Gess, Wolfgang Friedrich - Bibelstunden über den Brief des Apostels Paulus an die Römer - Zehnter Abschnitt. Abrahams Glaube und der Christen Glaube 4, 17-25.
17. Welcher ist unser Aller Vater (wie geschrieben steht: ich habe dich gesetzt zum Vater vieler Völker) vor dem Angesichte des Gottes, dem er geglaubt hat, der da lebendig macht die Toten und ruft, was nicht ist, als ob es wäre; 18. welcher gegen Hoffnung auf Hoffnung geglaubt hat, dass er würde ein Vater vieler Völker, wie denn zu ihm gesagt ist: „also soll dein Same sein“; 19. und, nicht schwach werdend im Glauben, hat er nicht angesehen seinen eigenen Leib, welcher schon erstorben war, weil er fast hundertjährig war, auch nicht den erstorbenen Mutterleib der Sarah; 20. vielmehr, auf die Verheißung Gottes gerichtet, ward er nicht gespalten durch den Unglauben, sondern ward stark im Glauben, Gott die Ehre gebend 21. und voller Zuversicht, dass, was Gott verheißen hat, das kann er auch tun. 22. Darum ist's ihm auch zur Gerechtigkeit gerechnet. 23. Das ist aber nicht allein geschrieben um seinetwillen, dass es ihm zugerechnet ist, 24. sondern auch um unsertwillen, welchen es soll zugerechnet werden, so wir glauben an den, der unsern Herrn Jesum Christum auferweckt hat von den Toten, 25. welcher ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Gerechtsprechung willen auferweckt.
1.
„So halten wir nun, dass durch den Glauben der Mensch gerecht gesprochen werde“, hat der Apostel in 3, 28 gesagt. Und in 4, 3 hat er sich berufen auf das Wort der Schrift: „Abraham hat Gott geglaubt und das ist ihm gerechnet worden zur Gerechtigkeit.“ Nun scheint aber der Glaube Vielen ein leichtes, geringes Ding, welches weit zurückstehe hinter den Werken und sich nur so forterbe vom Vater auf den Sohn, vom Lehrer auf den Schüler. Und es fehlt auch nie an solchen Scheingläubigen, bei denen, was sie Glauben nennen, nur eine tote Orthodoxie ist; durch diese wird jene Geringschätzung des Glaubens verschuldet. Schon Jacobus hat gegen solche Orthodoxie streiten müssen (2, 14 ff). Dann bliebe freilich rätselhaft, wie der Glaube von Gott angerechnet werden könne zur Gerechtigkeit. Deshalb empfindet der Apostel das Bedürfnis, an Abraham zu zeigen, wie ganz anders es mit dem Glauben sei. Um diese Darlegung zu beginnen, fährt er in Vers 17 zu dem in 11 und 12 aufgestellten Satz zurück, Abraham sei von Gott als Vater aller Gläubigen in die Geschichte hineingestellt. „Welcher ist unser Aller Vater vor dem Angesichte Gottes, dem er geglaubt hat,“ heißt es in Vers 17. Dem Ewigen, der alle Zeiten zusammenschaut, als wären sie Ein Augenblick, stehen mit Abraham schon die Gläubigen der fernsten Zukunft vor dem Angesicht, als lebten sie. Und wenn die letzten Gläubigen über die Erde wandeln werden, so steht noch immer mit ihnen vor dem Angesichte Gottes der vor Jahrtausenden entschlafene Abraham. Die vielen Völker, zu deren Vater er nach 1 Moses 17, 5 von Gott gesetzt worden ist, sind für das Auge Gottes unzertrennlich von dem in dessen Fußstapfen ihr Glaubenswandel geschieht. Dann charakterisiert Paulus den Glauben des Abraham. Und zwar in zweifacher Art. Zuerst nach dem was Abraham Gott glaubte. Zum andern nach der Weise wie dieser Glaube in seiner Seele zu Stande kam.
