Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - IX. Die falsche und die wahre Aufklärung

Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - IX. Die falsche und die wahre Aufklärung

Text:
2. Corinther 11, 13-15.
Solche falsche Apostel und trügliche Arbeiter verstellen sich zu Christi Aposteln. Und das ist auch kein Wunder; denn er selbst, der Satan, verstellt sich zum Engel des Lichts. Darum ist es nicht ein Großes, ob sich auch seine Diener verstellen als Prediger der Gerechtigkeit; welcher Ende sein wird nach ihren Werken.

In der Reihenfolge unsrer Betrachtungen über die Gnadenordnung sind wir zur Wirkung des Wortes vom Kreuz auf die Berufenen gekommen, und haben gesehen, wie diese Predigt göttliche Kraft und göttliche Weisheit wird denen, die sie aufnehmen im gläubigen Gemüt; nämlich göttliche Kraft zu ihrer Erweckung, Bekehrung und Heiligung, und göttliche Weisheit, die in ihr Herz Licht, Liebe und Leben bringt durch Christum.

Bevor wir nun zur zweiten Stufe, das heißt zur Schilderung der Bekehrung übergehen, müssen wir noch mit einem Rückblick auf die sechste Betrachtung, von dem reden, was allen Erweckten von höchster Wichtigkeit sein muss: von der wahren Aufklärung. Gar Manche, wenn sie nach dem Erwachen um sich schauen, begegnen einem satanischen Blendwerk, das ihnen ein Irrlicht anstatt des wahrhaftigen Lichtes vorgaukelt, damit sie im Netz des Seelenfeindes gefangen werden.

So lange der Mensch im Todesschlaf der Sünde liegt, fragt er nicht nach der evangelischen Lehre; wenn aber eine Seele wach geworden ist, und ihre Sünden erkennt, wird sie auch aufmerksam auf das neue Licht, das in ihre Nacht hinein leuchtet, und ihr in Christo Jesu den Erlöser verkündigt. Da treten nun falsche Apostel, Abgesandte des Lügengeistes, dem Erwachenden entgegen; das sind die trüglichen Arbeiter, von denen unser Text redet, die sich zu Christi Aposteln verstellen, und suchen die Seele abzubringen von der Einfältigkeit in Christo, durch blendende Lehre, die sie Aufklärung nennen, und die sie hinter dem Ausdruck Freiheit verbergen; nämlich Freiheit von aller menschlichen Autorität, und Selbstständigkeit im Urteil über Alles1).

Durch solche (meist betrogene) Betrüger, werden nicht wenige betört, und aus der Unwissenheit des Aberglaubens in die Zweifel des Unglaubens gezogen. Das ist auch kein Wunder, denn er selbst, der Satan, verstellt sich zum Engel des Lichts. Darum ist es nicht ein Großes, ob sich auch seine Diener verstellen als Prediger der Gerechtigkeit.

Die falsche Aufklärung, welche sich in der Letztzeit an die Stelle der Erleuchtung durch Christum drängen will, redet immer vom Licht; ihre Anhänger nennen sich vorzugsweise die Freunde des Lichts; sie schauen höhnend auf die Schar der Gläubigen, welche sie mit Verachtung Finsterlinge nennen. Und so werden nicht selten Berufene wieder verführt in die Finsternisse des Heidentums, wo dem Menschen statt des Gnadenreiches nur das Naturreich bleibt und er, mit Grundsätzen umnebelt, die er für gar vernünftig hält, in den Todesschlaf der Sünde zurücksinkt.

Wehe denen, die Böses gut, und Gutes böse heißen; die aus Finsternis Licht, und aus Licht Finsternis machen, die aus Sauer süß, und aus Süß sauer machen! Wehe denen, die bei sich selbst weise sind, und halten sich selbst für klug2) - Ihr Ende wird sein, nach ihren Werken, und trostlos werden sie einst vor dem Richter stehen, wenn die Seelen, welche sie gemordet haben, sie verklagen, und ihnen ins Angesicht sagen: Du bist Schuld an meinem Untergang!

Wollen wir in unsern Tagen des Abfalls uns nicht mitreißen lassen in das Verderben, so tut es Not auf unsrer Hut zu sein, mit wachsamem Sinn, dass wir das Gnadenlicht, welches unsre Väter so mühsam erkämpft haben, nicht wieder verlieren. Darum lerne jeder Erweckte wohl unterscheiden:

Die falsche Aufklärung und die wahre Aufklärung.

