Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Siebente Predigt. Der Schrecken vor Gott.

Arndt, Friedrich - Der Sündenfall - Siebente Predigt. Der Schrecken vor Gott.

O welch ein köstlicher Gewinn,
Wenn meine Sünde schweigt,
Und mir, dass ich begnadigt bin,
Der Geist des Herrn bezeugt!

Ein ruhig Herz wird jedes Glück
Des Lebens mir erhöh'n,
Lässt mich in jedem Augenblick
Froh in die Zukunft seh'n.

Wohl dem, der diese Ruh' genießt,
Dem sein Gewissen sagt,
Dass er versöhnt durch Christum ist
und nichts ihn mehr verklagt! Amen.

Text: 1 Mose III., V. 8.
Und sie hörten die Stimme Gottes des Herrn, der im Garten ging, da der Tag kühle worden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weib vor dem Angesicht Gottes des Herrn, unter die Bäume im Garten.

Auf das Bedecken mit den Feigenblättern folgt das Verstecken unter die Bäume im Garten. Erst sich beflecken, dann sich bedecken, zuletzt sich verstecken! War das Bedecken das Zeichen der Scham, so ist das Sich verstecken das Zeichen der Furcht. Eine neue Folge des Sündenfalls: Adam und Eva fangen an, sich vor Gott dem Herrn zu fürchten. Seitdem geht die Furcht des bösen Gewissens als heimliche Begleiterin jeder Sünde durch unser Herz und Leben. Wir betrachten demnach heute die zweite Folge des Sündenfalls, die Furcht des bösen Gewissens: 1) wie sie erwacht, und 2) wie sie sich zeigt.

I.

Ein sinnreicher Denkspruch der Alten, der selbst bei den Heiden bekannt war, lautet: Mensch, tust du Böses, so fürchte dich ohne Zeugen. Er will sagen: Kein Mensch darf, wenn er Böses tut, sich darauf verlassen, dass das von ihm vollbrachte Böse im Verborgenen geschehen sei, und kein Mensch darum wisse, weil Jeder in seinem Herzen ein Gewissen trägt, was so gut ist als tausend Zeugen. Die Wahrheit dieses Denkspruchs muss bei uns Christen noch viel mehr gelten, weil wir wissen, dass wir außer unserm Gewissen noch einen andern Aufseher und Zeugen haben, den allwissenden und allgegenwärtigen Gott, vor welchem auch die allergeheimsten Sünden nicht verborgen sind und bleiben können. Das lehrt uns augenscheinlich schon die Geschichte der ersten Sünde, des Sündenfalls. Gott hatte Alles mit angesehen und war den Menschen näher gewesen, als sie geglaubt hatten, wie Er uns denn immer näher ist, als wir uns selber sind. Wie viele Stunden nach dem Fall verflossen, ehe Gott sich ihnen offenbarte, ist nicht angegeben; endlich kam aber die rechte Zeit, wo es geschah. Die Lust des augenblicklichen Genusses war verraucht, die Erinnerung des vollzogenen Unrechts aber zurückgeblieben, der Gedanke an Gott, der vor der betäubenden Lust verstummt war, und was Gott dazu sagen würde, wenn Er sie in ihrer veränderten Gestalt erblickte, war zurückgekehrt. Aber wie ganz anders beschäftigte sie jetzt dieser Gedanke! Gott ist ihnen nicht mehr der liebevolle Vater, wie früher, Er ist ihnen jetzt der gebietende Gesetzgeber, dessen Gebot sie übertraten, und der strenge, unerbittliche Richter, der sie strafen kann und muss. Der Gedanke Gottes ist ihnen unerträglich; früher ein Gedanke der Freude, der Wonne, der Seligkeit, jetzt ein Gedanke der Furcht und des Schreckens: o wie gern rissen sie ihn aus ihrem Herzen, wenn es nur ginge! Früher war es ihnen das Paradies im Paradies gewesen, dass sie mit Gott in einem so engen, beseligenden Umgang standen, wie Kinder mit dem Vater, und sie hatten sich auf diesen Augenblick im Voraus schon gefreut, wenn sie Ihn wiedersahen, jetzt macht ihnen der bloße Gedanke an Gottes Wiedersehen das Paradies zur Hölle. O dass es doch keinen Gott gäbe! O dass Er sich nicht offenbarte!

