Funcke, Otto - Tägliche Andachten – Montag nach Septuagesimä bis Sexagesimä.

Funcke, Otto - Tägliche Andachten – Montag nach Septuagesimä bis Sexagesimä.

Montag nach Septuagesimä.

Da aber erschien die Holdseligkeit und Menschenfreundlichkeit Gottes unseres Heilandes. (Grundtext.)
Titus 3,4.

Nicht wahr, das möchten wir auch gerne von uns gesagt haben dass wir liebenswürdig und menschenfreundlich wären? Aber ach, wo finden wir Einen, von dem das in vollkommener Weise gilt? Die Sünde hat uns nicht nur in uns selbst ruiniert, sie hat uns auch für den Verkehr mit unseren Mitmenschen untüchtig gemacht. Sie hat das Menschlichste im Menschen, nämlich die selbstlose Liebe, zerstört und hat das, was unmenschlich ist, was uns Menschen innerlich verwüstet, nämlich die kalte Selbstsucht, in uns hineingebracht. Sie hat so die innere Harmonie in uns vernichtet. Auch die tüchtigsten Menschen sind einseitig in ihrem Urteilen und Handeln. Der Eine ist zu sehr Gefühlsmensch, ihm fehlt das besonnene Urteil; der Andere ist zu sehr Verstandesmensch, ihm fehlt die Gemütstiefe. Dieser ist zu heißblütig, er überstürzt sich; Jener ist zu langsam und bedenklich, man kommt mit ihm nicht aus der Stelle. Dieser hier ist sehr offen, aber auch leicht zu derb oder gar hart; Jener ist vorsichtig, aber auch leicht verschlossen, wenn nicht gar listig. Auch die größten Gottesmänner, Patriarchen, Propheten und Apostel machten doch manche Fehler im Umgang mit den Menschen.

Und finden wir nicht auch heute noch die Besten oft in übler Laune, die Liebenswürdigsten oft unliebenswürdig, die Fröhlichsten oft verstimmt, die Weisesten ratlos, die Ruhigsten verwirrt, die Menschenfreundlichsten durch falsche Triebe und Züge, durch Leidenschaften allerlei Art, untüchtig gemacht, das Rechte zu treffen und ein Vorbild unseres Wandels zu sein?

Aber nun schaut Jesum an! Da ist nirgend etwas Unharmonisches, nirgend eine Trübung, ein Anflug von Selbstsucht, Alles Licht und Liebe. Wohin Er kommt, dahin bringt Er immer sein ganzes Herz voll Mitleiden und Barmherzigkeit. Wer auch zu Ihm kommt, sei's zur Zeit oder zur Unzeit, Er ist für jeden ganz da mit Allem, was Er ist und hat. Wie groß auch die Nöte und Verlegenheiten Derer, die Ihm nahen, sein mögen, - wir sehen doch nie an Ihm ein verlegenes Kopfschütteln. Wie man Ihn auch beleidigt, Er wird niemals bitter. Wie es auch um Ihn sich verwirrt, wie's auch stürmt und wogt, immer finden wir dieselbe Festigkeit und heilige Milde. Allen, die zu Ihm kommen, schaut Er in's tiefste Herz und da sieht Er Schwachheit und Unlauterkeit bei den Besten. Dennoch wird er nie irre an den Menschen, auch da nicht, wo sie in grimmer Feindschaft Leib und Seele des Sterbenden zertreten. Wahrlich, wer dieses Bild mit klaren Augen anschaut, der wird von der Sündlosigkeit Jesu Zeugnis geben, ob er auch nie darüber belehrt wäre, ja ob er durch seinen Katechismus ganz anders unterwiesen wäre. Heilandsleben, vollkommene Hingebung an die Menschen, das ist's, was sich uns hier bietet. „Wenn je auf Erden die himmlische Liebe erschienen ist, dann ist sie in Jesu erschienen, in der Gestalt der Sanftmut und der Milde. Aber über diese demütige Gestalt ist ein Glanz heiliger, himmlischer Hoheit ausgegossen, der uns unwillkürlich auf die Knie zieht und uns das Geheimnis einer verborgenen Gottesmajestät ahnen lässt.“ Sorglos und einfaltsvoll wie ein Kind, mitleidig wie eine Mutter, heilig wie ein Herzenskündiger und allmächtig wie ein Himmelskönig - so zieht Er seine Bahn.

