Comenius, Johann Amos - Das allein Nothwendige - Zehntes Kapitel.
Vorsätze des Verfassers in Betreff seiner eigenen Beobachtung jener Regel; Empfehlung seiner und aller Anderen in Gottes Hand.
§. 1.
Die allgemeinen Labyrinthe des Menschengeschlechts habe ich berührt; soll ich auch noch die eigenen berühren? Ich wollte Alles mit Stillschweigen übergehen, wüßte ich nicht, daß auch ich Zuschauer meines Thuns und Leidens gehabt, und ich nicht einiges Aergerniß wegen unverbesserter Irrthümer zu befürchten hätte. Aber, weil es meinen Gott gefallen hat, mir ein dem Gemeinwohl dienstbares Herz zu geben, mich in öffentliche Aemter zu setzen, und Gelegenheiten vieler Art mir vorkommen zu lassen; auch einige Dinge von mir geschehen sind, worüber allerlei Urtheile ergangen sind: so habe ich dies, zu dieser Zeit meiner letzten Wiedergeburt, anzuführen für nöthig erachtet, zu dem Zwecke, daß, wenn Einige mich für einen Spiegel des Fleißes oder Vorwitzes gehalten haben, oder noch halten, nach meiner Beobachtung, daß man auch bei guten Vorsätzen irren könne, sie lernen mögen, entweder durch meine Erinnerung es zu verhüten, oder nach meinem Beispiel es zu verbessern. Denn was der Apostel sagt: „thun wir zuviel, so thun wir's Gott - sind wir mäßig, so sind wir für euch mäßig,“ (2. Cor. 5, 13) das hat sich ein jeder treuer Knecht zuzueignen, daß, wo er etwa geirrt hat, er Gott seinen Irrthum bekenne; und so er in Verbesserung des Irrthums etwas in Acht genommen, er es dem Nächsten zu gute kommen lasse.
§. 2.
Ich danke demnach meinem Gott, daß er mir mein Lebelang großes Verlangen gegeben hat; denn obgleich in viele Labyrinthe verwickelt, bin ich doch den meisten entweder durch ihn entrückt, oder er führt mich an seiner Hand zum Anschauen der seligen Ruhe. Denn das Verlangen nach dem Guten, wie es auch nur jemals in eines Menschen Herzen entsteht, ist allezeit ein Bächlein, das aus dem Brunnen des Guten, Gott, herquillt, und stets an sich selbst gut, und hat einen guten Zweck, wenn wir es zu gebrauchen wissen. Allein die Schuld ist an uns, daß wir durch das Zurückgeben an den Bächen die Quelle zu finden, oder durch den Zusammenlauf der Ströme zum Meere zu kommen, wo die Fülle und Sättigung des Guten ist, nicht wissen. Doch sind wir der göttlichen Gnade Dank schuldig, welche uns durch allerlei Irrwege unserer Labyrinthe, und mit himmlischen Fäden seiner Weisheit endlich zu Ihm, als der Quelle und dem großen Meere alles Guten, führt. Ich freue mich, daß mir dergleichen widerfährt, und ich erfahre, daß ich nach unzähligen bisher gehabten Begierden nach besseren Dingen, deren Zahl ich nicht weiß, endlich zum Ziele alles meines Verlangens geführt werde, indem ich erkenne, wie all mein Thun bisher entweder ein bloßes Hin- und Herlaufen der Martha (doch um des Herrn und seiner Jünger willen, aus Liebe) oder Wechsel von Lauf und Ruhe gewesen sei; ich aber nunmehr durch festen Vorsatz zu den Füßen Christi mit Maria geführt werde, daß ich fröhlich mit David ausrufe: „Das ist meine Freude, daß ich mich zu Gott halte“ (Ps. 73, 28).
§. 3.