1) Die falsche Aufklärung

erkennt man einfach daran, dass sie ohne und wider Christum und sein Wort ist. Das scheint an und für sich ganz klar; allein wie verwickelt sich die Frage, wenn man die Grundsätze untersucht von denen die Aufklärer ausgehen. Der offenbare Widerspruch gegen die Person Christi und die Verneinung seiner Aussage tritt im Anfang gar nicht so deutlich hervor; mit scheinbarer Hochachtung wird Christus behandelt; seine Worte, seine Geschichte, werden gar hoch gestellt. Aber neben ihn tritt auch der Mensch mit seiner Vernunft, die ja ebenfalls als Gottesgabe geachtet zu werden das Recht hat. Und dann kommt die Anwendung der Vernunft auf die einzelnen Lehren und Begebenheiten; die Gelehrten nennen das: die Kritik; diese stellt ihre Ansichten von vornherein als Wahrheit auf; sie gibt der Moral des Christentums stets noch das gebührende Lob, aber die geschichtlichen Tatsachen verwirft sie als Unmöglichkeiten, weil sie dem Lauf der Natur zuwider sind.

Sobald sie eine Seele dahin gebracht hat, dass sie sich einbildet, es sei so, schreitet sie kühner voran; die Glaubenslehren werden auch angefochten und als unhaltbar erklärt; zuletzt sogar die Persönlichkeit Gottes und die Unzernichtbarkeit unserer Persönlichkeit beim Sterben des Leibes; da ist die höchste Stufe der falschen Aufklärung erreicht. Die Heilige Schrift wird verachtet, die Erlösung durch Jesum Christum als Wahn erklärt; die Meinung, dass die ganze Welt Gott sei und der Mensch als ein Teil der Gottheit sich ansehen dürfe, wird als die höchste Weisheit gepriesen. Das ist die Allgötterei, der Pantheismus, welcher, weil er alles Schriftgrundes mangelt, auch bald in Atheismus überschlägt, nämlich in Leugnung des Daseins Gottes, des allmächtigen Schöpfers und richtenden Vergelters. Was hinderts, dass man nun in den Materialismus übergeht, und den Menschen bloß für belebten Stoff ansieht, dessen Elemente beim Sterben in das All sich auflösen und zerfließen.

In dieser kurzen Übersicht ist in wenigen Zügen der Verlauf der Philosophie geschildert, wie sie sich in ihrer Bescheidenheit zu nennen pflegt: Liebhaberei der Weisheit. Es liegt jedoch darin der grenzenloseste Stolz, indem sie das eingebildete Wissen an die Stelle des Glaubens setzt. Das Wissen bläst auf, aber die Liebe bessert3); solche Liebe ist nur da vorhanden, wo der demütige Glaube lebt, der an dem Heiland festhaltend, mit Überzeugung sagen kann: Keine Kreatur mag mich scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, meinem Herrn4).

Die Wissenschaft ist das Schlagwort, womit die gelehrte Welt sich brüstet, und allen Glauben hofft zunichte zu machen. Am Ende des 17ten Jahrhunderts trat schon wider den Glauben der Pantheist Spinoza, ein Jude, auf; im ganzen 18ten Jahrhundert suchten die englischen Deisten, und die französischen Enzyklopädisten das Christentum zu widerlegen5); und im 19ten Jahrhundert vereinigten sich deutsche und französische Professoren6) mit großem scheinbarem Erfolg, die Lehre der Bibel und insbesondere das Leben Jesu als einen Mythos, d. i. eine Fabel darzustellen. Die Wirkung davon war, dass eine Menge von Scheinchristen in den völligen Unglauben fielen, ja, dass es Manche sogar jetzt für eine Schande halten würden, wenn sie Christum vor den Menschen als ihren anbetungswürdigen Erlöser bekennen sollten.

Wie könnte ein wissenschaftlich gebildeter Mensch die Bibel als eine Autorität ansehen, unter welche seine Vernunft sich beugen müsste? - Nimmermehr! Dadurch hat das göttliche Buch in unserer Zeit des Abfalls aufgehört für viele der Grund zu sein, der ihrem Hoffnungsanker einen sicheren Halt gibt. Anstatt der gewissen Zuversicht7), schwimmen sie in einem Meer von Zweifeln; und nicht wenige leiden darin Schiffbruch, und sinken in den völligen Tod des Unglaubens.