Willst du gerne liebenswürdig werden? Setze dich zu seinen Füßen! Schaue, höre Ihn, lerne von Ihm, folge Ihm, bitte Ihn: „Zieh mich ganz in Dich, gib Dich ganz in mich!“

Menschenfreund, Immanuel!
Dich mit mir vermähle;
O du sanfter Liebesquell!
Salbe Geist und Seele,
Dass mein Will,
Sanft und still,
Ohne Widerstreben
Dir sich mag ergeben.

Jedermann hat seine Lust
Und sein Zeitvertreiben;
Mir sei Eines nur bewusst:
Herr, in dir zu bleiben.
Alles soll
Folgen wohl,
Wenn ich mich nur übe
In dem Weg der Liebe.

Dienstag nach Septuagesimä.

Er ist umhergezogen und hat wohlgetan.
Apostelgesch. 10,38.

Mit diesen sechs Wörtlein hat Petrus dem heidnischen Militär-Obersten Cornelius und seiner Hausgemeinde Jesum vor Augen gestellt. Es ist ein Meisterstück der Malerei, da der Apostel so kurz und gut mit wenig Strichen das ganze Leben Jesu zeichnet und dadurch auch seinen Umgang mit den Menschen charakterisiert. „Er ist umhergezogen und hat wohlgetan,“ die paar Buchstaben ersetzen lange Reden; wir sehen den ganzen Christus wie er leibt und lebt. Und, nicht wahr, wir Alle möchten, dass auch einst über unserem Grab, ob auch ganz leise nur, gesagt werden könnte: „Er ist umhergezogen und hat wohlgetan“.

Auch wir bewegen uns ja überall unter Menschen. Wir haben Eltern, Weib, Kinder, Geschwister, Verwandte, Freunde, Nachbarn, und sonst bringt uns das Leben durch Beruf, allerlei Geschäfte, Reisen, Geselligkeit mit tausenderlei Menschen zusammen. Und immer, wo wir auch sind, wir seien als Dienende oder Regierende, als Feiernde oder Arbeitende, sollten wir eigentlich den Menschen wohltun, es sei im Geben oder im Nehmen, in Freud' oder in Leid.

Aber immer neu ist die Klage: „Ich kann mit den Menschen nicht fertig werden? Ich weiß mich nicht mit ihnen zu stellen“. Wie viel Zerrissenheit, Bitterkeit und Kaltherzigkeit in den Familien, zwischen Herrschaft und Dienstboten, zwischen Nachbarn und Nachbarn und allenthalben!

Jeder Mensch, der das Gute will, ist dadurch hart gedrückt, dass er nicht mit den Menschen recht umzugehen weiß. Wie viel Gutes kann man wirken und verderben, je nachdem man's anfängt. Welch eine bis in die weiteste Ferne und Zukunft wirkende Macht ist oft ein Blick, ein Wort, eine Träne, ein Händedruck, eine kleine Liebestat! Wiederum, wie viel verwüsten wir oft durch eine Versäumnis, durch eine Kaltherzigkeit, durch ein bitteres Wort. Wie oft, wenn wir Abends aus einer Gesellschaft, oder Mittags von der Straße her kommen, quält es uns bald, dass wir Diesem und Jenem, mit dem wir zusammen waren, nicht genützt, sondern geschadet, nicht wohl, sondern wehe getan haben. Jetzt hat uns die nötige teilnahmsvolle, eingehende Liebe, jetzt die nötige Weisheit, jetzt die rechte ernste Festigkeit, dann wieder Alles zugleich gefehlt.

Darum, wenn es von Jesu heißt: „Er ist umhergezogen und hat wohlgetan“, immer wohlgetan, nur wohlgetan, überall wohlgetan, Allen wohlgetan, in vollkommener Weise wohlgetan, auch wenn er strafte und demütigte doch nur wohlgetan, - so ist damit auch das Ideal eines jeden richtigen Menschen bezeichnet. Darum ist auch für unseren Umgang mit den Menschen nur Jesus ein vollkommenes Vorbild, denn nur in Ihm ist die Liebe Gottes vollkommen.