Ich habe gesagt, daß alle Bemühungen meines Lebens denen der Martha ähnlich gewesen, und um des Herrn und seiner Jünger willen aus Liebe geschehen seien: Denn ein anderes ist mir nicht bewußt, oder verflucht eine jede Stunde und jeder zu einer anderen Handlung angewandte Augenblick, und ich gebe denen Beifall, die eines Stolzes oder Vermessenheit bei mir in einer Sache gewahr geworden sind. Solche Bemühung war der Lehreifer, den ich aus Verlangen, die Schulen und Jugend aus den beschwerlichen Irrwegen zu fuhren, über mich genommen, und viele Jahre fortgesetzt habe: was aber von einigen für eine des Theologen unwürdige Sache geachtet worden ist, als ob Christus das Beides: „Weide meine Schaafe und weide meine Lämmer“, nicht zusammengesetzt und beides seinem geliebten Petrus befohlen hätte (Joh. 21, 15). Ich aber sage Christo, meiner ewigen Liebe, ewigen Dank, daß er solche Liebe zu seinen Lämmern in mein Herz gelegt, und die Sache bis hierher hat gedeihen lassen.
§. 4.
Der andere langwierige und beschwerliche Irrweg bei mir war das Streben nach Frieden, d. i. das Verlangen, die über dem Glauben vielfach und verderblich streitenden Christen zu vereinigen, wenn es Gott gefiele - worauf ich große Mühe verwandt habe.
§.5.
Diese Hartnäckigkeit der Christen gegen einander, und das vergebliche Bemühen, sie zu vereinigen, läßt mich noch eher auf Heilung des Ganzen, als eines Theils hoffen, wenn man dem ganzen menschlichen Leibe eine allgemeine Arznei gebe, statt bloß dem Kopfe, oder Fuße, oder der Seite ein Pflaster auflege. Ich gehe in meinem Verlangen so weit, man solle das ganze Menschengeschlecht, das überall mit sich und Gott uneins, vereinigen, und Mittel und Wege hierzu ersinnen.
§. 6.
Nur das will ich erinnern: Es ist keine Verwegenheit, wenn Jemand im Vertrauen auf Gott und eine gute Sache die ganze Welt anzurufen, und das ganze Menschengeschlecht zur Buße zu ermahnen wagte. Denn erstlich sitzen wir alle auf dem großen Schauplatz der Welt beisammen; was aber da oder dort geschieht, geht alle an, da die Sonne Allen das Licht, und Gott Allen die Augen darreicht. Ferner ist die ganze Menschheit einerlei Abkunft, von einem Blut, und ein Haus. Mit welchem Rechte nun ein Theil vom Ganzen, ein Glied allen Gliedern in einem Leibe, und ein Hausgenosse dem anderen, oder - so er kann - dem ganzen Hause zu Hilfe kommt; mit eben dem Recht müssen wir Mitgenossen des Menschengeschlechts den anderen Mitgenossen behilflich fein. Sodann hat Gott schon von der ersten Schöpfung an einem jeden die Sorge für seinen Nächsten anbefohlen (Sir. 17, 12), und treibt auch nichts mehr durch die ganze Heilige Schrift, nächst der Liebe und Gehorsam gegen ihn, als die Nächstenliebe, Sorge, Dienstleistung und gegenseitige Hilfe. Ferner sagt dies einem jeden die gesunde Vernunft, wie an weisen Männern klar wird. Socrates wollte lieber sterben, als gutes zu lehren aufhören.
