Calvin, Jean – Das Evangelium des Johannes - Kapitel 6.
V. 1. Darnach fuhr Jesus weg. Während Johannes sonst in der Regel solche Taten und Worte Jesu zusammenstellt, die von den anderen drei Evangelisten übergangen worden waren, wiederholt er hier einmal gegen seine sonstige Gewohnheit eine Wundergeschichte, die auch jene erzählt haben. Doch tut er das mit gutem Bedacht. Er will sie nämlich als Übergang zu der tags darauf in Kapernaum gehaltenen Rede benutzen. Das Wunder und diese Rede gehören eng zusammen. Die vorliegende Erzählung hat also, obgleich sie Johannes mit den ersten drei Evangelisten gemein hat, doch insofern wieder ihr Besonderes, als sie, wie wir sehen werden, einen anderen Zweck verfolgt, als dort. Die anderen erzählen, es sei dies geschehen bald nach dem Tode Johannes des Täufers; dies Ereignis ist, wie sie bemerken, der Anlass für Christum gewesen, sich zu entfernen. Er wollte dem Zorn des Herodes aus dem Wege gehen. Denn solche Gewaltherrscher pflegen ja maßlos weiter zu wüten, wenn sie einmal mit dem Blute der Heiligen sich befleckt haben, - gerade wie Trinker sich von ihrer Gier immer weiter treiben lassen. –
Als galiläisches Meer pflegt der See Genezareth bezeichnet zu werden. „Meer an der Stadt Tiberias“ heißt aber nur die Seite, welche wirklich dieser Stadt nahe lag.
V. 2. Es zog ihm viel Volks nach. Diese Begeisterung, hinter Jesu her zu ziehen, hatte darin ihren Grund, dass man, nachdem er seine Wunderkraft gezeigt hatte, ihn mit voller Überzeugung für einen großen, von Gott gesandten Propheten hielt. Übrigens übergeht der Evangelist hier einen Zug, den die anderen drei berichten, nämlich dass ein Teil des Tages über Lehren und Krankenheilen verstrich, und dass die Jünger, als die Sonne sich zum Untergang neigte, den Herrn baten, er möchte die Menge entlassen. Er ließ es dabei bewenden, die Hauptsache kurz vorzutragen, um für den nachfolgenden Bericht eine Anknüpfung zu gewinnen. Übrigens sehen wir hier zum ersten Male, wie sehr das Volk darauf brannte, Christum zu hören. Selbstvergessen erwarten sie alle an einem einsamen Ort sorglos die Nacht. Umso weniger gibt es eine Entschuldigung für unsere Schläfrigkeit oder vielmehr Gleichgültigkeit, wenn wir weit davon entfernt sind, über der himmlischen Lehre Christi die Sorge für die leibliche Sättigung zu vergessen, ja, wenn wir uns vielmehr durch die geringste Ablenkung schon unversehens von dem Gedanken an das ewige Leben abbringen lassen, ja wenn es sich ganz selten nur trifft, dass Christus uns einmal ganz frei und unbeschwert von der Welt und ihren mancherlei Zerstreuungen findet. Zu dem Berge in der Wüste Christo zu folgen hat niemand Lust, ja die wenigsten sind auch nur bereit, Christo zu lauschen, selbst wenn er zu aller Bequemlichkeit in ihr Haus käme. Wenn aber auch dieser unnatürliche, krankhafte Zustand fast in aller Welt der gleiche ist, so ist es dennoch gewiss: Niemand wird in das Reich Gottes hineinpassen, als der, welcher alles, was sonst den Menschen ergötzt, abschüttelt und es lernt, ein heißeres Verlangen zu tragen nach der Seelenspeise, als nach der Speise des Leibes. Aber unser Körper verlangt nun einmal die Befriedigung seiner Bedürfnisse; und da ist zu beachten, wie Christus aus freien Stücken die Sorge auf sich nimmt für solche, die sich selber in dieser Beziehung vernachlässigen. Er wartet nicht, bis sie in ihrem Hunger rufen: Wir gehen zugrunde, weil wir nichts zu essen haben! Wie oft erlebt man es, dass fromme Leute, die wirklich zum Reiche Gottes gehören, trotzdem von Hunger geplagt werden und beinahe verschmachten! Ich antworte darauf: in solchem Falle will Christus unseren Glauben und unsere Geduld auf die Probe stellen; und dabei sieht er doch vom Himmel her auf unsere Not und ist darauf bedacht, sie zu heben, soweit es uns gut ist. Und kommt er uns nicht flugs zu Hilfe, so hat er seine guten Gründe dabei, mögen wir sie auch nicht kennen.
V. 3 u. 4. Jesus aber ging hinauf auf einen Berg. Christus suchte ohne Zweifel die Zurückgezogenheit auf bis zum Osterfest. Deshalb heißt es, dass er sich mit seinen Jüngern auf einen Berg gesetzt habe. Doch hat er diesen Plan nur menschlicherweise gemacht; Gottes Plan, dem er dann willig gehorchte, war ein anderer. Obwohl Jesus den Anblick der Menschen floh, lässt er sich doch von Gottes Hand sozusagen auf eine von dichtem Menschengedränge besetzte Schaubühne führen. Das Gewühl auf dem einsamen Berge war dichter, als in mancher volkreichen Stadt; demgemäß war der Ruhm des Wunders, der bald weithin erscholl, größer, als wenn Jesus dabei auf dem Marktplatze von Tiberias gestanden hätte.
Sein Beispiel will uns lehren, dass wir, je nachdem sich die Dinge gestalten, unsere Pläne abzuändern haben. Geht es anders, als wir dachten, so muss es uns nicht schmerzlich sein, dass Gott, der alles nach seinem Willen lenkt, über uns ist.