Doch der Tag wird kühle, es kommt der Abend heran, und ihr wisst, am Abend, wenn das Getümmel des Tages schweigt, wenn die zerstreuenden Eindrücke desselben schwächer geworden sind und es stiller um uns her wird, wird es auch still im Gemüte, wir fühlen uns mehr als sonst mit uns allein, die Gefühle der Schwermut, der Sehnsucht, der Vereinsamung, des Heimwehs, erwachen und wir kommen wieder zu uns selbst. Das Alles ist ein tägliches Vorbild und eine tägliche Vorbereitung auf den Augenblick, wo es zum letzten Mal hienieden heißen wird: „Siehe, es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt“, und die Macht des Todes über uns hereinbricht. Dann wird es ganz still und für immer still! Aber dann erwachen auch Erinnerungen, Bilder, Gestalten, Fragen und Anklagen, die das ganze Leben hindurch in den Hintergrund getreten waren, und fordern zur Rechenschaft und verlangen Gehör; wehe, wer da keinen gnädigen Gott im Himmel und kein gutes Gewissen hat in seiner Brust! Auch bei unseren Stammeltern legte sich am Abend der Rausch satanischer Verblendung, die Leidenschaft hatte sich abgekühlt, es wurde stiller in ihnen, sie fühlten sich vereinsamt aus Gottes Gemeinschaft, losgerissen von der Heimat ihres Ursprungs, und das hereinbrechende Dunkel ließ sie inne werden, dass ihr inneres Licht erloschen, ihre anerschaffne Unschuld und Gerechtigkeit verloren gegangen, ihr Verhältnis zu Gott und Gottes Verhältnis zu ihnen ein anderes geworden war.

