Funcke, Otto - Tägliche Andachten – 4. Adventswoche

Funcke, Otto - Tägliche Andachten – 4. Adventswoche

4. Adventswoche. Sonntag.

Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.
Lukas 1,48.

Der freudige Gottespreis erwächst aus der Demut und erhält sich nur bei der Demut. Maria staunt darüber, was der herrliche und heilige Gott wohl an ihr könne gefunden haben, dass Er sie so hoch erheben will. Von ihrer heiligen Einfalt und Geisteshoheit weiß sie nichts, aber eben deshalb weiß der Herr davon. „Die Niedrigkeit seiner Magd“, (sagt sie), diese Verachtung des „Zweigleins David“, die hat der Herr angesehen; und wie sich je und je der Gnadenblick Gottes auf das Elende, Verachtete und Zerbrochene gewendet hat, so ist's auch hier gewesen. Anders kann sich Maria die Sache nicht erklären, als dass ihre Niedrigkeit Ihn antrieb zur Barmherzigkeit. So gar nichts hält Maria von sich selber; und doch hört sie im Geist schon, wie ein Menschengeschlecht nach dem andern sie selig preist. Einfaltsvoll und unbefangen wie ein Kind spricht sie das auch aus, und wir wissen jetzt, dass sie eine gute Prophetin war. Grade weil Maria so demütig gewesen ist, weil sie nichts von ihr selber weiß, sondern in Wahrheit der unverdienten wunderbaren Erbarmung Gottes allein alle Ehre gibt, kann sie das sagen. So kann auch Paulus ganz unbefangen behaupten: „Ich habe mehr gearbeitet als die andern Apostel alle.“ Das Wort klingt schier hochmütig, ist aber doch in der tiefsten Demut gesagt. Er fügt hinzu: „Nicht ich, sondern die Gnade Gottes, die in mir ist.“ So sagen auch viele Menschen, wenn sie sich selbst verherrlichen: „Versteht sich, es ist ja Alles Gnade, Alles ist Gottes Wert.“ Nun, sagen kann das jeder, aber es ist leider unzählige Mal nichts wie eine fromme Phrase, dahinter sich Hochmut und Selbstgefälligkeit sicher verschanzen. Paulus ist innerlich davon durchdrungen und darum kann er's aussprechen ohne die Demut zu schädigen.

Denn das ist ja nicht Demut, dass man aussagt, man habe das nicht, könne das nicht, leiste das nicht, wisse das nicht, was man doch wirklich hat, kann, leistet und weiß. Die Demut kann nie streiten wider die Wahrheit und Wirklichkeit der Dinge. Sie besteht darin, dass man wirklich in seinem tiefsten Innern davon lebendig durchdrungen ist, dass Gott und nicht uns die Ehre gebührt für das, was wir sind und erreicht haben, dass, was wir sind, können, tun, haben, wissen, dass das Alles trotz aller unserer Unart, Widerstreben, Unreinheit, Unwahrhaftigkeit, Übermut, Verzagtheit durch Gottes Geist und Gnade in uns gewirkt ist.

Ach, es gibt wenig echte und viel nachgemachte Demut, und das Christentum muss oft in Misskrecht kommen durch so viel Karikaturen der Demut, wo dann durch salbungsvolle und selbstverklägerische Phrasen der Schein der Demut geweckt wird und doch überall der Hochmut und die Eigenliebe durchblinzeln!

Die Sprachforscher sagen, das Wort Demut komme aus dem altdeutschen: Diene-Mut, das ist Lust zum dienen. Also, wer Gott mit Allem dienen, Ihn mit Allem verherrlichen will, weil er weiß, dass er Alles von Gott empfangen hat, wer auch gerne seinen Mitmenschen dienen will, wer nicht zu stolz noch zu selbstsüchtig ist, ihnen wirklich seine Gaben und Kräfte in Herzenseinfalt zu widmen, auf dass sie auch Anderen nutzbar werden, - der ist demütig. Aus solcher Demut erwächst dann auch der wahre Glaubensmut und Heldenmut Gott gegenüber, dass man Alles Ihm zutrauen, Alles von Ihm erflehen kann, weil man nichts von Ihm fordert. Bist du demütig? Hast du Dienemut? -

Mache mich einfältig,
Innig, abgeschieden,
Sanft und still in deinem Frieden!
Mach mich reines Herzens,
Lass mich deine Klarheit
Schauen, Herr, in Geist und Wahrheit!
Lass mein Herz
Überwärts wie ein Adler schweben,
Und in dir nur leben!