V. 5 u. 6. Und spricht zu Philippus. Dieselbe Frage, die Jesus hier nun an Philippus richtet, hat er nach den Erzählungen der drei anderen Evangelisten an alle Jünger gerichtet. Es ist das nicht befremdlich. Wahrscheinlich hat Philippus im Sinner aller geredet, und da wendet sich denn Jesus, indem er alle meint, besonders an ihn. Ganz ebenso verhält es sich wieder mit der besonderen Erwähnung des Andreas (V. 8). In der Person des Philippus versucht Jesus die Jünger, ob sie wohl ein Wunder erwarten, wie sie es jetzt gleich erleben sollen. Da er sieht, dass sie auf dies außergewöhnliche Auskunftsmittel nicht verfallen, sucht er ihre gewissermaßen eingeschlafenen Gedanken aufzuwecken, dass sie doch wenigstens offene Augen bekommen, um zu sehen, was da ist. Die Äußerungen der Jünger haben nur den einen Zweck, Christum abzumahnen, dass er das Volk ja nicht bei sich behalte. Dabei haben sie wohl den Hintergedanken, es möchten ihnen sonst allerlei Unbequemlichkeiten erwachsen. Christus lässt sich deshalb auf ihre Einwürfe nicht ein, sondern bleibt bei dem, was er sich vorgenommen hat.
V. 7 bis 9. Zweihundert Groschen sind nach heutigem Geldwert ungefähr 150 Mark. Philippus wird gerechnet haben, dass 5000 Mann und dazu noch Weiber und Kinder zu speisen sein würden. Wäre ein Bäckerladen in der Nähe gewesen, so hätte also jedes sich etwa ein Zweipfennigsgebäck kaufen können. Auch Andres (V. 9) will im Gedanken daran, dass die Jünger arme und unbemittelte Leute waren, den Herrn von irgendwelcher Unternehmung abhalten: darum verweist er einerseits auf die ungeheure Menschenmenge, anderseits auf die Unzulänglichkeit der vorhandenen Mittel.
V. 10. Schaffet, dass sich das Volk lagere. Sicherlich war die Stumpfheit der Jünger, dass sie die von Jesus angeregte Hoffnung nicht freudig ergriffen, noch ihre Gedanken in gebührender Weise auf ihres Meisters Macht richteten, in hohem Grade tadelnswert. Jetzt aber verdienen sie ein nicht minder großes Lob wegen der Bereitwilligkeit, mit der sie sein Gebot befolgen, ohne zu wissen, was er beabsichtigt, oder was es für einen Nutzen haben soll, wenn sie das Volk sich lagern lassen. Auch das Volk gehorcht willig. Ohne zu ahnen, was es für einen Zweck hat, lagern sie sich auf das eine Wort Jesu hin, das ihnen die Jünger überbringen. Das ist eine rechte Probe darauf, ob Glaube da ist, wenn Gott die Menschen so im Dunkeln umhergehen lässt. Damit wir diese Probe bestehen, haben wir zu lernen, uns nicht selbst für klug zu halten, sondern auf einen glücklichen Ausgang zu hoffen, auch wenn alles verworren scheint. Folgen wir Gott als unserem Führer, dann werden wir es erleben, dass er uns nicht versäumt.
V. 11 u. 12. Dankte. Mehr als einmal hat uns Christus durch sein Beispiel gemahnt, so oft wir essen wollen, zuvor zu beten. Was Gott irgend zu unserem Nutzen bestimmt hat, das soll, als ein Sinnbild seiner unermesslichen Güte und seiner väterlichen Liebe zu uns, eine Aufforderung für uns sein, ihn zu preisen. Die Danksagung ist, wie Paulus das 1. Tim. 4, 4 ausspricht, gewissermaßen eine feierliche Heiligung alles dessen, was Gott uns beschert, wodurch wir beginnen, einen reinen Gebrauch davon zu machen. Daraus folgt, dass Leute, welche ihr Essen hinunterschlingen, ohne dabei Gott zu danken, mit gemeinen Händen die Gaben Gottes entweihen. Umso mehr ist auf diese Mahnung der Finger zu legen, als wir heutigen Tages gar viele nicht viel anders, als die unverständigen Tiere sich sättigen sehen. Wenn der Herr das Brot unter den Händen der Jünger sich mehren ließ, so lernen wir daran, dass Gott unsere Arbeit segnen wird, wenn wir einander dienen.
Was ist nun die Bedeutung dieses Wunders? Mit den anderen hat es das gemeinsam, dass in ihm Christus seine göttliche Kraft ausübte und zugleich eine Wohltat erwies. Es ist für uns auch eine Bestätigung seines Ausspruches: „Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes!“ worin er uns verspricht, dass uns dann alles Übrige hinzugefügt werden soll. Er hat hier die Sorge für solche übernommen, die nur dem augenblicklichen Antrieb folgend sich ihm angeschlossen hatten. Wie sollte er da sich uns entziehen, wenn wir beständig unser Herz auf ihn richten? Er wird bisweilen, wie schon gesagt, die Seinigen Hunger leiden lassen, sie jedoch niemals seiner Hilfe berauben. Er hat auch die besten Gründe, warum er uns dann nur zu allerletzt hilft. Noch eins: Christus hat hier kundgetan, dass er der Welt nicht nur geistliches Leben bringt; der Vater hat ihm auch die Ernährung des leiblichen Lebens übertragen. Eine Fülle von Gütern aller Art ist in seine Hand gelegt; durch seine Vermittlung soll diese Fülle sich auf uns ergießen. Er ist nicht nur der Kanal, durch den sie strömt, sondern vielmehr der lebendige Quell, der aus dem ewigen Vater hervorsprudelt. Deshalb erbittet Paulus vom Vater und von Christo für uns alles Gute (1. Kor. 1, 3). Ein andermal (Eph. 5, 20) lehrt er uns, allezeit für alles durch ihn Gott Dank zu sagen. Und dies Amt ist nicht nur seiner ewigen Gottheit eigen; der Vater hat ihn auch als Menschen für uns zu einem Verwalter bestellt, durch dessen Hand er uns weidet. Wenn wir nun auch nicht alle Tage mit unseren Augen Wunder schauen, so erzeigt uns doch Christus auch bei der Art, wie er jetzt uns weidet, nicht minder freundlich seine Macht.
