Christoffel, Raget - Die Waldenser und ihre Brüder – 5. Ein junger Kriegsmann tritt in den Dienst Christi.
Du leitest mich nach deinem Rate.
(Ps. 73, 24.)
Zu der Stelle eines evangelischen Predigers der Waldenser-Kolonie in Kalabrien ward vom Vorstande der evangelisch-italienischen Gemeinde in Genf ein junger Piemontese Giovanni Luigi Pasquali ausersehen. Derselbe ward um das Jahr 1530 in Coni, einer Festung Piemonts, von reichen und angesehenen Eltern, die sich zur römischen Kirche bekannten, geboren. Da die piemontesischen Waldenser gerade in der Nähe seiner Vaterstadt um diese Zeit schwere Verfolgungen erduldeten, so empfing er ohne Zweifel schon in seiner Kindheit wohltätige Eindrücke von ihrem Glaubensmute und ihrer Treue bis in den Tod. Zum Jünglinge herangewachsen widmete er sich dem militärischen Berufe und kam als junger Offizier nach Nizza. Hier traf er evangelische Christen und bald erwachte durch den Umgang und durch die Gespräche mit denselben in seiner Seele eine solche Neigung für die evangelische Wahrheit, dass er den Entschluss fasste, dem Kriegsdienste zu entsagen, nach Genf zu gehen, um sich daselbst für den Beruf eines Predigers des Evangeliums unter seinen Landsleuten vorzubereiten. Hier glühten die Herzen von Hunderten von Jünglingen und Männern, die aus allen Teilen Frankreichs, Spaniens und Italiens herbeiströmten, um sich von Calvin für den heiligen Beruf von Predigern der evangelischen Wahrheit vorbereiten zu lassen, der ihnen unter damaligen Verhältnissen neue Schmach, Verfolgungen und Märtyrertod verhieß. Neben dem adligen Jünglinge, dessen Wesen leuchtete von der hellen Glut der ersten Liebe zu seinem Erlöser und der sprühenden Begeisterung für seine herrliche Sache, stand der schlichte Handwerker mit seiner einfachen gehaltenen Art, der vielleicht Weib und Kind zu Haus zurückgelassen, aber die Pflicht gegen seinen Herrn höher achtete als alle andern und als das echte Bild der männlichen Treue erschien, die sich in jedem Stücke leidet als ein guter Kriegsmann Jesu Christi. Hier fügte ein dem Kloster entflohener redebegabter Mönch sich an, dort ein feingebildeter Student der Pariser Universität, der sein Studium der Jurisprudenz oder der humanistischen Wissenschaften mit all den glänzenden Aussichten, die es bot, gegen den Dienst des Evangeliums zu vertauschen begehrte, auf dem Verfolgung, Bande und Scheiterhaufen standen. Bekehrte Väter und Mütter sandten ihre Söhne und segneten sie im Voraus zum Märtyrertum ein, die Braut ließ ihren Bräutigam ziehen, als der kein herrlicheres Amt erwerben könne, denn ein Mitarbeiter Gottes zu werden; ein Kreis von Freunden verließ zusammen die Werkstätte oder das Dorf, in dem sie ihre Felder bebauten, und gelobten sich Hand in Hand, sich mit einander tüchtig machen zu lassen zur Verkündigung des seligmachenden Evangeliums und zur Erbauung ihres Volkes.