Wo Er auf seiner Wanderung hinkommt, in den Grenzen des heidnischen Phöniziens oder in dem starr orthodoxen Judäa, an den lachenden Ufern des Genezareth oder in der toten Wüste, auf der fröhlichen Hochzeit oder an einer Grabesgruft, unter disputierenden Rabbinern oder unter spielenden Kindern, unter Verbrechern und Ehebrecherinnen oder unter seinen treuen Jüngern, unter römischen Soldaten oder unter Krüppeln und Aussätzigen, unter zujauchzendem Volk oder unter finsteren Feinden, - wo Er umherziehend hinkommt, wohltun und nichts wie wohltun, das ist der einzige Gedanke seines Lebens.

Wir sehen Ihn unter Menschen jeder Gesinnung, jedes Berufes, Standes, Schlages, Geschlechtes, - Er aber ist immer derselbe. Unermüdlich ist seine Liebe; Er ist unverdrossen, ob man ihm auch die Nachtruhe raubt, ob man Ihm nicht Zeit lässt zu essen und zu trinken. Nie gab es ein Leben so voll von aufreibender unerschöpfter Tätigkeit, wie dieses Umherziehen Jesu in der Mitte eines auf's Höchste erregten Volks. Aber überall ist's die Liebe, die seine Gedanken, seine Lippen, seine Hand bewegt, und überall trifft Er das Rechte, weil seine Liebe Eins ist mit Weisheit und Heiligkeit.

Wie ist's mit dir? Ist auch dein Leben ein Wohltun? So sollte es sein. Freilich, mannigfaltig sind unsere Lebensstellungen und der Eine wird viel stiller geführt wie der Andere; und die Kraft, Wunder zu tun, wie Jesus, haben wir alle nicht und Viele haben auch kein Geld zu verschenken. Und doch, wo auch in dem Schwächsten und Ärmsten reine Liebessehnsucht und Lust wohlzutun leben würde, da müsste so Einer auch überall wohltun, möchte er auch selbst nichts davon wissen.

Aber ehe wir diese Liebe auch nur anfangsweise lebendig in uns haben, müssen wir uns erst von Jesu Christo recht lieben lassen, sein Liebesbild in uns einprägen lassen durch seinen Geist. Hast du schon etwas von der Wohltat Christi, von seiner erneuernden, aus der Ich-heit befreienden Liebe empfangen? Es sei, wie es sei, lerne brünstiger und tiefer beten:

Gib, dass sonst Nichts in meiner Seel'
Wie deine Liebe wohne;
Gib, dass ich deine Lieb' erwähl'
Zum Schatze mir und Krone!
Stoß Alles aus, nimm Alles hin,
Was mich und dich will trennen,
Und nicht gönnen,
Dass all' mein Mut und Sinn
In deiner Liebe brennen.

Mittwoch nach Septuagesimä.

Wer hat dich vorgezogen? Was hast du aber, das du nicht empfangen hast? So du es aber empfangen hast, was rühmst du dich denn, als der es nicht empfangen hätte?
1. Kor. 4, 7.

Wie weise wäre es doch, wie viel Schmerzen und Demütigungen könnten wir uns sparen, wie viel weniger Menschen würden wir verletzen und viel mehrere erfreuen, wenn wir uns immer klar machen wollten, dass Alles, was wir haben, Gottes Gabe ist. Wenn du gescheiter, liebenswürdiger, geistreicher oder schöner bist wie dein Nachbar, hast du dir das denn selbst gegeben? Hast du es nicht ohne all dein Zutun, Verdienst und Würdigkeit als Naturgabe empfangen, ehe du denken konntest? Und auch das, was du dir erworben hast, sei es Ehre oder Reichtum oder Würde oder Gelehrsamkeit, musst du nicht bekennen, dass du ohne die „Gunst der Umstände“ (wie man sagt), auch trotz all deines Eifers und Fleißes nichts oder nur wenig würdest erlangt haben? Wohl sagt das Sprichwort: „Jeder ist seines Glückes Schmied“, aber es ist doch nur wahr, wenn Gott das Feuer bläst. Musst du nicht bekennen, dass Andere trotz größerer Gaben und treuerer Arbeit doch nichts vor sich gebracht haben? Ist also nicht Alles, was wir sind und haben, Gabe und Gnade? Sollte es uns also nicht bescheiden und demütig machen, wenn Gott uns vorgezogen hat?