Wir finden es auch nirgends geschrieben, dass er künftig, so oft er den Seinen etwas zu essen geben will, sich verpflichtet hätte, das auf dem Wege eines Wunders zu tun. Der Wunsch also, er möchte doch irgendwie auf ungewöhnlichem Wege uns Speise und Trank zukommen lassen, würde ein verkehrter sein. Bemerke noch, dass Christus dem Volke keine Leckerbissen vorgesetzt hat, sondern nur Gerstenbrot und gedörrten Fisch. Damit mussten sich die begnügen, welche Augenzeugen seiner Wunderkraft bei jenem Mahle sein durften. Sättigt er nun auch heutigen Tages nicht mehr fünftausend Menschen mit fünf Broten, so hört er doch nicht auf, die ganze Welt wunderbar mit Nahrung zu versorgen. Uns freilich geht das Schriftwort (5. Mo. 8, 3), dass der Mensch nicht vom Brot allein, sondern vom Worte Gottes lebt, schwer ein. Denn wir hängen uns derartig an die äußeren Mittel, dass es uns schwer wird, nur allein an Gottes Fürsorge zu hängen. So kann ja die furchtsame Unruhe nicht ausbleiben, wenn einmal das Brot nicht sofort zur Hand ist. Wer aber alles recht bedenkt, wird Gottes Segen auch in aller äußeren Nahrung sehen müssen. Doch durch ihre stetige Wiederkehr und unsere Gewöhnung schwächt sich der Eindruck dieser Wunder in der Natur ab. Schuld daran ist aber nicht bloß unsere Stumpfheit, sondern auch unsere Bosheit. Wie viele Menschen schweifen doch mit ihren irrenden Gedanken lieber hundertmal um Himmel und Erde, als dass sie ein einziges Mal auf den Gott blickten, der sich ihnen darbietet!
V. 13. Füllten zwölf Körbe mit Brocken. Als die viertausend mit sieben Broten gespeist worden waren, entsprach, wie Matthäus (15, 37) berichtet, die Zahl der Körbe mit dem Übriggebliebenen genau der Zahl der Brote. Hier reicht eine kleinere Anzahl Brote für eine größere Menschenmenge; und es bleibt ein fast noch einmal so großer Rest übrig. Daraus sehen wir besonders deutlich, wie viel der Segen Gottes vermag, vor dem wir so gerne die Augen verschließen. Kurz ist noch zu bemerken, dass Christus zwar mit seinem Befehle, die übrigen Brocken aufzuheben, zunächst das Wunder recht augenfällig machen will, dann aber auch die Seinen zur Sparsamkeit ermahnt, indem er sagt: dass nichts umkomme. Besondere Freigebigkeit Gottes soll ja für uns keine Verlockung zur Verschwendung abgeben. Wer also Überfluss hat, mag bedenken, dass er Rechenschaft davon ablegen muss, was er gemacht hat mit dem, was er für den eigenen Bedarf nicht nötig hatte; mit ruhigem Gewissen kann nur der an diese Rechenschaft denken, der seinen Überfluss so verwendet, wie es Gott gefällt.
V. 14. Da nun die Menschen usw. Es scheint hier ein wirklicher Erfolg des Wunders hervorzutreten. Sie nennen den, der es getan, den Messias, - und eben dies wollte ja Christus erreichen. Aber die erlangte Kenntnis Christi verwerten sie nun ganz anders, als wozu sie ihnen geschenkt ist. Wie häufig findet sich doch gerade diese Sünde unter den Menschen! Gott offenbart sich ihnen, aber alsbald verderben sie Gottes Wahrheit und stellen sie auf den Kopf. Man freut sich schon, dass sie auf dem rechten Wege sind, - aber ehe man es sich versieht, ist wieder alles beim Alten.
V. 15. Dass sie ihn zum Könige machten. Wenn jene Leute vorhatten, Christo königlichen Titel und Ehre zu geben, so hatte das in gewisser Weise ja seine Berechtigung. Nur das war ein grober Irrtum, dass sie meinten, sie seien die geeigneten Leute dazu, ihn zum Könige zu wählen. Das ist nach der Schrift (Ps. 2, 6) allein Gott vorbehalten, der da sagt: „Ich habe meinen König eingesetzt“. Ferner: was für ein Königtum meinen sie? Ein irdisches offenbar. Und das passt durchaus nicht zu Christo. Wir sollen daraus lernen, wie gefährlich es ist, in göttlichen Dingen unter Umgehung des Wortes Gottes irgendetwas mit dem eigenen Kopf ersinnen zu wollen. Mit Aufbietung alles unseres Scharfsinnes würden wir eine derartige Sache doch nur schlecht machen können. Was hilft es dann, den reinsten Eifer um Gottes Sache vorzuschützen? Wir treiben dann Götzendienst mit uns selber, und die Schmach, die wir Gott zufügen, ist schlimmer, als wenn wir mit Absicht und Bewusstsein uns gegen die Ehre Gottes erhöhen. Wir wissen, mit welcher leidenschaftlichen Wut die Feinde Jesu es immer wieder unternahmen, seinen Ruhm zunichte zu machen. Das war unfraglich ihre äußerste Kraftleistung, als er zum Kreuze abgeführt wurde. Doch ist dadurch der Welt das Heil erworben worden, und Christus selbst hat über Tod und Teufel einen großartigen Triumph gefeiert. Wenn er sich jetzt aber zum König hätte wählen lassen, so wäre es um sein geistliches Königtum geschehen gewesen; das ewige Evangelium wäre mit Schmach bedeckt worden, und mit der Hoffnung auf die Errettung wäre es ganz aus gewesen.