Auch katholische Schriftsteller werden ergriffen von dem Schauspiele, das dieser Anblick ihnen bietet. „Ein bewunderungswürdiger Kreis“ ruft einer aus, „da Alles Flamme und Gebet war, Studium, Arbeit, heilige Zucht. Wohl schwerlich hat es je in der Welt eine zweite Universität und akademische Bürgerschaft gegeben, die sich dieser an die Seite stellen ließ!“ An die Seite dieser begeisterten Jünglinge und Männer trat nun der neubekehrte Giovanni Luigi Pasquali, und bald leuchtete und brannte in seiner Seele die gleiche Flamme der Begeisterung, von der seine Genossen erglühten. Auch die Vorsteher der evangelisch-italienischen Gemeinde Genfs bekundeten durch ihr eigenes Beispiel, dass der evangelische Christ gerne allen Glanz und alle Schätze der Welt dahin gibt, um die köstliche Perle des seligmachenden Evangeliums zu bewahren. An der Spitze des Vorstandes dieser Gemeinde stand der edle Neapolitaner Galeazzo Caracciolo, Markgraf von Vico, der um seines evangelischen Glaubenswillen einer glänzenden Lebensstellung, großen Reichtümern und teuren Familienverhältnissen entsagt, um hier in der Fremde nach seiner Überzeugung leben zu können. Als Prediger dieser Gemeinde wirkte mit Segen Massimiliano Celso aus der gräflichen Familie Martinengo von Barco, die sich dem höchsten Adel Venedigs ebenbürtig fühlte. Auch er hatte auf glänzende Lebensverhältnisse verzichtet, um in der bescheidenen Stellung eines Dieners Jesu Christi für sein Reich Seelen zu gewinnen. Solche Vorbilder waren ganz geeignet, die Flamme christlicher Begeisterung, welche die Predigt und die Lehre Calvins in der Seele dieses edlen piemontesischen Jünglings angefacht, zu unterhalten und zu einer segensreichen Tätigkeit zu fördern. Um schon jetzt nach Kräften für die Verbreitung des Evangeliums unter seinen Landsleuten zu wirken, ließ Pasquali zunächst die heilige Schrift, sowie kleine evangelische Lehr- und Erbauungsschriften ins Italienische übersetzen und auf eigene Kosten drucken und in Piemont und Italien verbreiten. Zu seiner weiteren Ausbildung zu einem evangelischen Geistlichen begab er sich mit anderen piemontesischen Studierenden nach der neu gegründeten Akademie von Lausanne, an der neben anderen Gelehrten Pierre Viret im Geiste Calvins sehr segensreich wirkte. Nachdem Pasquali hier ein paar Jahre verweilt hatte, erhielt er durch die Vermittlung des Presbyteriums der evangelisch-italienischen Gemeinde in Genf den Ruf zum Prediger und Seelsorger der waldensischen Gemeinde San Xisto in Kalabrien. Obgleich die Annahme dieser Stelle zu jener Zeit (1557), wo die Inquisition in Italien mit Feuer und Schwert gegen jede Äußerung einer evangelischen Gesinnung wütete, für ihn mit großen Gefahren verbunden war, trug er doch für sich keinen Augenblick Bedenken, dem an ihn ergangenen Rufe Folge zu geben. Eine zarte Pflicht aber verband ihn, die Einwilligung einer andern Person noch abzuwarten, bevor er die so wichtige Entscheidung treffe. Zwei Tage nämlich, bevor dieser Ruf an ihn gelangte, hatte sich Pasquali mit Camilla Guarina, einer edlen evangelischen Jungfrau aus Piemont, verlobt. Weil diese nun fromm und gottesfürchtig war, erkannte sie in dem ihrem Verlobten gewordenen Rufe den Willen Gottes, dem man ohne Widerstreben folgen solle. Pasquali und seine Verlobte gingen zunächst nach Genf, wo er in der Vorahnung dessen, was ihm in Kalabrien bevorstand, sein Testament niederschrieb, und dasselbe dem Marchese di Vico, Galeazzo Caracciolo, in Verwahrung gab. Nachdem sich sodann Luigi von seiner Camilla und von seinen evangelischen Freunden verabschiedet, begab er sich in Gesellschaft eines anderen Geistlichen, Giacomo Bovetti, der 1560 in Messina den Märtyrertod erlitt, und zwei Schulmeister auf den Weg nach Kalabrien.