Aber ach, wir Narren, wie schmücken wir uns so gerne mit Gottes Federn und tun uns groß mit dem, was wir doch nur empfangen haben, als ob wir es nicht empfangen, sondern durch unsere Tüchtigkeit erworben hätten! Fordern wir nicht mit solcher Großtuerei Gottes Gericht über uns herab, dass Er uns wieder nehmen muss, was uns demütigen sollte und was wir doch nur gebrauchen, uns damit zu zieren und Solche, die weniger als wir empfingen, zu demütigen? Lieber Mensch, sei doch so ehrlich, so demütig, so mutig, so praktisch, so vernünftig und predige es dir an jedem Tag und an jedem Ort: Was ich bin und was ich habe - Gottes Gabe ist es und nichts als Gabe. Weihe dir in deinem Kämmerlein einen besonderen Winkel, wo du deine Eitelkeit und deinen Stolz zerdrischst und zerstampfst, zertrittst und folterst auf alle Art, gleichviel ob es Geldstolz oder Adelstolz, Bauernstolz oder Pfaffenstolz ist - gleichviel ob du dir auf deine schöne Stimme oder auf deine schönen Kinder, auf deine Energie oder auf deinen Witz, oder auf deine geistlichen Erfahrungen was einbildest. Das erst hast du wirklich, worüber du in Demut dankst, und das erst genießt du, was dich vorher in den Staub gebeugt hat, und nichts behältst du auf die Dauer, wovon du nicht festhältst, dass es eine der guten und vollkommenen Gaben ist, die von Oben herabkommen von dem Vater des Lichts.

Ich weiß, mein Gott, dass all' mein Tun
Und Wert in deinem Willen ruhn,
Von dir kommt Glück und Segen;
Was du regierst, das geht und steht
Auf rechten guten Wegen.

Dein soll sein aller Ruhm und Ehr',
Ich will dein Tun je mehr und mehr
Aus hocherfreuter Seelen
Vor deinem Volk und aller Welt,
So lang' ich leb', erzählen.

Donnerstag nach Septuagesimä.

Wer da hat, dem wird gegeben werden, und wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch, dass er hat, genommen werden.
Matth. 25,29.

Jede Gabe ist nicht nur eine Gabe, sondern auch eine Aufgabe, und je nachdem wir die Aufgabe, die uns mit der Gabe gestellt wird, lösen, je nachdem empfangen wir mehr oder verlieren allmählig, was wir empfangen hatten. - Das ist's, was uns Jesus mit dem obigen Wort und mit dem ganzen Gleichnis, das vorher geht, lehren will.

Die Gaben, die uns Gott verlieh, (seien sie leiblicher, geistiger oder geistlicher Natur), haben wir nicht zum Prunken; auch ist's nicht genug, fröhlich und demütig dafür zu danken, nein, wir sollen sie durch treue Arbeit entwickeln und ausgestalten, bilden und füllen. Wer sich tröstet, dass er von Haus aus viel habe und dürfe sich nur so gehen lassen, wer also nicht wirkt und wuchert mit seinem Talent, - über Den kommt das Gericht des Mannes, der sein Pfund im Schweißtuch vergrub und dem dann sein zorniger Herr Alles nahm, was er hatte. (Vers 24-28.)

Seine Gaben recht nutzen, das heißt aber auch, sie nicht nur für sich selbst gebrauchen, sondern auch zum Besten seines Nächsten. Darum singt der Dichter:

Es ist ja, Herr, dein G'schenk und Gab',
Mein Leib und Seel' und was ich hab'
In diesem armen Leben;
Dass ich es brauch zum Lobe dein,
Zu Nutz und Ehr' des Nächsten mein
Wollst mir dein Gnade geben!

So muss es sein! Und wahrlich, im Dienste der Selbstsucht verkümmert jede Gabe; im Dienst der Liebe dagegen wird sie reicher und fruchtbarer für Zeit und Ewigkeit!

