Calvin, Jean - Psalm 116
Inhaltsangabe: Nach Rettung aus äußerster Gefahr berichtet David von seinen harten Seelenqualen und dem Leiden der Angst, sodann über auch von seiner wunderbaren Rettung durch den Herrn. Seine Verzweiflung war der dunkle Hintergrund, von welchem sich Gottes Kraft, die ihm nun Heil schenkte, umso heller erhob. Alle Hoffnung wäre ihm abgeschnitten gewesen, hätte nicht Gott ihm Hilfe gebracht. So ruft er sich zur Danksagung auf und gesteht, dass er eine andere Vergeltung für die zahllosen Wohltaten nicht bringen kann.
1 Ich liebe, - denn der Herr höret meine Stimme und mein Flehen. 2 Denn er neigte sein Ohr zu mir; darum will ich mein Leben lang ihn anrufen. 3 Stricke des Todes hatten mich umfangen, und Ängste der Hölle hatten mich getroffen; ich kam in Jammer und Not. 4 Aber ich rief an den Namen des Herrn: O Herr, errette meine Seele!
V. 1. Ich liebe, - denn der Herr höret usw. Hier bezeugt David von vornherein, dass Gottes Süßigkeit und Güte ihn gelockt haben, in ihm allein auszuruhen. Die unvollständige Redeweise hat einen besonderen Nachdruck und will besagen, dass David nirgend anders Freude oder Ruhe findet, als in dem einigen Gott. Wissen wir doch, dass unsre Seelen stets inhaltsleeren Lockmitteln nachlaufen und in fieberhafter Unruhe glühen, bis Gott sie ganz an sich bindet. David versichert nun, dass diese Krankheit in ihm geheilt ward, weil er mit voller Sicherheit empfinden durfte, dass Gott ihm gnädig war. Und weil er erfuhr, dass ein Mensch, der Gott anruft, durchaus glücklich ist, erklärt er, dass er sich durch keine Genüsse von ihm werde abziehen lassen. Jenes Wort: „Ich liebe“ hat also den Sinn, dass er nichts Süßes und Erquickendes kennt außer Gott. Wir schließen daraus, dass es bei Erfahrung der Gnade ein böser Fortschritt ist, wenn man nach der Erhörung sich dem Herrn nicht völlig anvertraut. Eben darauf deutet auch der zweite Vers: Darum will ich mein Leben lang ihn anrufen. Allerdings ließe sich auch übersetzen: „Da ich ihn in meinen Tagen (d. h. in der äußersten Not) anrief.“ Es würde dies recht gut in den Zusammenhang passen, indem jetzt erläuternd beschrieben würde, in welcher Bedrängnis David zu Gott flehte. Um aber Gottes Ruhm gebührend zu erheben, weist er darauf hin (V. 3), dass er keinen Ausweg mehr aus dem Tode hatte, gleichwie ein Mensch bei den Feinden mit Hand- und Fußfesseln gebunden ward und sich nun aller Hoffnung auf Befreiung beraubt sieht: Stricke des Todes hatten mich umfangen. Darum fügt er auch hinzu, dass er in tiefe Ängste und Schmerzen fiel. Dadurch bestätigt er, was er soeben sagte, dass er eben den Zeitpunkt, in dem er von Gott weit weggeworfen schien, als die geeignetste Stunde des Gebets ansah.
5 Der Herr ist gnädig und gerecht, und unser Gott ist barmherzig. 6 Der Herr behütet die Einfältigen; wenn ich unterliege, so hilft er mir. 7 Sei nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der Herr tut dir Gutes. 8 Denn du hast meine Seele aus dem Tode gerissen, mein Auge von den Tränen, meinen Fuß vom Gleiten. 9 Ich werde wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen.
