Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 96.
(1) Singt dem Herrn ein neues Lied; singt dem Herrn alle Welt; (2) Singt dem Herrn, und lobt seinen Namen, predigt einen Tag am anderen sein Heil; (3) Erzählt unter den Heiden seine Ehre, unter allen Völkern seine Wunder. (4) Denn der Herr ist groß und hoch zu loben, wunderbar über alle Götter. (5) Denn alle Götter der Völker sind Götzen, aber der Herr hat den Himmel gemacht. (6) Es steht herrlich und prächtig vor ihm, und geht gewaltig und löblich zu in seinem Heiligtum. (7) Ihr Völker, bringt her dem Herrn, bringt her dem Herrn Ehre und Macht! (8) Bringt her dem Herrn die Ehre seinem Namen, bringt Geschenke, und kommt in seine Vorhöfe! (9) Betet an den Herrn im heiligen Schmuck, es fürchte ihn alle Welt! (10) Sagt unter den Heiden, dass der Herr König sei, und habe sein Reich, soweit die Welt ist, bereitet, dass es bleiben soll, und richtet die Völker recht. (11) Himmel freue dich, und Erde sei fröhlich; das Meer brause, und was darinnen ist; (12) Das Feld sei fröhlich, und alles, was darauf ist; und lasst rühmen alle Bäume im Walde, (13) Vor dem Herrn, denn er kommt, denn er kommt zu richten das Erdreich. Er wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit, und die Völker mit seiner Wahrheit.
Dieses heitere und majestätische Festlied wurde, wie wir 1. Chron. 16 lesen, neben anderen Psalmen damals gesungen, als David die Bundeslade in feierlicher Prozession von Priestern und Leviten unter Jubelklang von Psalter und Harfe, Pauke und Flöte hinaufbrachte ins Heiligtum zu Zion. Damals hieß es freilich: Singt dem Herrn ein neues Lied; ein neuer Abschnitt begann in der Reichsgeschichte Gottes, als der Herr seinen Wohnsitz nahm auf dem heiligen Berge, als unter Davids gesegnetem Regiment der Name Jehovas groß ward in Israel und in allen umliegenden Ländern.
Manchmal hat es inzwischen im Reiche Gottes geheißen beim Anbruch eines neuen Zeitabschnitts, beim Aufgang einer neuen Gnadenoffenbarung: Singt dem Herrn ein neues Lied. Dreihundert Jahre nach David, als Jesaias in prophetischer Begeisterung die zukünftige Sonne des Messiasreichs schon von ferne heraufleuchten sah, die einst den ganzen Erdkreis mit ihrem Glanz erfüllen sollte, da rief er auch (Jes. 42, 10): Singt dem Herrn ein neues Lied; sein Ruhm ist bis an der Welt Ende.
Und als nun nach abermals 700 Jahren der Erwartung der Tag der Gnade anbrach in Jesu Christo, als die Schatten des Gesetzes vorüber waren und die Gnadensonne des Evangeliums aufging im Angesichte des eingeborenen Sohnes vom Vater, da hieß es erst in vollem Sinn: Singt dem Herrn ein neues Lied; da jubelte ein Paulus: Das Alte ist vergangen; siehe, es ist alles neu worden.
Und als wiederum nach 1500 Jahren aus der Nacht des Aberglaubens und aus der Finsternis der Unwissenheit ein neues Licht aufging in der gesegneten Reformationszeit, da hieß es abermals in viel tausend Christenkirchen in fröhlichem Ton: Singt dem Herrn ein neues Lied; da begann Luther eines seiner ersten Reformationslieder mit den frischen, freudigen Worten: Ein neues Lied wir heben an, das walt Gott, unser Herre! Da wurden neue Lieder des evangelischen Glaubens gesungen in Christenlanden.