Die nächste Wirkung ist, dass sie nicht mehr beten können, und außer Stand sind, dem Rat des Apostels Jacobus zu folgen8): So Jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte von Gott, der da gibt einfältiglich Jedermann, und rückt es Niemand auf; so wird sie ihm gegeben werden. Er bitte aber im Glauben, und zweifle nicht; denn wer da zweifelt, der ist gleich wie die Meereswoge, die vom Wind getrieben und gewebt wird. Solcher Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde. Der Zustand des Zweifels raubt dem Herzen alle Festigkeit; für einen Zweifler gibt es keine heilige Schrift mehr; er hört sie zwar, aber er baut nicht darauf, und an ihm wird das Wort des Herrn erfüllt9): Wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der ist einem törichten Mann gleich, der sein Haus auf den Sand (auf menschliche Gedanken) baute. Da nun ein Platzregen fiel, und ein Gewässer kam, und wehten die Winde, und stießen an das Haus, da fiel es, und tat einen großen Fall.

Denkt nur nicht, dass der Zweifel an der göttlichen Wahrheit ein Zeichen des Scharfsinnes, eine Ehre sei; nein! der Zweifel an Christo und seinem Evangelium ist ein krankhafter Zustand, der, wenn er nicht geheilt wird, mit dem Tod endet. Durch einen Zweifel an Gottes Wort hat der Lügner und Mörder von Anfang unsere ersten Eltern verführt. Sollte wohl Gott gesagt haben? so sprach er zu Eva, und während sie sich bemüht ihn zu widerlegen, bohrt er ihr die Verneinung des deutlich verstandenen Gebotes ins Herz. Sie und Adam genießen die verbotene Frucht und der Feind hat seinen ersten Sieg davon getragen; einen Sieg der sich seitdem millionenmal in unserem Geschlecht wiederholte. Denn bei einem Zweifler wird meistens die Lüge zuletzt die Oberhand gewinnen. Nur der mutige Glaube, welcher festhält an dem Wort des Lebens, kann den Zweifel überwinden, und sagen: Dennoch bleibe ich stets an Dir10)!

Weil aber die alte Schlange gar wohl weiß, dass in unserer letzten Weltversuchungsstunde der Entscheidungskampf auf die Spitze getrieben, und der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens geoffenbart werden soll11), so vereinigt sie alle Mächte der Finsternis in diesen Tagen; bald wird der Angekündigte kommen, mit allerlei lügenhaften Kräften und Zeichen und Wundern, und mit allerlei Verführungen zur Ungerechtigkeit, unter denen, die verloren werden, dafür, dass sie die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, dass sie selig würden12). - Über alle diese Abtrünnigen wird aber ein Gottesgericht ergehen; (wer dies liest, der merke darauf:) darum wird ihnen Gott kräftige Irrtümer senden, dass sie glauben der Lüge, auf dass gerichtet werden Alle, die der Wahrheit nicht gehorchen sondern haben Luft zur Ungerechtigkeit13).

Diese kräftigen Irrtümer sind bereits da, manche im Anfang bloß, andere aber in mächtiger Entwicklung; zu allen liegt der Stoff, wie ein Unkrautsamen im menschlichen Herzen, und wartet nur auf die günstige Zeit der Entfaltung. Diese Zeit kommt in der Erweckungsperiode, wo der Menschengeist ein Verlangen fühlt nach der Lösung der wichtigsten aller Fragen: Was soll ich tun, dass ich selig werde? -Um ihn nun von der richtigen Antwort abzuleiten, hat der Lügengeist, der die ganze Welt verführt, dreierlei Irrtümer bereitet, damit er den Sinn dadurch betöre, es sind: philosophische, historische und moralische Irrtümer.

Die philosophischen gehen von Grundsätzen aus, welche wie man zu sagen pflegt, keines Beweises bedürfen, denn sie sind Axiomen, d. i. Wahrheiten, die sich von selber verstehen, als da sind: die Vernunft (und auch das Gewissen, welches Kant die praktische Vernunft nennt), ist die letzte Schiedsrichterin in allen Fragen; die Naturgesetze sind unabänderlich, und Gott selber ist daran gebunden; was mit beiden (Vernunft und Natur) im Widerspruch steht, muss entschieden verworfen werden. - Da fallen nun von selber alle Geschichten der Bibel, die etwas Wunderbares an sich tragen, in das Gebiet der Volkssagen.