4. Adventswoche. Montag.

Er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist, und der Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währet immer für und für.
Lukas 1,49.50.

Die „großen Dinge“, die Maria einzig und allein Gott zuschreibt, sind alle verfasst in dem Einen, dass sie die Mutter des verheißenen Schlangenzertreters sein soll. In diesem Werk erkennt sie einen dreifachen Strahl des göttlichen Wesens; einmal Gottes Macht, („der da mächtig ist“); sodann seine Heiligkeit, („dessen Name heilig ist“); endlich seine ewige Barmherzigkeit, („seine Barmherzigkeit währet für und für“).

Die israelitische Jungfrau hat damit, ohne es zu ahnen, eine treffliche Beschreibung des göttlichen Wesens gegeben, soweit wir armen Menschenkinder es überhaupt ergreifen können. Die Heiligkeit Gottes ist das, was uns Unreinen von Ihm trennt, denn sie stößt Alles ab, was unheilig, von der Sünde durchdrungen und dem Tode verfallen ist. Die Barmherzigkeit Gottes ist das, was ihn zu uns Sündern hinneigt, da es ihn unseres Elends jammert und heftig dringet und weget uns zu helfen. Seine unermessliche, von der höchsten Weisheit regierte, Macht endlich ist die Eigenschaft, welche das Unmögliche möglich macht, so dass der Heilige sich der Unheiligen annehmen kann und doch der Heilige bleibt, dass Er eine Erlösung erfindet in einem heiligen Menschen und durch Ihn die, so Gott fern sind, nahe bringt.

Streichen wir eine jener drei Eigenschaften weg, so haben wir keinen Gott wie wir Ihn bedürfen. Nehmen wir die Heiligkeit hinweg, so ziehen wir Ihn in den Koth hinein. Gott ist dann unheiliger wie wir, denn sogar unser Gewissen fordert einen heiligen Gott. Denken wir uns dagegen die heilige Allmacht ohne Barmherzigkeit, so müssen wir verzagen und verzweifeln; die Heiligkeit wird dann zu einem brennenden Feuer, darinnen wir verzehret werden. Ohne die Allmacht ist aber auch die Barmherzigkeit Gottes ohnmächtig uns zu helfen, denn nur die allmächtige Liebe kann einen Ausweg aus dem Labyrinth der Sünde finden.

Darum, so oft du an Gott denkst, so oft du mit Ihm redest im Gebet, so oft du einen deiner Mitmenschen Ihm näher führen willst, so oft du, daheim oder in der Kirche, Gottes Stimme aus seinem Worte vernehmen und so oft du dich dem heiligen Tisch Jesu nahen willst, um himmlische Speise zu empfangen, so oft stelle dir diese drei ineinanderliegenden Eigenschaften Gottes, seine Heiligkeit, Allmacht und Liebe, lebendig vor Augen, damit du die rechten Gedanken bekommst. Wem erst über der Heiligkeit Gottes und über seiner eigenen Unheiligkeit ein rechtes Zittern angekommen ist, der mag dann auch die starke Hand der göttlichen Barmherzigkeit ohne Furcht und Grauen ergreifen und nicht fürchten, dass diese Hand ihn zurückstoße.

O Jesus voller Gnad',
Auf dein Gebot und Rat
Kommt mein betrübt Gemüte
Zu deiner großen Güte;
Lass du auf mein Gewissen
Ein Gnadentröpflein fließen.

4. Adventswoche. Dienstag.

Seine Barmherzigkeit währet für und für, bei denen, die Ihn fürchten.
Lukas 1,50.