2.
Jenes geschieht in Vers 17: „… der da lebendig macht die Toten und ruft was nicht ist als ob es wäre.“ Dass wer gestorben ist der Verwesung anheimfällt, wussten die Menschen zu Abrahams Zeit aus schmerzlicher Erfahrung so gewiss als wir es jetzt wissen. Desgleichen, dass ein Herbeirufen nur erfolgreich ist, wenn man Lebende ruft, nicht aber die Namen von Solchen die gar nicht sind. Abraham nun gehörte, was die Zeugungskraft betrifft, schon zu den Toten, als er, ein fast hundertjähriger Mann, wieder einmal die Verheißung empfing, dass viele Völker aus ihm kommen sollen1). Desgleichen verhielt es sich mit seiner Ehefrau. Gott musste also erst diese Toten lebendig machen, wenn die Verheißung erfüllt werden sollte. Deshalb waren auch die vielen Völker, welche Gott aus ihm hervorrufen wollte, nicht einmal dem Samen nach vorhanden. Gott hat von Nullen geredet, indem er von diesen Völkern redete. Aber Abraham traute Gott zu, dass er die Toten lebendig machen werde, und dass die Nullen die Gott herbeirufen werde, seinem Rufe folgen müssen, als ob sie im frischen Leben befindliche Menschen wären. Das hat Abraham von Gott geglaubt.
3.
Und wie kam seine Seele zu diesem Glauben? Durch schwere Arbeit. Sie fand sich gestellt zwischen widersprechende Stimmen. Die Eine kam von Abrahams fast hundertjähriger Erfahrung: „Was gestorben ist, bleibt tot, und Nullen bleiben Nullen“. Sollte er dazu ein Jahrhundert hindurch erfahren haben was in der Welt möglich und unmöglich ist, um im hohen Greisenalter sich Illusionen zu machen? Die andere Stimme war die der Verheißungen Gottes. Des Gottes, der nun seit so manchem Jahr sich ihm geoffenbart, ihn bei seinen Wanderungen durch das Land der Kanaaniter behütet, seine Herden vermehrt und eben jetzt zu dem Neunundneunzigjährigen gesprochen hatte: Ich bin der allmächtige Gott. Welcher der Stimmen soll Abraham folgen? Wie soll er hierüber zur Entscheidung kommen? Mancher Leser dieser Blätter hat vielleicht erfahren, wie schwer es schon in Angelegenheiten von untergeordneter Bedeutung dem Menschen werden kann, zwischen den verschiedenen Wegen, welche als möglich vor ihm liegen, die Wahl zu treffen. Man schiebt sie von Tag zu Tag hinaus. Man fragt bald diesen bald jenen Freund. Endlich muss aber die Entscheidung geschehen. Stehen sich die Verstandesgründe für das Eine und Andere gleich, so muss der Wille die Entscheidung bewirken. Wie kam es nun bei Abraham zur Entscheidung, welcher der Stimmen er folgen solle? Paulus sagt, Abraham habe die Erstorbenheit seines eigenen Leibes und des Leibes seiner Ehefrau nicht angesehen, habe nur auf Gottes Verheißung den Blick gerichtet. Aber wie brachte er seine Seele hierzu? Denn das war eben die große Kunst. Wie es heute bei einem armen Familienvater die große Kunst ist, nicht das anzusehen dass kein Brot noch Geld im Hause ist, sondern den Blick nur auf die Verheißung zu richten: „euer himmlischer Vater weiß was ihr bedürft.“ Also, wie brachte Abraham seine Seele zu dieser Kunst? Paulus antwortet: „er gab Gott die Ehre.“ Das also sei der Hergang in Abrahams Seele gewesen: „will ich Gott die Ehre geben und das will ich und weiß es als meine Schuldigkeit so muss ich seiner Verheißung glauben.“ In diesem Gedanken habe er sich Gewalt angetan, habe den Blick von der Erstorbenheit der Leiber abgewandt, einzig auf Gottes Verheißung ihn hingewandt. So habe er sich im Glauben stark gemacht, den Zweifel aus seiner Seele hinausgestoßen. Eine Willenstat sei sein Glaube gewesen. Eine um der Ehre Gottes willen vollbrachte Willenstat.