Seneca sagte: wenn ihm die Weisheit, als das Licht und der Führer zur Glückseligkeit mit dieser Bedingung gegeben würde, daß er solche für sich allein hätte, und niemand mittheilen sollte, so begehrte er sie nicht. Ueberhaupt je frömmer einer ist, auch unter dem gemeinen Volke, um so mehr wünscht und sucht er, Mehreren nützlich zu sein. Sodann hat auch der Sohn Gottes, der das Verlorene wiederzubringen vom Himmel gesandt worden, was er gedacht, geredet und gethan, in allen sein Augenmerk auf das Heil der Welt gerichtet; und da er seine Boten, das erworbene Heil zu verkündigen, ausschickte, befahl er ihnen, nicht zu Einzelnen bloß, sondern in die ganze Welt auszugehn (Marc. 4, 18), und nicht ins Ohr zu reden, sondern auf den Dächern zu predigen (Mat. 10, 17). Dies thaten die Apostel auch, und ist ihr Schall in alle Lande ausgegangen und in alle Welt ihre Worte (Röm. 10, 18 Col. 1, 28). Dabei wurde die völlige Ausrichtung verheißen, wo nicht eher, doch am Abende der Welt (Zach. 14, 7), so daß man in den letzten Tagen den ganzen Rathschluß Gottes erkennen wird (Jer. 30, 24). Darum läßt es sich nicht als Verwegenheit auslegen, wenn einer diese wichtige Sache zu treiben sich untersteht; vielmehr ist die Glückseligkeit dieser Zeit zu rühmen, daß es nicht an solchen fehlt, die dies im Namen des Herrn zu thun beginnen, in der gewissen Hoffnung, daß der Untergang Babylons herannahe und jener Engel komme, von dessen Klarheit die Erde erleuchtet werden soll (Offenb. 18, 1).
§. 7. 8.
Was soll ich denn nun beginnen - nach so vielen Labyrinthen und Sisyphischen Steinen, womit ich meine ganze Lebenszeit bemüht war? Soll ich mit Elias sagen: „So nimm nun, Herr, meine Seele von mir, denn ich bin nicht besser, als meine Väter!“ (1. Kön. 19, 4) Oder vielmehr mit David: „Verlaß mich, o Gott, auch nicht im Alter - bis ich deinen Arm verkündige dem kommenden Geschlechte!“ (Ps. 74, 18) Keines von beiden, auf daß ich nicht durch ängstliches Verlangen nach einem von beiden beunruhigt werde; ich will vielmehr die Wahl meines Lebens und Todes, meiner Ruhe und Arbeit Gott überlassen, und mit geschlossenen Augen ihm folgen, wohin er mich führen wird, mit David demüthig und zuversichtlich betend: „Leite mich nach deinem Rath, und nimm mich endlich mit Ehren an“ (Ps. 73, 24). Sollte ich aber ja etwas nach meinem Rathe beginnen, so soll es mir nicht anders sein, als ob es von Christo gegeben worden: damit ich von nun an mit dem allein Nothwendigen mich begnüge, und alles Unnöthige abschaffe, oder vielmehr gar verbrenne, nach dem herrlichen Beispiele des großen Alexander, von welchem Plutarch schreibt, daß er auf dem Zuge nach Indien, als er sein Kriegsvolk mit vielem Persischen Raube beschwert und aufgehalten sich, seine und seiner Freunde Wagen mit eigener Hand angezündet und verbrannt habe. Seinem Beispiele folgten die Soldaten, und erfüllten durch Vertheilung des Nothwendigen an die Dürftigen und Verbrennung alles Uebrigen, den Alexander und sich selbst mit neuem Eifer und Muth. Warum, sage ich, soll ich jetzt nicht desgleichen thun? der ich vielleicht gar bald in das himmlische Indien abreisen und die ganze Welt hinter mir lassen muß? - Siehe, was ich von irdischen Sorgen bisher gesammelt, verlasse ich, und will gern das Nothwendige davon dem dürftigen Nächsten austheilen; das übrige aber, welches ihnen sowohl, als mir, zur Last sein würde, lieber mit Feuer verbrennen, als mich ferner damit schleppen.
§. 9.
