Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - V. Der Gnadenruf Gottes an die Sünderwelt

Härter, Franz Heinrich - Die göttliche Gnadenordnung in einer Reihe von Betrachtungen - V. Der Gnadenruf Gottes an die Sünderwelt

Text: Ps. 50,1.

Gott rufet noch, sollt ich nicht endlich hören?
Wie lass ich mich bezaubern und betören?
Die kurze Freud, die kurze Zeit vergeht,
Und meine Seel noch so gefährlich steht.

Gott ruft uns! Täte Er es nicht, so gingen wir gedankenlos ins Verderben. - Durch die Predigt von Christo, dem Gekreuzigten, vernehmen wir den Ratschluss Gottes zu unserer Seligkeit. Er kommt uns zuvor; sein Erlösungswerk ist ohne unser Zutun geschehen. Christus übernahm unsre Schuld. Das wird nun in alle Welt verkündigt. „Gott der Herr, der Allmächtige redet, und ruft der Welt, vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang.“ Das ist:

Der Gnadenruf Gottes an die Sünderwelt.

Er geht aus von des Menschen Sohne; denn des Menschen Sohn, d. h. der Mensch gewordene Gottes-Sohn, ist gekommen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist1). Du bist ein Verlorener, sagt der gute Hirte, darum bin ich auch für dich gekommen, du verlorenes Schäflein. Glaubst du das? Erkennst du, dass du bis jetzt den rechten Weg nicht gewählt hast, sondern dem Abgrund zueiltest? Du lebst ja in der Eitelkeit und Selbsttäuschung, und kannst gar nicht zu dir selber kommen, denn die Welt hat dich verblendet. Selbst in das Gotteshaus verfolgen dich deine eitlen Gedanken, und in deiner Zerstreuung kannst du gar nicht hören, wenn nicht, durch eine besondere Gnade Gottes, das Wort, wie ein zweischneidiges Schwert, in dein Innerstes dringt, und scheidet Seele und Geist. Sobald dies geschieht, geht in dir eine heilsame Erschütterung vor, und der Heilige Geist schenkt dir eine Glaubensüberzeugung, die dich willig macht, den Segen der Berufung zu empfangen. Widerstreite nun ferner dem Wort Gottes nicht; es schmeichelt dir freilich keineswegs, sondern es zeigt dir den Abgrund, in welchen du Gefahr läufst zu versinken. Du warst bisher ein Eigentum des Fürsten der Finsternis, der dich gebunden hielt, dass du dein Leben zubrachtest wie ein Geschwätz.

Aber nun tritt dir der Herr in deinen Weg, und ruft dir zu: Ich habe dich je und je geliebt, und will dich zu mir ziehen aus lauter Güte. Lass dich retten durch die freie Gnade, die ich dir anbiete. Du trägst zwar meinen Namen äußerlich, und solltest mir angehören, aber dein Herz war bisher nicht redlich vor mir, denn du dientest deinem Abgott, der dich gebunden hielt mit siebenfacher Kette. Doch habe ich das Lösegeld für dich gegeben, dass der Feind und Mörder deiner Seele, dich nicht mehr halten kann, wenn du nicht willst sein Eigentum bleiben, durch seine Lügen betrogen. Reiß dich los, und werde mein Schmerzenslohn!

So sagt der Gnadenreiche, der uns alle zur Seligkeit von unserer Taufe an berechtigt hat. O, wenn die Christen es wüssten und bedächten, wie köstlich es ist, was uns der Herr schon in der heiligen Taufe anbietet. Da kam uns die Gnade zuvor, noch ehe wir danach fragten, und sicherte uns das Kindesrecht und Erbrecht zu, wenn wir nur treu dem Bund bleiben, in welchen wir durch die segensreiche Wasserflut eingetreten sind2). Denn da erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes unsres Heilandes; nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit machte Er uns selig, durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung des Heiligen Geistes, welchen er ausgegossen hat über uns reichlich, durch Jesum Christum unsern Heiland, auf dass wir durch desselben Gnade gerecht, und Erben seien des ewigen Lebens nach der Hoffnung; das ist je gewisslich wahr3).

Der Christ, in welchem die heilige Taufe ihre Kraft offenbaren kann, weil er von Herzen glaubt, darf mit Zuversicht sagen: Ich bin meiner Seligkeit gewiss, denn ich gehöre nicht mehr der Welt, sondern meinem Heiland an; es ist in keinem Andern Heil, und ist kein anderer Name uns Menschen gegeben, darin wir mögen selig werden, als allein dein Name, Jesus Christus, hochgelobt in Ewigkeit. Wer zur Ehre dieses Namens den Gnadenruf annimmt, ist gerettet. Gott hat uns selig gemacht, und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken (das wird ausdrücklich wiederholt), sondern nach seinem Vorsatz und Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu vor der Zeit der Welt4).

