Christoffel, Raget - Die Waldenser und ihre Brüder – 4. Die wandernden Evangelisten.
Wo ihr aber in eine Stadt oder Markt geht; da erkundigt euch, ob jemand darinnen sei, der es wert ist; und bei demselben bleibt, bis ihr von dannen zieht. Wo ihr aber in ein Haus geht, so grüßt dasselbige. Und so dasselbige Haus wert ist, wird euer Friede auf sie kommen. Ist es aber nicht wert, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden.
(Matthäi 40, 11-13.)
Diese waldensischen Kolonisten hatten keine eigenen Pfarrer, aber die Synode der Täler sandte ihnen zwei, welche alle zwei Jahre wechselten, sodass für ihre religiösen Bedürfnisse gesorgt war. Wenn diese Sendboten nach Kalabrien reisten, predigten sie auf dem ganzen Wege das Evangelium und verbreiteten das Wort Gottes; sie kannten alle Glaubensgenossen, die über ganz Italien zerstreut waren; und hielten heimlich in allen größeren Städten religiöse Versammlungen. Ein zuverlässiger Geschichtsschreiber, Gilles schreibt, es habe in Genua, Florenz, Neapel und sogar in Rom viele religiöse Versammlungen gegeben. Nur allein im Venetianischen gab es nach seinem Berichte gegen 6.000 Evangelische. Kam ein Evangelist in eine dieser Städte, so wurde er von den Brüdern herzlich aufgenommen; das Andenken des von ihm dagewesenen wurde als ein Familienschatz bewahrt; alles drängte sich um ihn her, um Kunde über die zerstreuten Brüder und über den Fortschritt des Evangeliums zu erhalten; hierauf verkündigte er ihnen die frohe Botschaft des Heils, und nachdem er mit ihnen gebetet, verließ er sie, um andere Seelen aufzusuchen und zu trösten.
Auf diesen Missionswanderungen nahmen die Evangelisten allerlei kleine Ware mit, um sich durch deren Verkauf zu ernähren und so Gelegenheit zu haben, das Evangelium zu predigen. Sie treten unter die Haustüre, und indem sie den Frauen ihre Ware anboten, nahmen sie Veranlassung, denselben ein überaus köstliches und seltenes Kleinod anzupreisen, welches sie bei sich hätten, das sie aber nur solche sehen ließen, die ein großes Verlangen danach bezeigten. Hatten sie nun in der Frau eine große Begierde erregt, dieses Kleinod zu sehen, so zeigten sie ihr das Evangelium, lasen ihr Stellen daraus vor und gewannen auf diese Weise manche Seelen für Christum. Auf der Rückreise aus Kalabrien nahmen sie dann einen andern Weg, um auch auf diesem das Evangelium zu verkündigen, so dass die Waldenserkolonie in Kalabrien Gelegenheit bot zu einer regelmäßigen evangelischen Mission für ganz Italien. So ging die Sache fort bis zum sechzehnten Jahrhundert.
Als man in der bisher angewachsenen und gesegneten Calabreser-Kolonie hörte, wie die Brüder in den Tälern Kirchen für den öffentlichen Gottesdienst bauten, den sie bisher nur in Privathäusern gehalten hatten, wollten auch sie dasselbe tun. Es half nichts, dass der damals in Kalabrien anwesende Evangelist vor einem solchen unklug erscheinenden Schritte warnte, indem er den Leuten vorstellte, wie Gott keinen steinernen Tempel bedürfe, sondern nur nach dem Tempel unseres Herzens frage. Durch ein solches Vornehmen würden sie auch sich unnötigerweise Verfolgungen zuziehen, vor denen sie bisher hier so gnädig bewahrt worden. Die Waldenserkolonisten beharrten trotz dieser wohlgemeinten Warnungen bei ihrem Vorsatz, eine Kirche zu bauen. Sie wollten auch nicht mehr unter der weisen Leitung der Kirchenbehörde der Täler stehen, sondern verlangten einen fest angestellten Pfarrer. Deshalb sandten die Abgeordneten an die italienische Gemeinde in Genf, um von ihr sich einen Geistlichen zu erbitten, der sich bleibend unter ihnen niederließe. Der Vorstand der italienisch evangelischen Kirche Genfs beschloss, dem an ihn gerichteten Bittgesuche zu entsprechen.