V. 5. Der Herr ist gnädig usw. David zeigt die Früchte auf, die aus jener Liebe erwachsen; Gottes herrliche Eigenschaften ruft er sich ins Gedächtnis, die ihn stärken sollen, ihm die Treue zu halten. Zuerst ist Gott „gnädig“, weil er unverdienter Weise Hilfe zu bringen geneigt ist. Im Zusammenhang damit erweist er sich als gerecht, indem er die Seinen schützt. Wir wären aber nicht wert, dass Gott uns hülfe, wenn nicht auch hinzugefügt werden dürfte, dass er barmherzig ist. Weil nun die uns zustoßenden Bedrängnisse oft der helfenden Gerechtigkeit die Tür zu versperren scheinen, so folgt, das es nichts Süßeres gibt, als in ihm allein zu ruhen: sein väterliche Gunst soll alle unsere Stimmungen in Schranken halten, damit uns keine Vergnügung oder Lust anderswohin fortreiße. Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit kommt nun (V. 6) den Einfältigen zugute, welche der Herr behütet. Gemeint sind ratlose Menschen, die nicht selbst für sich sorgen können. Einfältig heißt freilich oft in üblem Sinne ein unbesonnener und törichter Mensch, der keine Vernunft annimmt. Hier aber schweben Leute vor, die jedem Unrecht ausgesetzt sind, weil ihnen die Geschicklichkeit abgeht, sich vor Nachstellungen zu hüten, und die sich leicht täuschen lassen, während die Kinder dieser Welt pfiffig sind und sich wohl zu decken wissen. David gesteht also, dass er wie ein Kind war, das sich selbst nicht raten kann und die Gefahren, die ihm drohen, nicht zu zerstreuen weiß. Die Einfältigen sind dieselben Leute, die sonst wohl (z. B. Matth. 11, 25) „Unmündige“ heißen. Alles in allem: wo einem armen Menschen Klugheit und Mittel fehlen, einen Ausweg zu finden, da denkt Gott für ihn und setzt seine verborgene Vorsehung als Hüterin wider alle drohenden Gefahren. Endlich stellt sich David selbst als Beispiel vor: Wenn ich unterliege so hilft er mir. Als er in die tiefste Not hinab gestoßen war, gab ihm Gottes Gnade seinen unversehrten Stand wieder.
V. 7. Sei nun wieder zufrieden, meine Seele. Nunmehr ermahnt David sich selbst, neuen Mut zu fassen. Er redet seine Seele an und heißt sie ruhig sein, weil ja Gott sich gnädig gezeigt hat. Er gesteht also, dass er unter den vielen Umtrieben schwer erschüttert und ins Wanken gebracht war, wie denn ein jeder von uns seiner eigenen Unruhe sich bewusst ist, wenn ringsum die Schrecken des Todes drohen. Bei aller seiner seltenen Tapferkeit fühlte sich David doch durch den Ansturm der Traurigkeit beunruhigt, und die innere Erschütterung verwirrte seinen Geist derartig, dass er Grund hat, über den Verlust seiner Ruhe zu klagen. Jetzt aber spricht er aus, dass Gottes Gnade genügt, jene Verwirrungen zu stillen. Es fragt sich aber, ob gerade nur die tatsächliche Erfahrung der Gnade Gottes die Furcht und das Zittern in unserer Seele heilen kann: erklärt doch David, dass er erst ruhig wurde, nachdem Gottes Hilfe ihm Erleichterung geschafft hatte. Wenn aber die Gläubigen nur insoweit ihre Ruhe wiedererlangen, als Gott sie Befreiung erfahren lässt, welcher Raum bleibt dann noch für den Glauben, und welche Kraft haben die Verheißungen noch? Sicherlich bewährt sich doch der Glaube eben darin, dass wir in Sanftmut und Schweigen auf die Zeichen der Gunst Gottes warten, die er jetzt verhüllt. Dieser Glaube beweist aber überall seine Kraft und beruhigt das Gewissen und die Gedanken, damit der Friede Gottes, der höher ist denn alle Vernunft, den Sieg gewinne (Phil. 4, 7). Darum bleiben die Gläubigen ruhig an ihrer Stelle, wenn auch die ganze Welt ins Wanken kommt. Was bedeutet es also, wenn David jetzt davon spricht, dass seine Seele wieder zufrieden sein, oder zu Frieden und Ruhe