georg - An J. G. Lindner (in Riga.) 1760
Königsberg, d. 13. Juni 1760
Meine rechte Arbeit, die niemand sieht, ist der Beruf meines Vaters, ihn nicht in seinem Alter zu verlassen - der Gottes Arm verkündigen möge Kindes Kindern! Durch dero Nachricht von meinem Bruder bin ich herzlich gebeugt worden, so sehr ich auch auf Gottes Heimsuchung gewissermaßen zubereitet gewesen. Auch diese väterliche Züchtigung wolle so gut zu meinem und derjenigen Besten, die daran Theil nehmen, als zu seinem eigenen gedeihen. Woher er die finstern Eindrücke von meinem Schicksale gesogen, weiß ich nicht. Auf meine Briefe kann ich mich berufen, die mehr nach Freudenöl riechen, als meiner Gesellen ihre. Ich würde der undankbarste Mensch unter der Sonne sein, wenn ich im Geringsten über meine jetzige Verfassung in meines Vaters Hause klagen wollte; den Himmel verlange ich auf der Erde nicht, denn im Herzen ist Himmels genug auch in der ärgsten Welt. Wer glaubt, daß Gott so sehr zürnt, und unsere unerkannte Sünde ins Licht vor sein Angesicht stellt? Was wir nicht für Sünde halten, das braucht keine Vergebung. Dieser Wahn ist ein Schlaftrunk, der unsern Fall beschleunigt. Wohl dem, der so fällt, daß er wenigstens davon aufwacht, und sich vor solcher Betrübniß der Seele hüten lernt (Jerem. 8, 12). Gott mög sich seiner annehmen. Ich würde durch meine Herüberkunft, die er sich wünscht, ein leidiger Tröster für ihn sein. Was können ihm meine Briefe helfen? Der Buchstabe würde ihn immer mehr tödten, je mehr er demselben nachgrübelt ohne den Geist, mit dem ich sie schreibe, und mit dem er sie auch lesen sollte. Gott schenke Ihnen Mitleiden und Geduld mit seinen Schwachheiten. Tragen Sie die Last, die Ihnen Gott aufgelegt hat, und nehmen Sie sich seiner an, nicht nach Ihrem guten Herzen, sondern mit Weisheit in der Furcht des Herrn.
Quelle: Renner, C. E. - Auserlesene geistvolle Briefe der Reformatoren