Wie unausstehlich z. B. sind die Menschen, die einen feinen Blick für die Fehler und Schwächen ihres Nächsten haben, wenn sie diese ihre Gabe gebrauchen, um ihre Mitmenschen bloß zu stellen, zu verlachen und zu verspotten? Wie viel Gutes aber kann man mit solcher Gabe schaffen, wenn man Kraft der Einsicht, die man hat, seinem Bruder mit sanftem und stillem Geist Anleitung gibt seines Herzens Grund zu erkennen und zu ergründen. Wende das an auf alle möglichen Fähigkeiten und Anlagen, sie seien äußerer oder innerer Art, und sage dir immer: zum Lieben und zum Helfen ist's mir verliehen. Ich soll meines Bruders Hüter sein, nicht seine Fehler entdecken und mich an ihnen fromm machen, nicht ihn mir zu Nutz und Dienst machen, sondern ihn hüten, warnen, schirmen, retten aus aller Beschädigung Leibes und der Seelen, wo und wie ich immer kann. - Achten wir noch besonders auf den Geldbesitz, dieweil ja „das Geld die Welt regiert“. Ist's nicht so: die Meisten, die davon viel haben, meinen, sie könnten es allein zu ihrem Besten, Ehre, Genuss, Macht und Glanz verwenden? Wenn aber die Sozialisten jetzt schreien: „Eigentum ist Diebstahl“; so ist der Satz eben so richtig und ebenso falsch wie der: „Mein Eigentum ist mein Eigentum! damit tue ich, wie ich will“. Eben hieraus, dass die meisten Besitzenden so dachten und denken, ist der Sozialismus und alle Revolution entstanden. Der Grimm und Hass der Unvermögenden wird erst aufhören, wenn die Besitzenden sich als Haushalter Gottes erkennen und es als ihren Beruf betrachten, ihren Mammon nicht nur für sich selbst zu brauchen, sondern ebenso zur Förderung ihres Nächsten, Tränen zu trocknen, Hunger zu stillen, die tausendfachen Wunden der Menschheit zu verbinden und Alles, was gut und göttlich, heilig und groß ist auf Erden zu fördern. So werden ihnen dann auch aus den Goldstücken himmlische Rosen und Lilien wachsen, die niemals welken.

Herr, der du dich so willig dargegeben
Und selbst für uns ein Opfer worden bist,
Wir wollen ja nicht mehr uns selber leben,
Doch kennen wir der Feinde Macht und List.
Gekreuzigter! Zieh Herz und Sinn
Von allem Eignen ab und zu dir, Jesu, hin.

Freitag nach Septuagesimä.

Freut euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: freut euch!
Philipper 4,4.

Zur Freude hat Gott von allem Anfang her uns Menschen erschaffen und vor der Sünde wußte Niemand, was Traurigkeit war. Aber auch jetzt noch geht das Suchen und Streben aller Menschen auf Freude aus. - Wie die Menschen Freude suchen, das ist freilich unendlich verschieden. Was den Chinesen erfreut, darüber schüttelt der Neger den Kopf und der Franzose lächelt über Beide. Unter den Palmen am Gangesstrom gilt Manches für Freude, was auf den Rebhügeln des Rheins als eine wahre Strafe erscheinen würde. - So ist's auch bei uns; was den Gelehrten erfreut, ist dem Bauern ein Rätsel, und was der Jugend Lust ist, ist dem Alter Qual. Aber nichtsdestoweniger: Freude sucht Alles, was da lebt, und es ist nichts, worin der Mensch nicht seine Freude suchte, in den lächerlichsten Nichtigkeiten, in den höchsten Idealen, in der edelsten Gemeinschaft, in dem schmutzigsten Koth.

Aber trotz allem Freudesuchen wohin man schaut, tausendfaches Weh! Kummer und Jammer schleichen einher in Bettlergestalt und in Königsgestalt; Herzenszerissenheit und Leibeselendigkeit, bange Sorge, blutende Gewissen, blasser Neid, finsterer Hass, Todesfurcht und Todesgrauen, wo sind sie nicht? Hier in edlen gebildeten Formen, dort in nackter Rohheit, hier mit Purpur, dort mit Lumpen bekleidet, und doch derselbe Jammer, dieselbe Zerrissenheit, derselbe Tod! .

Und nun tönt in diese Welt voll Trauer und Trostlosigkeit, gleichsam vom Himmel herab, die Mahnung des Apostels: „Freut euch allewege“! und, damit man sehe, wie ernst das gemeint sei, fügt der Apostel hinzu: „Und abermals sage ich, freut euch!“ da dies „freut euch!“ ist der Grundton aller seiner Schriften und keineswegs hier nur aus einer besonderen freudig erregten Stimmung entsprungen.