zurückkehren soll? Ich antworte: wenn auch die Kinder Gottes auf- und abgetrieben werden, bleibt doch ihre Stütze in Gottes Wort, so dass sie nicht gänzlich fallen. Im Übrigen aber gilt: wie sehr sie auch im Vertrauen auf Gottes Verheißungen sich seiner Vorsehung übergeben, so leiden sie doch an Unruhe und müssen unter den Stürmen der Anfechtungen jämmerlich leiden. Sobald aber Gott ihnen hilft, behütet nicht nur innerer Friede ihr Gemüt, sondern sie gewinnen aus seinem offenbaren Gnadenerweis auch Anlass zu Heiterkeit und Freude. Von dieser zweiten Art der Beruhigung und des Friedens redet David nun hier und erklärt, dass es Zeit sei, gegenüber der noch vorherrschenden Unruhe in seiner Seele, sich in stiller Freude an Gott zu erquicken: denn der Herr tut dir Gutes. Dieses Gute bestand darin (V. 8), dass Gott ihn aus dem Tode riss und dadurch die Tränen aus seinen Augen wischte.
V. 9. Ich werde wandeln vor dem Herrn. Das bedeutet hier, dass er sein Leben unter Gottes Fürsorge wird führen dürfen. David hofft, dass er die Früchte der erfahrenen Rettung immer werde genießen können, wie denn nichts erwünschter ist, als dass Gott für uns wacht und unser Leben in seiner Hut birgt. Fühlen sich die Gottlosen nur sicher, wenn sie sich weit von Gott entfernen, so schätzen sich die Frommen glücklich durch dies eine, dass Gott ihr ganzes Leben leitet. David rühmt also, dass er am Leben bleiben werde, weil Gott seines Lebens Hüter ist. Denn, dass er im Lande der Lebendigen wandelt, deutet darauf hin, dass es um uns geschehen wäre und wir in jedem Augenblick zugrunde gehen müssten, wenn Gott unser vergessen würde.
10 Aus gläubigem Herzen kommt es, wenn ich rede. Ich werde aber sehr geplagt. 11 Ich sprach in meinem Zagen: Alle Menschen sind Lügner.
V. 10. Aus gläubigem Herzen kommt es, wenn ich rede usw. Noch einmal erinnert David daran, in welcher großer Gefahr er sich befand: er will dadurch das Wunder der Rettung in desto helleres Licht rücken. Er schickt aber voran, dass er aus aufrichtigem Herzen redet und nicht anderes vorbringt, als was er lange bedacht und recht erwogen hatte. Denn eben dies besagt unser Satz, der sich ganz buchstäblich etwa übersetzen ließe: „Treulich handle ich, indem ich rede.“ Der Zusammenhang erfordert den Sinn: Ich rede nichts anderes, als was ich in meiner Seele bedacht habe; das äußere Bekenntnis der Zunge stimmt mit der wahren Herzensempfindung überein. Während viele leichtsinnig herausschwätzen, was doch niemals wirklich in ihr Herz drang, will David sagen: Glaube doch niemand, dass ich unbedachte Übertreibungen auswerfe, wenn ich rede; ich glaube in Wahrheit, was ich sage. Wir entnehmen daraus die nützliche Lehre, dass der Glaube nicht tot im Herzen liegen kann, ohne sich auszusprechen. Denn der heilige Geist stellt uns hier eine heilige Verbindung zwischen dem Glauben des Herzens und dem äußeren Bekenntnis vor: was aber Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden. Darum verderben die Heuchler das ganze Gotteswort, wenn sie den Glauben am liebsten mit Finsternis bedeckten. Doch wollen wir uns gegenwärtig halten, dass den Kindern Gottes eben die Ordnung vorgeschrieben ist, welche David hier befolgt: sie sollen erst glauben und dann mit der Zunge bekennen. Wenn übrigens Paulus (2. Kor. 4, 13) diese Stelle zitiert, folgt der der griechischen Übersetzung: „Ich glaube, darum rede ich.“ Wir haben aber früher schon darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht die Absicht des Apostels war, jedes Wort und jede Silbe peinlich zu zitieren. Es muss genügen, dass Paulus den eigentlichen Sinn der Worte Davids richtig auf seinen Zweck anwendet.
