Gerok, Karl von - Andachten zum Psalter - Psalm 2.
(1) Warum toben die Heiden, und die Leute reden so vergeblich? (2) Die Könige im Lande lehnen sich auf, und die Herren ratschlagen mit einander wider den Herrn und seinen Gesalbten: (3) Lasst uns zerreißen ihre Bande, und von uns werfen ihre Seile. (4) Aber der im Himmel wohnt, lacht ihrer, und der Herr spottet ihrer. (5) Er wird einst mit ihnen reden in seinem Zorn, und mit seinem Grimm wird er sie schrecken. (6) Aber ich habe meinen König eingesetzt, auf meinem heiligen Berg Zion. (7) Ich will von einer solchen Weise predigen, dass der Herr zu mir gesagt hat: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt; (8) Heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben, und der Welt Ende zum Eigentum. (9) Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen. (10) So lasst euch nun weisen, ihr Könige, und lasst euch züchtigen, ihr Richter auf Erden. (11) Dient dem Herrn mit Furcht, und freut euch mit Zittern. (12) Küsst den Sohn, dass er nicht zürne, und ihr umkommt auf dem Wege; denn sein Zorn wird bald anbrennen. Aber wohl allen, die auf ihn trauen.
Aus einem andern höheren Ton als das vorige Mal klingt diesmal der Psalter. Ein nüchterner Lehrpsalm war der 1. Psalm, der uns kürzlich beschäftigte. Diesmal ists ein prophetischer Psalm, voll Majestät, in welchem der Sänger einen Blick tut ins zukünftige Messiasreich. Das Menschenleben wars, das uns neulich beleuchtet wurde durchs Wort Gottes, diesmal ists der Gang der großen Reichsgeschichte Gottes, der uns vor Augen tritt in kurzen gewaltigen Zügen. Der Fromme wars, der uns damals vorgestellt wurde, grünend wie ein Baum an Wasserbächen, diesmal ists der Herr der Frommen, der Herr der Ehren, den wir sitzen sehen zur Rechten der Majestät. Ja wir werden von der Erde in den Himmel versetzt und sehen den Allmächtigen in seiner Majestät, den ewigen Sohn Gottes in seiner Herrlichkeit hoch erhaben über alles Menschliche und Irdische. Sollten wir einen Spruch aus dem Neuen Testament als Überschrift über diesen Psalm sehen, so wäre es das Wort des Herrn vor seiner Himmelfahrt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, oder der Ausspruch des Paulus über den erhöhten Heiland: Gott hat ihm gegeben einen Namen, der über alle Namen ist, dass in seinem Namen sich beugen sollen alle derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.
Christus, in der Kraft Gottes - ein Sieger über alle seine Feinde; das ist kurz gesagt der Inhalt unseres Psalms. Und gar schön ist dieser Gedanke ausgeführt. In vier Abteilungen zerfällt unser Psalm wie eine schöne Symphonie; vier Partien oder Personen oder Chöre sind es, die nacheinander auftreten und sich hören lassen:
- die tobenden Feinde,
- der allmächtige Gott,
- der herrliche Gottessohn,
- der mahnende Psalmist selber.
1) Die tobenden Feinde
V. 1-3. Wie in die tobende Brandung des Meeres schauen wir hinein, sehen die Wogen gegen das Felsenufer sich anbäumen, hören das Rollen und Grollen der wütenden Gewässer, wenn es heißt: Warum toben die Heiden, und die Leute reden so vergeblich? Die Könige im Lande lehnen sich auf, und die Herren ratschlagen miteinander wider den Herrn und seinen Gesalbten: Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile.
Wie oft ist diese Schilderung eingetroffen in der Geschichte des Reiches Gottes bis auf diesen Tag! Was Johannes im Eingang des Evangeliums sagt: die Finsternis hat das Licht nicht begriffen, das hat Christus und sein Reich erfahren tausendmal. Als er selber, das Licht der Welt, still und sanft wie ein Lamm mitten unter seinen tobenden Feinden stand, im Gerichtssaal des Hohepriesters Kaiphas, vor dem Throne des Königs Herodes, vor dem Richtstuhl des Heiden Pilatus, als sich alles gegen den heiligen König der Wahrheit verschwor, Juden und Heiden, Volk und Fürsten, Geistliche und Weltliche, da ward es erfüllt: Warum toben die Heiden?