Da, - o Entsetzen! - vernahmen sie das Rauschen der Fußtritte Gottes, der im Garten ging. Niemand, der an das Wunder der Menschwerdung Gottes glaubt, wird sich an diese Ausdrucksweise stoßen. Die Erscheinungen Gottes an und der Verkehr Gottes mit den Menschen im Paradies war so unmittelbar und nahe, wie wir ihn uns jetzt im Stand des Falles nicht mehr zur völligen klaren Anschauung bringen können. Es waren aber alle diese Herablassungen und Selbsterniedrigungen Gottes im Alten Testament -, denn jede Offenbarung Gottes ist Selbsterniedrigung, alle diese Heraustretungen Gottes. aus Seiner Unendlichkeit und Höhe, alle diese menschlichen Gleichstellungen und Reden Gottes mit den Menschen schon Anbahnungen und Vorboten auf Seine allergrößte Offenbarung im Fleisch in Christo Jesu. - Zugleich hören sie die Stimme Gottes des Herrn im Garten. Diese Stimme Gottes ist, wo sie erschallt, eine majestätische Stimme, die heilige Schrift sagt: „Die Stimme des Herrn geht auf den Wassern, die Stimme des Herrn geht mit Macht, die Stimme des Herrn geht herrlich, die Stimme des Herrn zerbricht die Zedern im Libanon, die Stimme des Herrn häuet wie Feuerflammen, die Stimme des Herrn erregt die Wüsten und entblößt die Wälder“, und vom jüngsten Tag heißt es: „Es kommt aber die Stunde, in welcher die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, und die da Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts“. Es ist die Stimme Gottes zugleich eine laute, allgemein vernehmbare und verständliche Stimme; die Schrift sagt: „Es ist keine Sprache noch Rede, da man nicht ihre Stimme hört“. Endlich ist es ein Zeichen unmittelbarer göttlicher Offenbarung, so oft die Stimme Gottes erschallt: denkt nur an die Taufe Christi im Jordan, an Christi Verklärung auf Tabor, an Pauli Bekehrung! Es haben manche Ausleger gemeint, es hätte sich Gott jetzt anders als bisher den Menschen geoffenbart, in einer andern Stimme, als sie gewohnt gewesen waren, es hätte sich plötzlich ein Gewitter erhoben, ein allgemeiner Aufruhr aller Elemente, Sturmesbrausen, Blitzesleuchten, starkes Donnern, der Wind des Herrn hätte heulend durch die lieblichen Fluren des Paradieses geweht, das Laub und die Früchte der Bäume zu Boden geworfen und die ganze Luft mit Staub erfüllt, die Tiere wären scheu und wild geworden, die Vögel hätten durch die Lüfte geschwirrt und Schirm und Obdach gesucht, Alles hätte gejammert, geklagt, nach Hilfe und Rettung verlangt, und die Herrlichkeit des Gartens Eden wäre untergegangen - das erste Gewitter auf Erden! Da hätten denn auch Adam und Eva sich gefürchtet, wie sich noch immer viele Menschen, nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene, beim Gewitter fürchten und verborgene Orte aufsuchen. Aber es ist gar nicht nötig, ein außerordentliches Naturereignis hier zu Hilfe zu rufen; es ist auch davon nichts im Text angedeutet; Gottes Stimme war dieselbe wie früher; aber sie klang den Menschen, die gesündigt hatten, anders; das Ohr, mit dem sie hörten, das Herz, mit dem sie fühlten, war ein anderes geworden; darum klang ihnen die Stimme Gottes nicht mehr lieblich, sondern fürchterlich; der Blitz und der Donner machte sich geltend in ihrem Innern, da, da, in ihrer Brust, herrschte der Aufruhr der Elemente, das Wogen und Brausen, das Fluten und Toben, die Scheu und die Angst, die Unruhe und die Verödung; da wohnte das Schuldbewusstsein und das böse Gewissen ach, und wo das erwacht ist, da