Aber nicht nur bei den großen Wendepunkten in der Geschichte des Reichs Gottes gilt's: Singt dem Herrn ein neues Lied! Nein, auch im ruhigen Lauf der Zeit, auch im stillen Gang eines Christenlebens gilt immer wieder die Aufforderung: Singt dem Herrn ein neues Lied. Ist ja seine Güte alle Morgen neu: sollte nicht auch unser Dank immer wieder neu werden alle Tage? Kommt ja der Christ in Leid und Freud immer weiter in der Erkenntnis seines Gottes, in den Erfahrungen seiner Gnade, in der Schule seines Heiligen Geistes: sollte ihm da nicht auch Herz und Mund immer wieder neu aufgehen zum Preis seines Gottes; sollte es da nicht immer auf jeder neuen Station seines inneren und äußeren Lebens auch bei ihm wieder heißen: Singt dem Herrn ein neues Lied? So soll er denn jetzt auch in unserer Mitte einen hellen Widerhall finden, der fröhliche Ruf unseres Psalms:
Singt dem Herrn ein neues Lied;
wie er ergeht:
1) An die Gemeinde des Herrn, V. 1-6.
2) Aber auch an die Heidenvölker, V. 7-10.
3) An die ganze Natur, V. 11-13.
1) An die Gemeinde
des Herrn zuerst ergeht die Mahnung:
V. 1: „Singt dem Herrn ein neues Lied; singt dem Herrn alle Welt.“ - Ein neues Lied sollen wir ihm singen, aber wie ist das gemeint? Es sind ja die alten Lieder, die man dem Herrn immer wieder in der Gemeinde singt von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr. Der Psalm, den wir hier betrachten, ist kein neues Lied, sondern Jahrtausende alt; das Lied, das wir heute gesungen, ist kein neues Lied, es ward schon vor 200 Jahren gedichtet; die Evangelien und Episteln, die allsonntäglich in unseren Kirchen erschallen, sind immer noch die alten, über die nun seit 1800 Jahren gepredigt wird. Soll das anders werden? Singt dem Herrn ein neues Lied; heißt das, wie's die Neuerer meinen in Kirche und Staat: Lasst endlich den alten Glaubenskram dahinten, schämet euch des Bekenntnisses eurer Väter, macht euch frei von den Banden des göttlichen Wortes? Dieses neue Lied, das wir singen sollen, ist's eine neue Religion oder ein neumodischer Glaube oder ein neumodischer Unglaube? Ist's das trostlose Lied eines lauen Rationalismus oder ist's das unverständliche Lied einer überstiegenen Philosophie oder ist's das wilde Lied blutdürstiger Revolutionsmänner mit der Losung: rein ab! das wir mitsingen sollen? Nein singt dem Herrn ein neues Lied, das heißt: singt nur dem alten Gott, dem schon David seine Psalmen sang; singt nur die alten Lieder des Glaubens, die schon die alten Väter sangen im Leben, Leiden und Sterben; aber singt mit immer neuer Andacht, mit immer neuem Feuer, mit immer neuem Glauben, mit immer neuer Liebe; werdet nicht matt und lau, sondern erneuert euch täglich im Geist eures Gemütes. Wie es weiter heißt:
V. 2: „Singt dem Herrn und lobt seinen Namen, predigt einen Tag um den anderen sein Heil.“ Bringt ja jeder Tag wieder neue Ursache zum Lobe Gottes, hat ja jede Zeit ihre besondere Farbe, ihre besonderen Anlässe, frohe und traurige, sich im Gebete vor Gott niederzuwerfen. Wenn wir nach sieben mageren Jahren einmal wieder eine reiche Ernte eingetan haben, wie diesen Sommer, heißt's dann nicht in der Gemeinde: Singt dem Herrn ein neues Lied, voll neuen, heißen, fröhlichen Dankes? Wenn eine furchtbare Seuche rings um unser Land her wütet, wie jetzt, und auch unsere Grenzen monatelang bedroht, heißt's da nicht: Singt dem Herrn ein neues Lied; fleht ihn mit erneuter Inbrunst, mit verdoppelten Bitten an: „Vor Pestilenz und schnellem Tod behüt uns, lieber Herr und Gott.“ Oder wenn uns in unserem eigenen häuslichen Leben irgendeine frohe oder traurige Erfahrung geworden, heißt's da nicht auch: Singt dem Herrn ein neues Lied, predigt einen Tag um den anderen und an jedem Tag nach seiner Art und in seinem besonderen Ton den Namen des Herrn. Mit solchem täglichen und immer neuen Lob Gottes sollen die Gläubigen den Ungläubigen, soll die Gemeinde des Herrn allen Völkern vorangehen:
V. 3: „Erzählt unter den Heiden seine Ehre, unter allen Völkern seine Wunder.“ Das ist dein Amt, Volk des Herrn, der ganzen Welt voranzugehen mit dem Lob Gottes; das ist eure Mission, ihr gläubigen Kinder Gottes, auch mitten unter einem ungläubigen Geschlecht unverdrossen und unverzagt dem Namen des Herrn die Ehre zu geben, sowie dort Daniel, der fromme Prophet, mitten im abgöttischen Babel und trotz dem Verbote des tyrannischen Königs in seinem Sommerhause bei offenen Fenstern des Tages dreimal auf seine Knie fiel, betete, lobte und dankte seinem Gott. Er verdient's ja wahrhaftig, dieser Gott!
