Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der wahren Ruhe der Seele.

Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Von der wahren Ruhe der Seele.

Das Herz, das sich auf den Herrn verlässt, ist ruhig.

Die Seele sucht oft ihre Ruhe in vergänglichen und irdischen Dingen, und findet sie nicht. Warum? Weil die Seele mehr ist als alle Geschöpfe, darum kann sie in jenen geringeren Dingen Ruhe und Frieden nicht finden. Alles Irdische schwindet und vergeht, die Seele aber ist unsterblich; wie also kann sie wahre Ruhe in jenem finden? Jenes alles ist von der Erde, unsere Seele aber ist himmlischen Ursprungs; wie also könnte sie mit jenem ihre Sehnsucht stillen? In Christo findet sie Ruhe Matth. 11,29; der kann ihre Sehnsucht sättigen und stillen. Gegen den Zorn Gottes ruht sie in den Wunden Christi, gegen die Anklage des Satans in der Macht Christi, gegen die Schrecken des Gesetzes in der Predigt Christi, gegen die schuldigenden Sünden in dem Blut Christi, das besser vor Gott redet als Abels Blut Ebr. 11,24, gegen die Angst des Todes ruht und traut sie in dem Sitzen Christi zur Rechten des Vaters. So findet unser Glaube Ruhe in Christo; aber auch unsere Liebe findet da die höchste Ruhe.

Wer mit Liebe den irdischen Dingen anhängt, hat die wahre Ruhe nicht, weil die irdischen Dinge sie selbst nicht in sich begreifen, und das Verlangen der Seele nicht vollständig befriedigen können; denn alles ist endlich, unsere Seele aber, nach Gottes Bild geschaffen, verlangt nach jenem unendlichen Gut, in dem alle Güter beschlossen sind. Wie daher unser Glaube auf keine von allen Kreaturen sich stützen darf, sondern allein auf das Verdienst Christi, so darf auch unsere Liebe keiner Kreatur anhängen, auch nicht einmal uns selbst. Die Eigenliebe hindert in gleicher Weise die Gottesliebe: Allem müssen wir die Gottesliebe vorziehen. Unsere Seele ist die Braut Christi 2 Kor. 11,2; ihm muss sie daher allein anhängen; unsere Seele ist der Tempel Gottes 1 Kor. 3,16; ihm muss sie daher allein Raum geben.

Viele suchen Ruhe im Reichtum; aber außer Christo gibt es keine Ruhe der Seele; wo aber Christus ist, da ist Armut, wenn auch nicht der äußeren Wirklichkeit, doch der inneren Stimmung nach. Er, der Herr Himmels und der Erde, hatte nicht, da er sein Haupt hinlegen konnte Matth. 8,20; und so hat er uns die Armut empfehlen und heiligen wollen. Der Reichtum ist außer uns; aber was die Seele ruhig machen soll, dass muss etwas Innerliches sein. Woran aber wird die Seele im Tod sich halten, wenn sie alles in der Welt zurücklassen muss? Entweder verlässt uns der Reichtum, oder wir ihn, häufig schon im Leben, immer aber im Tod. Wo wird also dann die Seele Frieden und Ruhe finden?

Viele suchen Ruhe in Ergötzlichkeiten; allein für den Leib können diese wohl je zuweilen eine Ruhe und Erquickung sein, nicht aber für die Seele, zuletzt folgt ihnen doch gleichwie ihr Schatten Schmerz und Trauer. Die Ergötzlichkeiten beziehen sich auf dieses Leben; die Seele aber ist nicht geschaffen um dieses Lebens willen, weil sie durch den Tod gezwungen wird, aus demselben zu gehen; wie also könnte sie in Ergötzlichkeiten Ruhe finden? Außer Christo gibt es keine Ruhe der Seele. Wie aber war das Leben Christi beschaffen? Es war Schmerz durch und durch von der Stunde der Geburt bis zum Tod. So hat der Herr, der alle Dinge nach ihrem Wert zu schätzen wusste, und lehren wollen, was wir von den Ergötzlichkeiten zu halten haben.

