Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 93.
(1) Der Herr ist König und herrlich geschmückt; der Herr ist geschmückt, und hat ein Reich angefangen, so weit die Welt ist, und zugerichtet, dass es bleiben soll. (2) Von dem an steht dein Stuhl fest; du bist ewig. (3) Herr, die Wasserströme erheben sich, die Wasserströme erheben ihr Brausen, die Wasserströme heben empor die Wellen. (4) Die Wasserwogen im Meer sind groß, und brausen gräulich; der Herr aber ist noch größer in der Höhe. (5) Dein Wort ist eine rechte Lehre. Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses ewig.
Zu uns komme dein Reich! So beten wir im Vaterunser; so haben wohl auch heute die meisten von uns schon gebetet. Was denken wir bei dieser Bitte? Das Reich Gottes ist ein dreifaches. Fürs erste heißt es so viel als das Reich der Natur, die ganze Welt, das unermessliche Gebiet der Schöpfung, in welchem Gott, der Allmächtige, herrscht von einem Ende bis zum anderen, von welchem es im 103. Psalm heißt: „Der Herr hat seinen Stuhl im Himmel bereitet und sein Reich herrscht über alles“ und von welchem unser Lied singt:
Himmel, Erde, Luft und Meere,
aller Kreaturen Heere
Müssen dir zu Diensten stehen,
was du willst, das muss geschehen. 1)
Um dieses Reich der Schöpfung bitten wir nicht, denn es ist schon da, und wir leben mittendrin in seiner Herrlichkeit. Der Stern über unserem Haupt und die Blume zu unseren Füßen predigen uns von den Wundern dieses Reiches, und zumal jetzt in dieser gesegneten Erntezeit haben wir alle Ursache, den allmächtigen und allgütigen Gott zu preisen über den Gaben und Gütern seines Schöpfungsreichs. Aber wenn wir beten: Dein Reich komme, so meinen wir ein anderes Reich.
Ein anderes Reich Gottes ist das Reich der zukünftigen Herrlichkeit, das Himmelreich, auf das wir uns freuen unter den Leiden dieser Zeit, unter den Mühen unserer Pilgrimschaft, jenes Reich, von dem der Herr einst zu den Seinen sagen wird will's Gott, auch zu uns: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! und von welchem unser Lied sagt: In dem Reiche deiner Ehren kann man stets dich loben hören. Nach diesem Reich sehnt sich wohl eine fromme Seele jeden Tag; um dieses Reich bitten die Kinder Gottes gewiss auch recht fleißig und recht brünstig; an dieses Reich denkt der Christ wohl auch, wenn er die zweite Bitte im Vaterunser betet; doch ist's dieses zukünftige Himmelreich nicht allein und nicht vorzüglich, um das uns der Heiland beten lehrt in dieser Bitte, sonst würden wir eher sagen: Lass uns kommen in dein Reich, statt: Zu uns komme dein Reich. Dies Himmelreich kommt ja nicht zu uns, wir sollen kommen zu ihm.
Wir müssen das Reich Gottes im Gebete des Herrn noch verstehen in einer anderen, dritten Bedeutung, nämlich als das Reich der Gnade, das in Jesu Christo zu uns auf Erden gekommen ist und immer noch kommt, mit anderen Worten: die christliche Kirche. Das Reich Gottes, von welchem schon Johannes der Täufer predigte: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen; von welchem der Heiland verkündigte: Das Reich Gottes ist inwendig in euch; von welchem der Apostel Paulus vermahnt: Sagt Dank dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat zu dem Erbteil der Heiligen im Licht, welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Reich seines lieben Sohnes, an welchem wir haben die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden; und von welchem unser Lied sagt:
In des Gnadenreiches Grenzen sieht man dich am schönsten glänzen,
Wo viel tausend treue Seelen dich zu ihrem Haupt erwählen,
Die durchs Zepter deines Mundes nach dem Recht des Gnadenbundes
Sich von dir regieren lassen, und wie du das Unrecht hassen.