4.
Also eine Tat ist der Glaube. Durch deine Willensanstrengung muss er zu Stande gekommen sein, sonst ist er kein Glaube. Dein Wille muss dabei wider deine Seele gestritten, muss den Unglauben, der in ihr war, ausgestoßen, muss deine Seele genötigt haben, ihren Blick nicht durch das Sichtbare fesseln zu lassen, den unsichtbaren Gott für wirklicher und für mächtiger zu halten als diese Welt, welche so machtvoll ihre Wirklichkeit unseren Sinnen zu demonstrieren weiß. Und der Eifer um die Ehre Gottes muss es gewesen sein, woraus diese deine Willenstat entsprang, nicht auf das Sichtbare, sondern auf die Verheißung Gottes deinen Blick zu richten, dein Haus zu bauen. Erinnerst du dich aus deinem Leben einer solchen Tat? Wie Manches, das man Glauben nennt, würde nicht mehr Glaube genannt werden, wenn wir es hiernach prüfen wollten!
Manche, die vor der Gläubigkeit ihrer Eltern oder Lehrer Respekt haben, geben sich der Hoffnung hin, der Fortschritt der Zeit werde auch ihnen das Gläubigsein bringen. Hoffe das nicht: deine eigene Tat, deine um der Ehre Gottes willen vollbrachte Willenstat muss, dass du gläubig wirst, zu Stande bringen, sonst kommt der Glaube bei dir überhaupt nicht zu Stande.
Andere hoffen, in dem Streit zwischen dem Unglauben und dem Glauben zur Entscheidung zu gelangen, wenn sie nur die Gründe, welche für und gegen Beide angeführt werden, recht umsichtig prüfen, wie man bei einer verwickelten Rechnung durch sorgfältiges Erwägen aller Faktoren doch endlich zur richtigen Lösung gelangt. Auch diese Hoffnung ist vergeblich; der ewigen Wahrheit kann man nur durch Erleben sicher werden, und erleben kann sie Niemand als wer sie erleben will.
5.
In Bezug auf Abraham wundert sich vielleicht Mancher, dass sein Glaube so große Anstrengung des Willens erfordert haben soll. Denn dieser Mann habe doch vor uns Allen den unermesslichen Vorzug gehabt, dass Gott sich ihm oftmals geoffenbart habe, ihm sogar erschienen sei. An der Lebendigkeit Gottes habe also bei Abraham kein Zweifel sein können. Wogegen in unserer Zeit Gott so tief verborgen bleibe. Uns werde eben nur aus dem Altertum berichtet dass Gott sich geoffenbart habe, Offenbarungen für uns selbst geschehen nicht. Ob es nun nicht selbstverständlich für Abraham habe sein müssen dass, was Gott ihm verheiße, geschehen werde? Er habe ja doch weder an der Wahrhaftigkeit Gottes noch an seiner Macht zweifeln können. Denn Gott müsse, so gewiss er Gott sei, so gewiss auch wahrhaftig und allmächtig sein. - Wer so spricht weiß sich in Abrahams Lage nicht hineinzudenken. Man muss erwägen, dass er aus einem Volke stammte, welches mit jeder Generation tiefer in Vielgötterei versank, dem chaldäischen. Und dass auch bei dem Volke, unter welchem er jetzt wohnte, dem kanaanitischen, der gleiche Fall stattfand. Da konnte er ja den Gott, der sich ihm offenbarte, für einen der vielen achten. Deshalb zweifelhaft bleiben, wie groß die Macht desselben sei. Ob sie groß genug sei, eine so lange unfruchtbar gebliebene Ehe fruchtbar zu