V. 4: „Denn der Herr ist groß und hoch zu loben, wunderbar über alle Götter.“ Groß, wie wir auch vor acht Tagen beim 95. Psalm bekannt haben; groß in seinem Wesen, groß in seinen Werken, groß in seinen Wegen, groß in seinem Wort; so groß, dass wir wohl einstimmen dürfen in den Preisgesang:
Herr, dir ist niemand zu vergleichen,
Kein Lob kann deine Größ erreichen,
Kein noch so feuriger Verstand;
Pracht, Majestät und Ruhm umgeben
Dich, aller Wesen Quell und Leben,
Licht ist dein strahlenvoll Gewand;
In hohen, unermessnen Fernen,
Wohin kein sterblich Auge schaut,
Hast du weit über allen Sternen
Dir deinen höchsten Sitz erbaut! 1)
Und wie klein, wie nichtig sind gegen ihn alle Götzen, vor denen die Welt kniet!
V. 5: „Denn alle Götter der Völker sind Götzen (eigentlich Nichtigkeiten), aber der Herr hat den Himmel gemacht.“ Ja nicht nur die alten Heidengötter, auch die Götzen, vor denen heutzutage die Welt kniet: Lust, Genuss, Reichtum, Ehre - was sind sie als Nichtigkeiten, Eitelkeiten gegen den lebendigen Gott, der allein alles Lebens Urquell ist, der den Himmel gemacht hat, den sichtbaren Himmel über uns mit seiner strahlenden Sonne und seinen funkelnden Sternen, und der auch den Himmel macht für unsere Seele, der allein unserem unsterblichen Geist Leben geben kann und volle Genüge. - Und wenn er schon hienieden so groß und herrlich ist in dem, was er uns Menschenkindern zu schauen und zu genießen gibt von seiner Herrlichkeit - wie muss es erst sein um ihn selber her im Lichte seines Angesichts, wo die Seraphim gebückt vor ihm stehen und die himmlischen Heerscharen auf ihren unsterblichen Harfen andere Psalmen im höheren Ton ihm singen, ein neues Lied, gegen das all unsere Lobgesänge nur das Lispeln des Grases im Windhauch sind! Da können wir freilich nicht hineinschauen; er wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann; nur anbetend können wir einstimmen:
V. 6: „Es steht herrlich und prächtig vor ihm und geht gewaltig und löblich zu in seinem Heiligtum!“ Einem solchen Gott, dem müssen ja noch alle Knie sich beugen wie im Himmel so auch auf Erden. Darum auch:
2) An die Heidenvölker ergeht der Ruf:
Singt dem Herrn ein neues Lied!