Um dieses Reich Gottes ganz besonders bitten wir im Vaterunser, dass es zu uns komme: komme zu denen, die noch gar nichts davon wissen, zu den armen Heiden, die noch leben und sterben unter der Obrigkeit der Finsternis; komme aber je mehr und mehr auch zu denen, die zwar äußerlich in demselben wohnen, innerlich aber noch ferne davon sind; komme zu uns Christen, inwendig in unsere Herzen.
Von diesem Reich Gottes, von diesem seligen Gnadenreich, das er schon im alten Bunde vorbereitet, durch Christum auf Erden gepflanzt hat und nun je mehr und mehr ausbreitet auf der ganzen Erde, bis alle Knie sich ihm beugen und alle Zungen bekennen: In dem Herrn habe ich Gerechtigkeit und Stärke! von diesem Gnadenreich Gottes handelt auch unser 93. Psalm und preist seine Herrlichkeit mit wenigen kurzen, aber kräftigen und vollstimmigen Akkorden. Der Psalm handelt:
Vom Gnadenreich Gottes auf Erden.
1) Von seinem herrlichen Regiment, V. 1. 2.
2) Von seinen gewaltigen Feinden, V. 3. 4.
3) Von seinen siegreichen Waffen, V. 5.
1) Sein herrliches Regiment
V. 1. 2: „Der Herr ist König und herrlich geschmückt; der Herr ist geschmückt und hat ein Reich angefangen, so weit die Welt ist, und zugerichtet, dass es bleiben soll. Von dem an steht dein Stuhl fest; du bist ewig.“ Da preist der Psalmist das Gnadenreich Gottes vorerst wegen seines herrlichen Regiments. Der Herr ist sein König, der Ewige und Allmächtige. Irdische Reiche haben menschliche Fürsten. Sie heißen auch Majestäten, sie sind auch herrlich geschmückt, wenn sie dahertreten in ihrem Krönungsornat, mit der goldenen Krone voll Perlen und Edelgestein auf der Stirn, mit dem goldgestickten Mantel von Purpursamt um die Schultern, mit dem kunstreich gearbeiteten goldenen Zepter in der Hand. Aber ach! menschliche Majestäten stehen auf schwachen Füßen; „Fürsten sind Menschen, vom Weibe geboren, und sinken wieder in den Staub.“ Das haben wir erst vor wenig Tagen wieder recht traurig erfahren an jenem guten König, der auf der Reise aus seinem Waagen in den Staub geworfen und vom Hufschlag eines scheuen Rosses getötet ward! Wehe dem Reich Gottes, wenn es geknüpft wäre an einen menschlichen Namen und wäre es auch der erlauchteste, an einen sterblichen Regenten und wäre es auch der edelste! Aber Heil dem Reiche Gottes, dass wir sagen dürfen: Der Herr ist König (der Ewige und Allmächtige) und herrlich geschmückt. Licht ist sein Kleid, das er an hat, und wenn auch die Himmel veralten wie ein Gewand, sein Königsschmuck veraltet nicht, denn er bleibt wie er ist und seine Jahre nehmen kein Ende. Seine Krone erbleichet nicht, denn er ist unsere Zuflucht für und für. Sein Zepter sinkt nicht aus seiner Hand, denn er ist der Allmächtige und Alleingewaltige, dessen Arm nie zu kurz wird, dem alles untertan ist im Himmel und auf Erden. Wohl uns des guten Herren! Und wie der König, so sein Reich. „Er hat ein Reich angefangen, so weit die Welt ist.“ Sein Reich reichet, so weit sein Zepter reichet, d. h. bis an der Welt Enden; es ist ein unermesslich Reich. Das ist ein kühnes Wort und doch ein wahres Wort. Es ist ein kühnes Wort. Als der Psalmist diesen Vers niederschrieb, da reichte das Reich Gottes auf Erden nicht weiter als von Dan bis Bersaba, vom Libanon im Norden bis zum toten Meer im Süden, vom Mittelmeer im Westen bis zur Wüste Moab im Osten, d. h. das Reich Gottes war eingeschränkt in die engen Grenzen Palästinas. Als der Heiland zu seinen Jüngern vor der Himmelfahrt sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, darum geht hin und lehrt alle Völker; da gehörte noch keine Scholle Erdboden ihm; nicht der Ölberg, auf dem er stand, nicht der Fußbreit Landes, den seine Sohlen berührten, eh er gen Himmel fuhr, gehörten ihm. Und doch das kühne Wort ward und ist ein wahres Wort! Er hat ein Reich angefangen, so weit die Welt ist.“ Die halbe Welt hat sich seinem Zepter schon unterworfen; die ganze Welt soll noch an seinen Namen glauben. Das ist Wahrheit, Geschichte, Tatsache, die auch die Feinde nicht wegstreiten können; das ist die Ausbreitung des Evangeliums auf Erden, der wir in acht Tagen in dieser Kirche wieder unser Jahresfest, unser Missionsfest feiern werden.