Gnade zu üben - Verbrecher, die den Tod verwirkt haben, zu begnadigen, ist das höchste Recht der landesherrlichen Majestät. Darin erweiset sich des Königs Macht am Gewaltigsten, dass er sagen kann. Dieser hier soll sterben, Jener soll leben. Aber ach, bei Verdammung und Begnadigung durch Fürsten ist's oft ungerecht genug zugegangen. Allerlei Launen, augenblickliche Stimmungen, Sympathien, Antipathien, parteiliche Fürsprachen oder aber auch Verdächtigungen wirkten da nicht selten gewaltig auf die Entscheidung ein.

Bei dem Heiligen in der Höhe aber wird die Barmherzigkeit nach einem gewissen ewigen Gesetze erteilt. Sie gehört nämlich, wie Maria singt, „denen, die Ihn fürchten“. Maria meint nicht die Furcht vor der Strafe und dem Zorne Gottes; solche Furcht hat keinen Wert. Kain hatte diese Furcht, als er den Abel erschlagen hatte; Judas wurde davon gefoltert, als er sich selbst das Leben nahm; den König Saul quälte diese Angst also, dass er verzweifelt nach Endor kam und zu den Mächten der Hölle seine Zuflucht nahm. Diese knechtische Furcht entfernt uns nur von Gott, statt uns Ihm näher zu bringen. Sie lässt uns wohl zittern vor Ihm, aber, wie sie nicht aus Gottes Liebe stammt, so führt sie auch nicht zur Erkenntnis dieser Liebe. Die Kinder, die nur um der Schläge willen den Vater fürchten, verdienen den Namen „Kinder“ nicht; sie sind vielmehr Sklaven.

Maria meint die zarte heilige Furcht, die aus der Liebe fließt, da es Einem davor graut den Geliebten zu betrüben, ihm weh zu tun, in das Verhältnis mit ihm die geringste Störung zu bringen, gleichviel ob dabei von Strafe die Rede ist oder nicht. So muss es sein: dass die Sünde gehasst wird, weil sie Sünde ist, nicht weil sie böse Folgen hat; so muss es sein: dass geliebt wird um der Liebe willen, weil solch Lieben selig macht. Wo's so steht, da ist dann keine größere Furcht als diese, dem Herzen des Vaters wehe zu tun.

Kennst du diese Gottesfurcht, die alle wahren Heiligen Gottes zu dem gemacht hat, was sie waren? Führest du deinen Wandel in solcher Furcht? Lebt in dir etwas von dem, was der Patriarch Joseph so ausdrückte: „Wie sollte ich ein so großes Übel tun und wider meinen Gott sündigen?“ Könnte ich etwas tun, was zwischen seine und meine Liebe tritt, was einen Flecken oder gar einen Riss in unserer Gemeinschaft macht? Sollte ich etwas unterlassen, was mich mit Ihm inniger vereinigt und was wohlgefällig ist vor seinen Augen? Sollte ich diese seine beseligende Gnade, die mir begegnen will, versäumen?

O wohl dir, wenn, auch nur dem schwachen Anfang nach, diese Furcht dein Leben beherrscht! Da wird dir offenbar werden, dass seine Barmherzigkeit über dir währet für und für, - trotz so mancher anklebenden Sünde, Schwäche und Gebrechlichkeit, und du wirst fort und fort aus dem heiligen Brünnlein Gottes Gnade um Gnade empfangen,

Der Herr, der aller Enden
Regiert mit seinen Händen.
Der Brunn der ew'gen Güter,
Der ist mein Hirt und Hüter.

Er lässet mich mit Freuden
Auf grüner Aue weiden,
Führt mich zu frischen Quellen,
Schafft Rat in schweren Fällen.

4. Adventswoche. Mittwoch.

Denn so ihr liebet, die euch lieben, was werdet ihr für Lohn haben? Tun nicht dasselbe auch die Zöllner? Und so ihr euch nur zu euern Brüdern freundlich tut, was tut ihr Sonderliches? Tun nicht die Zöllner auch also?
Matthäi 5,46.47.