Unter den historischen Irrtümern stehen obenan die massenhaften Bemühungen, die Auferstehung des Herrn abzuleugnen, indem man sie als Betrug erklärt, und höchstens als Visionen und Halluzinationen gelten lässt.

Was nun die moralischen Irrtümer anbelangt (man sollte sie eigentlich unmoralische nennen), so bestehen sie alle auf der Leugnung unseres gefallenen Zustandes: Der Mensch ist noch, wie ihn Gott geschaffen hat, gut von Natur; darum bedürfen wir keines Erlösers, der unsere Schuld übernimmt, und uns versöhnt mit Gott. Christus war auch ein Sünder14); ein Jeder muss sein eigener Heiland sein. Das Christentum beruht auf einer Täuschung.

Diese Irrtümer, welche nun in die Volksmassen eindringen, und den Grund des Glaubens umreißen15), sind die ärgste Feuerprobe für die erweckten Christen. Nur wer die seligmachende Kraft des Evangeliums an seinem Herzen erfahren hat, durch die Vergebung der Sünden, vermag diese Probe auszuhalten. Einem Solchen ist Christus sein A und sein O16); gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit17); sein Schatz und die Liebe seines Herzens18). Darum baut er auf den ewigen Grund, der gelegt ist, Gold, Silber, edle Steine, d. i. ein gottgeweihtes Leben, aus dankbarer Freude. Ja gewiss, wenn in den Finsternissen der falschen Aufklärung viele an Allem irre werden, und trostlos untergehen, so gibt es doch in dieser nächtlichen Periode auch eine wiewohl kleine Anzahl wahrhaftiger Kinder Gottes, die, wenn es sein müsste, für ihren Herrn Jesum Leib und Leben ließen, und den Mut haben unter Spott und Hohn vor der Welt zu sagen, dass sie Sein sind und bleiben wollen. Diese sind das Salz der Erde, das Licht der Welt19) und haben:

2. Die wahre Aufklärung,

welche sogleich daran erkannt wird, dass Christus und sein Wort ihnen Alles und in Allen ist20).

Da findet sich kein Zweifel mehr, denn Christus hat den Aufgeklärten das rechte Schriftverständnis eröffnet, wie er solches nach seiner Auferstehung den versammelten Jüngern getan21). Es muss Alles erfüllt werden, was von mir geschrieben ist, so sagte Er, im Gesetz Mosis, in den Propheten und in den Psalmen. Und nun öffnet Er ihnen das Verständnis, dass sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: Also ist es geschrieben, und also musste Christus leiden, und auferstehen von den Toten am dritten Tag, und predigen lassen in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden, unter allen Völkern, und anheben zu Jerusalem. Ihr aber seid des Alles Zeugen.

Dieses geöffnete Schriftverständnis ist das erste Stück der wahren Aufklärung, und wird jedem zu Teil, der an Jesum Christum glaubt. In des Herrn Aussage liegt die Bürgschaft für die Wahrhaftigkeit der Apostel, wenn Er ihnen die Versicherung gibt22): Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.

Hört ihrs, ihr Gottesverächter, die ihr das apostolische Wort für Täuschung erklärt; mit eurer Afterweisheit wollt ihr dem widersprechen, der die Wahrheit selber ist, und der uns die Gewissenhaftigkeit und Treue seiner Diener verbürgt, indem er ihnen sagt23): Man wird euch vor Fürsten und Könige führen um meinetwillen, zum Zeugnis über sie und über die Heiden. Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet. - Ja, sie haben die dreifache Beglaubigung Gottes, des Vaters, der sie erwählt hat, des Sohnes, der sie in seinem Namen sandte, und des Heiligen Geistes, dessen gehorsame Organe sie sind. Wer ihrem Zeugnis gläubig traut, hat auch den heiligen Geist, der ihn in alle Wahrheit leitet; denn der Geist ist es, der da zeugt, dass Geist Wahrheit ist24). Vom Geist Gottes getrieben, hat ein solcher das Bewusstsein der Kindschaft Gottes25), und die Salbung (Chrisma), die ihn alles lehrt26), was er zur Seligkeit bedarf; er ist ein wahrer Christ, und braucht nicht, dass ein Professor oder sonstiger Mann der Wissenschaft, ihm seine Ansichten mitteilt, um einen gewissen Grund seiner Hoffnung zu haben, sondern er darf dreist behaupten: Ich bin gelehrter, denn alle meine Lehrer, denn deine Zeugnisse sind meine Rede 27).