machen. Bei uns lernt jedes Kind aus seinem Katechismus, Gott sei, weil er eben Gott sei, nur Einer, und sei allmächtig, zu Abraham sprach Gott erst, nachdem er schon 24 Jahre lang oftmals zu ihm geredet hatte und Abraham 99jährig war, „ich bin der allmächtige Gott2)“. Als Abraham von Mesopotamien nach Kanaan kam, mochte er sich fragen, ob wohl der Gott, welcher sich ihm in Mesopotamien geoffenbart habe, auch in Kanaan ihn beschützen könne; jetzt war er dessen durch 24jährige Erfahrung überführt; nun konnte ihm Gott zumuten dass er im Glauben hinnehme das Wort „ich bin der allmächtige Gott“. So musste Abraham auch die Elemente der Religionserkenntnis, welche uns mit der Muttermilch dargeboten werden, erst als Mann empfangen und innerlich verarbeiten. In tiefem Schnee geht man schwer. Abraham musste erst die Fußstapfen in den Schnee treten: die übrigen Gläubigen benützen diese Stapfen. Alle diese Geistesarbeit des Abraham ist zusammengefasst in dem „und Abraham glaubte“. Weil es ihm zu tun war um die Ehre des Gottes der sich ihm geoffenbart hatte, ward er dieser Arbeit nicht müde, rang sich von einer Erkenntnis Gottes zu der andern durch. Ohne diese jahrelange Anstrengung seines Geistes wäre er niemals so weit gekommen, die Hervorrufung der vielen Völker aus den zwei erstorbenen Leibern Gott zuzutrauen.
7.
3) Aber es kommt noch ein anderes hinzu. Schon dem 75jährigen war verheißen: ich will dich machen zum großen Volk. Nachdem er 85jährig geworden, heißt es, wie die Sterne des Himmels solle sein Same, seines eigenen Leibes Same sein4). Dem 86jährigen5) gebiert Hagar den Ismael. Dann fühlt er seine Zeugungskraft erlöschen. Der 99jährige wäre so froh, wenn aus Ismael das ihm verheißene Volk entspross. Aber jetzt lautet die Verheißung noch bestimmter: von Sarah gebe ich dir den Sohn, aus ihr sollen Völker kommen6). Warum dieses Zögern ein Vierteljahrhundert hindurch? Hat nicht schon der 75jährige Gott durch den Glaubensgehorsam im Verlassen der Heimat geehrt? Nichts ermüdet das menschliche Herz so sehr, als wenn es immer wieder warten muss. Warum die oftmalige Erneuerung der Verheißung und doch immer der alte Stand? Warum das Zögern bis nach erloschener Zeugungskraft? Mit jedem Jahre musste es dem Abraham schwerer werden, seine Seele dem Murren zu verschließen und, wenn die Verheißung wieder einmal wiederholt wurde, während die Wirklichkeit dem Hoffen immer stärker widersprach, ehrfurchtsvoll, sogar glaubensvoll die Verheißung aufzunehmen. Wahrlich das konnte er nur tun, indem er, um Gott die Ehre zu geben, sich stark machte im Glauben, das Blicken auf die erstorbenen Leiber seiner Seele mit Gewalt verbot.
8.
Auch heutzutage geschieht es wohl noch, dass dem Greisenalter die schwersten Glaubensaufgaben vorbehalten werden. „Da du jünger warst, gürtetest du dich selbst und wandertest wohin du wolltest, wenn du aber alt wirst, wird dich ein anderer gürten und bringen wohin du nicht willst“7). Wie freut man sich dann, auch hierfür die Fußstapfen Abrahams zu gewahren!
9.