Was sollen diese Sprüche hier, mitten in den freudigen Adventsklängen? fragen etliche Leser. „Welch ein moralistischer Ton in dieser heiligen Gnadenzeit!“ hätten sie fast gerufen; aber sie brechen schnell ab, denn sie besinnen sich, dass kein Geringerer als Jesus selbst diese Worte geredet hat. Anderen aber schlägt bereits das Gewissen; sie merken, dass hier eine Weihnachtsbitte für die Verlassenen und Traurigen folgen wird. Weihnachten ist ja das Fest, da Gottes wunderbare Lindigkeit, ja seine freie Gnade und Menschen erschienen ist. Nicht abstoßen, sondern grade anziehen ließ er sich dadurch, dass wir so unliebenswürdig und unrein, so armselig und undankbar waren. Trotz alledem gab Er die höchste Gabe, die auch Er, der Allmächtige und Heilige, zu geben hatte, die Gabe, darin aller, aller Gaben Fülle für Zeit und Ewigkeit beschlossen ist. So ist denn auch kein Fest, wenigstens nicht in unserer deutschen Christenheit, da die Wellen des Liebesmeeres Gottes so weithin rauschen und schlagen, hinein bis in die finstersten Kellerwohnungen, hinein bis in die gottentfremdetsten Paläste, hinein auch bis in das Herz des Spötters, des Finsterlings, des Mammonsknechtes. Ein linder Hauch, ein Zug wehmutsvollen Heimweh's und heiliger Sehnsucht berührt Millionen Herzen, die sonst kalt bleiben, möchte dieser Zug auch nur geweckt sein durch die Weihnachtslieder der Kindlein oder durch die schmerzliche Erinnerung an die eigene verlorene Kindheit. Und allenthalben, wohin man schaut und lauscht, ist jetzt ein Sinnen und Sorgen, ein Rühren und Schaffen, dass man will Freude bereiten Denen, die man liebt, - dass man will ihre geheimen Wünsche entdecken und am Weihnachtstage freudig überraschen mit der Erfüllung. Könige und Kaiser haben solche Gedanken, aber das ärmste Mütterchen bewegt's nicht minder in ihrem Herzen, wie es die zerlumpten Kinder erfreuen will, sei's auch nur durch zwei Äpfel und drei Nüsse an einem Fichtenzweig. Und wahrlich, solch Sinnen und Schaffen ist ein lieblich Abbild des Liebens, womit Gott selbst um Weihnachten uns arme Menschen umfangen hat.

Es ist auch sehr schön und löblich, wenn wir da auf Freude und Überraschung sinnen für Die, mit denen wir durch Bande des Blutes und der Freundschaft so innig verbunden sind. Freilich das Ding geht meistenteils zu weit. Was Gott getan hat an diesem Tage, wird in unzähligen Familien schier vergessen über dem, was die Menschen einander tun. Es ist zu befürchten, dass etwa eine chinesische oder ägyptische Reisegesellschaft, die das deutsche Weihnachtsfest in ihren Tagebüchern beschreiben würden, dass sie von nichts als von Christbäumen und Christgaben und Kinderjubel zu erzählen wüssten. So sehr tritt der eigentliche Kern der Sache an den meisten Orten zurück. Das ist schlimm, ja eigentlich widersinnig. An und für sich jedoch ist's gar lieblich, wenn die Liebe der Menschen untereinander an diesem Tage sich beweiset; aber ein göttlicher Lohn ist darum, wie unser Heiland sagt, Denen nicht beschieden, die da lieben Die, von denen sie geliebt werden, die da Freude machen Denen, die sie wieder erfreuen.

Göttlich ist es, Derer zu gedenken, die in bitterer Armut, tiefer Leidensnacht, Trauer und Trostlosigkeit sitzen. Ach, es gibt Solcher so viele, (und oft da, wo man sie am wenigsten sucht,) für die keine liebende Hand sich rührt, für die kein sorgendes Herz schlägt, und die doch so traurig und elend sind; - Solcher so viele, die trostlos sprechen: Wer denkt an mich? Ach, ich bin schier verlassen. Wer tröstet mich? Ach, mir leuchtet kein Weihnachtsstrahl!