Unerschütterlich fest steht eine solche Seele auf dem Felsengrund Christus, und lässt sich durch keine Einwendungen, Spott oder Drohungen ihr Kleinod entreißen: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! - Und Er hilft, wie er schon vielen geholfen hat, zum freudigen Glaubensmut. Ob tausend abfallen mir zur Seite und zehntausend mir zur Rechten, so wird doch die Pest des Unglaubens mich nicht treffen, denn der Herr ist meine Zuversicht, der Höchste ist meine Zuflucht28). Er hat mich versichert: Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von Dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer29).

Ja Herr, mein Erbarmer! Du bist das Licht der Welt, und weil ich Dir nachfolge, werde ich nicht in Finsternis wandeln, sondern ich werde das Licht des Lebens haben30). In deiner Nachfolge geht es freilich durch die Selbstverleugnung. Nicht was meine stolze Vernunft meint, sondern was Er gesagt hat, das gilt, ob ich es erklären kann, oder ob es Tatsachen und Lehren sind, die mein Geist in seinem jetzigen beschränkten Zustand nicht zu erreichen vermag. Es steht geschrieben im Buch, darauf mein Glaube ruht! Damit will ich dem Lügner und Verführer immer antworten, wie mein Jesus es mir zum Vorbild getan hat.

Somit ist mir das größte seiner Wunder, die Auferstehung von den Toten am dritten Tag, genugsam bewiesen, und was die Apostel darauf gründeten, völlig beglaubigt. Habe ich das einmal festgestellt, so sind alle Wunder in dem Leben Christi einfache geschichtliche Zeugnisse; und Alles, was die Apostel lehren, von der Jugendgeschichte Jesu an, bis zu seiner Wiederkunft am großen Tag des Weltgerichts, ist mir selige Gewissheit. Mag ein Heer von Widersachern aufstehen, und mit allerlei Mutmaßungen dem Zeugnis der Heiligen Schrift entgegentreten; ich gedenke jenes prophetischen Wortes des ehrwürdigen Simeon: Siehe, dieser wird gesetzt zu einem Fall und Auferstehen Vieler in Israel, und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird, auf dass vieler Herzen Gedanken offenbar werden31). Auch mir ist Er gesetzt zum Auferstehen; denn weil ich mit dem Apostel Paulo sprechen kann: Dass Christus gestorben sei für unsere Sünden, nach der Schrift, und dass Er auferstanden sei am dritten Tag, nach der Schrift32), so hebe auch ich mit Freuden mein Haupt auf in dieser letzten Zeit, darum, dass sich meine Erlösung naht33).

Mit diesem Schriftverständnis verbindet sich aber, als zweites Stück der Aufklärung, die rechte Gotteserkenntnis. Denn Gott, der da hieß das Licht aus der Finsternis hervor leuchten, der hat einen hellen Schein in unsere Herzen gegeben, dass entstünde die Erleuchtung von der Erkenntnis der Klarheit Gottes, in dem Angesichte Jesu Christi34). Sobald ein Mensch in Jesu Christo den Sohn Gottes, voller Gnade und Wahrheit, erkannt hat, ist ihm von dem kräftigen Irrtum geholfen, der allen antichristlichen Ansichten vom Wesen Gottes zum Grunde liegt, auch da, wo es nicht deutlich ausgesprochen wird. Johannes sagt35): Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht. Wer sich untersteht Gott seinen Vater zu nennen, und glaubt nicht an den Sohn Gottes, der macht Ihn zum Lügner, denn er glaubt nicht dem Zeugnis, das Gott zeugt von seinem Sohne36): Das ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, den sollt ihr hören37)!