Ob es nun wohl dem Abraham alle Zeit gelang, sich im Glauben stark zu machen? Paulus welcher zeigen will, wie der Glaube dem Abraham zugerechnet werden konnte als Gerechtigkeit, hebt, diesem Zwecke entsprechend, nur die mächtigen Entfaltungen seines Glaubens hervor, die alttestamentliche Erzählung aber lässt uns in Kämpfe blicken, durch welche es ging. Als ihm geoffenbart wird, Sarah selbst sei es aus welcher ihm die vielen Völker sprossen sollten, dünkt es ihn nicht bloß wunderlich dass der hundertjährige zeugen, die neunzigjährige gebären soll, sondern es geht über sein Glauben hinaus. Denn er antwortet: ach dass Ismael leben sollte vor dir!8) Dieser Sohn des Fleisches ist also damals sein Hoffnungsstern gewesen, durch ihn könne ja Gott die Verheißung erfüllen, da ein Hervorgehen des Erben aus erstorbenen Leibern unmöglich sei. Es bedarf der Wiederholung der göttlichen Versicherung ja, Sarah, dein Weib soll dir einen Sohn gebären rc. rc.“, um seinen Sinn zurechtzubringen9). Wie wäre es auch möglich gewesen, dass ein in abgöttischer Familie aufgewachsener Mann so schwere und so lange sich hinziehende Glaubensproben sämtlich fehllos bestanden hätte! Wir müssen dankbar dafür sein, dass die Bibel die Schwächen und Übertretungen der Männer Gottes ungeschminkt erzählt. Nicht bloß beweisen sich die Erzählungen dadurch als zuverlässig, sondern auch für unsere Erziehung im Glaubensleben sind sie nun erst recht dienlich. Der Aufblick zu Menschen die unter Fallen und Aufstehen dennoch zum Ziele kommen, ist für uns, die wir so oftmals fallen, ermunternd; mit Fehllosen könnten wir uns nicht vergleichen. Weshalb auch der Eifer mancher Christen, die Männer der Bibel trotz der Bibel zu Heiligen zu machen, eine Torheit ist. Soll denn der Apostel das Wort in 3, 4 „es werde Gott wahrhaftig, jeder Mensch aber ein Lügner“ vergeblich geschrieben haben?
10.
Von Abrahams Glauben wenden wir uns zu dem der Christen. Paulus bezeichnet die Christen als glaubend an den der erweckt hat unsern Herrn Jesum von den Toten, „welcher ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Gerechtsprechung willen auferweckt“. Also beide Male ist es Gott, an welchen der Glaube glaubt. Und beide Male der Lebendig machende Gott. Aber Abraham sollte glauben, dass Gott lebendig machen werde, und zwar seinen eigenen und seiner Frau erstorbenen Leib zum Zeugen eines Sohnes, die Christen glauben, dass Gott lebendig gemacht habe, und zwar Jesum, ihren Herrn, zum Erstehen aus dem Grab.
Die Belebungstat, welche Abrahams Glaube als zukünftig Gott zutrauen soll,' betraf sein persönliches Interesse, weil seinen eigenen und seiner Ehefrau Leib und den Stammhalter von Abrahams Geschlecht; die Belebungstat welche die Christen Gott zutrauen als von ihm vollbracht, betrifft nicht sie selbst, sondern Jesum, betrifft aber dennoch sie selbst, weil Jesum ihren Herrn.
Ein anderes ist Wissen dass ein Jesus gelebt hat und dahingegeben ist an das Kreuz, ein anderes, von diesem Jesus sagen: er ist mein Herr. Zu dieser Beugung vor ihm gelangt man durch den Glauben dass Gott ihn auferweckt hat. Je nachdem man an Gottes Auferweckung Jesu nicht glaubt oder glaubt, gestaltet sich die Stellung zu Jesus. Gottes Auferweckung Jesu beweist, dass Jesu Dahingegebenwerden nicht erfolgte wegen eigener Schuld. Gottes Tat muss es gewesen sein, geschehen wegen unserer Missetat, zur Wegschaffung unserer Schuld. Und seine Erweckung muss zielen auf die Beschaffung unserer Gerechtsprechung. Jesu Wegschaffen unserer Schuld und Beschaffen unserer Gerechtsprechung hat uns gemacht zu seinem Eigentum, ihn zu unserem Herrn.