Wie wäre es, wenn wir einmal Solchen nachspüren, uns auch ihnen mit himmlischer Lindigkeit nahen wollten und ihre Traurigkeit in Freude wandeln? Ob du viel oder wenig zu geben hast, das macht's nicht. Nur muss es kein gnädiges Almosen sein, sondern eine Offenbarung deiner Liebe, darin du dich selber bringst. Siehe, dann würde erst die Weihnachtsfeier auch im Kreise deiner Lieben wahrhaft licht und freudenreich; ja, das würde dann ein Weihnachten, worüber auch Gottes Engel sich freuen würden und dessen du im Himmel noch genießen könntest, da, wo Jesus Christus austeilt nach dem Satz: „Was ihr getan habt Einem unter meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Drum Jesu, schöne Weihnachtssonne,
Bestrahle mich mit deiner Gunst;
Dein Licht sei meine Weihnachtswonne,
Und lehre mich die Weihnachtskunst,
Wie ich im Lichte wandeln soll
Und sei des Weihnachtsglanzes voll.

4. Adventswoche. Donnerstag

Und er heißet: Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.
Jesaja 9,6.

Wie ein Mensch heißt, welchen Namen er trägt, das hat unter uns nur eine höchst geringe Bedeutung. Eigentlich sollte der Name eines Menschen sein Wesen und seine besondere Art kennzeichnen. Da wir aber keine Propheten sind und nicht in die innerste Natur hineinschauen, sondern sie erst aus ihrer Entwicklung verstehen können, so wählen wir die Namen unserer Kinder nach allerlei äußeren und zufälligen Rücksichten. Wenn aber Jesaja, durch Gottes Geist erleuchtet, die Namen des zukünftigen Messias und Friedenskönigs nennt, so wissen wir von vorne herein, dass mit diesen Namen das innerste Wesen des Retters dargestellt sein muss. Namen und Natur des Messias müssen sich decken. Wer seine Namen recht buchstabieren kann, der kennt auch sein Herz, seine Absichten, seinen Willen, sein Regiment und Tun.

Nun, wie heißet denn das Kind, das uns zum Friedefürsten, zum beseligenden Weltenherrscher erkoren und geboren ist? „Er soll Jesus heißen“, hat seiner Zeit der Engel Gabriel gesagt (Lukas 1), und Maria, die Mutter des Heilandes, hat auch ihrem Kinde durch den Glauben diesen stolzen Namen zugelegt. Wir sagen: diesen stolzen Namen, denn wir wissen, dass dieser Name über alle Namen ist. Was könnte man denn von Sehnsucht und Hoffnung ausdenken, das nicht in diesem Namen Jesus (Seligmacher) erfüllt wäre? Dem Propheten Jesaja ist dieser Name aber noch nicht enthüllt worden. Mit den Bezeichnungen Rat, Kraft, Held, Friedefürst sind freilich die trostreichsten Seiten des Jesusnamens herausgehoben. Aber als ersten Namen nennt der Prophet einen andern. Und auf den wären die Weisen und Philosophen aller Zeiten nicht gekommen. Und doch ist es am Wichtigsten, ihn zu wissen, wenn man den Heiland erkennen und sich nicht an ihm ärgern will. „Wunderbar“ - so lautet der erste Name und dieser erste beherrscht alle folgenden. Denn „wunderbar“ wird der Erretter sein als Rat, wunderbar in seiner Kraft, wunderbar als Held und Friedefürst.

Wir wundern uns nicht mehr darüber, dass der Heiland „Wunderbar“ heißt. Wir sind daran gewöhnt. Als Kinder unter dem Weihnachtsbaum haben wir ja den schönen Spruch schon hergesagt. Aber eigentlich sollte man doch sagen, dass Der, der für Alle bestimmt war, auch Allen so recht verständlich und durchsichtig sein müsse und nicht wunderbar.