Das Wesen Gottes ist allerdings ein Geheimnis; will jemand dasselbe zum Gegenstand des Wissens machen, so bleibt er beim Gesetz stehen. Das Naturgesetz führt zum Pantheismus; denn überall in der Schöpfung treten uns die physikalischen Gesetze entgegen, und der Mensch, welcher die Sinnenwelt mit Bewunderung betrachtet, sagt mit Recht, dass er in Allem die Spuren der allbelebenden Gottheit sieht, und voll Erstaunen ruft er: In Allem ist Gott! Alles ist Gott! Das ist der Gott der Verkehrten. Wer aber Gott auch als den moralischen Gesetzgeber betrachtet, gründet auf die Gotteserkenntnis das Sittengesetz, und geht einen Schritt weiter als der Pantheist, denn er sieht ein, dass es eine Sünde gibt, die Gott strafen muss, an dem, der die Gesetze übertritt. Da er aber keinen Sohn Gottes zum Erlöser hat, so muss er suchen sein eigener Erlöser zu werden, und gerät nun in trostlose Verzweiflung, wenn er es wagt, darüber tiefer nachzudenken. Das ist der Gott der Türken, die ihn Allah nennen, und sich in ihrem Jammer durch die Lehre des Fatalismus zu helfen suchen, indem sie sagen: Der Mensch, welcher sündigt, sei zum Voraus dazu von Gott bestimmt. Die neuern Juden, die ebenfalls, wie die Mohamedaner, Deisten sind, weil sie den Abrahamsglauben nicht mehr haben, erwarten noch einen Messias, welcher durch die Propheten verheißen ist; aber sie wissen nicht was sie daraus machen sollen, und sind darum stets mit Todesangst erfüllt. Auch die Teufel, die gefallenen bösen Geister, sind Deisten, wie Jacobus sagt38): Du glaubst, dass ein einiger Gott ist; du tust wohl daran, die Teufel glauben es auch, und zittern.

Das Geheimnis des Wesens Gottes wird nur denen geoffenbart, die durch das Bad der Wiedergeburt den heiligen Geist empfangen haben39), und Kinder Gottes geworden sind; der Apostel sagt40): Ihr seid alle Gottes Kinder, durch den Glauben an Christum Jesum; denn wie viele euer getauft sind, die haben Christum angezogen. - Allen Getauften, die an Jesum Christum glauben, werden die Tiefen der Gottheit ausgeschlossen wie geschrieben steht: Das kein Auge gesehen hat, und kein Ohr gehöret hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das hat Gott bereitet denen die Ihn lieben; uns aber hat es Gott geoffenbart durch seinen Geist. Denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit41). Diese Tiefen der Gottheit nennt die Kirche Christi: die heilige Dreieinigkeit, die sie an die Spitze der Glaubenslehre stellt, weil uns darin des Vaters Herz entgegen kommt, der uns dem Sohn zum Lohn seiner Schmerzen übergeben hat, und uns dabei versiegelt durch den Heiligen Geist42).

Von der Zeit an, wo uns dies Geheimnis durch den Glauben an den Sohn Gottes aufgeschlossen ist, sind uns auch alle andere Lehren des Christentums zugänglich; mit Erstaunen treten wir alsdann in das Gebiet des Lebens in Christo Jesu, denn das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden43). Jetzt erst wird uns die Bibel grundverständlich, und unser Dasein auf Erden ist kein verworrenes Rätsel mehr, sondern eine Vorschule für die selige Ewigkeit. Im Lichte Gottes wird uns der völligste Trost gegeben, dass wir nach und nach für Alles danken können, weil mit der rechten Gotteserkenntnis auch das dritte Stück der Aufklärung, die rechte Selbsterkenntnis uns dargeboten wird.

Der falsch Auferklärte ist voll stolzen Wahnes; seine Kritik ergeht über Alle; die kühnsten Mutmaßungen über Christus, über die Apostel und Propheten, ja über die ganze heilige Schrift spricht er als ausgemachte Wahrheit aus; dabei vergisst er, was der Apostel Paulus sagt44): So wir uns selber richteten, so würden wir nicht gerichtet; darum geht er in der Finsternis abwärts einem furchtbaren Gericht entgegen. Ganz anders der wahrhaft Aufgeklärte; er glaubt demütig an das heilige Bibelbuch, und in reinem Licht sieht er das Licht45). Dadurch erleuchtet fängt er an, seinen Herzenszustand zu untersuchen, und sagt mit Mose, dem Mann Gottes46): Unsre Missetat stellst du vor dich, unsre unerkannte Sünde in das Licht vor deinem Angesicht.