Soll ich mich näher über das letzte Vorhaben meiner Seele erklären, so sage ich: Eine geringe Hütte, sie sei wie sie wolle, soll mir die Stelle eines Palastes vertreten; oder wo ich keine eigene haben kann, wo ich mein Haupt hinlege, will ich nach meines Herrn Beispiel zufrieden sein, so mich jemand unter sein Dach aufnimmt; oder ich will unter dem Dache des Himmels bleiben, wie er die letzten Nächte auf dem Oelberge; bis mich die Engel wie den Bettler Lazarus, in ihre Gesellschaft tragen und aufnehmen. Statt eines kostbaren Kleides soll mir ein rauhes Gewand genügen, desgleichen das des Täufers Johannes war. Brod und Wasser sollen die Stelle eines köstlichen Tisches vertreten, oder sollte ein wenig Zugemüse hinzukommen, soll die Gnade Gottes dafür gepriesen werden. Meine Bibliothek soll aus drei Büchern bestehen. Meine Philosophie soll sein, daß ich mit David die Himmel und übrigen Werke Gottes betrachte, und es bewundere, daß Gott, der Herr so großer Dinge, auf mich Würmchen zu sehn, sich herablasse (Ps. 8, 104). Meine Medicin soll wenige Kost mit öfterem Fasten sein. Meine Rechtswissenschaft soll sein, daß ich Anderen thue oder nicht thue, was ich will oder nicht will von ihnen gethan haben. So jemand nach meiner Theologie fragt, will ich, mit dem sterbenden Aquinas (da auch ich ein Sterbender bin) die Bibel nehmen, und mit ganzem Herzen und Mund sagen: „ich glaube, was in diesem Buche geschrieben ist.“ So jemand genauer nach meinem Glaubensbekenntniß fragt, so will ich das Apostolische zeigen, weil ich nichts besitze, was kürzer, einfacher und nachdrücklicher sei, und durch dessen Anleitung ich die Entscheidung aller Streitfragen kürzer zusammenfassen, und unzählige Labyrinthe von Streitigkeiten verhüten könne. Fragt jemand, welcher besonderen Gebetsformel ich mich bediene, so will ich auf das Gebet des Herrn weisen, weil ich glaube, daß niemand einen bessern Schlüssel, das Vaterherz aufzuschließen, habe zeigen können, als der eingeborne Sohn, der aus des Vaters Schooße gekommen. Will jemand nach meinen Lebens regeln fragen, will ich die zehn Gebote darreichen, weil ich glaube, daß niemand Gottes Willen besser, als Gott selbst habe ausdrücken können. Fragt man, welche Gewissensfälle ich habe? will ich antworten: Alles das Meinige sei mir verdächtig, und daher fürchte ich mich, auch wenn ich recht thue, und müsse demüthig ausrufen: „ich bin ein unnützer Knecht (Lucas 17, 10). Habe Geduld mit mir, ich will dir alles bezahlen“ (Mat. 18, 28).
§. 10.
Was werden die Verehrer der menschlichen Weisheit hierzu sagen? Sie werden vielleicht den thörichten Greis auslachen, der von dem Gipfel seiner Ehre zur untersten Stufe der Selbsterniedrigung herabsteigt. Sie mögen lachen, wenn ihnen beliebt; mein Herz wird gleichfalls lachen, den Verwirrungen entkommen zu sein. Fahre nun, Schicksal, wohl - ich habe den Hafen gefunden: sagt ein Dichter, und ich sage: Fort, ihr eiteln Götzen, ich habe Christum gefunden. Christus ist mir Alles, sein Fußschemel soll mir mehr als alle Throne der Welt, und seine Niedrigkeit mehr, als alle Hoheit sein. Mir deucht, ich habe den Himmel unter dem Himmel gefunden, indem ich die Fußtapfen dieses Führers zum Himmel deutlicher vor Augen sehe, als jemals. Mein ganzes Leben war eine Wallfahrt, und nicht das Vaterland; da meine Herberge immer verändert, und niemals und nirgends eine beständige Wohnung war. Nunmehr sehe ich das himmlische Vaterland vor mir, zu dessen Eingang mich mein Führer, mein Licht, mein Christus, gebracht hat, der vorangegangen , mir die Stätte in seines Vaters Hause, wo der Wohnungen viele sind, zu bereiten, und nun gekommen ist, mich zu sich zu nehmen, auf daß ich sei, wo er ist. Darum ist mir nun das allem nöthig, zu vergessen, was dahinten ist, und zu jagen nach dem Kleinod der himmlischen Berufung Gottes (Phil. 3, 13 14).
§.11.