ist kein Friede mehr, sondern Krieg, kein Sonnenschein mehr, sondern dunkle Nacht, kein blauer Himmel mehr, sondern eitel glühende Hölle, ein Wurm, der nicht stirbt, ein Feuer, das nicht verlischt. Adam und Eva können nunmehr die wohlbekannte Stimme Gottes nicht weiter ertragen; wohin sie blicken, öffnen sich Abgründe über Abgründe zu ihren Füßen, Abgründe zur Rechten, Abgründe zur Linken; vor Angst und Furcht möchten sie gern sich selbst entlaufen, wenn es nur ginge; die Stimme Gottes erschreckt sie, dass sie auffahren und scheu, wie geängstetes Wild, die Flucht ergreifen. Sehet da die unvermeidliche Folge der Sünde, die Furcht des bösen Gewissens! Ein so köstlich Ding es ist um ein gut Gewissen - Salomo nennt es ein täglich Wohlleben; Hiob blieb ruhig bei allen Beschuldigungen seiner leidigen Tröster und sprach: „Mein Gewissen beißt mich nicht meines ganzen Lebens halber“, David konnte sprechen: „Ich liege und schlafe gang mit Frieden“, Paulus schreibt: „Unser Ruhm ist das Zeugnis unseres Gewissens, dass wir in Einfältigkeit und göttlicher Lauterkeit, nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in der Gnade Gottes auf der Welt gewandelt haben“ (2 Kor. 1,12), und Hiskias betet: „Gedenke, Herr, wie ich vor Dir gewandelt habe in der Wahrheit, mit vollkommenem Herzen und habe getan, was Dir gefallen hat“, (Jes. 38,3) - ebenso schrecklich und verheerend ist das böse Gewissen. Es kann eine ganze Zeit lang, manchmal sogar lange schlafen, aber es stirbt nie; es borgt dem Menschen wohl, aber es schenkt ihm nichts. Es tut manchmal, als wäre es blind, taub und stumm; aber mit einem Mal hat es Augen, die bis ins innerste Herz durchbohrend hineinschauen, und Ohren, die auch die Keime der Gedanken behorchen, und Zungen, von einer Rednerkraft, wie sie keine andere Zunge auf Erden besitzt. Es braucht nur so etwas von einer Gottesstimme laut zu werden, nur ein leises Rauschen der nahenden Fußtritte des Herrn sich vernehmen lassen, nur der Gottesgedanke, das Gottesbewusstsein einmal Leben gewinnen: da beginnt es zu reden und anzuklagen und zu strafen, wie nur ein Wesen, das Ankläger, Zeuge und Richter zugleich ist, wie nur ein allwissendes und allgegenwärtiges Wesen zu reden und anzuklagen und zu strafen vermag, und das Herz kann sich mit nichts mehr entschuldigen, es muss die Gerechtigkeit der Anklage und des Gerichts zugeben, und fühlt sich von Gott verdammt und verworfen. Ein böses Gewissen ist Blitz und Donner, Sturm, Erdbeben und Feuer. Es ist wie eine Pulvermine, bei der es nur des winzigen Fünkleins eine durchdringenden Blickes bedarf, und die Explosion ist erfolgt. Es ist wie ein finsterer Maler, welchem kein Nachtstück nächtig und grauenvoll genug erscheint, um nicht noch neue Schauerzüge hineinzuzeichnen; wie ein düsterer Prophet, der nur Verderbliches und Böses weissagt; wie ein Totenvogel in stürmischer Nacht, der nur von Unheil eintönige, gespenstig-schauerliche Lieder singt. Ein Mensch, der ein böses Gewissen hat, bebt sein Leben lang; was er hört, das erschreckt ihn, und wenn es gleich Friede ist, so fürchtet er doch: der Verderber kommt. Er fürchtet sich, wo nicht zu fürchten ist, und fleucht, ob ihn schon Niemand jagt; er sieht ein rauschendes Blatt für einen geharnischten Mann, eine Fliege für einen Elefanten, und seine Freunde für lauter Henker an. Böse Gewissen sind wie Berge, an denen der Donner Gottes vom Sinai in millionenfachem Echo wiederhallt.