11.
Wir sehen: dem Gegenstande nach ist zwischen Abrahams Glauben und dem der Christen wesentliche Ähnlichkeit: eine Belebungstat Gottes ist für Beide das woran sie glauben. Mag aber wohl auch in Bezug auf die Entstehung des Glaubens Ähnlichkeit sein? Abraham musste nach V. 18 wider Hoffnung hoffen, nach Vers 19 die Erstorbenheit der Leiber nicht ansehen, nach Vers 20 Gott zu Ehren sich stark machend im Glauben den Widerspruch, der in ihm sich regen wollte, ausstoßen; sonst konnte er nicht den Glauben erringen. Ist solches Kämpfen mit sich selbst, solches sich Hinüberschwingen über Glaubenshindernisse auch für die Christen nötig, damit sie zuversichtlichen Herzens zu Gott sprechen: Du hast Jesum auferweckt und dadurch gemacht zu meinem Herrn, so soll denn Er es sein dem mein Leben gehört? Denn als solches Sprechen zu Gott können wir nach Vers 24 den Glauben der Christen beschreiben.
Den Aposteln konnte es nicht schwer werden zu glauben, dass Gott Jesum auferweckt habe. Sie sind ja mit dem Gekreuzigten, Begrabenen vom dritten Tage an wieder umgegangen. Dem Saulus erschien er vom Himmel her. Umso unglaublicher war damals für die bloß natürliche Betrachtung, dass Gott seine mit der Erweckung Jesu begonnene Erhebung desselben zum Herrn der Menschheit werde durchführen können. Und dieser Glaube musste doch der Apostel Herzen ganz durchdringen, sonst konnten sie nicht Apostel sein. Heutzutage aber ist es für Viele überaus schwer, zu dem Glauben zu gelangen, dass die Auferstehung Jesu geschehen sei. Jeder Tag stellt uns vor Augen dass wer gestorben ist der Verwesung anheimfällt. Die Auferstehung Jesu werde also eben ein schöner Traum seiner Jünger gewesen sein, welche den Gedanken, dass auch Er der Verwesung anheimgefallen, nicht haben ertragen können. Immerhin gibt es unter uns Viele welche die Auferstehung Jesu mühelos bekennen; sie ist ihnen von der Kirche erzählt worden und dieser Führerin folgen sie. Ist aber diese Überzeugung Glaube? bleibt sie fest, wenn man mit Ungläubigen in Verkehr kommt? Kann man etwas auf jene Überzeugung wagen, Opfer für sie bringen? Wo nicht, so darf man nicht von Glauben reden. Um zweifellos gewiss zu werden, dass die Auferstehung Jesu nicht eine schöne Sage sondern Tatsache ist, musst du zuerst von dem Heiligkeitsgeiste der in ihm war im Herzen getroffen sein. Wem die Zeugnisse Jesu von des Menschen Verderben und von sich als dem Erretter in das Gewissen leuchten und der Wandel Jesu als heilig sich bezeugt, der findet die Kunde natürlich, dass dieser Mann nicht im Tode blieb. Gewahrt er dann ferner das neue Leben, das von Jesu in die Menschheit ausging und spürt er in sich selbst dieses Lebens Erstlinge, so wird ihm, dass der Urheber des Lebens des Todes Raub geblieben sei, zur Unmöglichkeit. Auf diesem Wege inneren Erlebens muss man gewiss werden, Gott habe Jesum auferweckt. Aber nur wer seine Seele in der Zucht hält, sie nötigt, mit dem Sichtbaren sich nicht genügen zu lassen, sondern mit Jesu Wort umzugehen, auch durch dieses Wort sich demütigen und zur innern Erneuerung mahnen lässt, nur der kann jenes Erlebnis machen. Dabei geht es durch vielen Kampf. Den Ungläubigen gelten die Auferstehungsgläubigen als leichtgläubig, urteilslos, kindlich und kindisch ihren Führern folgend; die wirklich Glaubenden aber wissen, was für Geistesarbeit sie das Gelangen zum Glauben gekostet hat.