Als seine Jünger um der Predigt des Evangeliums willen vor des Rates Antlitz standen, und Sadduzäer und Pharisäer, Volk und Obrigkeit einmütig gegen sie einstürmten, da ward es erfüllt: warum toben die Heiden? wie denn Petrus dort im 4. Kap. der Apostelgeschichte selber dieses Psalmwort auf sich und seine Mitapostel anwendet. Als in zwölf blutigen Christenverfolgungen durch drei Jahrhunderte hindurch die römischen Kaiser und das römische Volk gegen die Christen wüteten, oder als zur Zeit Luthers Kaiser und Papst gegen die reine Lehre des Evangeliums sich verschworen oder wenn heutzutage ein neues Heidentum mitten in der Christenheit sein Haupt erhebt, wenn eine gottesleugnerische Wissenschaft und ein vermessener, gottloser Zeitgeist, Gewissenlosigkeit von oben und Rohheit von unten zusammenwirken, um Bibel und Christentum auszurotten da heißts auch wieder: warum toben die Heiden?
Warum? den Grund verraten sie selber: Lasst uns zerreißen ihre Bande und von uns werfen ihre Seile. Der natürliche Mensch in seinem Stolz und Trotz will keine Bande der Zucht sich gefallen lassen, keine Seile des Gehorsams dulden.
Und was sind denn das für Bande und Seile, gegen die sich der natürliche Mensch empört? Sinds eiserne Ketten, die ihn zu Boden drücken? sinds verderbliche Seile, die ihn einschnüren? Ach nein: Mein Joch ist sanft, sagt der Herr, und meine Last ist leicht. Die ewigen Gebote Gottes, das Heilige Gesetz Christi es ist ein sanftes Joch und eine leichte Last! Nicht wahr, liebe Christen, das können wir bezeugen aus eigener Erfahrung: die Gebote Christi sind nicht schwer. Je treuer man sie befolgt, um so wohler ist einem dabei, und je länger man sich daran gewöhnt, um so mehr werden sie aus einer Last eine Lust, aus einer Bürde eine Würde, so dass man sie nicht mehr abwerfen möchte, wenn man auch dürfte. Was dagegen herauskommt, wo man die heiligen Bande der Gottesfurcht zerreißt und von sich wirst die sanften Zügel des göttlichen Gebots, das hat die Welt schon in manchen traurigen Revolutionsstürmen erfahren, unser Volk mit Schmerzen seit drei Jahren wieder erfahren, wo mit den Banden der Religion auch die Bande der Ordnung sich lösten, und doch ist die Welt noch so blind, und meint, nur dann könne sie glücklich, nur dann könne sie frei sein, wenn sie sich los mache von Christi sanftem Joch und der heiligen Zucht des göttlichen Gebotes. Aber es wird ihnen nicht gelingen. Die tobenden Feinde haben wir vernommen; wir hören
2) den allmächtigen Gott,
V. 4-6. Aber der im Himmel wohnt lacht ihrer. O majestätisches „aber“. Hier auf Erden wildes Toben aber droben selige Ruhe. Hier auf Erden ohnmächtige Wut - aber droben die stillfortwirkende Allmacht. Wie ein Fels im Meer steht - die Wogen mögen ihn anbrüllen und peitschen er bleibt unerschüttert; wie die Sonne am Himmel steht, die Wolken mögen sie verhüllen, die Nebel mögen sie verdüstern, die Stürme mögen darunter hinfahren sie strahlt ruhig fort auch über Wolken und Nebeln und Stürmen und gewinnt immer wieder die Oberhand; so thront der allmächtige Gott in heiliger Majestät, in seliger Ruhe über dem Toben der Sünde, über den Stürmen der Zeit; Er, bei dem Schaden, Spott und Schande lauter Lust und Himmel ist. Alles Ratschlagen menschlicher List, alles Toben menschlicher Gewalt es ist ihm nur ein Spott, seine ewigen Reichsgedanken gehen doch ihren Gang seit 1800 Jahren und werden ihn gehen bis in Ewigkeit.
Und wenns auch jetzt noch oft ist, als schweige er zu der Bosheit seiner Feinde, wenn er jetzt auch scheinbar ungestraft den Unglauben und die Sünde triumphieren lässt, so dass die Toren in ihren Herzen sprechen: Es ist kein Gott, ja dass oft selbst die Frommen seufzen: Herr, wie lang? es wird nicht immer so bleiben, er wird nicht immer bloß in seliger Ruhe in seinem Himmel thronen, er wird auch mit seinem starken Arm herabgreifen auf die Erde; er wird nicht immer bloß lachen über seine Feinde, er wird auch reden mit ihnen in seinem Zorn.