Nach seinem ewigen Ratschluss werden die Menschen berufen, der Eine früher, der Andere später; aber keiner wird sagen können der Herr habe ihn vergessen. Doch unter den Millionen Menschen sind stets nur eine kleine Zahl, die darauf achten. Der Tand der Welt, ihr zeitlicher Vorteil, ist den Meisten die Hauptsache, und das Heil ihrer Seele tritt ganz in den Hintergrund. Der Knabe, wenn er heranwächst, sucht sich Kenntnisse in irdischer Wissenschaft zu erwerben, die ihm eine ehrenvolle Stellung zusichern mögen. Das Mädchen ist darauf bedacht sich zu versorgen, und schmückt sich, dies ersehnte Ziel zu erlangen. Aber das himmlische Hochzeitkleid wird von Beiden verschmäht. Dennoch wird der gute Hirte nicht müde, zu suchen das Verlorene.

Auch bei den Gottentfremdeten, nach ihrer Taufe, und der Versiegelung ihres Taufbundes in der Konfirmation, hört der Gnadenruf nicht sogleich auf; das zeigt uns der Herr im Gleichnis vom großen Abendmahl5). An die längst geladenen Gäste ergeht abermals der Ruf: „Kommt, denn es ist Alles bereit!“ Womit erwidern aber die meisten Christen diese Einladung? - Die Einen entschuldigen sich mit ihrem Acker, dem täglichen Broterwerb; die Andern mit ihren fünf Joch Ochsen, mit ihrer größeren Industrie. Andere, die Hochzeitgeschäfte haben, sagen ohne weitere Entschuldigung: Ich kann nicht kommen!

Was hast denn du, liebe Seele, die du auch geladen bist zu dem herrlichen Fest am großen Sabbat, auf die liebreiche Einladung erwidert? Bedenkst du nicht, was zu deinem Frieden dient? Es ist das Werk der innern Mission, welche uns an jedem Sonntag durch den Mund treuer Lehrer, den Gnadenruf nahe bringt. Der Geist und die Braut sprechen: Komm! Und wer es hört, der spreche: Komm! Und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst!6) Aber ach, unter hunderten ist kaum Eine Seele, die den Ruf mit dem Herzen vernimmt: Kommt, es ist Alles bereit! Kaum Eine, die sagt: Das hat mir gegolten; und mit des Herrn Hilfe will ich kommen!

Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinen sagt! Der Gnadenruf ergeht stets weiter, durch die äußere Mission: Rufet die Armen, die Krüppel, die Lahmen und Blinden herbei! - Herr, es ist geschehen was du befohlen hast, es ist aber noch Raum da! So geht hinaus auf die Landstraßen, und an die Zäune, und nötigt sie herein zu kommen, auf dass mein Haus voll werde! O seht zu, dass nicht an euch in Erfüllung gehe, was der Heiland von dem heidnischen Hauptmanne sagte: „Wahrlich, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden!“ Ja, die Heiden werden einst wider die Christen zeugen, denn: Viele werden kommen von Morgen und von Abend, und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich sitzen; aber die Kinder des Reichs (die geborenen, doch nicht wiedergebornen Christen) werden ausgestoßen in die äußerste Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen7).

Bürger des Himmelreichs, ihr habt von Kindheit an die Aufforderung der ewigen Liebe vernommen; aber ihr habt großenteils ihr nicht gefolgt. Öffnet doch endlich Ohr und Herz, dass ihr nicht vor den Heiden zu Schanden werdet. Merkt auf die Zeichen der Zeit, die uns ernstlich an das nahende Ende mahnen, und uns zurufen: Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, denn kurz ist die Zeit des Heils!

Ihr aber, teure Seelen, die ihr den Gnadenruf nicht nur gehört, sondern auch im Herzen aufgenommen habt; bleibt nicht auf halbem Weg stehen, sondern geht getrost himmelan, der Heimat zu. Ihr seid des Heilandes Eigentum; fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist des Vaters Wohlgefallen euch das Reich zu geben. Siehe, Er steht vor der Türe und klopft an; tut Ihm weit auf eure Herzenstüre, und nehmt Ihn im innern Leben auf, dann werdet ihr die ganze Fülle Seiner Gnade empfangen; der Herr wird euch Mut und Kraft geben Allem zu entsagen, was euch bisher gebunden hielt; Er wird euch immer mehr vom Irdischen frei machen, bis euch der Heilige Geist völlig zu Kindern Gottes umwandeln kann, auf denen der ewige Segen ruht.

Gib dich mein Herz, gib dich doch ganz gefangen.
Wo willst du Trost, wo willst du Hilf erlangen?
Lass los, lass los! Brich alle Band entzwei,
Dein Geist wird sonst in Ewigkeit nicht frei. Amen.

1)
Luc. 19,10
2)
1. Petr.
3)
Tit. 3,4-7
4)
2. Timoth. 1,9
5)
Luc. 14,16 ff.
6)
Off. 22,17
7)
Matth. 8,11-12
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