Viele suchen Ruhe in Ehren. Elend aber sind die, welche genötigt sind nach jeder beliebigen Änderung der Volksgunst der Ruhe zu entbehren. Die Ehre ist ein äußerliches und sehr flüchtiges Gut; was aber der Seele Ruhe schenken soll, muss in uns sein. Was wirst du von menschlichem Lobe und Ruhme weiter sagen, als das berühmte Gemälde des Apelles?1) Betrachte den Winkel, in dem du verborgen lebst: was ist er im Verhältnis zu einer ganzen Provinz, zu Europa, zu dem ganzen bewohnbaren Weltkreis! Die nur ist die wahre Ehre, welche dereinst den Erwählten von Gott zu Teil werden wird. Die Ruhe eines Dinges kommt mit seinem Ende, und nicht eher ruht ein Ding seiner Natur gemäß, als bis es sein Ende und Ziel erreicht hat. Das Ende der geschaffenen Seele ist Gott, weil sie nach dem Bild Gottes geschaffen ist. Daher kann sie nicht ruhig und still sein, außer in jenem ihren Ende, nämlich in Gott. Wie das Leben des Leibes die Seele, so ist das Leben der Seele Gott. Wie also die Seele wahrhaft lebt, in welcher Gott durch geistliche Gnade wohnt, so ist die Seele tot, welche Gott nicht in sich wohnend hat. Wie aber kann's ein Leben einer toten Seele geben? Jener erste Tod in Sünden bringt notwendig mit sich den andern Tod der Verdammnis Off. Joh. 20,6.

Wer daher mit seiner Liebe Gott fest anhängt und innerlich des göttlichen Trostes genießt, dessen Ruhe können äußere Übel nicht stören: in Trübsal ist er fröhlich, in Armut reich, in zeitlichen Anfechtungen sicher, in weltlichen Stürmen ruhig, in Schmähungen und Lästerungen der Menschen still, im Tod lebendig. Es kümmern ihn nicht die Drohungen der Tyrannen, denn innerlich genießt er der Fülle göttlichen Trostes. Das Unglück betrübt ihn nicht, denn der heilige Geist spricht ihm innerlich sein kräftiges Trostwort zu. Das Armsein ängstet ihn nicht, denn er ist reich in der Güte Gottes. Die Schmähungen der Menschen beunruhigen ihn nicht, denn er genießt der Süßigkeit der göttlichen Ehre. Die Lust des Fleisches ficht ihn nicht an, denn er freut sich der lieblichen Süßigkeit des Heiligen Geistes. Weltliche Freundschaften sucht er nicht, denn er kennt, wie lieblich es ist, Gott zum Gönner und Freund zu haben. Er trachtet nicht nach irdischen Schätzen, denn seinen höchsten Schatz weiß er im Himmel geborgen. Den Tod fürchtet er nicht, denn er lebt immer in Gott. Er begehrt nicht heftig nach weltlicher Weisheit, denn er hat in sich den heiligen Geist zum Lehrer 1 Joh. 2,20: das Vollkommene macht das Stückwerk überflüssig 1 Kor. 13,10. Blitze und Ungewitter, Feuer und Wassersnöten, Trauriges verkündende Stellungen der Planeten und Verfinsterungen der Lichter den Himmels schrecken ihn nicht, denn er ist hinausgehoben über das Wesen der natürlichen Dinge; ruht im Glauben in Christo, lebt in Christo. Die Schmeicheleien der Welt zerstreuen ihn nicht, denn er hört in sich die weit süßere Stimme Christi. Die Gewalt des Teufels fürchtet er nicht, denn er schmeckt die göttliche Gnade. Der in ihm lebt und siegt, ist stärker als der Teufel, der ihn zu überwinden vergebens sich müht. Den Lüsten des Fleisches folgt er nicht, denn er lebt im Geist und genießt der reichen Güter des Geistes. Der Geist, der in ihm lebendig geworden ist Gal. 5,24, tötet und kreuzigt das Fleisch. Vor dem Verkläger, dem Teufel, zittert er nicht, denn er kennt seinen Fürsprecher, Christum 1 Joh. 2,1.

Diese wahre Ruhe wolle der einige Schöpfer und Geber derselben, unser Herr, der Gott ist, hochgelobt in Ewigkeit, unserer Seele geben!

1)
Apelles aus Kos, der berühmteste Maler seiner Zeit, ward, da er in Alexandrien in hohen Ehren lebte, von dem Maler Antiphilus angeklagt, an einer Verschwörung sich beteiligt zu haben. Er ward in Fesseln geworfen und wäre elend gestorben, wenn nicht einer der Verschworenen selbst ihn gerechtfertigt hätte. Da verließ Apelles die Laufbahn des Ruhmes oder der Ruhmsucht, kehrte in sein Vaterland zurück und malte zur Erinnerung an dieses Erlebnis sein berühmtes „Gemälde Der Verleumdung“.
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