Seit den Tagen der Sündflut bis auf diese Zeit wechseln in Gottes Weltplan Zeiten der Langmut und Zeiten der rächenden Gerechtigkeit, Gnadenfristen und Gerichtstermine, Zeiten wo Gott schwieg, und wo er redete in seinem Zorn. Vor der Sündflut schwieg er zu der Sünde der Menschheit und Noah predigte Gerechtigkeit in seinem Namen, und eben mit der Sündflut redete er in seinem Zorn. Über der Sünde Israels schwieg er Jahrhunderte lang und umsonst warnten seine Propheten, und in der babylonischen Gefangenschaft redete er in seinem Zorn. Als man Jesum kreuzigte, schwieg er über seinem verstockten Volk, und in der Zerstörung Jerusalems redete er in seinem Zorn. Auch seit 1800 Jahren hat er zu seiner Christenheit manchmal geredet in seinem Zorn, wer weiß, ob nicht auch jetzt wieder, nachdem er lange geschwiegen, lange gewartet, lange gedroht, lange gelockt, ein ernstes Wort des Heiligen und Allmächtigen erschallen wird, zum Zeichen, dass er sein nicht spotten lässt? Eines wenigstens ist gewiss: seinen Sohn gibt er nicht Preis noch sein heiliges Reich.
Aber ich habe meinen König eingesetzt auf meinem heiligen Berg Zion. - Alle Völker der Erde, alle Könige der Welt mögen sich gegen ihn verschwören, aber Ich, sagt er, und dieser Ich ist Manns genug gegen alle Macht der Welt, denn dieser Ich ist der allmächtige Gott, von dem es im Liede heißt:
Und ob gleich alle Teufel
Sie wollten widerstehn,
So wird doch ohne Zweifel
Gott nicht zurücke gehn;
Was er ihm vorgenommen
Und was er haben will,
Das muss doch endlich kommen
Zu seinem Zweck und Ziel.
Ich habe meinen König eingesetzt. Der, zu dem er sprach: dieser ist mein lieber Sohn, den sollt ihr hören, der, den er gesalbt hat mit dem heiligen Geist ohne Maß, der, den er von den Toten auferweckt und gekrönt hat mit Herrlichkeit, der ist sein König, von ihm eingesetzt auf ewig auf seinem heiligen Berg Zion. David thronte auf dem Berg Zion in Jerusalem; da hatte er seine Königsburg sich erbaut, da stand sein königlicher Thron, von da schaute er in manch stiller Nacht hinab auf seine schlafende Stadt, hinauf zu den funkelnden Sternen und sang seine Psalmen zum Herrn. Aber noch höher steht der Berg Zion, auf den Gott seinen königlichen Sohn gesetzt hat: der steht hoch über allen Bergen und Tälern der Erde. Im Himmel ist sein Thron zur Rechten der Majestät in der Höhe, da hinan reicht keine Macht, keine List, keine Wut seiner Feinde; dort umgeben von den Lobgesängen der Himmel schaut er hinab auf sein Volk.
Jesus Christus herrscht als König,
Alles ist ihm untertänig,
Alles legt ihm Gott zu Fuß.
Jede Zunge soll bekennen,
Christus sei der Herr zu nennen,
Dem man Ehre geben muss.
Und nun vernehmet ihn selber,
3) den herrlichen Gottessohn
V. 7-9. Hier hört der Prophet den heiligen Gottessohn selber reden und zeugen von seiner göttlichen Abkunft und von seiner göttlichen Macht. Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt, so, bezeugt der Sohn, hat der allmächtige Gott von Ewigkeit her zu ihm gesagt. Heute, wann war dieses heute? Nicht erst, als er gen Himmel fuhr und sich setzte zur Rechten des himmlischen Vaters, auch nicht erst, als er aus dem Grabe wieder auferstand in der Kraft Gottes, auch nicht erst, als bei der Verklärung auf Tabor, oder bei der Taufe im Jordan es hieß: dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe, auch nicht erst, als er ein Kindlein in der Krippe lag, war dieses Heute, da Gott ihn gezeugt, nein, von Ewigkeit war er Gottes Sohn, so wie kein Mensch, kein Fürst, kein Frommer auf Erden, und kein Engel im Himmel es war oder ist oder sein wird: von Ewigkeit ist er Gottes Sohn und darum kann auch keine Zeit ihm seine Krone rauben. Und darum hat er auch von Ewigkeit her das Regentschaftsrecht und die Oberherrlichkeit über die ganze Erde.
Heische von mir, so will ich dir die Heiden zum Erbe geben und der Welt Ende zum Eigentum. So spricht der Vater zum Sohn.