Alles Gottesverehrung nach eigenem Wahn und Gutdünken erreicht nur das, dass Gott seiner wahren Ehre beraubt und mit Unehre angetan wird. –
Merkwürdig ist hier das Wort „haschen“. Es deutet darauf hin, dass man Jesum durch gewaltsamen Überfall, ungeachtet seines Sträubens, zum Könige machen wollte. Wenn wir wünschen, dass ihm die Ehre gefalle, die wir ihm erweisen wollen, so müssen wir stets beachten, was er selbst verlangt. Leute, die dem Herrn selbsterdachte Ehren aufdrängen, tun ihm gewissermaßen Gewalt an, da doch die sichere Grundlage alles wahren Gottesdienstes der Gehorsam ist. Wir lernen außerdem hieraus, mit welcher heiligen Scheu man bei dem einfachen reinen Gottesworte bleiben muss, weil die Wahrheit, sobald wir auch nur ein klein wenig von ihr abweichen, mit unserem Sauerteige befleckt wird, sodass sie eben nicht mehr Wahrheit ist. Aus dem Worte Gottes entnahmen jene Leute die Lehre, dass der verheißene Erlöser König sein würde, - aber aus ihrem eigenen Kopfe taten sie hinzu: und zwar über ein weltliches Reich, - und: durch unsere Einsetzung. Wir haben nun einmal dem Worte Gottes keine eigenen Einfälle beizumischen. Möchten sich deshalb doch die Gläubigen an Bescheidenheit gewöhnen, damit Satan sie nicht zu einem glühenden Eifer von verkehrter Art mit fortreiße, in welchem sie schließlich wie die Himmelsstürmer der heidnischen Sage gegen Gott selber sich empören, der ja erst dann von uns recht verehrt wird, wenn wir ihn liebend umfassen, wie er sich in Christo uns darbietet.
In Staunen bringt uns übrigens die tollkühne Verwegenheit jener fünftausend Männer. Sie schrecken vor der geplanten Königswahl nicht zurück bei dem Gedanken daran, dass sie alsdann die Waffen des Pilatus und die gesamte Heeresmacht des römischen Reiches gegen sich haben werden. Ohne Zweifel wäre ein solcher Plan niemals in ihnen gereift, wenn sie nicht fest damit gerechnet hätten, nach den Aussprüchen der Propheten werde Gott selbst ihre Partei ergreifen und ihnen so den Sieg verschaffen. Ihr Irrtum bestand eben darin, dass sie von einem Reiche träumten, wie es die Schrift nimmermehr gemeint hatte. Zu solchen verkehrten Ansprüchen bietet aber Gott seine Hand nicht: vielmehr zieht sich Christus zurück. Ganz ähnlich war es im Papsttum, dessen Finsternis die Menschen nur darum so lange umfangen konnte, als wäre Gott nicht mehr vorhanden, weil sie seinen Dienst mit ihren frechen Erfindungen verunreinigt hatten.
V. 16. Am Abend aber gingen die Jünger hinab. Zweifellos wollte Christus sich verbergen, bis die Menge sich verlief. Bekanntlich ist es schwer, einen Volksaufruhr zu beschwichtigen. Hätte man Jesus öffentlich eine Krone aufs Haupt gedrückt, so wäre alsbald die Kunde von diesem Ereignis in alle Welt geeilt, und es würde schwer gehalten haben, den einmal aufgehefteten Makel zu beseitigen. Während seiner Verborgenheit hat Christus fortwährend gebetet. So berichten die anderen Evangelisten. Gegenstand dieses Gebets wird wohl gewesen sein: „Vater im Himmel, lenke du den Sinn dieses Volkes“. Das wunderbare Wandeln auf dem Meere soll den erschütterten Glauben der Jünger von neuem befestigen. Aber es hatte auch noch weiter den Erfolg, dass das Volk am nächsten Tage merken musste, wie Jesus nicht mit einem Fahrzeug, sondern durch seine Wunderkraft herüberkam. In der Hoffnung, dass er zum Strande kommen werde, um abzufahren, bewachten sie denselben und würden schwerlich diesen Posten verlassen haben, wenn sie nicht gesehen hätten, wie die Jünger übersetzten.
V. 17 u. 18. Es war schon finster worden. Viele einzelne Umstände übergeht Johannes, welche in den anderen Evangelien angegeben sind, so auch den, dass die Jünger einige Stunden lang mit Gegenwind zu kämpfen hatten. Wahrscheinlich brach der Sturm los, als es eben finstere Nacht geworden war. Christus aber erschien, wie die anderen Evangelien berichten, den Jüngern erst um die vierte Nachtwache, also im letzten Viertel der Nacht. Diejenigen, welche annehmen, sie hätten sich damals, als Christus zu ihnen kam, mitten auf dem See befunden, - weil Johannes sagt, sie seien damals fünfundzwanzig oder dreißig Stadien weit vorwärts gekommen, - gehen von der irrigen Voraussetzung aus, es handle sich um eine Überfahrt zum jenseitigen oder gegenüberliegenden Ufer. Das ist nicht der Fall, denn nach dem Zeugnis des Lukas (9, 10) lag in der Nähe des Ortes, an welchem das Wunder geschehen ist, Bethsaida; diese Stadt aber liegt, ebenso wie Kapernaum, wo das Schiff landete, am westlichen Ufer. Nach alten Berichten ist der See sechs römische Meilen breit, sechzehn lang oder: vierzig Stadien („Feldwegs“) breit, hundert lang. Diese Berichte stimmen nicht recht überein, da auf eine römische Meile acht Stadien gehen.1)
Was nun die Fahrt der Jünger anbelangt, so haben sie die angegebene Strecke nicht in gerader Linie, sondern, von den Wellen hin- und hergeworfen, ausgeführt. Wie es ihnen auch ergangen sein mag, jedenfalls wollte der Evangelist sagen: sie haben sich gerade, als Christus sich zeigte, in der größten Gefahr befunden. Befremdlich könnte es erscheinen, dass die Jünger Christi solche Angst durchmachen müssen; haben doch andere eine ruhige Seefahrt. Gewiss! Aber der Herr übt häufig die Seinen in ernsten Gefahren, damit sie, wenn er sie wieder befreit hat, ihn umso besser und inniger als ihren lieben Herrn erkennen.