Und wie sein Reich ein unermesslich Reich ist nach dem Raum, so ist es ein ewig Reich nach der Zeit. Er hat es zugerichtet, dass es bleiben soll. „Von nun an steht dein Fuß fest; du bist ewig.“ Auch die Pforten der Hölle sollen seine Kirche nicht überwältigen, so hat der Herr vor 1800 Jahren verheißen. Und auch diese Verheißung ist Wahrheit geworden. Große Weltreiche und gewaltige Monarchien sind inzwischen entstanden und sind wieder zerplatzt wie Seifenblasen; aber sein Reich, sein Gnadenreich auf Erden, das angefangen hat wie ein Senfkörnlein, das besteht noch und wächst bis auf diesen Tag. Himmel und Erde werden vergehen, aber sein Wort und Reich bleibt. Jahrhunderte und Jahrtausende verrinnen, aber wenn sie verronnen sind wie ein Bach, wenn die Zeit selbst verronnen ist und die Welt vergangen mit ihrer Lust und alles Schöne verblüht und alles Große zerfallen ist auf Erden, dann wird sein Reich noch stehen und fortblühen im Himmel und fortdauern in die tiefen, tiefen Ewigkeiten hinein. Ist das nicht ein herrlich Reich? Ist das nicht ein glorreich Regiment? Ist das nicht ein selig Volk, das sein Bürgerrecht hat in diesem ewigen Reich, das da weiß:
Dort ist mein Teil und Erbe mir prächtig zugericht't;
Wenn ich gleich fall und sterbe, fällt doch mein Himmel nicht;
Durchseufz' ich auch hienieden mit Tränen manche Zeit,
Mein Jesus und sein Frieden durchsüßet alles Leid! 2)
Freilich dies Reich hat auch:
2) Seine gewaltigen Feinde.