Was ist aber denn damit gesagt? „Wunder auf Erden sind Natur im Himmel“, hat ein weiser Mann gesagt. Damit ist denn freilich bezeugt, dass das „Wunderbare“ nicht etwas ist, was an und für sich und in sich unverständlich oder gar unsinnig wäre. So sprechen wir ja auch von wunderbarer Schönheit und von wunderbarer Weisheit, um das höchste Lob der Schönheit und Weisheit auszudrücken. Aber das ist mit dem Namen „Wunderbar“ gesagt, dass uns Menschenkindern, die wir noch im Dunkeln wallen, deren Erkenntnis noch unendlich beschränkt, deren Auge umflort, deren Horizont begrenzt ist, dass uns das Wesen, Wirken und Leiden des Heilandes geheimnisvoll sein wird und muss. Wenn erst die Hüllen von unseren Augen genommen sind, - wenn wir erst in die Tiefen des Menschenwesens und in die Tiefen der Gottheit hineinschauen, wenn erst das ungeschaffene Licht Gottes uns ganz durchstrahlt, dann werden wir von keinem Wunder mehr wissen, dann werden wir auch den Heiland nicht mehr wunderbar nennen. Jetzt aber, so lange es noch mehr oder weniger unsere Art ist, zu sehen auf das, was vor Augen liegt, - jetzt ist es natürlich, dass der Heiland uns wunderbar ist.

Ja, das ist natürlich, aber es ist bitter, dass es natürlich ist; es graut uns vor diesem „wunderbar“. Dass sein Wesen wunderbar ist, ließen wir uns noch gefallen, auch dagegen, dass Er Wunder tut, würden wir nichts einzuwenden haben. Ja es müsste uns verwunderlich sein, wenn Er, der in seiner Person die geheimnisvolle, wunderbare Vereinigung der Liebe, Heiligkeit und Macht Gottes darstellt, wenn er nicht auch Wunder getan hätte. Aber dass auch all sein Tun und Regiment mit uns wunderbar ist, - dass Er uns oft auf solchen Wegen führt, die uns unpraktisch, zwecklos, ja schier unsinnig, hart und grausam erscheinen, das ist bitter. Und noch Vieles ist bitter in diesem „wunderbar“, aber wir müssen uns in Demut darein fügen und energisch vor diesem Gedanken „Posto fassen“. Ob auch unter viel Tränen, Schmerzen, Zweifeln, Zittern, Zagen, wir müssen uns hinein fügen. Es geht nicht anders, - meldet schon Jesaja. Und wer sich hineinfügt mit stillem und sanftem Geist, der wird dann auch die Macht und Wahrheit der folgenden, so lieblich klingenden Namen, bis hin zum „Friedefürst“, erfahren. Ja er wird schließlich merken, dass die Herrlichkeit des Jesus-Namens durch nichts so erklärt und verklärt wird wie durch das, erst so fatale „wunderbar“.

Jesus ist der schönste Nam
Aller die vom Himmel kommen;
Huldreich, prächtig, tugendsam,
Den Gott selber angenommen;
Seiner großen Lieblichkeit
Gleicht kein Name weit und breit.

4. Adventswoche. Freitag.

“Und er heißet Wunderbar.“
Jesaja 9, 6.

Jesus preiset selig, die Ihn als den Sohn Gottes erkennen, und doch nennt er sich selber gemeiniglich des Menschen Sohn. „Gott sandte seinen Sohn geboren von einem Weibe,“ denke darüber nach, - da ist eitel Wunder. Ja, die Person Christi, (wie wir schon gestern andeuteten,) ist uns ein Geheimnis, ein Rätsel; ein seliges Geheimnis, aber doch ein Geheimnis, ein beseligendes Rätsel, aber doch ein Rätsel.