Wie groß war die Gewissensangst Kains nach seinem unnatürlichen Brudermord, mit welchem er schon die Schwelle der menschlichen Geschichte befleckte! Es war noch kein menschlicher Richter da, der über ihn den Stab konnte brechen, noch kein Henker, der das Schwerdt zücken, noch kein Kerker, der ihn in seine Haft aufnehmen konnte; dennoch war er so voller Angst und Schrecken, wie ein Sünder, der zum Hochgericht geführt werden soll, und der Erdboden ihm zu klein, dass er unstet und flüchtig hin und her lief, obgleich ihn Niemand verfolgte. Wie groß war die Gewissensangst der Brüder Josephs, als sie vor ihm stehend und ihrer Strafwürdigkeit sich bewusst, zwanzig Jahre, nachdem die Missetat geschehen war, das bittere, herzzerreißende Bekenntnis ablegten: „Das haben wir an unserem Bruder Joseph verschuldet, da wir sahen die Angst seiner Seele, da er uns flehte, und wir wollten ihn nicht erhören, darum kommt nun diese Trübsal über uns“. Wie groß war die Gewissensangst Davids, als nach dem Mord des Urias und dem Ehebruch mit Bathseba der Prophet Natan ihm schon vergeben hatte, er sich aber selbst noch immer nicht vergeben konnte, sondern im Sack und in der Asche Buße tat und seufzte: „Gott, sei mir gnädig nach Deiner Güte und tilge meine Sünden nach Deiner großen Barmherzigkeit; wasche mich wohl von meiner Missetat und reinige mich von meiner Sünde; denn ich erkenne meine Missetat und meine Sünde ist immer vor mir. An Dir allein habe ich gesündigt und übel vor Dir getan!“ Wie groß die Gewissensangst des Judas, als er in Verzweiflung ausrief: „Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldig Blut verraten habe“, und dann den Hohenpriestern das Blutgeld vor die Füße warf und hinging und sich selbst erhängte! Welche Höllenangst hat der grausame Kaiser Nero ausgestanden, nachdem er hatte seine leibliche Mutter umbringen lassen! Die Nächte brachte er darauf in lauter Herzensangst und peinigenden Gedanken zu; bald fuhr er auf aus dem Bett wie ein Rasender, bald lief er aus einem Gemach in das andere, wie Einer, den alle höllischen Furien verfolgten. Wie grauenvoll ist es dem französischen Könige Karl IX. ergangen, nachdem er in der Nacht der Pariser Bluthochzeit aus dem Fenster seines Palastes auf seine eigenen protestantischen Untertanen geschossen hatte! In seinen Träumen sah er nichts als Blutströme und Leichenhaufen, hörte er Gewimmer und Todesgeschrei, und hielt sich für umringt von den Schatten der Ermordeten. In den letzten Wochen zitterte er ununterbrochen und war außer Stande, in irgend einer Stellung ruhig zu verweilen; das Blut drang ihm aus allen Öffnungen des Leibes und allen Poren der Haut. So starb er, erst 24 Jahre alt, 1574. - Ja, Geliebte, die Schrift hat Recht, wenn sie sagt: „Es sei schrecklich, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“. - Ein württembergischer Müller, welcher bis in dieses Jahrhundert hinein lebte, saß eines Tages allein in seinem Zimmer. Da trat ein unbekanntes Weib herein und bot ihm Branntwein zum Verkauf. Er wollte keinen kaufen. Sie drang wiederholt in ihn, er aber wies sie ebenso oft ab. Dabei ließ er seine Augen fest auf ihr ruhen. Sie wurde unruhig und fragte: Was sieht er mich denn so an? Der Müller antwortete nicht, ließ aber seinen Blick fest auf ihr haften. Ihre Unruhe stieg, und sie fragte weiter: Was sieht er mich denn so an? Er braucht mich nicht so anzusehen! Ich habe nichts Böses getan! - Der Müller hielt mit seinen Blicken auf ihr. Da rief sie aus: Ich habe gewiss nichts Böses getan; schau er doch einmal weg; man meint ja, er wolle Einen mit den Augen erstechen. - Da der Müller seine Augen immerfort auf ihr ruhen ließ, brach sie in die Worte aus: Ach, lieber Gott, lasse er mich doch gehen! Was will er denn von mir? Herr Jesus, ich sehe schon, er weiß es; ich wills ihm ja gerne gestehen, ich habe eine gehabt. So? eins hat sie gehabt? - Ja, ein uneheliches Kind, aber mehr gewiss nicht. - So? nur eins? fragte der Müller, und hielt sie fest mit seinem scharfen Auge. Diesem konnte sie nicht widerstehen. In der tiefsten Angst rief sie aus: Woher weiß er denn alles? Ja freilich habe ich zwei gehabt; aber sage er es um Gottes willen Niemandem, ich habe den Kindern gewiss nichts zu Leibe getan, gewiss nicht! So? nichts zu Leibe getan? - Herr Jesus im Himmel, rief sie aus, nein, ich habe eine davon erstochen! Was ist denn das für ein Mann? Gott behüte Einen vor diesem Mann! Damit stürzte sie zum Haus hinaus und war verschwunden, ehe sich der Müller besinnen konnte, was zu tun wäre.