V. 3. 4: „Herr, die Wasserströme erheben sich, die Wasserströme erheben ihr Brausen, die Wasserströme heben empor die Wellen. Die Wasserwogen im Meer sind groß und brausen gräulich; der Herr aber ist noch größer in der Höhe.“ Mit diesen Wasserströmen und Wasserwogen meint der Psalmist die Feinde des Reichs Gottes. Wie Wasserströme und wie Meereswogen brachen einst die Feinde Israels, brachen die Heeresmächte eines Sanherib, Salmanassar und Nebukadnezar verheerend und zerstörend über das Reich Gottes herein. Wie Wasserströme und wie Meereswogen sind auch die Feinde Christi seit 1800 Jahren oft hereingebrochen über sein Reich. Wie tobende Meereswogen brachen die weltlichen Mächte, die Legionen römischer Kaiser und die Volksaufläufe rasender Juden über die junge Christengemeinde herein und drohten sie zu ersäufen und zu vertilgen. Wie stolze Meereswogen brachen die Ströme weltlicher Weisheit, brachen die Wasser menschlicher Aufklärung ins Gebiet des christlichen Glaubens herein und drohten das Kreuz Christi zu entwurzeln. Wie wüste Wasserströme brachen die schmutzigen Bäche der Sünde, des Unglaubens, der Gottlosigkeit herein in den Garten Christi, ihn zu verwüsten und die grünen Saaten der Gerechtigkeit wegzuschwemmen. Wie brausende Meereswogen brachen die Fluten der Trübsal herein über die Kirche Christi und drohten sie zu zertrümmern und die Gläubigen zu versenken in den Tiefen der Angst und in den Abgründen der Verzweiflung. „Aber der Herr ist noch größer in der Höhe.“ Das hat sich noch immer bewährt bis auf diesen Tag. Ob menschliche Macht oder menschliche Weisheit sich versuchte an seiner Kirche, ob die Ströme der Sünde oder die Fluten der Trübsal hereinbrachen in sein Reich sein Reich ist doch geblieben. „Bis hierher und nicht weiter,“ hat er gesprochen; hie sollen sich legen deine stolzen Wellen, und die stolzen Wellen haben sich gelegt und sind zurückgewichen und haben sich verlaufen, und seine Kirche ist dagestanden unerschüttert, und sein Reich hat fortgegrünt umso fruchtbarer nach jeder Überschwemmung, und seine Gläubigen haben fröhlich nach der Trübsal ihr Haupt emporgehoben und gesungen:
Der Herr ist nun und nimmer nicht von seinem Volk geschieden,
Er bleibt ihre Zuversicht, ihr Segen, Heil und Frieden;
Mit Mutterhänden leitet er die Seinen stetig hin und her:
Gebt unserem Gott die Ehre! 3)
Und welches sind:
3) Die siegreichen Waffen
seines Reichs, womit er alle seine Feinde schlägt? Die besingt der Psalmist im letzten Vers.
V. 5: „Dein Wort ist eine rechte Lehre, Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses ewig.“ Das Wort Gottes, welches schärfer ist denn kein zweischneidig Schwert, und die Heiligkeit der Kinder Gottes, der fromme Wandel, den sie leuchten lassen vor den Leuten, dass sie ihre guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen; das sind die siegreichen Waffen des Reichs Gottes. Mit solch heiligem Wandel haben die ersten Christen geleuchtet, dass ihnen auch die Widersacher nichts anhaben konnten. Mit solch zweischneidigem Schwerte des Worts haben die Apostel gekämpft und Herzen erobert und Seelen gewonnen. Damit soll auch heute noch die Kirche Christi leuchten und kämpfen und siegen. Damit soll sie kämpfen als mit einem guten Schwert wider die Angriffe stolzer Menschenweisheit. Damit soll sie zurückweisen als mit einem glänzenden Harnisch die Pfeile der Lästerung und Bosheit. Damit soll sie siegen fort und fort, bis sie aus einer streitenden Kirche eine triumphierende geworden ist, bis sich alle Feinde des Herrn gelegt haben zum Schemel seiner Füße. „Dein Wort ist eine rechte Lehre; Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses ewig.“ So sei denn sein Wort auch unseres Herzens Trutz, auch unser Licht auf unseren Wegen; so sei denn Heiligkeit auch unseres Herzens Schmuck, auch unseres Hauses Zierde, damit wir in Wahrheit Bürger seines Reichs seien schon hienieden und einst selige Bürger seines himmlischen Reichs droben.
Herrsch auch, Herr, in meinem Herzen
Über Lüste, Furcht und Schmerzen!
Lass dein Leben in mich fließen,
Lass mich dich im Geist genießen,
Ehren, fürchten, loben, lieben,
Und mich im Gehorsam üben,
Siegen hier mit dir im Streite,
Dort mitherrschen dir zur Seite!4)
Amen.