Girgensohn, Thomas - Zur Erbauung - Durchs Kreuz zur Krone.
Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück. (Jes. 38, 17.)
Dies Wort des Propheten stellt uns den Lebensgang des Christen in seinen Grundzügen vor Augen; aus der Tiefe in die Höhe und dann wieder in die Tiefe, bis wir endlich auf jener Höhe angelangt sind, von wo es in Ewigkeit nicht mehr hinabgeht. Wir müssen durch viel Trübsal ins Reich Gottes gehen, das ist ein Grundgesetz des christlichen Lebens, wie es die heilige Schrift in unzähligen Aussprüchen uns einprägen will; das Vorbild unseres Heilandes offenbart es uns mit unwidersprechlicher Klarheit: durchs Kreuz zur Krone, an allen Gottesmännern der heiligen Geschichte sehen wir dasselbe Grundgesetz sich durchsetzen, das Zeugnis jedes Jüngers Christi von den Führungen Gottes in seinem Leben sagt es uns: siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen. Wir wissen es, dass solches der Rat des Herrn mit den Seinigen ist. Wenn aber die Trübsal über uns kommt, wenn wir aus eigenster Erfahrung seufzen müssen: siehe, um Trost ist mir sehr bange, dann will unser zagendes Herz sich nicht finden in die Wege Gottes, dann dünkt sein Rat uns sehr wunderlich, dann ist das Herz für den Trost des Herrn oft so unempfänglich und, ob wir auch aus der Trübsal wieder hinausgeführt werden, wir gelangen doch nicht auf die Höhe, wo es heißt: du hast dich meiner Seele herzlich angenommen.
Wie kommen wir dazu, in dem Leiden dieser Zeit auch die tröstliche Hälfte des Prophetenwortes an uns zu erfahren? Da gilt es vor Allem im Glauben festzuhalten, dass wir geleitet werden von dem Rat des Gottes, der die Liebe ist und der immer Friedensgedanken mit uns hat, dass es sein Rat ist, der uns in die Tiefe führt. Gerade auch die Epiphanias-Zeit, in welcher wir jetzt stehen, will uns daran erinnern, dass unsere Wege nach seinem Gnadenrate bestimmt sind. Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes, das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns; und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit, das ist der Grundton der Predigt in der Epiphanias-Zeit; wie Gottes Gnade in Christo erschienen ist, wie diese Gnade in Christo vor den Menschen, an ihnen, in ihnen und durch sie erscheint, das wird uns in dieser Zeit allsonntäglich verkündet. Schaue im Glauben auf Ihn hin, in welchem Gott erscheint als der, der sich herab zum Sünder neigt, und es wird Dir zur Gewissheit werden: sein Rat ist wunderbar, aber er führt es herrlich hinaus, mitten unter der Klage: siehe, um Trost ist mir sehr bange, wird sich im Herzen etwas von der tröstlichen Zuversicht regen: du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen. Hierbei ist aber eins zu bedenken; damit wir im Glauben auf den hinschauen könnten, in dem Gott sich herab zum Sünder neigt, müssen wir uns unter die Sünder zu rechnen wissen. Darauf zielen zunächst die uns wunderlich dünkenden Führungen des Herrn; er führt uns in allerlei Trübsal, um uns durch die Not in eine noch größere Tiefe zu führen. Das ist die Tiefe, wo das Herz unter dem Ernst des Lebens anfängt, seiner Sünden zu gedenken, wo das Gewissen erwacht und uns treibt, unsere Übertretungen dem Herrn zu bekennen, wo ein Druck auf dem Gemüt liegt, dass man sagen möchte: meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last, sind sie mir zu schwer geworden. Lassen wir uns in solche Tiefe führen, weigern wir uns nicht der göttlichen Traurigkeit, die der Herr auch durch das äußere Kreuz in uns wirken oder mehren will, dann wird das Klagewort: „siehe, um Trost ist mir sehr bange“, in unserem Munde zu einem Bußworte, einem Beichtgebete, und wir sind auf dem Wege aus der Tiefe in die Höhe, wo wir es erfahren sollen: du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück. Der, in dem erschienen ist die Liebe des Vaters, kann sich nicht verleugnen, er muss seine Verheißung für die Mühseligen und Beladenen wahr machen: ich will euch erquicken. Nicht mit äußerer Hilfe wird er zunächst hervortreten, sondern er wird erhören das Beichtgebet, er wird sprechen: deine Sünden sind dir vergeben, und wir werden im Glauben auf ihn hinschauen können mit dem Bekenntnis: mein Herr und mein Gott, der mir alle Sünden vergibt und heilt alle meine Gebrechen. Dann aber ist diese seine Erscheinung in sündenvergebender Gnade uns eine Bürgschaft dafür: der Herr wird mich erlösen von allem Übel und aushelfen zu seinem himmlischen Reich. Auch hier auf Erden werden. wir, die wir die Erscheinung des Sünderheilands lieb haben, seine Hilfe, seinen Segen, seine rettende Hand spüren, aber wir müssen doch auf dem schmalen Wege weiter wandern, von der Höhe geht es doch wieder in die Tiefe hinab und zuletzt in die dunkelste Tiefe, in den Todeskampf. Wenn wir aber im Leben gelernt haben, in bußfertigem Glauben die Erlösung zu suchen, welche sich gründet auf Vergebung der Sünden, so werden wir auch in jener letzten Tiefe nicht verzagen und durchdringen zu dem seligen Ziel, wo wir auf unser ganzes Erdenleben zurückblickend, werden dankend bekennen müssen: du hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verdürbe. Aber auch dort am Ziel wird, wie hier auf Erden, die seligste Freude und das köstliche Erbteil darin bestehen, dass wir werden sagen dürfen: Du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.
Rig. Kirchenbl. 91. Nr. 4.