V. 11. Ich sprach in meinem Zagen usw. David berichtet, dass die schwere Verwirrung seines Geistes ihn wie in einen Abgrund versenkt hat. Er gesteht, dass er beinahe alle Sammlung verloren habe. Bei seiner Aussage: „Alle Menschen sind Lügner“ denken manche an die Weissagung, die ihm durch den Propheten Samuel zuteil wurde. Sie nehmen an, dass er in seiner Hoffnungslosigkeit auch diese als eine Täuschung ansah. Andere finden den entgegengesetzten Sinn, dass David mit diesem Wort die Versuchung, mit der ihn der Satan zur Verzweiflung treiben wollte, überwand, indem er sich etwa sagte: „Du elender Mensch, was treibst du? In welchen Abgrund stürzt du dich? Du wagst doch nicht etwa, Gott der Lüge zu zeihen? Vielmehr: Er sei wahrhaftig, du selbst aber bist ein eitler, lügenhafter und treuloser Mensch!“ Ich möchte jedoch hier lieber eine allgemeinere Aussage finden: in der Verwirrung seines Geistes hat David sich unbesonnen in die Stricke Satans verwickelt, so dass ihm überhaupt nichts mehr als gewiss galt; dicker Nebel verhüllte ihm das Licht: „Es gibt nichts Gewisses und Festes; was soll ich glauben? Was soll ich hoffen? Wohin soll ich fliehen?“ Es geschieht ja nicht selten, dass die Gläubigen in dieser Weise mit sich selbst kämpfen und bei den Menschen keine Zuverlässigkeit mehr finden: weil eine Decke auf ihren Augen liegt und sie das Licht Gottes nicht sehen können, haften sie an der Erde, - bis sie sich endlich über die Himmel erheben und Gottes Wahrheit von neuem schauen lernen. Wie ich schon sagte, ist Davids Absicht, Gottes Gnade in jeder Hinsicht zu erheben: wenn er darum von seinen Versuchungen spricht, will er sich als der Hilfe Gottes unwert hinstellen; denn er hätte sich zusammennehmen und im Vertrauen auf die ihm gewordene Weissagung über jedes Misstrauen erheben müssen. Er sagt nun, dass er dies unterlassen habe, weil er in der Verwirrung seines Gemüts nur Eitelkeiten sah. Wenn nun David so schrecklich erschüttert war, was soll mit uns werden, wenn Gott uns nicht stützt und hält? Das alles zielt aber nicht darauf, dass die Gläubigen in Zweifel und Ungewissheit hinhängen, sondern vielmehr, dass sie Gott eifrig anrufen sollen. Wir sollen darauf gefasst sein, dass wir wacker streiten müssen: denn jene inneren Kämpfe scheinen unglaublich, bis man selbst vor die Entscheidung gestellt wird. Dabei ist doch festzuhalten, dass diese Erschütterung bei David nur eine vorübergehende war, indem er zweifelnd herumirrte, als er vergessen hatte, der Weissagung zu gedenken.
12 Wie soll ich dem Herrn vergelten? Alle seine Wohltaten kommen über mich. 13 Ich will den Kelch des Heils nehmen und des Herrn Namen ausrufen. 14 Ich will meine Gelübde dem Herrn bezahlen vor all seinem Volk.