„Wenn ich dies Wunder fassen will,
So steht mein Geist vor Ehrfurcht still;
Er betet an und er ermisst,
Dass Gottes Lieb unendlich ist.“

O, wie unbefriedigend lassen uns alle Versuche der Theologen, die das Geheimnis lüften und die gottmenschliche Natur Christi gleichsam sezieren wollen. Wie widerwärtig ist das Zanken über allerlei Formeln, die das „wunderbar“ erklären sollen! Wie vermessen ist es, wenn man nur einen Christus annehmen will, den die Vernunft begreifen kann; wie vermessen aber auch, wenn man den Leuten gleichsam die Pistole auf die Brust setzt: „Dies ist die einzig richtige und rechtgläubige Formel, wer die nicht annimmt, ist kein wahrer Christ!“ - Nein, anbetend, in heiliger Ehrfurcht zu seinen Füßen sich hinsetzen und seiner Rede lauschen, betend aufschauen zu Ihm, dass Er uns mit seinem Geist und Frieden erfüllen möge, und dann hingehen, durch Macht seines Erbarmens und seines Friedens, und Liebe und Frieden bringen unter den armen, trostlosen, verhetzten Menschenkindern, das ist die Sache, um die es sich handelt, das ist auch der einzige Weg, wie uns der „Wunderbare“ immer natürlicher und traulicher wird.

Desgleichen, wer in den Akten des Christusreiches auf Erden zu Hause ist, der weiß freilich, dass der Wunderbare die Seinen auch wunderlich leitet, dass sein Rat und Tat wunderbarlich, dass er aber schließlich doch Alles herrlich hinausführt. So wunderbar war Jesu Tun von Anfang her, dass Johannes der Täufer, der große Herold Christi, der Freund und Brautwerber des himmlischen Bräutigams, - als er in seinem Gefängnis von den Werken hörte, die Jesus tat, und noch mehr von denen, die er nicht tat und nach Johannes Meinung hätte tun sollen, dass er Ihn fragen lässt: „Bist du der da kommen soll, oder sollen wir eines Anderen warten?“ Und wer hätte nicht in der Betrachtung der Reichsgeschichte oft mit bangem Zweifel also gefragt? Wie ging doch der Weg Christi mit seinem getreuen Volke auf Erden durch so viel Blut und Tränen, durch entsetzliche Enttäuschungen und Erschütterungen hindurch?! Wie ließ Er, dem doch alle Gewalt gegeben war, seine Feinde toben, wüten, schalten und walten nach ihrem Wohlgefallen, dass sie zerreißen und zertreten durften, was seine Knechte mühsam gebaut, und obenein Ihn selbst noch verspotten und verlachen? Und ist's etwa heute so viel anders? Ist es nicht auch so in den Einzelführungen der Jünger Christi? Weißt du nicht schon aus deiner Erfahrung hundert Beispiele zu bringen, dass sein Rat gar wunderbarlich ist, aber, nicht wahr, doch auch schon etliche Beispiele, wie er's dennoch herrlich hinausführt? Die anderen aber werden nachkommen und was das Dunkelste ist, muss das Hellste werden. Stephanus musste zermartert werden, damit Saulus ein Paulus würde. Und Paulus musste seine Füße in den Block stecken, damit der heidnische Kerkermeister ein seliger Christ würde. Und Petrus musste seinem Heiland ins Angesicht schlagen, damit der verleugnende Petrus ein treuer Zeuge werde. Und der Onesimus musste schmählicher Weise seinem Herrn entlaufen, um in Rom seinen Heiland zu finden. Und die Apostel mussten bei Malta Schiffbruch leiden, damit die Malteser das Wort des Friedens hörten. Und du - Nun fahre fort und erzähle von deinen Schiffbrüchen, wo deine Tugend, deine Freude, dein Glaube, dein Trost, deine Liebe, dein erträumter Friede scheitern, damit du zum ersten Mal wirklich Boden unter die Füße bekommest! Ja, Er, der Wunderbare, bekommt noch Recht und am Glänzendsten da, wo er jetzt am meisten Unrecht zu haben scheint. Und du wirst das auch noch schauen, wenn du hier nur im Glauben Ihn lieben willst.

Stille! stille!
Deines Jesu Rat und Wille
Ist der beste, gilt allein
Wer Ihm nur kann stille halten
Und Ihn lässt in Allem walten,
Der kann immer ruhig sein.

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