Seht, Geliebte, das ist das böse Gewissen! das ist der Gott, der hinter dem Sünder hergeht, der das Auge zum Schwerdt und das rauschende Blatt zum Richter werden lässt! O hört, Sünder, auf des Gewissens Stimme, so lange sie noch warnt, damit ihr nicht einmal auf sie hören müsst, wenn sie straft! Dem weltlichen Richter könnt ihr entfliehen,- diesem innern Richter nie! Ihr könnt alle Kirchen schließen, aber nicht die Kirche im Gewissen! Sagt nicht: „Altbekannte, triviale Wahrheiten“! Leider sind die allbekannten Wahrheiten nur zu oft die unbekanntesten und verachtetsten von allen: sonst wäre nicht so viel Elend und Sünde in der Welt. Es gibt Wahrheiten, die nicht oft genug gesagt werben können, weil der Mensch sich an sie gewöhnt hat, und ihren Ernst und ihre Wichtigkeit nun überhört: zu diesen gehört auch die Wahrheit vom guten und bösen Gewissen.

II.

Weiter! Wie äußerte sich die Furcht bei bösen Gewissen bei Adam und Eva?

Eva? Unser Text sagt: „Und Adam versteckte sich mit seinem Weib vor dem Angesichte Gottes des Herrn unter die Bäume im Garten.“

Er versteckte sich, und floh fort von Gott, so weit ihn die Füße nur tragen konnten; er fühlte: Gott und er gehörten nicht mehr zusammen. Diese Gottesflucht, dieses Wegwenden von Gott, dessen Blick und Wort man zu scheuen hat, ist das erste Zeichen der Furcht des bösen Gewissens. Eigentlich, wenn sich der Sünder verstände, sollte er sich nun erst recht zu Dem wenden, der da spricht: „Ich bin der Herr, dein Arzt“; aber das ist eben wieder ein Stück Satanslist, dass er uns gerade dann meilenweit von Gott wegjagt, ihn uns als einen Grausamen darstellt und uns dadurch immer elender und bedauernswürdiger macht. Der Sünder flieht vor Gott mehr als vor dem Teufel. Mit dem Teufel ließen sich unsere Stammeltern ein, von Gott aber wendeten sie sich ab. O, dass sie mit derselben Hast, mit demselben Eifer vor jenem geflohen wären: wie viel Jammer und Not hätten sie sich und uns erspart! Geliebte, zeigt sich dieselbe Gottesflucht nicht noch immer bei allen natürlichen, gottentfremdeten, weltlich gesinnten Menschen? Warum fliehen und hassen wir alle denn von Natur die Stille und Einsamkeit, und dürften nach Geselligkeit und Vergnügen? Warum meiden wir das Lesen der Bibel, den Besuch der Kirche, das Gebet und Abendmahl, ja, jede Erinnerung an Gott, an Tod, Gericht, Himmel und Hölle? Warum scheuen wir uns vor dem Umgang der Frommen und der Gemeinschaft der Gläubigen? Warum sträuben sich selbst Kinder Gottes so sehr gegen das Kreuz, als käme es vom Teufel und nicht vom barmherzigen Gott? Warum sind sie so oft zerstreut in der Kirche, oder glauben schon genug getan zu haben, wenn sie nur mit den Füßen, aber nicht mit dem Herzen im Haus Gottes stehen? Ja, ist nicht gewissermaßen jede Arbeit ohne Gebet, jede Selbstgerechtigkeit, jedes etwas sein und gelten wollen eine Gottesflucht?

Adam versteckte sich mit seinem Weib. Wunderbar! Er will sich nicht allein retten, sondern auch die mit, die Fleisch von seinem Fleisch und Bein von seinem Bein ist; er will Alles mit ihr teilen, das Böse wie das Gute, das Gute wie das Böse. Trotz der eingetretenen schweren Folgen der Sünde ist doch Eins in ihm und in uns Allen geblieben, eins, das göttlichen Ursprungs, göttlichen Wesens, und darum unverlierbar und unveräußerlich ist, das ist die Liebe, die Gattenliebe, die Elternliebe, die Kindesliebe, die Geschwisterliebe, die Freundesliebe; genug, die Liebe, mag sie heißen wie sie will; denn Gott ist die Liebe. Auch der gefallene Mensch kann noch lieben. Diese Liebe machts, dass die mit der Sünde bedeckte Erde noch keine Hölle ist; diese natürliche Liebe sitzt so tief in unserer Natur, dass selbst der reiche Mann in der Hölle sich noch seiner fünf unbekehrten Brüder erinnert und Abraham bittet, er möge Lazarum zu ihnen senden, damit sie nicht auch kämen an diesen Ort der Qual.