V. 12. Wie soll ich dem Herrn vergelten? Schon ruft David bewundernd aus, dass er von einer unermesslichen Last göttlicher Wohltaten überschüttet ward, die er nicht alle erzählen kann. Die nachdrückliche Frage gibt zu verstehen, dass es ihm nicht an Eifer dafür fehlt, dass aber die Kraft nicht zureicht. Da er dies weiß, hält er sich an das, was übrig bleibt, nämlich dass er Gottes Gnade so hoch rühmt, wie er vermag. Er will etwa sagen: Ich wünschte wohl, meine Pflicht völlig tun zu können, aber indem ich ringsum schaue, finde ich nichts, womit ich vergelten könnte. Was die Worte angeht, so wäre buchstäblich zu übersetzen: „Alle seine Wohltaten sind bei mir.“ Das verstehen manche dahin, dass David dieselben immer im Gedächtnis behält. Andere ziehen mit dem griechischen Übersetzer zusammen: „Wie soll ich dem Herrn vergelten für alle seine Wohltaten?“ usw. Jedenfalls passt aber die Trennung besser. Nachdem Davids Frage festgestellt, dass er dem Herrn nicht hinreichend vergelten kann, ja dass ihm dafür alles abgeht, fügt er zur Bekräftigung hinzu, dass er sich nicht nur durch eine besondere Wohltat, sondern durch unzählige verpflichtet fühlt. Er will etwa sagen: Da es keine Art von Wohltaten gibt, durch welche mich Gott nicht an sich gebunden hätte, wie sollte ich ausreichende Fähigkeit zur Vergeltung haben? Da also jede Gegengabe ausgeschlossen ist, nimmt er seine Zuflucht zur Danksagung: denn es genügt dem Herrn vollständig, dass man sich damit löse. David gibt uns damit ein Beispiel, dass man Gottes Wohltaten nicht bloß obenhin und geschäftsmäßig betrachten darf: denn wenn man sie nach Gebühr schätzt, muss schon der Gedanke daran uns zur Bewunderung fortreißen. Es ist keiner von uns, den Gott nicht mit einer unermesslichen Last von Wohltaten überschüttet hätte: aber unsere Leichtfertigkeit zerstreut unsere Gedanken und lässt uns diese Lehre vergessen, die uns doch immer gegenwärtig sein müsste. Und doch ist Gottes Freigebigkeit gegen uns umso rühmenswerter, weil sie keine Gegengabe von uns erwartet, ja überhaupt nicht empfangen kann; bedarf er doch keines Dinges, während wir an allen Gütern arm und leer sind.
V. 13. Ich will den Kelch des Heils nehmen. Darin liegt eine Anspielung an die unter dem Gesetz gebräuchliche Sitte, dass man feierliche Danksagungen an den Herrn auch mit einem Mahl erstattete, wobei zum Zeichen der Freude ein heiliges Trankopfer ausgegossen wurde. Da dies nun das Symbol der Erlösung war, spricht David vom Kelch „des Heils“, buchstäblich „der Errettungen“. Dass er des Herrn Namen ausrufen, genauer eigentlich anrufen, will, deutet, auf den Lobpreis desselben, wie sofort der nächste Satz deutlicher sagt, dass er seine Gelübde in der Versammlung der Gläubigen bezahlen will: denn nur im Heiligtum durften Opfer dargebracht werden. Alles in allem: die Gläubigen brauchen sich nicht ängstlich zu fragen, wie sie sich von ihrer Verpflichtung loskaufen sollen, weil Gott Genugtuungen nicht begehrt. Er weiß, dass wir sie nicht haben, ist darum mit bloßer und einfacher Dankbarkeit zufrieden: die rechte Loskaufung besteht in dem Geständnis, dass wir ihm alles schuldig sind. Kommt uns aber Gott so gütig und freundlich entgegen, so wäre es eine umso abscheulichere Trägheit, wollten wir ihm nicht das Lob darbringen, welches er fordert. Des Sonnenlichts und des Lebensodems, vollends des Reichtums der ganzen Welt zu genießen ist derjenige mehr als unwürdig, der den Geber um diesen geringen Rechtsanspruch bringt. Da nun die gesetzlichen Zeremonien nicht mehr in Gebrauch sind, hat jenes Trankopfer, von dem David spricht, aufgehört; geblieben ist aber die geistliche Gottesverehrung, von der es in einem früheren Psalm (50, 23) hieß: „Wer Dank opfert, der preiset mich.“ Dabei wollen wir uns vergegenwärtigen, dass Gott unser schuldiges Lob nur dann empfängt, wenn wir nicht nur die Zunge, sondern uns selbst und alles, was in uns ist, ihm zum Opfer bringen, - nicht als hätte er davon irgendeinen Nutzen, sondern weil es sich ziemt, unsere Dankbarkeit auf diese Weise zu bewähren.