Welche Verheißung! Der, welcher auf Erden nicht hatte, da er sein Haupt hinlege, der, welchen sein eigenes Volk ausstieß als einen Missetäter, der soll die Heiden zum Erbe bekommen und der Welt Enden zum Eigentum. Meine Lieben, wenn es jemand über dem Kindlein in der Krippe zu Bethlehem geweissagt hätte oder unter dem Kreuze des auf Golgatha Verblutenden: Vor diesem werden einst alle Knie sich beugen unter allen Völkern - wahrlich man hätte zu einem solchen Propheten gesagt: Du rasest!
Und wenn man weiter hinzugesetzt hätte: Er wird die Welt überwinden nicht mit dem Schwert, er wird die Erde beherrschen nicht mit dem Zepter, sondern allein mit der Gewalt seines Wortes wird er die Welt überwinden, man hätte zu einem solchen Propheten gesagt: Du bist von Sinnen!
Und nun am heutigen Tag, wo doch der Tag seiner herrlichen Offenbarung noch lang nicht gekommen, wo sein Reich immer noch ein Kreuzreich ist: wie viel, wie unglaublich viel ist doch von dieser Verheißung schon erfüllt! Wie weit ist sein Wort schon ausgegangen! Wie weit ist sein Reich schon verbreitet! In mehr als dreihundert Sprachen der Erde wird sein Name angebetet; die wildesten Heidenvölker haben ihm ihre Knie gebeugt; kein Meer ist fast auf dem Erdball, das seine Glaubensherolde noch nicht durchschifft, kein Weltteil ist auf Erden, wo seine Friedensboten noch nicht Fuß gefasst hätten; weit über das, was man damals, als dieser Psalm gedichtet ward, die Enden der Welt hieß, weit über die damals bekannten Grenzen der Erde hat sich das Reich Christi schon verbreitet. Glaubet ihr, einen solchen Siegeslauf werden die Feinde seines Kreuzes aufhalten können? Nein, eher wird sein sanfter Friedensstab an ihnen zum eisernen Zepter, eher wird das sanftmütige Lamm zum zornmütigen Löwen. Lange hat er Geduld, aber endlich an seinen verstockten Verächtern erfüllt sich's doch noch, wie siebzig Jahre nach seiner Geburt an seinem verstockten Jerusalem: Du sollst sie mit einem eisernen Zepter zerschlagen, wie Töpfe sollst du sie zerschmeißen! So hört denn
4) die mahnende Stimme des Psalmisten:
So lasst euch nun weisen, ihr Könige, und lasst euch züchtigen, ihr Richter auf Erden. Dient dem Herrn mit Furcht und freut euch mit Zittern. Küsst den Sohn, dass er nicht zürne und ihr umkommt auf dem Wege; denn sein Zorn wird bald anbrennen. Aber wohl allen, die auf ihn trauen, V. 10-12.
Noch ist's Zeit, ihm sich zu unterwerfen und Heil zu finden unter seinen Flügeln. So lasst euch nun weisen ach ja, dass sie sich weisen ließen die Könige und die Völker, die Großen und die Kleinen auf Erden; dass soviel Weckstimmen und Warnungsrufe, die zumal in dieser unserer Zeit an die Menschheit ergehen, doch nicht verloren wären!
Wir wenigstens, Geliebte, wir wollen dem Herrn, unserem König, dem wir uns schon längst zum Eigentum ergeben, dienen mit heiliger Furcht; wir wollen seines süßen Heilandnamens uns freuen, aber dabei schaffen, dass wir selig werden mit Furcht und Zittern; wir wollen den Sohn küssen, wie Magdalena seine Füße küsste, und ihm huldigen mit Tränen des Danks und der Liebe, damit wir nicht erzittern dürfen, wenn nun sein großer Tag erscheint.
Aber wohl allen, die auf ihn trauen! O liebliches Schlusswort! Wie ein Regenbogen nach dem Gewitter, wie ein Abendrot nach dem Sturm, wie ein Flötenton nach dem Kriegsgetümmel, so folgt dieses friedliche Schlusswort auf den stürmischen Psalm. Wohl allen, die auf ihn trauen! Nicht wahr, Geliebte, das haben wir erfahren, schon manchmal selig erfahren in den Stürmen der Zeit, in den Nöten des Lebens: Wer ihm vertraut, hat wohl gebaut! Das werden wir erfahren, so wir an ihn uns halten. So wollen wir als Trostwort und Denkspruch für die nächsten acht Tage dies heute mit hinausnehmen in die Mühen und Sorgen unseres Lebens: Wohl allen, die auf ihn trauen!