Adam versteckte sich mit seinem Weib vor dem Angesicht Gottes des Herrn, von dem Jakob sagt: „Ich habe den Herrn von Angesicht gesehen und meine Seele ist genesen“; nach dessen Anschauen David sich sehnte und flehte: „Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“ mit welchem das Volk Gottes gesegnet wird bei jedem Gottesdienst: „Der Herr lasse Sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig“; das den Gerechten aller Zeiten, wenn Gott es ihnen zeigt, die größte Gnade, wenn Er es ihnen verbirgt, das größte Unglück ist; von dem Jesus sagt: „Die Engel der Kinder sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel“, und das Paulus allezeit als den Inbegriff aller Seligkeit im Himmel schildert: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber von Angesicht zu Angesicht“. Ach, dies Angesicht war jetzt betrübt und voll Tränen, diese Augen, ehemals gleich einem schönen Saphir und wie die Gestalt des Himmels, wenn es klar ist, leuchteten jetzt wie verzehrende Feuerflammen; Adam las aus ihnen heraus die vorwurfsvolle Frage: „Was hast du getan? Ist das der Dank für die unaussprechliche Liebe, mit der ich dich vor allen Geschöpfen der sichtbaren Welt ausgezeichnet, für die überschwänglichen Wohltaten Leibes und der Seele, die ich dir bewiesen habe? Vergiltst du also dem Herrn, deinem Gott? So lange der Mensch mit Gott in Gemeinschaft steht und diese Gemeinschaft für seine höchste Seligkeit hält, kann er sprechen: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft, vor wem sollte mir grauen?“ Ist er aber auch nur einen Finger breit vom rechten Weg abgewichen, dann sagt ihm eine innere Stimme: „Ich und Gott sind jetzt voneinander geschieden, Er ist nicht mehr mein Freund und ich bin längst der seinige nicht mehr“, und da Gott mächtiger ist als wir, da Er die Heiligkeit und Gerechtigkeit selber ist, so kommt dem Sünder beim Gedanken an Ihn die Furcht an, und er ruft betroffen und bestürzt mit Jesaia: „Wehe mir, ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen“, und mit Hiob: „Deine Augen sehen mich an, darüber vergehe ich“, und mit Daniel: „Da ich sein Antlitz sah und hörte seine Rede wie ein groß Getöne, da blieb keine Kraft mehr in mir und ich war sehr ungestalt und sank auf mein Angesicht zur Erde“; und mit dem Volk Israel am Fuß des Sinai: „Wenn wir des Herrn unsere Gottes Stimme noch ferner hören, so müssen wir sterben, denn was ist alles Fleisch, dass es hören möge die Stimme Gottes aus dem Feuer reden und lebendig bleiben?“ Diese Furcht ist ein Stück von der Angst derjenigen, die dereinst zu den Bergen rufen werden: „Fallt über uns!“ und zu den Hügeln: „Bedeckt uns!“

Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht des Herrn unter die Bäume im Garten. Welche Torheit! Aber die Sünde ist einmal immer Betörung und hat darum lauter Torheiten in ihrem Gefolge. Die Vernunft sagt jedem Menschen, dass er sich vor Gott nicht verbergen könne; und doch bildet er sichs immer ein und versucht das Unmögliche. Auch Adam und Eva bilden sich ein, dort unter den Bäumen werde Gott sie nicht sehen noch finden können, leugnen also in Gott die Allwissenheit und die Allgegenwart, und, weit entfernt, durch den Sündenfall in ihrer Erkenntnis gefördert zu sein, wie die Schlange ihnen verheißen hatte, sind sie darin entsetzlich zurückgekommen und sehen nicht einmal mehr ein, was das kleinste Kind in unseren Schulen schon lernt: „Herr, Du erforschst mich, und kennst mich; ich sitze oder stehe auf, so weißt Du es, Du verstehst meine Gedanken von ferne; ich gehe oder liege, so bist Du um mich und siehst alle meine Wege; denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das Du, Herr, nicht Alles wüsstest. Wo soll ich hingehen vor Deinem Geist und wo soll ich hin fliehen vor Deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist Du da; bettete ich mich in die Hölle, so bist Du auch da; nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch Deine Hand daselbst führen und Deine Rechte mich halten.“ So verdunkelt und verwirrt die Sünde den menschlichen Geist und übt eine zersetzende und zerstörende Kraft nach der andern aus, über Leib, Seele und Geist und alle unsere Sinne und Kräfte.