V. 14. Ich will meine Gelübde bezahlen. Es ist ein leuchtendes Zeichen standhafter Frömmigkeit, dass David in der Gefahr Gelübde getan hat. Nun zeigt er, dass er dieselben nicht vergessen hat, - wie ja die meisten Menschen, wenn Gottes Hand sie drückt, zwar im Augenblick ihn um seine treue Fürsorge anflehen, aber das Gedächtnis der erfahrenen Rettung alsbald begraben. Wenn aber der heilige Geist die wahre Gottesverehrung beschreibt, knüpft er mit gutem Grunde jene beiden Stücke unzertrennlich zusammen (Ps. 50, 15): „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen.“ Sollte es jemand ungereimt erscheinen, dass die Gläubigen durch Übernahme eines Gelübdes mit Gott verhandeln, um ihn sich günstig zu stimmen, so antworte ich: sie versprechen ihm das Opfer des Lobes nicht, um ihn wie einen sterblichen Menschen durch Schmeicheleien zu erweichen oder durch den angebotenen Lohn zu verpflichten. Hat doch David soeben bezeugt, dass sie keine Vergeltung beibringen können. Der Zweck und rechte Gebrauch der Gelübde ist also erstlich, dass die Kinder Gottes dadurch die Erhörungszuversicht ihrem Herzen versiegeln, sodann, dass sie sich desto mehr zur Dankeserstattung reizen. Gott hat seinen Kindern ein Gelübde freigestellt, um sie in ihrer Schwachheit zu stützen: der Vater erlaubt uns in seiner unendlichen Herablassung, ganz vertraut mit ihm zu handeln, - wenn nur das Gelübde den eben beschriebenen Zweck verfolgt. Man darf ja durchaus nichts unternehmen, was er nicht erlaubt hat. Es ist lächerlich, wenn die Papisten es verteidigen, dass man törichte und sinnlose Gelübde gedankenlos ausspeit: als ob Gott erlaubte, dass wir uns übernehmen, weil er zulässt, dass wir uns satt essen.
15 Der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten vor dem Herrn. 16 O Herr, ich bin dein Knecht; ich bin dein Knecht, deiner Magd Sohn. Du hast meine Bande zerrissen. 17 Dir will ich Dank opfern und des Herrn Namen ausrufen. 18 Ich will meine Gelübde dem Herrn bezahlen vor all seinem Volk, 19 in den Höfen am Hause des Herrn, in dir, Jerusalem. Hallelujah!