V. 19 bis 21. Sie fürchteten sich. Als Grund für diese Furcht geben die anderen Evangelisten an, dass sie die Erscheinung für ein Gespenst hielten. Dann ist es freilich sehr begreiflich, wenn uns Angst und Bestürzung überfällt. Bietet sich unseren Augen ein Gespenst dar, so überlegen wir: entweder verspottet dich Satan, oder aber Gott will dir etwas Wichtiges ankündigen. Übrigens hält uns Johannes hier den Spiegel vor, was für eine Kenntnis Christi zustande kommt, abgesehen von Gottes Wort, und was sie mit sich bringt. So lange Gott uns eine bloße Erscheinung seines Wesens zeigt, stellen sich alsbald unsere Wahngebilde ein, und unsere Phantasie macht Christum zum Gespenst. Solchen Irrwegen unseres Denkens aber folgen das Zittern und die Verwirrung des geängstigten Herzens auf dem Fuße.
Es wird anders, sobald Christus zu reden anfängt. Dann bekommen wir deutlichen, zuverlässigen Bescheid, mit wem wir es zu tun haben, und helles Licht der Freude und des Friedens ergießt sich in unsere Gedanken. Die Worte wiegen schwer (V. 20): Ich bin es; fürchtet euch nicht! Sie lehren uns, dass wir nur in seiner Nähe guten Mutes, ruhig und sorglos sein dürfen. Freilich gilt das nur für Jünger Christi. Denn als er später (18, 6) zu den Gottlosen sagt: Ich bin es! – da stürzen sie bei den nämlichen Worten zu Boden. Der Grund für die verschiedene Wirkung dieser kurzen Worte liegt darin, dass er für die Verworfenen und Ungläubigen der ihnen zum Verderben gesandte Richter ist; so können sie denn seinen Anblick nicht ertragen, und es ist, als täte sich schon der Abgrund unter ihnen auf. Die Frommen dagegen, in dem Bewusstsein, dass ihnen Christus als Versöhner begegnet, brauchen nur seinen Namen zu hören, der ihnen das gewisse Unterpfand der göttlichen Liebe und des Heils ihrer Seele ist, um alsbald, wie vom Tode zum Leben erweckt, von Mut erfüllt zu werden und fröhlich aufzuschauen, als träte der blaue Himmel aus dunklem Gewölk hervor. Jesu Name gibt ihnen ein friedliches Wohnen hienieden; er macht sie zu Überwindern in allem Leid und schützt sie gegen jede Gefahr. Übrigens richtet Jesus seine Jünger nicht nur mit trostreichem Zuspruch, sondern auch mit kräftiger Hilfe auf, indem er den Sturm sich legen heißt.
V. 22. Des anderen Tages. Hier führt der Evangelist die Umstände an, aus denen das Volk abnehmen konnte, dass Jesus auf wunderbare Weise herübergekommen war. Hier führt der Evangelist die Umstände an, aus denen das Volk abnehmen konnte, dass Jesus auf wunderbare Weise herübergekommen war. Nur ein Schiff war dagewesen. Das war vor ihren Augen ohne ihn abgefahren. Am anderen Tage kommen von anderswoher Schiffe, auf denen sie nach Kapernaum fahren. Dort finden sie ihn. Folglich bleibt keine andere Lösung des Rätsels übrig als die: es ist abermals ein Wunder geschehen. Der Satzbau ist bei unserem Verse etwas verwickelt, doch ist der Sinn trotzdem leicht zu verstehen.
Zweierlei wird ausgesagt: einmal, dass nur ein einziges Schiff dagewesen sei, dass es vor den Augen des Volkes dort vom Strande stieß, und dass Jesus nicht darin saß, sodann noch, dass von Tiberias her Schiffe gekommen sind, mit denen das am Ufer lagernde Volk, das dort alle Ausgänge bewacht hielt, damit Jesus nicht entschlüpfe, nach Kapernaum fuhr.
V. 23 u. 24. Noch einmal erinnert der Evangelist daran, dass das Speisungswunder durch des Herrn Danksagung geschehen war. Christi Gebet also hat bewirkt, dass von diesen wenigen Broten so viele Menschen satt werden konnten. Daran werden wir um unserer Kälte und Gebetsträgheit willen zweimal erinnert.
V. 25. Jenseits des Meeres. Wir sagten vorhin, dass die Speisung nicht auf dem Kapernaum gerade gegenüberliegenden Ufer stattgefunden habe. Vielmehr kann der Ausdruck „jenseits“ auch so verstanden werden, dass er von der Gegend bei Tiberias aus auf Kapernaum zielt. Tiberias liegt an der breitesten Stelle des Sees, nördlicher folgt Bethsaida, endlich im äußersten Winkel, nahe beim Jordaneinfluss, Kapernaum. Weil nun der See am nördlichen Ende ein vielgekrümmtes Ufer hatte, und man den zwischenliegenden Busen nur auf großen Umwegen umgehen konnte, kann man volkstümlicher weise wohl vom „jenseitigen“ Ufer sprechen: den kürzesten Weg, der zugleich der übliche war, konnte man nur zu Schiffe machen.