„Die Furcht hat Pein“, sagt Johannes; gibts denn aber nicht, wodurch wir sie überwinden und uns von ihrer Pein befreien können? Die Welt versucht es unaufhörlich durch allerhand Zerstreuungen, Genüsse, berauschende Getränke, und dergleichen; aber damit sammelt sie sich nur neues Brennmaterial für den Tag der Gerichte und mehrt die Hölle in ihrer Brust. Johannes weist uns auf ein anderes Beschwichtigungsmittel, indem er hinzusetzt: „Die völlige Liebe treibt die Furcht aus.“ Was ist das für eine Liebe? Die menschliche Liebe ist es nicht, denn die ist allezeit eine unvollkommene und darum veränderliche, die leicht aus Zuneigung in Abneigung, aus Wärme in Gleichgültigkeit und Kälte übergeht. Und doch treibt auch schon menschliche Liebe die Furcht aus, denn Paulus sagt von ihr: „Sie verträgt Alles, sie glaubt Alles, sie hofft Alles, sie duldet Alles“; sie verträgt und duldet nämlich das Böse, sie glaubt und hofft das Gute, damit ist die Furcht überwunden. Die völlige liebe ist allein die göttliche Liebe, jene liebe, die da gejagt hat: „Niemand hat größere Liebe, denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde und die sich für uns zu Tode geblutet hat; jene Liebe, von der wir singen: „O Wunderlieb, o Liebesmacht, du kannst, was nie ein Mensch gedacht, Gott seinen Sohn abzwingen; o Liebe, Liebe, du bist stark, du streckst den in Grab und Sarg, vor dem die Felsen springen“; und wiederum: „O Liebe, die den Himmel hat zerrissen, die sich zu mir ins Elend niederließ, was für ein Trieb hat sich bewegen müssen, der dich zu mir ins Jammertal verwies? Die Liebe hat es selbst getan, sie schaut als Mutter mich in meinem Jammer an.“ Wer an diese Liebe glaubt und glauben kann, bei dem weicht das Beben vor Gesetz und Gericht, in dem legen sich die Wellen des Herzens, von dem fliehen die innern und die äußern Gespenster, an dem erfüllt sich das prophetische Wort: „So hat man Ruhe, so erquickt man die Müden, so wird man stille“ (Jesaia 28,12.) und der Liedervers: „Ein gut Gewissen ist ein Leben, das keine Kreatur kann geben, und wer kein gut Gewissen hat, ist sich an keiner Freude satt.“ Christus allein ist das gute Gewissen der Menschheit, Christus allein unser gutes Gewissen, Er bringt die Löwen in der Grube unseres Herzens, die bösen Erinnerungen, zum Schweigen und legt ihnen Zaum und Gebiss an. für uns, wer will dann wider uns sein? und was könnten wir dann noch fürchten? Etwa Kreuz und Leiden? Legt Er es auf, so ist es nur ein Gnadenkreuz, und müssen denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Ober die Sünde? Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde, und ist nichts Verdammliches mehr an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. Oder die Macht der Versuchung? Der in uns ist, ist größer, als der in der Welt ist. Oder der Tod mit seinen Schrecken? Jesus hat dem Tod die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen an das Licht gebracht. In dem Allen überwinden wir weit um Des willen, der uns geliebt hat; Seine völlige Liebe treibt alle unsere Furcht aus.

Herr Jesu, nimm denn von uns unser böses Gewissen, nimm von uns, was unser ist, und gib uns, was Dein ist, so ist uns geholfen zeitlich und ewiglich. Amen.

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