Aber klingt das nicht wie Spott und Ironie? Scheint das nicht im besten Fall nur ein frommer Wunsch zu sein? Aber so viel wenigstens müssen wir dem Apostel zugestehen, dass er gerade das Gegenteil von dem ist, was man in der Welt ein Glückskind, oder einen Günstling des Schicksals nennt. Die Leiden, von denen er zu sagen weiß, sind ohne Zahl, sie würden genügen, um zwei Dutzend Menschen gewöhnlichen Schlages unglücklich zu machen. (Lies 2. Korinther Kap. 11, V. 23-29.) Sein Leib ist mit Narben bedeckt, sein Rücken oft von Geißeln zerfleischt; eben dieses „freut euch allerwege“ schreibt er auch aus Kerker und Ketten heraus und jeden Augenblick muss er gewärtig sein, dass der Henker seine Tür öffnet, um ihn vor die Löwen zu führen. Und der Mann schreibt: „Freut euch allewege!“ der sagen kann: wir sind ein Fegopfer der Welt, wir werden immerdar in den Tod gegeben, wir tragen um das Sterben Christi in unserem Leibe?! Und dieser selbe Freudenmann Paulus ermahnt zu „göttlicher Traurigkeit“, ermahnt mit Zittern sich zu freuen und mit Furcht und Zittern seine Seligkeit zu schaffen, ja täglich zu sterben und die Glieder der Sünde abzutöten. Was muss das für eine Freude sein, welche die Trauer nicht ausschließt, ja die sich mit Zittern und Furcht, mit Tod und Leiden so gut verträgt?

Du sagst: „Das fasse, wer es fassen kann! Was für einen verwirrten Begriff von Freude muss dieser Paulus haben“! Ja, entweder er oder du, der du so urteilst. Die Freude des Paulus ist freilich eine absonderliche Freude, es ist die Freude in dem Herrn, und nur von dieser Freude sagt er, dass sie allewege sein kann und soll bei einem Jünger Christi. Wir wollen das morgen schärfer in's Auge fassen; heute aber mache du dir erst einmal recht klar, was denn deine Freuden sind, woher es ferner kommt, dass sie nicht Stich halten wollen, und was das im letzten Grund ist, was dich wieder und immer wieder traurig macht? Vielleicht wird dann schon in dir das Flehen geweckt:

Gib, dass sonst nichts in meiner Seel
Wie deine liebe wohne,
Gib, dass ich deine Lieb' erwähl
Zum Schatze mir und Krone!
Stoß Alles aus, nimm Alles hin,
Was dich und mich will trennen.
Und nicht gönnen
Dass all' mein Mut und Sinn
In deiner Liebe brennen.

Sonnabend nach Septuagesimä.

Freut euch in dem Herrn allewege.
Philipper 4,4.

In dem Herrn sich freuen, heißt nicht jubilieren und frohlocken. Jubeltage, wo jeder Puls ein Dank und jeder Odem ein Gesang sein möchte, gibt's ja auch im Christenleben. Aber das sind „Oasen in der Wüste“ und bei manchem Pilger sehr sparsam.

In dem Herrn sich freuen, ist aber auch nicht so viel als: Sich über die Fortschritte unseres inneren Lebens in der Heiligung freuen. Ach, diese Fortschritte finden oft am wenigsten statt, wenn wir sie zu entdecken meinen, und gerade weil wir das meinen; so kann man auch, Gott Lob, das Umgekehrte oft sagen. In dem Herrn sich freuen ist unvereinbar damit, dass man sich, in und an sich selbst freut, hegt, wärmt, wie so Viele, die sich für große Christen halten, unter frommer Maske tun.

Ach, solche Freude an uns selbst ist wie ein schwerer Bleiklumpen an unseren Füßen; da können wir uns nicht aufschwingen in den Sonnenglanz der göttlichen Gnade.

In dem Herrn sich freuen, heißt endlich auch nicht sich über den Herrn freuen. Es gibt viele liebe, suchende Menschen, die sich schon über den Herrn freuen können, die Ihn und sein Wort schon ehren und lieben, die oft tief bewegt sind von den Eindrücken seines Geistes. Die werden auch gewiss zu der Freude in dem Herrn durchdringen, wenn sie aufrichtig bleiben. Aber jetzt sind sie noch nicht so weit; die innere zentrale Wendung ist noch nicht geschehen.