V. 26. Jesus antwortete ihnen. Eine Antwort ohne Bezug auf die ihm gestellte Frage. Er weist sie nicht hin auf die in dem letzten Wunder wiederum offenbarte Macht. Nein, er tadelt sie vielmehr, dass sie so unbedacht auf ihn losstürzen. Der tieferliegende Grund seines Tuns entging ihnen gänzlich. Das kam davon, dass sie bei Christo etwas anderes suchten, als Christum selbst. Als ihr Fehler wird deshalb hervorgehoben, dass sie Christum des Bauches, nicht der Zeichen wegen suchen. Indes ist dabei nicht zu bestreiten, dass sie gerade mit Rücksicht auf die Wundertat am vorigen Tage sich zu ihm aufgemacht haben, ja der Evangelist hat sogar (V. 2) ausdrücklich gesagt, durch die Zeichen seien sie bewogen worden, Christo zu folgen. Und dennoch besteht der ihnen gemachte Vorwurf zu Recht, denn sie machten von den Wundern einen Gebrauch, für den sie durchaus nicht da waren; sie sind mehr auf die Sättigung des Leibes, als auf die Zeichen bedacht. Jesus will sagen: Ihr macht nicht die Fortschritte in den Werken Gottes, die man von euch verlangen muss! Der rechte Fortschritt wäre gewesen, dass sie von Christo als dem Messias sich weiter lehren und leiten ließen, um unter seiner Führung zum Himmelreich zu streben. Sie spannen aber ihre Erwartungen nicht höher, als auf ein bequemes Wohlleben in dieser Welt. Das aber heißt Christum seiner hauptsächlichen Kraft berauben.
Der Vater hat ihn uns deshalb gegeben, und er hat sich deshalb den Menschen offenbart, weil er uns mit dem Geiste Gottes beschenken und zum göttlichen Ebenbilde erneuern sollte. Die so erneuerten Menschen wollte er dann, angetan mit dem Kleide seiner Gerechtigkeit, ins ewige Leben führen. Es ist also nicht etwa nebensächlich, worauf wir bei den Wundern Christi schauen. Wer sich nicht nach dem Reiche Gottes sehnt, sondern an den Vorteilen des gegenwärtigen Lebens hängen bleibt, der sucht nichts anderes, als leiblich satt zu werden. Wir gern würden in unseren Tagen viele das Evangelium annehmen, wenn sie von des Kreuzes Bitterkeit verschont blieben und nur dem Fleische Angenehmes dadurch gewinnen würden! Wer aber in Wahrheit Christum sucht, muss mit Verachtung etwaiger weltlicher Nebenvorteile vor allem nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit trachten.
Übrigens gebraucht Christus hier zweimal, wie das seine Art war, das Beteuerungswort: Wahrlich! Weil diese Leute, wie es ja in der Regel ist, die beste Meinung von sich selber hatten und sich einredeten, dass sie Christum nur in der allerbesten Absicht suchten, so will er mit dieser gewichtigen Beteuerung, als mit einem Eide, den unter heuchlerischem Schein versteckten Fehler aus dem Dunkel ans Licht hervorziehen.
V. 27. Wirket Speise usw. Damit zeigt der Herr, worauf seine Nachfolger ihr Trachten zu richten haben, nämlich auf das ewige Leben. Stumpf wie wir sind, hangen wir immer an irdischen Dingen. Deshalb sucht er zunächst dies uns angeborene Gebrechen zu heilen. Danach zeigt er uns, was wir tun sollen.
Ganz einfach hätte seine Lehre gelautet: Wirkt unvergängliche Speise! Aber er wusste, wie wir Menschen uns von irdischen Sorgen herunterziehen lassen. Deshalb heißt er sie erst sich von diesen Fesseln los machen, damit sie dann in den Himmel hinaufsteigen können. Nicht als hielte er die Seinen von der Arbeit ab, durch die sie sich den täglichen Lebensunterhalt verschaffen müssen. Aber er ermahnt sie, das irdische Leben hinter das himmlische zurückzustellen: ist doch für einen gläubigen Christen dies der einzige Sinn des Lebens, dass wir auf diesem irdischen Pilgerwege zum himmlischen Vaterlande eilen. Wohl zu beachten ist der Zusammenhang: da man mit der Sorge für den Leib und das Irdische die Sendung Christi verfälschen wollte, so zeigt er, was bei ihm zu suchen ist und weshalb man ihn aufsuchen muss.