V. 7: „Ihr Völker bringt her dem Herrn, bringt her dem Herrn Ehre und Macht.“ Da wendet sich nun der Psalmist an die Heidenvölker, die noch ferne sind vom Reich Gottes, die noch in trotzigem Hochmut ihm die Ehre verweigern oder die noch in tierischer Versunkenheit seinen Namen nicht kennen. Auch sie sollen zu ihm kommen, die einen sich vor ihm beugen, die anderen sich zu ihm erheben und allesamt ihm singen ein neues Lied, damit in aller Völker Zungen die großen Taten Gottes gepriesen werden. „ V. 8: „Bringt her dem Herrn die Ehre seinem Namen, bringt Geschenke und kommt in seine Vorhöfe.“ Nicht nur mit dem Munde sollen sie ihn preisen, auch mit ihren Gaben sollen sie ihm dienen, Opfer sollen sie ihm bringen zur Huldigung; wie dort die Weisen aus Morgenland Gold, Weihrauch und Myrrhen dem eingeborenen König der Juden. brachten, so sollen alle Heidenvölker die Produkte ihrer Länder, die Gaben ihres Geistes dem Herrn noch zur Verfügung stellen und mit allem, was sie sind und haben, ihm und seinem Reich dienen. Wie herrlich ist das schon in Erfüllung gegangen seit 3000 Jahren an den mächtigsten Völkern der Erde! Die Griechen haben die Bücher ihrer Kunst und Wissenschaft, die Römer haben das Schwert ihrer Macht und Gewalt, die Deutschen haben die Kraft ihres Gemüts dem Herrn zu Füßen gelegt und in den Dienst seines Reichs gegeben, indem sie sich bekehrten zum lebendigen Gott; und so sollen noch alle Völker von allen Enden ihre Gaben ihm zum Opfer bringen und anbetend in seine Vorhöfe kommen. Denn an alle ergeht der Ruf:
V. 9: „Betet an den Herrn im heiligen Schmuck; es fürchte ihn alle Welt.“ Abtun sollen sie den Schmutz ihrer heidnischen Laster; anziehen sollen sie ein neues, reines Kleid; Wahrheit und Gerechtigkeit, Liebe und Friede, Keuschheit und Nüchternheit, Sanftmut und Demut, das ist der heilige Schmuck, in dem alle Völker sich dem Herrn nahen sollen und hinzugetan werden zu der großen Gemeinde, von der es heißt: Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht. hinaus, ihr Glaubensboten:
V. 10: „Sagt unter den Heiden, dass der Herr König sei und habe sein Reich, soweit die Welt ist, bereitet, dass es bleiben soll, und richtet die Völker recht.“ Sagt's im Osten den vertrockneten Chinesen und den üppigen Ostindern; sagt's im Westen in den Urwäldern Amerikas den roten Indianern mit Pfeil und Bogen; sagt's im Norden den schmutzigen Eskimos in ihren schneebedeckten Hütten bei der Lampe von Tran; sagt's im Süden den sonnverbrannten Negern im Schatten ihrer Palmen; sagt's ihnen: Der Herr ist Gott und keiner mehr; und der Herr selber, der lebendige Gott leite eure Schritte und bekräftige eure Botschaft und segne euren Dienst, dass endlich alle Völker ein neues Lied singen und in aller Heiden Zungen es erschalle: Der Herr ist Gott und keiner mehr! Und dann, wenn so sein großes Friedensreich anbricht auf Erden und der Tag seiner Herrlichkeit kommt, dann soll auch:
3) Die ganze Natur einstimmen
in das neue Lied; dann heißt's:
V. 11: Himmel freue dich und Erde sei fröhlich; das Meer brause und was darinnen ist.“
V. 12: „Das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist; und lasst rühmen alle Bäume im Walde.“ Auch die vernunftlose Kreatur sehnt sich ja mit uns nach der Erlösung vom Dienste des vergänglichen Wesens und wartet mit ängstlichem Harren auf die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Auch die Natur soll ja verkläret werden, wenn einmal der jetzige Zeitlauf vorüber ist und das Reich Gottes mit Macht hereinbricht in diese harrende, seufzende Welt. Und wenn jetzt schon die Himmel die Ehre Gottes erzählen und das Meer ihm ein majestätisches Lied singt und das wallende Kornfeld sich ihm neigt und der brausende Wald sich anbetend vor ihm beugt was wird das erst für ein neues Lied sein, wenn einst die verklärte Schöpfung ihm singt, wenn hervorgeht der neue Himmel und die neue Erde, deren wir warten, und es heißt: Das Alte ist vergangen, siehe es ist alles neu worden, - und die tausendmal tausend Seligen im Himmel und die Millionen Kreaturen auf Erden sich preisend niederwerfen:
V. 13: „Vor dem Herrn, denn er kommt, denn er kommt zu richten das Erdreich. Er wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.“ Dann wollen auch wir, so Gott will, ein neues Lied singen dem Herrn, unserm Gott und Erlöser. Inzwischen aber wollen wir ihn hienieden anbeten in Glauben und Geduld.
Noch sing ich hier aus dunkler Ferne,
Gott meines Lebens, dir mein Lied,
Wenn einst weit über alle Sterne
Dich das verklärte Auge sieht,
Dann schallet dir im Jubelklang
Der Überwinder mein Gesang. 2)
Amen.