In dem Herrn kann sich nur freuen, wer auch wirklich mit seinem innersten Leben in dem Herrn ist, wer mit seinem tiefsten Sinnen, Sorgen, Lieben, Suchen, Wollen und Streben in Ihm wurzelt. Wir sind ja freilich in der Welt und sollen auch mit freudigem Herzen darinnen sein. Das wäre kein gesunder Christ, der nicht mit allem Ernst darüber aus wäre, seinen Posten auf Erden in der Familie, im Beruf, im öffentlichen Leben so vollkommen wie möglich auszufüllen; das wäre kein gesunder Christ, der nicht an Leid und Freud seiner Mitmenschen und an Allem, was das reiche, volle Menschenleben um ihn her bewegt, den herzlichsten Anteil nähme. Aber regiert wird des Christen Sinn nicht durch den Geist, der die Welt durchweht, sondern durch den Geist Christi; nicht hier unten, in den Dingen der Welt liegt der Grund seiner Hoffnung und das letzte Ziel seines Strebens, sondern hoch über der Welt, in dem „Erbteil der Heiligen im Licht“, da, wohin die Stürme und Wetter und alles Wellengebrause der Welt nicht hinreichen. Nur weil die Freude des Christen in dem überweltlichen Christus ruht, kann sie „allerwege“ sein, während die Dinge der Welt einem unaufhörlichen Wanken und Schwanken, Welken und Vergehen unterworfen sind. So lange wir nun mit dem innersten Schwerpunkt unseres Sinnens, Liebens, Hoffens, in der Welt, sei es auch in ihrem edelsten Besitz und Genuss, verloren sind, ist auch unsere Freude dem Schwanken und Hinfallen der Weltdinge unterworfen.

Zu der stetigen Freude in Jesu kommen wir nur, wenn wir nicht uns selbst, nicht der Sünde, nicht der Welt, sondern ihm dienen wollen; wenn wir seinen Willen und seine Liebe das sein lassen, was uns in unserem äußeren und inneren Leben bestimmt. Ein Leben in dem himmlischen Weinstock (Joh. 15.) sein, in ihn immer mehr hineinwachsen, aus ihm Alles nehmen, wovon wir wachsen und leben, das ist des Christusjüngers Stand und Wesen. Da ist dann auch Freude, Freude, die durch nichts im Himmel und auf Erden erschüttert werden kann, die Frucht solcher Einheit. Denn so wissen wir, dass wir mit Leib und Seele, in Lieb und Leid, bei Sturm und Sonnenschein, in Tränentagen und in Erquickungszeiten, ja auch dann, wenn wir über unsere Sünden zittern und mitten in des Todes Rachen, dennoch allerwege unter unseres getreuen Heilandes starker schirmender Hand sind, und dass sich uns unter seiner Erziehung Alles, Alles am letzten Ende in Herrlichkeit und Leben, Licht und Frieden wenden muss. Da wissen wir, dass ob wir auch schwach sind und oftmals sinken, doch werden wir nicht untersinken; ob wir auch noch so sehr von Traurigkeit umgarnt sind, doch bleibt im tiefsten Herzensgrund ein Samen der Freude; ob auch Welt und Hölle uns umstürmen und alles eigene Glück zusammenbricht, doch können wir nicht unglücklich werden, denn wir sind in dem Herrn, der unser Leben ist.

So ruh' ich nun, mein Heil, in deinen Armen,
Du selbst sollst mir mein ew'ger Friede sein.
Ich hülle mich in deine Gnade ein,
Mein Element ist einzig dein Erbarmen;
Und weil du mir mein Ein und Alles bist,
So ist's genug, wenn dich mein Geist genießt.

Am Sonntag Sexagesimä.

Siehe, meine Tage sind einer Hand breit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!
Psalm 39, 6.

Zweimal tönt in unserem Psalm die bange, erschütternde Klage: „Ach, wie so gar nichts sind alle Menschen! Meine Tage sind einer Hand breit.“ Wohl liegt das Leben so voll und reich und weit vor Einem, wenn man in träumerischer Jugendzeit in die Ferne schaut. Es ist Einem, als wolle es gar kein Ende nehmen. Und was zieht da nicht von stolzer Hoffnung durch die Seele! Was will man nicht alles erringen, erarbeiten, genießen, erleben!