Die bildliche Einkleidung seiner Rede entnimmt er dem, was sich zugetragen hat. Wäre von Speise keine Rede gewesen, dann hätte er unbildlich gesagt: Ihr müsse euch weltlicher Sorge entschlagen und nach dem himmlischen Leben emporstreben! Aber diese Menschen waren ja wie Tiere, die zur Krippe laufen. So ergibt sich leicht die Speise als Bild für das neue Leben. Die rechte Weide für unsere Seelen ist ja die durch den Geist in uns wirksam gemachte Lehre des Evangeliums. Deshalb wird, da der Glaube das Leben der Seele ist, alles, was den Glauben nährt und fördert, mit einer Speise verglichen. Diese Art Speise bezeichnet Jesus als unvergänglich und sagt, sie bleibe ins ewige Leben hinein. Wir sollen wissen, dass durch die Lehre Christi unsere Seelen nicht nur knapp auf einen Tag Speise zugemessen bekommen, sondern auferzogen werden zur Hoffnung auf selige Unsterblichkeit. Das Werk der Rettung beginnt der Herr, um es zu vollführen bis an den Tag Christi. Deshalb kommt es uns zu, die Gaben des Geistes als Unterpfänder des ewigen Lebens anzusehen. Die Verworfenen genießen wohl auch diese Nahrung, speien sie aber wieder aus; dann kann freilich nichts davon in ihnen bleiben. Gläubige Seelen aber verspüren die andauernde Kraft dieser Ernährung. Sie merken, dass die Kraft des Geistes in seinen Gaben nicht im Mindesten schwächer wird, sondern im Gegenteil niemals nachlässt. Wertlose Spitzfindigkeit ist es, wenn man aus dem Worte „Wirket!“ die Schlussfolgerung macht: also müssen wir das ewige Leben mit Werken verdienen. In bildlicher Redeweise, wie schon gesagt, ermahnt Christus die Menschen, ihrer sonstigen Gewohnheit zuwider doch ihren Eifer an das Streben nach dem Himmelreich zu wenden. Obendrein nimmt er selber jedes Bedenken, wenn er bezeugt, er „gebe“ diese Speise. Erlangen wir sie dadurch, dass er sie uns schenkt, so ist es eben ausgeschlossen, dass man sie sich durch eigenen Fleiß erwirbt. Es liegt ja ein gewisser Anschein von Widerspruch in diesen Worten. Derselbe löst sich jedoch leicht. Christi Gabe und des Menschen Tun gehören insofern zusammen, als die geistliche Speise unserer Seele gewiss eine von der freien Gnade Christi uns dargereichte Gabe ist, wir jedoch, um dieses großen Gutes teilhaftig zu werden, mit herzlichem Verlangen danach streben müssen.
Denn den selbigen hat Gott der Vater versiegelt. Eine Bestätigung zu dem unmittelbar vorhergehenden Spruche. Was man als richtig und gewiss bezeugen will, bekräftigt man mit einem Siegel. Wenn nun Christus sagen will, dass er sein Amt sich nicht selbst angemaßt, sondern dass es ihm der Vater übertragen hat, so erklärt er mit großem Nachdruck, dass diese Verfügung des Vaters wie mit einem öffentlichen Siegel bekräftigt vorliege. Alles in allem: da durchaus nicht jeder beliebige imstande ist, die Seelen mit unvergänglicher Nahrung zu speisen, so tritt Christus hervor und spricht es aus: „Ich gebe euch diese Speise!“ wobei er noch bemerkt, Gott habe gerade ihn in dieser Beziehung bestätigt und habe ihn, die Urkunde darüber mit dem zugehörigen Siegel in der Hand, den Menschen zugesendet. Daraus folgt, dass diejenigen keine Enttäuschung erleben können, die ihre Seelen Christo mit dem Wunsche übergeben, dass er sie nähren möge. Wir dürfen wissen, dass wir in Christo das Leben nicht versuchsweise, sondern mit völliger Gewissheit greifen können. So lautet Gottes Urkunde, welche man verfälscht, wenn man neben Christo noch andere Mittler des Heils und Lebens aufstellt. Wir aber wollen Christo ungeschmälert lassen, was der Vater ihm übertragen hat.
V. 28. Was sollen wir tun? Das Volk verstand ganz gut, dass Christus sie ermahnt hatte, die Gedanken höher hinaufgehen zu lassen, als nur auf irdische Lebensgüter. Die Gott anders wohin ruft, dürfen sich nicht auf der Erde häuslich einrichten. Doch tritt in der Frage hervor, dass die Fragesteller ziemlich verständnislose Leute sind; sie haben keine Ahnung davon, was Christus mit dem „Wirken“ gemeint hat. Das können sie sich nicht denken, dass Gott uns durch seinen Sohn schenkt, was zum geistlichen Leben nottut. Zunächst fragen sie, was sie selbst tun sollen. Wenn sie dabei noch etwas von Gottes Werken einflechten, so ist das planloses Gerede. Doch verraten sie dadurch, dass sie von der Gnade Gottes nichts wissen. Anscheinend wollen sie gegen Christum aufbegehren: Du beschuldigst uns ohne allen Grund! Wir bekümmerten uns nicht um das ewige Leben? Ist das wirklich deine Meinung? Dann höre: Wir tun längst, was du uns befiehlst, ja, mehr als das! – Unter Gottes Werken sind solche zu verstehen, die Gott fordert, und die ihm gefallen.
V. 29. Das ist Gottes Werk, dass ihr glaubt. Von Werken hatten sie gesprochen; Christus richtet ihre Gedanken nur auf das eine Werk, dass sie glauben sollen. Er sagt damit: alle Bemühungen der Menschen, allein den Glauben ausgenommen, sind völlig nutzlos. Dagegen ist auch der Glaube, weil Gott nur ihn fordert, ganz allein ausreichend. Ein zwar nicht ausgesprochener aber dennoch beabsichtigter Gegensatz liegt unserer Stelle zu Grunde. Es ist der zwischen dem Glauben auf der einen und den Bestrebungen und Unternehmungen der Menschen auf der anderen Seite. Christus will sagen: Wenn die Menschen ohne Glauben Gott zu gefallen suchen, so ist das geradeso vergeblich, als wenn man außerhalb der Rennbahn das Ziel des Wettlaufens erreichen will. Unsere Stelle enthält somit eine besonders wertvolle Belehrung darüber, dass die Menschen, mögen sie sich gleich ihr Leben lang elendiglich abquälen, sich doch ganz vergeblich bemühen, so lange sie nicht den Glauben an Christum zur Richtschnur des Lebens machen.