V. 15. Der Tod seiner Heiligen ist wert gehalten usw. Jetzt geht die Rede zu der allgemeinen Betrachtung über, dass Gott für die Frommen sorgt und ihnen in der Not hilft, weil ihr Leben vor ihm wertvoll ist. Mit diesem Schild will David sich gegen die Schrecken des Todes schützen, die ihn oft angegriffen, weil er meinen musste, er werde alsbald zugrunde gehen. Wenn Gott uns in solche Gefahren kommen lässt, beschleicht uns der Gedanke, dass er uns als einen wertlosen Besitz vernachlässige und unser Leben für nichts achte. Wir wissen auch, dass die Gottlosen, wenn sie uns von allem Schutz entblößt sehen, umso frecher gegen uns wüten, als ob Gott sich nicht um unser Leben oder Sterben kümmerte. Gegen ihre Laune stellt also David den Satz: dem Herrn sind seine Verehrer so viel wert, dass er sie nicht wie zufällig in den Tod wirft. Mögen wir eine Zeitlang allen Angriffen des Geschicks und der Menschen ausgesetzt sein, so sollen wir uns doch immer an den Trost halten, dass Gott einmal öffentlich beweisen wird, wie teuer ihm unsere Seelen sind. Wenn auch heute unschuldiges Blut vergossen wird und die Gottlosen frech ihr Haupt erheben, als könnten sie über Gott triumphieren, soll uns der Gedanke feststehen, dass der Tod der Gläubigen, den Menschen gleichgültig, ja als schmachvoll betrachten, vor Gott eine große Sache ist, so dass er endlich noch im Tode ihnen die Hand entgegenstrecken und durch schreckliche Exempel beweisen wird, wie verhasst ihm die Grausamkeit ist, die gute und einfältige Leute ungerecht bedrückt. Wenn er schon (Ps. 56, 9) deren Tränen zählt und in seinen Krug fasst, sollte er zulassen, dass ihr Blut unbeachtet vergossen wird? Es wird zu seiner Zeit Jesajas (26, 21) Weissagung erfüllt werden, dass die Erde das vergossene Blut offenbaren muss. Um aber der Gnade Gottes Raum zu geben, müssen wir uns mit dem Geist der Sanftmut rüsten. Denn das Wort, welches wir als „Heilige“ übersetzen, enthält auch eine Andeutung der Sanftmut der Gläubigen. Wir werden also erinnert, unsern Hals geduldig zu beugen, um das Kreuz zu tragen, und unsere Seele mit Geduld zu fassen (Luk. 21, 19).
V. 16. O Herr, ich bin dein Knecht. Wie David im vorigen Vers rühmte, dass Gott an seiner Person ein Beispiel der väterlichen Gunst gegeben habe, mit der er alle Gläubigen geleitet, so wendet er auch jetzt die allgemeine Lehre auf sich an: Du hast meine Bande zerrissen, weil ich zur Zahl deiner Knechte gehöre. Indem er von Banden spricht, vergleicht er sich mit einem Menschen, den der Henker an Füßen und Händen gebunden hat und dahinschleift. Wenn er seine Rettung darin begründet sieht, dass er ein Knecht Gottes war, so rühmt er damit durchaus nicht seinen Gehorsam, sondern richtet seine Gedanken vielmehr auf Gottes gnädige Erwählung. Es liegt ja durchaus nicht in unserer Hand, Knechte Gottes zu werden, sondern diese Würde kommt uns allein durch die Annahme zur Kindschaft zu. Darum sagt David auch nicht kurzweg: Ich bin dein Knecht, - sondern fügt hinzu: Deiner Magd Sohn. Er gibt damit zu verstehen, dass er diese Ehre schon von Mutterleibe an, ja noch ehe er geboren war, empfing. Darum stellt er sich als einen allgemeinen Spiegel aller vor, die sich dem Schutz des Herrn anvertraut haben: sie sollen nicht zweifeln, dass sie in seiner Hut wohlbehalten bleiben müssen.
V. 17. Dir will ich Dank opfern usw. David wiederholt noch einmal, was er von der Dankeserstattung, und zwar von der öffentlichen, gesagt hatte. Denn wir sollen unsere Frömmigkeit nicht bloß in verborgenen Gedanken vor Gott, sondern auch in öffentlichem Bekenntnis bei den Menschen bezeugen. Gewiss hat nun David sich mit dem übrigen Volk auch an den gesetzlichen Zeremonien beteiligt, welche, wie er wohl wusste, Gott nicht umsonst verordnet hatte: aber er blickt doch auf das eigentliche Ziel, auf das Opfer des Lobes und die Darbringungen der Lippen. Von (V. 19) den Höfen am Hause des Herrn spricht er, weil es damals nur den einzigen Altar gab, von welchem man sich nicht trennen durfte: dort sollten nach Gottes Willen die heiligen Zusammenkünfte gefeiert werden, in welchen die Gläubigen sich gegenseitig zur Übung der Frömmigkeit anleiten.
Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter