Claudius, Matthias - Postscript an Andres.
Da, Du lieber Andres, hast Du Proben von Bacon und Newton; eine Probe von Boyle findest du vorne.
Und wie gefallen Dir diese Philosophen? Heutzutage lautet die Sprache anders.
An Fleiß, Scharfsinn, Einsicht und Geschicklichkeit hat es doch diesen Leuten nicht gefehlt, und es wird wohl nur wenigen einfallen, sich mit ihnen zu messen; erfunden ist sint ihrer Zeit auch nichts, das zu einer andern Sprache berechtigen könnte, und doch wissen sie jetzo alles anders und besser.
Ich leugne Dir nicht, Andres, daß ich an diesem Robert Boyle, an diesem Franz Bacon und an diesem Isaak Newton meine große Freude habe. Nicht sowohl der Religion wegen; die kann, versteht sich von selbst, durch Gelehrte nicht verlieren noch gewinnen, sie mögen klein oder groß sein. Aber es freut, wenn man z. E. so einen der fleißigsten und unverdrossensten Naturforscher, der in ihrem Dienst grau geworden war und mehr von ihr wußte und erfahren hatte, als die meisten von ihr wissen und erfahren haben; wenn man so einen Vogel Jupiter's mit dem hohen und scharfen Blick, der den von den Nachkommen bis jetzt mehr bewunderten als benutzten Plan und Grund zu einer neuen und wahrhaft großen Philosophie gelegt hat; und einen der ersten, wenn nicht den ersten, Mathematiker von Europa, der, was Condamine und Maupertuis durch Messungen unter dem Aequator und am Pol der Erde über ihre Gestalt fanden, auf seiner Studirstube ahndete und vorhersagte und durch seine kühne Mathematik und sein Attractionssystem den Sternhimmel und die ganze Schöpfung in ein neues Licht setzte rc. solche Männer mit ihren Einsichten sich nicht weise dünken und sie, nachdem sie in die Geheimnisse der Natur tiefer als andere eingedrungen waren, lehrbegierig und mit dem Hut in der Hand, wie es sich gebührt, neben dem Altar und den größern Geheimnissen Gottes stehen sieht …. es freut, Andres, und man faßt wieder Muth zu der Gelehrsamkeit, die ihre Freunde und Anhänger wirklich mehr wissen und doch dabei vernünftige Leute bleiben läßt, und sie nicht zu Narren und Spöttern macht. Und es thut einen sonderlichen Effect, Andres, wenn man nun auf der andern Seite von den leichten Truppen mit dem Hut auf dem Kopf vorbeidefiliren und hochweise die Nase rümpfen sieht.
Aber Du sagst, es habe freilich mit dem Naserümpfen nichts zu bedeuten; Du möchtest aber gerne wissen, wie es möglich sei, da die Sachen nach wie vor dieselben sind, daß Leute, denen man doch Scharfsinn nicht absprechen kann, sie jetzt so anders ansehen und urtheilen, und wie die Religionsverachtung so allgemein geworden.
Wer weiß das, Andres, und wer kann das sagen?
In der physischen Welt zieht von Zeit zu Zeit, sonderlich im Frühjahr, man weiß nicht nach welchen Gesetzen, so ein kalter giftiger Nebel durch Gärten und Wiesen, der auf dem Strich, den er trifft, die Pflanzen und Gewächse übel zurichtet. Es muß wohl auch so in der moralischen Welt sein. Denn da ist auch, seit dreißig vierzig Jahren, so ein alles Positive wegwerfender und kein Gesetz außer sich anerkennender Geist durch die gelehrten und durch die politischen Gärten und Wiesen gezogen.
Gewesen sind diese Geister immer in der moralischen Welt, und was sie gerade so in den Zug gebracht hat, weiß ich nicht; aber gefördert und fortgeholfen haben sie sich einander wechselsweise. Und wer Recht behält, weißt Du wohl, wird von den meisten gelobt und angesehen, als ob er auch Recht habe; und was von den meisten gelobt wird, weißt Du wohl, dem geht man gerne nach.
Sieh nun, durch eine solche Denkart ist, im Allgemeinen, der Geschmack an der Erfahrung mehr verleidet und der Ekel daran mehr vermehret worden.
Es erfordert nämlich Geduld, Ruhe und Deferenz, zu den Füßen der Erfahrung zu sitzen und auf ihre Winke zu warten, sich oft sein Concept, wenn man sie meint verstanden zu haben, wieder von ihr verrücken und sich überhaupt von ihr hudeln, platzen und plagen zu lassen; der Bau aus ihren Backsteinen geht nur langsam von statten, und fällt gleich nicht immer sehr in die Augen; es ist langweilig, an ihren Krücken gehen zu lernen rc. Und es ist viel leichter und lustiger und glorreicher, ohne sie Schlösser zu bauen und auf seinen Flügeln kühn und hoch in Lüften zu schweben. Nur jenes, sagt Boyle, macht bescheiden und bessert, und dieses blähet auf und macht leichtsinnig.
Vernunft und Erfahrung sind hier einmal Mann und Frau. Wenn die beide einträchtig und ordentlich mit einander leben und haushalten, so hängt der Himmel nicht gleich und immer voll Geigen; aber man krüppelt sich hin und bringt doch mit der Zeit einige Pfenninge für die Nachkommen zusammen. Wenn aber dem Mann die Zeit bei der Frau lang wird und er sie sitzen läßt und allein und auf eigne Hand leben will, so verfällt er, ohne daß er es selbst weiß und will, auf Thorheiten und Unsinn und verführt am Ende die Polizeibedienten mit.
Seine Thorheiten gingen uns nun weiter nicht an, Andres; aber wenn man bedenkt, daß sie dadurch so manchen, der es nicht besser versteht, irre machen und um den Segen des Christenthums bringen, so muß man sie hassen, und ich hasse sie von ganzem Herzen und hänge ihnen, wo ich nur kann, eins mit Vergnügen an. Und doch und trotz dem bin ich so ein alter Narre, daß es mir im Grunde doch leid sein kann, und ich ihnen, wenn ich könnte, lieber was anders thäte.
Sieh, Andres, und so übersetze ich denn, in Ermangelung eignen Vermögens, daß wenigstens die Leute, die es vielleicht nicht wissen und sich durch das Wort Philosoph blenden lassen, sehen, wie Philosophen wohl sonst über Religion und Christenthum gesprochen haben.
Sieh, Andres, darum übersetze ich, und darum habe ich jene große Schatten bemüht. Und wer weiß, wozu es gut ist; der reiche Mann meinte ja auch: „wenn einer von den Todten zu ihnen käme“.