Ich danke dir, Herr Jesu, du Anfänger und Vollender meines Glaubens, der du mich, den unvorsichtigen Wanderer, der sich von dem Ziele der Reise durch tausend Abwege verirrt, und durch viele tausend Nebendinge und Hindernisse aufgehalten, doch dahin gebracht hast, daß ich nunmehr an den Grenzen des verheißenen himmlischen Vaterlandes angelangt, nichts als den Jordan des Todes noch zu durchwaten vor mir sehe, bald aber mich in den Seligkeiten dieses Vaterlandes befinden werde. Ich lobe unablässig deine heilige Fürsorge, o mein Heiland, daß du mir auf dieser Erde kein Vaterland noch Wohnung gegeben hast; sondern sie mir nur eine Art der Verbannung und Pilgerschaft sein mußte, ich aber mit David sprechen möchte: „ich bin dein Pilger und Bürger“ (Ps. 39,13): doch aber nicht mit Jacob: „der Tage meiner Wallfahrt sind wenig, und langen nicht an die Tage meiner Väter“ (1. Mos, 47, 19). Denn du hast meine Lebenstage die Tage meines Vaters und Großvaters und vieler tausend Mitpilger, welche in jenen vierzig Jahren in der Wüste unserer Wallfahrt umgekommen, übertreffen lassen. Aus welchen Ursachen, o Herr, du dies thust, weißt du, ich überlasse mich beständig deinen Händen. Du hast mir auch allezeit, wie dem Elias, einen Engel zugesandt mit einem Bissen Brod und einem Trunk Wasser, daß ich nicht Hungers und Durst's sterbe. Du hast mich auch vor der gewöhnlichen menschlichen Thorheit bewahrt, die allerlei zufälliges Gut für das wesentliche, den Weg für das Ziel, die Bewegung für die Ruhe, die Herberge für die Wohnung und die Wanderschaft für das Vaterland hält; mich aber hast du bis zu deinem Berge Zion gelangen lassen, und sogar genöthigt. Gepriesen sei dein Name!
§. 12.
Sofern ich mich aber als einen thörichten Wanderer bewiesen, nur weltliche Nebendinge statt des rechten Werkes betrieben, siehe, so stehe ich davon ab, und nehme mir am Ende meines Lebens vor, jenen guten Kaufmann abzugeben, der nichts als Perlen sucht, und, wenn er eine köstliche findet, hingeht und alles verkauft, und diese kauft (Mat. 13, 45). Du, Herr Jesu, sollst nur allein meine köstliche Perle, mein ganzes Gut und mein einzig Nothwendiges sein. Dich allein will ich suchen und kaufen, und daneben alles, was ich habe und nicht habe, verkaufen, und was die Welt für Gewinn hält, will ich für Koth halten, nur um jetzt dich, mein Jesu, zu gewinnen (Phil. 3, 8). Die letzte Handlung meines Lebens soll sein, diesem Leben absterben lernen, und zu dem künftigen geboren werden.
§. 13.
Herr Jesu, sollte noch etwas auf Erden zu verrichten sein, so laß mich es noch verrichten, und wenn es verrichtet ist, dem seligen Simeon nachsingen: nun läßt du deinen Diener in Frieden fahren. Wolltest du aber auch dem letzten Ziel, meiner Arbeit durch das letzte Lebensziel zuvorkommen, daß ich mit jenem heidnischen Weltweisen sagen müßte: ich habe noch nichts fertig, als mich, so will ich auch so zufrieden sein, wenn ich nur nicht unvorbereitet hinweggerissen werde, was leider! den meisten Menschen widerfährt. Ich aber will deine große Barmherzigkeit ewiglich preisen, der du mich vor dem Tode, dem Tode selbst entreißest, und mir kund thust den Weg des Lebens.
§. 14.
Ihr Christen aber, freuet euch gleichfalls, daß ihr sollt errettet werden, und hört ihr die noch erschallende Stimme eures Führers: Kommt her zu mir, ihr Mühseligen und Geladenen, so antwortet einstimmig: siehe, wir kommen! siehe uns an, nimm uns an, und erquicke uns! hilf uns Mühseligen, erledige uns Beladene, erquicke uns Müden! führe uns von den gefährlichen Höhen aller Dinge zu deren Grundwesen, daß der Feind nichts finde, uns zu stürzen, sondern deine Gnade, uns zu erhöhen, wenn es deiner Güte gefällt. Wo nicht, wollen wir lieber niedrig bei dir in deinem Hause sein, (ja, nur bei dir in deinem Hause) als in den Häusern der Sünder wohnen. Herr, wir bedürfen auf unseren endlosen Irrwegen eines beständigen Führers, bei unseren zu wälzenden Steinen eines Helfers, und in unserem unaufhörlichen Hunger und Durst eines steten Ernährers. Und weil wir erkennen, daß wir dies von der Welt vergeblich erwarten, ob sie es schon verspricht, aber nicht geben kann, was sie selber nicht hat; siehe, so sehen wir allein auf dich, du unsere einzige Hoffnung! Kein Mensch ist, der nicht irre, ermüde und hungere; so komm denn, o ewige Wahrheit, den Irrenden zu Hilfe; o ewige Kraft, unterstütze die Sinkenden; o ewiger Brunnen alles Guten, fülle uns mit Gütern. Und da du mir, dem geringsten deiner Knechte, jetzt zu Hilfe kommst, mich erhältst und sättigest, so freue ich mich in dir, und will deinen Namen preisen in Ewigkeit.
§. 15.
Und da ich dies mein Bekenntniß von meiner letzten Rückkehr zu dem allein Notwendigen, vor dem Angesichte Gottes, meine letzte Verordnung oder Testament (Jes. 38, 1), sein lasse; wohlan! so höret ihr, mein Haus, Söhne und Töchter, und Enkel, die Stimme eures Vaters, der ich euch zu dem Vater aller Väter, ehe ich zu meinen Vätern versammelt werde, führe: keine andere Erbschaft hinterlasse ich euch, als dies einzig Nothwendige, daß ihr Gott fürchtet, und seine Gebote haltet, denn dies ist die Hauptsache und gehört allen Menschen zu (Pred. 12, 43). Thut ihr das, so wird Gott euer Erbe, Schild und sehr großer Lohn sein.
§. 16.
Dies sage ich auch euch, meinen Brüdern, den übrigen Ländern der zerstreuten Kirche: Liebet den Herrn und dienet ihm mit ganzem Herzen, und schämet euch nicht seines Kreuzes, das ihr bisher getragen habt, und ferner tragen werdet, wenn ihr klug seid. Ich preise euch ernstlich das Erbtheil Christi an, Armuth und Kreuz, welche auch ein Weg zum ewigen Reichthum und Herrlichkeit sein werden, so ihr Christi Sinn, bis ans Ende zu beharren, haben werdet (1. Kor. 2, 16). Du aber, o Herr, der du vormals zu Petro gesagt hast: wenn du bekehrt bist, so stärke deine Brüder; sage doch auch jetzt deinem Knechte: da du bekehrt bist von den unnützen Dingen zu dem allein Notwendigen, so lehre eben dies deine Brüder. Ich nenne meine Brüder - Alle, die den Namen Christi anrufen; ja, ich nenne meine Brüder - Alle, die mit mir aus einem Blute entsprossen, das ganze Geschlecht Adams, die auf dem Erdboden wohnen.
§. 17. Eben diese Weisheit Christi, das allein Nothwendige, befehle ich euch an, mein Volk, ihr Mähren, nebst den benachbarten Böhmen, Schlesiern, Polen und Ungarn, bei denen ich bei meiner Pilgerschaft mich aufgehalten und viel Gutes genossen habe. Der Herr gebe euch zur Vergeltung dies einzig Nothwendige, Weisheit, damit ihr die Einkünfte eurer gesegneten Länder wohl zu gebrauchen und nicht zu mißbrauchen wisset. Das Uebermaß hat die Böhmen verderbet, so hat ein weiser nordischer König, der ein Feind der Verschwendung war, gesagt. Und eben dies wird man auch von dir, o Polen! in kurzem sagen, wenn du nicht zeitig zu dem allein Nothwendigen, der Sparsamkeit, dich kehrest: denn der Anfang der Sünder Sodoms war die Hoffahrt, der Ueberfluß und die stolze Sicherheit (Ezech. 46, 49).