12.
„Darum ist es ihm auch gerechnet zur Gerechtigkeit,“ heißt es in Vers 22, nachdem die vorherigen Verse beschrieben haben, wie voll Leben das Glauben des Abraham gewesen sei. Nach Vers 24 soll es auch uns zur Gerechtigkeit gerechnet werden, wenn wir glauben an den welcher Jesum auferweckt hat. Uns zur Nachfolge seines Glaubens aufzumuntern sei eine Absicht der Heiligen Schrift gewesen bei ihrem Erzählen der Zurechnung des Abrahamsglaubens zu Abrahams Gerechtigkeit.
„Der Glaube wird uns gerechnet zur Gerechtigkeit,“ was ist der Sinn dieses Worts?
Ein Darleiher trifft mit seinem Schuldner etwa das Abkommen, derselbe habe die Schuld in Gold zu bezahlen und lässt sich nachher doch an der Zahlung in Silber genügen. Da wird die Silberzahlung gerechnet als wäre in Gold gezahlt. Lässt sich Gottes Anrechnen des Glaubens als Gerechtigkeit vergleichen mit diesem sich Genügen lassen des Verleihers mit Silber, da er Gold verlangen konnte? Wäre die Völligkeit in guten Werken das Gold gewesen, statt dessen nun der Glaube genügen soll? Nimmermehr. Wie könnte der Glaube des Greisen die Gottlosigkeit des Jünglings und Mannes zu decken? Die wenigen Stunden, die der Schächer im Glauben am Kreuze hängt, vermögen doch nicht sein Schächerleben gut zu machen. Das Glauben ist auch gar kein Leisten, sondern ein Empfangen. Nicht ein Geben an Gott, sondern ein Hinnehmen von Gott. Gott verheißt und schenkt, der Glaube nimmt. Schon mit einem Menschen kannst du nicht in liebenden Verkehr treten, außer indem du ihm vertraust. Wie willst du aber mit dem unsichtbaren Gott in Gemeinschaft treten, außer durch den Glauben dass er ist, auf dich sieht, bei dir gegenwärtig ist, zu dir geredet hat und erfüllen wird, was er geredet hat? Gott verlangt den Glauben von Abraham um Abrahams willen. Er konnte dem Abraham einen Sohn schenken, ohne dass Abraham glaubte, aber dann hatte Abraham nur eben den Sohn, aber nicht Gott zum Gewinn. Er sollte aber Gott selbst zum Freunde haben. Das konnte nur erreicht werden, wenn er den Sohn nur erhielt auf dem Glaubensweg. Jetzt war ihm sein Isak eine tägliche Verkündigung, Gott ist dein Freund, Gott hat einen Bund mit dir. Nicht minder ist es ein seliges Nehmen, wenn wir die Kunde im Glauben erfassen dass Gott Jesum aus den Toten auferweckt habe. Denn nun wissen wir: wegen unserer Sünden ist dieser Jesus dahingegeben, wegen unserer Gerechtsprechung auferweckt, wir haben nun unsern Herrn an ihm, in dessen Hut wir stehen. Ist nun unser Glaube nicht ein Geben an Gott sondern ein Nehmen von Gott, wie kann Gott ihn uns anrechnen als Gerechtigkeit? Wenn ein Fürst einem geringen Manne aus Güte ein Goldstück schenkt und der Mann nimmt es hin mit dankerfülltem Blick und der Fürst freut sich dieses dankbaren Blickes und lässt den Mann, um seines dankbaren Nehmens willen, sich recht sein, auch ferner seine Wohltaten ihm zuzuwenden, das ist eine Abbildung davon dass Gott uns anrechnet unseren Glauben als Gerechtigkeit. Wenn Gottes Verheißungen in den Seelen derer an welche sie sich wenden keine Bewegung hervorbringen, kein Fragen und Forschen, ob das wirklich Gott sei, von dem diese Verheißungen kommen, keine Verwunderung, ob wirklich Gottes Majestät sich so tief, bis in unsere Tiefe, herablassen wolle, endlich kein dankbares Nehmen; wenn die Menschen träg, vornehm, bettelstolz an der göttlichen Darbietung vorübergehen; wie könnten solche Menschen Gott recht sein, ihnen Wohltat um Wohltat zu schenken? Aber die gläubig Hinnehmenden sind ihm dazu recht, mit ihnen tritt er in einen Bund.