Die unerkannte Sünde wird ihm, dem von Gott erleuchteten, nun erst recht groß, im Lichte des Gesetzes vom Sinai; aber er verzagt nicht, denn ihm leuchtet das Wort vom Kreuz auf Golgatha, und er kann es glauben, dass, wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger geworden47). Bei einem so gründlich Erweckten, kann die wahre Bekehrung nicht ausbleiben; er sinkt dann dankend zu den Füßen Jesu hin, und ruft: Mein Herr und mein Gott, ich danke dir, dass du mich demütigst und hilfst mir; ehe ich gedemütigt ward, irrte ich, nun aber halte ich dein Wort48).

Gewiss hat Paulus also gesprochen, als er zu Damaskus drei Tage lang auf dem Angesicht lag, und mit Schrecken den entsetzlichen Irrtum erkannte, in welchem er so lange gebunden gewesen. Er hatte sich früher für einen gar aufgeklärten Mann gehalten, aber seine Weisheit war zu Schanden geworden, im Licht Jesu Christi. Da kehrte er um, wurde wie ein Kind, und das Himmelreich ging für ihn auf49).

Jesus aber hat gesprochen50): Ich preise dich, Vater und Herr Himmels und der Erde, dass du Solches den Weisen und Klugen verborgen hast, und hast es den Unmündigen geoffenbart. Ja Vater, denn es ist also wohlgefällig gewesen vor dir. Wahrlich, die göttliche Torheit ist weiser, denn die Menschen sind, und die göttliche Schwachheit ist stärker, denn die Menschen sind51).

Mag nun auch in unsern Tagen der Satan sich zum Engel des Lichtes verstellen, und seine Apostel aussenden im Widerspruch mit Christus und seinen Aposteln;

Das Wort sie sollen lassen stahn,
Und kein'n Dank dazu haben!

und es wird nie an aufgeklärten Christen fehlen, die den Heiland vor der Welt bekennen, und mit dem Heldenruf: Dennoch bleib ich stets an Dir! ihrem Herrn Christo folgen, als Kinder des Lichts, im göttlichen Leben der heiligen Liebe. Amen.

1)
2. Corinth. 11,3
2)
Jesaj. 5,20-21
3)
1. Cor. 8,1
4)
Röm 8,39
5)
Thomas Woolston, Voltaire und Konsorten
6)
In Deutschland besonders David Strauß; in Frankreich Ernest Renan.
7)
Ebr. 11,1
8)
Jac. 1,5-7
9)
Matth. 7,26-27
10)
Ps. 73,23
11)
2. Thess. 2,3
12)
2. Thessal. 2,9-10
13)
2. Thess. 2,11-12
14)
Das Buch von Felix Pecaut (Christ et la Conscience) sucht das darzutun
15)
Ps. 11,3
16)
Offb. 1,8
17)
Ebr. 13,8
18)
Matth. 6,21
19)
Matth. 5,14
20)
Coloss. 3,11
21)
Luc. 24,44-48
22)
Luc. 10,16
23)
Matth. 10,18-20
24)
Joh. 5,6
25)
Röm. 8,14-16
26)
1. Joh. 2,20 u. 27
27)
Ps. 119,99
28)
Ps. 91,7 und 9
29)
Jes. 54,10
30)
Joh. 8,12
31)
Luc. 2,34-35
32)
1. Corinth. 15,3-4
33)
Luc. 21,28
34)
2. Cor. 4,6
35)
1. Joh. 2,23
36)
1. Joh. 5,10
37)
Matth. 3,17 und Matth. 17,5.
38)
Jac. 2,19
39)
Titus 2,5
40)
Gal. 3,26-27
41)
1. Cor. 2,9-10
42)
2. Cor. 1,21-22
43)
2. Cor. 5,17
44)
1. Cor. 11,31
45)
Ps. 36,10. Vergleiche die VI. Betrachtung.
46)
Ps. 90,8
47)
Röm. 5,20
48)
Ps. 118,21. Ps. 119,67.
49)
Matth. 18,3
50)
Matth. 12,25-26
51)
1. Cor. 1,25
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