Aber wie man nun in Kampf und Arbeit des Lebens hineintritt, da fliegen Wochen, Monde, Jahre, Jahrzehnte pfeilgeschwind. Bald liegen die Tage der Jugend wie ein verlorenes Paradies von Nebel umhüllt, (ach, auch oft von finsteren drohenden Wolken bedeckt,) hinter uns, wie ein verlorenes Paradies. Du erinnerst dich wehmütig ihrer Spiele und Freuden und zugleich musst du mit niedergeschlagenem Blick und der Träne im Auge flehen: „Gedenke nicht der Sünden meiner Jugend!“ Bald schaut man, rückwärts blickend, seinen Weg, da liegen Trümmer neben Trümmer. Ach, es sind die Ideale, die Zukunftsbilder, mit denen du dich trugst. „Aus der Jugendzeit klingt ein Lied dir immerdar; ach, wie liegt so weit, wie liegt so weit, was dein einst war.“ Und die Ewigkeit, die dir vor kurzem noch so weit in der Ferne lag, sie rückt näher und näher. Schon mehren sich die Zeichen, die dir melden, dass deines Leibes frischeste Kraft geschwunden ist. Schon sinken mehr und mehr, rechts und links, Freunde und Genossen der eigenen Jugend in's Grab hinein. Schon kommen Stunden, da ein banges Gefühl der Verlassenheit sich deiner bemeistern, dein Herz einschnüren will. Ja als die Hinwegeilenden sind wir Gäste und Fremdlinge auf Erden.

Und doch, wie nichtig auch der Mensch ist, wie verzagt er auch oft ist über die Eitelkeit der irdischen Dinge und über die eigene Ohnmacht und Hinfälligkeit, dennoch kann der Mensch sich gebärden, als ob er, ich weiß nicht was, wäre und schier ewig auf Erden bliebe. Ob er auch in einem Kartenhaus wohnt, das der erste Windstoß umwerfen kann, er stellt sich doch, als ob er der Bewohner einer unerschütterlichen Felsenburg wäre. Da sammelt Einer und sammelt und baut sich einen Palast wie für Ewigkeiten und kaum ist der letzte Stein zum vorletzten gefügt, da sinkt er in das Grab. Die Anwohner sehen's und zittern, aber nicht lange; denn ein unnennbarer Leichtsinn hat sein Heim in des Menschen Brust; bald ist das Zittern vergangen und sie wohnen sicherer als vordem. „Herr, lehre uns doch, dass es ein Ende mit uns haben muss!“ betet darum der Psalmist. Man sollte nicht meinen, dass es dieser göttlichen Belehrung bedürfte, da jedes Blatt, das vom Baum fällt, uns diese Lehre gibt. Aber wenn hier David, und im 90. Psalm (V. 12) Moses, der Mann Gottes, so beten müssen, wie vielmehr wir! Ach, wie so gar nichts sind alle Menschen! Ja, und das Schlimmste ist, dass sie, die gar nichts sind, so viel sein wollen. O, wie sorgt das Menschenkind, das wie ein Schattenbild über die Erde zieht, so ängstlich um seine Ehre, um seinen Ruhm! Wie erbittert kann es werden über eine kleine Ungerechtigkeit und Beleidigung! Wie lange kann es sich innerlich quälen über eine Demütigung und Zurücksetzung, die ihm widerfahren ist; wie lange kann es sich grämen über einen kleinen Verlust an irdischem Gut, das doch bald alles verloren ist! O, wir Narren!

Lieber Leser, kennst du eine Himmelsleiter, daran du aufwärts steigen kannst in das Land, wo ewige Güter und unvergängliche Herrlichkeit gefunden werden? Kennst du einen Quell, dessen Trank ewige Jugend verleiht? Rennst du eine Liebe, die mit Allmachtshand dich auch mitten im zeitlichen Sterben und Verderben fest hält und sicher trägt? Du kennst das Alles, wenn du Den kennst, der in armer Knechtsgestalt und im Pilgerkleid durch den Staub dieser Erde schritt, gerade wie du, nur demütiger, nur heiliger. Den, in dessen Niedrigkeit dennoch das Angesicht des ewigen Vaters enthüllt wurde, Den, der da sprach zu den Hinsterbenden: „Wer an mich glaubt, der wird nicht sterben, sondern er ist schon von dem Tod zum Leben hindurch gedrungen.“ Kennst du Ihn? O, suche Den, lass Alles stehn! O, suche Ihn, ergreife Ihn, mit so viel Glauben und Vertrauen du kannst, suche Ihn und dann gib sich Ihm, aber ganz! Es wird dein Tod sein und dein Leben. Aber sterben wird nur, was doch schon dem Tod geweiht ist; ewige Lebensfülle und Herrlichkeitsgestalt aber wird werden, was jetzt kaum bange Hoffnung und Sehnsucht ist.

Hier muss das Herz verglühen,
Das Weizenkorn erstirbt,
Da droben gibt's ein Blühen,
Das nimmermehr verdirbt.

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