Von einem Verdienste des Glaubens ist also keine Rede. Mit Nehmen von Gott kann man doch Nichts verdienen vor Gott. Das dargereichte Goldstück mit dankbarer Hand ergreifen ist doch kein stattliches Werk. Und überdies: wie zögernd ist oft unser Hinnehmen und wie von Misstrauen durchzogen unser Vertrauen!
13.
Ich blicke von hier aus auf das Wort in Vers 5 zurück „dem der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der gerecht spricht den Gottlosen, wird sein Glaube gerechnet zur Gerechtigkeit“. Vor etlichen Jahren starb in einem der Schweizer Cantone ein Mann, der bis ins Greisenalter seiner Heimat durch Verwaltung von Staatsämtern, der äußeren und inneren Mission durch unermüdliche Arbeit, vielen Privatleuten durch Rat und Hilfe die wichtigsten Dienste geleistet hatte. Gewiss haben Viele, als sie hinter seinem Sarge gingen, an Offenbarung 14, 13 gedacht „selig sind die Toten die in dem Herrn sterben… ihre Werke folgen ihnen nach“. Der Geistliche aber hat seiner Grabrede das eben angeführte Wort in Röm. 4, 5 als Text zu Grunde gelegt. Dieser Text war von dem Verstorbenen vorgeschrieben. Vielen ohne Zweifel zur Verwunderung. Wie er zu diesem Vorschreiben gekommen sein mag? Er hatte viele Werke in Gott getan, aber mit Werken umgegangen war er nicht, sein Vertrauen bildeten die Werke nicht. Er hatte erfahren, wie viele nicht in Gott getane Werke bei einem sündigen Menschen den in Gott getanen zur Seite gehen. Und wie Vieles, das nicht aus Gott sondern aus unserem sündigen Herzen stammt, sich auch in die Werke einflicht die wir tun in Gott. Auch hatte er erfahren, dass des Menschen Wandel vor Gott auch im besten Fall an Ehrfurcht, an Treue und Beständigkeit, an Innigkeit Viel vermissen lässt. Verglichen mit Jesu Wandel vor Gott bleibt er Fernesein von Gott, bleibt Gottlosigkeit. Deshalb war die Zurechnung seines Glaubens zur Gerechtigkeit des Mannes Trost. Denn das hat er von sich gewusst, dass er die Gnade Gottes, die Verheißungen in der Schrift, die innern Zeugnisse Gottes mit dankbarer Freude hingenommen hatte. Und von Gott hat er gewusst, dass solche mit frohem Dank hinnehmende Herzen, solche am Geiste Arme, Hungernde, Dürstende, Ihm, dem Lebendigen, dem Gott des Lebens, recht seien, mit seinen Gaben sie zu beleben. „Aber“, fragst du, was wird nun aus der Versicherung: ihre Werke folgen ihnen nach ?“ Sie folgen, mein Freund, aber nur dem der nicht nach ihnen umschaut. Dem Begnadigten legt sie Gottes Hand als einen Kranz um die Stirn. Nicht als hätte diese Stirn den Kranz verdient, sondern weil der selige Gott sich des Beseligens freut.10)