§. 18.
Mein letzter Besuch war gegen 12 Jahre in der Hauptstadt Hollands, der größten Handelsstadt, wo ich bessere Gelegenheit als je in meinem Leben hatte, zu bemerken, wieviel des Entbehrlichen es gebe, und auf diese Gedanken vom einzig Nothwendigen zu kommen; und somit unter tausend Labyrinthen, den Labyrinthen zu entgehen, Verlangen trug, auch durch Gottes Gnade lernte, unter den täglich von Tausenden gewälzten Steinen nicht weiter meine Steine zu wälzen, sondern festzustellen, und unter dem Haufen so vieler unersättlich hungriger und durstigen Tantalen nicht eben so zu hungern und zu dursten. Dies soll mir mein Lebelang zum größten Schatze und zur höchsten Lust gereichen. Ich erinnere mich bei meiner Herkunft von den Vornehmsten mit Ehren empfangen worden zu sein, in der Hoffnung, eine besondere Gelehrsamkeit bei mir zu finden; ich wünsche aber, nach dem Beispiele meines Herrn, der auf der Hochzeit zu Cana den besten Wein bis zuletzt behalten, handeln zu können, so daß meine letzten Dinge besser seien, als jene zuerst gehofften. Dies erhoffe ich auch, sobald nur kluge Speisemeister zugegen sind, welche von dem, zu Wein gewordenen Wasser ein richtiges Urtheil zu fällen wissen.
Und zwar welches denn wohl? das Apostolische: Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist, und läßt sich genügen; denn wir haben nichts in die Welt gebracht, daher offenbar ist, wir werden auch nichts hinausnehmen. „Wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so laßt uns genügen.“ u. s. f. (1. Tim. 6, 6 -9). Und daher kommt es vielleicht, daß die Heilige Schrift das mystische Babylon, das sich in der ganzen Welt ausgebreitet hat, ebenso wie jenes alte in Chaldäa gelegene beschreibt, daß es mit allen Dingen überflüssig angefüllt, und solche aus der ganzen Welt zusammen zu bringen, zu kaufen und zu verkaufen, stolz beschäftigt sei (vergl. Offenb. 18, 11-20). Da nemlich jeder Mensch oder jede menschliche Gesellschaft, Stadt und Land, sich allzusehr in irdische Dinge eingelassen und von der Liebe zu ihnen trunken gemacht hat: so vergessen sie gar leicht der besseren, der himmlischen und ewigen Güter; ja des Ursprungs alles Guten, Gottes selber, und versinken dadurch ins Verderben. Der Wein, mäßig genossen, ist fast des Menschen Leben; unmäßig genossen aber, wird er Gift und Tod, wodurch Mehre ersäuft werden, als durch Wassersnoth (Sir. 32).
§. 19
Herr Jesu Christ, einziger Meister der Weisheit und ewiger Stifter der Regel von dem allein Nothwendigen, zweierlei bitte ich von dir, das wollest du mir nicht verweigern, bevor ich sterbe (Sprüchw. 50, 7). Laß es mir jetzt nicht fehlen an dem, was zum rechten Leben und seligen Sterben nöthig ist; und was zu diesem Zwecke nicht dienlich, das laß fern von mir sein, und auch niemals sich einmischen.
§. 20.
Aber noch bitte ich; verleihe mir, dies Anderen recht zu zeigen, wie thöricht diejenigen handeln, die das Nothwendige hintansetzen, und sich gänzlich den nothwendigen Dingen ergeben; und da du alle Durstigen zu dem lebendigen Wasser einladest, sie sich dennoch ausgehauene Brunnen, die kein Wasser halten, graben (Jes. 55, 1); ja, da du ihnen Wein und Milch umsonst und unentgeltlich darbietest, sie gleichwohl Gold und Silber auf die Dinge wenden, die nicht sättigen, vielmehr Krankheiten, Tod und höllisches Verderben nach sich ziehen. - Erbarme dich aller, o du Allerbarmer, um deiner Güte willen! Amen.