Übrigens darf man die Wahrheit, dass der Glaube ein Geschenk Gottes ist, nicht auf unsere Stelle gründen. Sie redet nicht von dem, was Gott in uns wirkt, sondern was er von uns haben will. Aber ist es denn nicht der reine Unsinn, zu sagen, Gott suche nur Glauben? Die Liebe darf doch nicht verachtet werden, und auch die anderen Erweisungen der Frömmigkeit dürfen doch ihren Ehrenplatz nicht einbüßen? Sicherlich nicht! Mag auch der Glaube an die Spitze zu stellen sein, - das andere wird dadurch nimmermehr überflüssig. Wie lässt sich auf die gestellten Fragen antworten? Nun, einfach so: der Glaube schließt die Liebe nicht aus, noch irgendein gutes Werk, denn er beschließt ja alles in sich. Der Glaube heißt das einzige von Gott geforderte Werk, weil wir durch ihn Christum haben und so Kinder Gottes werden, die sich von seinem Geiste regieren lassen wollen. Christus scheidet eben den Glauben und seine Früchte nicht voneinander; er sieht in ihm alles, das Ganze und die Teile, das Große und das Kleine. Wollen wir die Kraft des Glaubens recht ermessen, so müssen wir scharf ins Auge fassen, was Christus ist, auf den sich der Glaube richtet, und warum er uns vom Vater gegeben ward. Widerliche Sophisterei ist es, wenn auch unsere Stelle für die Lehre von der Rechtfertigung aus den Werken ausschlachten will, indem man darauf hinweist, dass ja hier der Glaube als das erste Werk bezeichnet würde. Allerdings legt hier Christus dem Glauben den Namen „Werk“ bei, aber ganz offenbar nur in uneigentlichem Sinne; in solchem Sinne redet auch Paulus, wenn er (Röm. 3, 27) das „Gesetz“ des Glaubens mit dem Gesetz der Werke vergleicht. Und wenn wir sagen, der Mensch wird nicht durch die Werke gerechtfertigt werden, so meinen wir damit Werke, durch deren Verdienstlichkeit man sich Gnade bei Gott erwirbt: doch der Glaube bringt kein Verdienst vor Gott, er stellt den Menschen nur leer und hilflos vor ihn hin, damit er von Christo und von der göttlichen Gnade erfüllt werde. Ein tätiges Werk ist somit der Glaube nicht, sondern, wenn ich so sagen darf, ein „leidendes“ oder empfangendes Werk, für welches keinerlei Entgelt gezahlt werden kann. So bringt er dem Menschen keine andere Gerechtigkeit als die, welche er von Christo empfängt.
V. 30. Was tust du für ein Zeichen? Diese schmähliche Frage legt ein kräftiges Zeugnis ab für die Wahrheit des Wortes Jesu (Mt. 12,39): „Diese böse Art sucht ein Zeichen“. Sie hatten über die Zeichen gestaunt. Das zog sie gleich anfänglich zu Christo. Im Staunen über ein neues Zeichen bekennen sie, dass Jesus der Messias ist, und wollen ihn im Glauben daran zum Könige machen. Jetzt fordern sie ein Zeichen, als wäre er ein unbekannter Mensch! Woher diese schnelle Vergesslichkeit? Sie sind voll Undank gegen Gott; sie sind aus Bosheit blind gegen die Betätigung seiner Macht. Ohne Zweifel verschmähen sie alle bisher gesehenen Wunder nur aus dem Grunde, weil Christus sich ihren Wünschen nicht fügt. Sie finden in ihm einen anderen, als sie sich eingebildet hatten. Hätte er ihnen auf irdisches Glück Hoffnung gemacht, so hätte es ihm nie an ihrem Beifall gefehlt. Ohne sich lange zu besinnen, hätten sie ihn begrüßt als den Propheten, den Messias, den Sohn Gottes. Das alles ist aus und vorbei, sobald er sie um ihrer fleischlichen Gesinnung willen tadelt. Wie viele machen es in unseren Tagen gerade so! Anfänglich nehmen sie das Evangelium mit Begier an, - sie wiegen sich in die angenehme Hoffnung ein, Christus werde es mit ihren Sünden nicht so genau nehmen. Unerwünscht ist ihnen jede nähere Prüfung. Und will man sie gar zur Verleugnung ihres alten Menschen und zum Tragen des Kreuzes Christi aufrufen, so ist es alsbald mit ihren Glauben zu Ende. Dann fragen sie: woher stammt eigentlich das Evangelium? Sobald Christus nicht auf ihre Wünsche eingeht, ist er ihr Meister gewesen.
V. 31. Unsere Väter haben Manna gegessen. So hat denn Christus mit kundigem Finger den Sitz des Übels berührt, als er sagte, sie kämen wie unverständige Tiere, die nichts Höheres wissen, als ihren Magen zu füllen. Dass dieser Tadel kein zu derber ist, zeigt sich hier, wo sie einen Messias verlangen, der ihnen für Essen sorgt. Und wenn sie die Gnade Gottes bei dem Manna hoch preisen, so haben sie dabei den arglistigen Hintergedanken: sie wollen den Tadel Christi zunichtemachen, als trachteten sie übermäßig nach vergänglicher Speise. Es ist nichts Geringes, wonach sie trachten, es ist etwas Hohes. Hat doch in der Schrift das Manna den schönen Namen „Himmelsbrot“. So ihre Gedanken. Doch was ist der Grund, dass der heilige Geist dem Manna einen solchen Ehrennamen gibt? Ist das etwa das Beste, was Gott seinem Volke zu geben vermag? Doch gewiss nicht. Er stellte ja sein Volk sonst in eine Reihe mit einer Herde Schweine, die sich sehr wohl fühlt, wenn sie nur satt ist. Es bleibt ihnen also keine Entschuldigung, wenn sie die göttliche Speise der Seele, welche ihnen Gott gegenwärtig anbietet, als gottlose Verächter zurückweisen.
V. 32. Moses hat euch nicht das Brot vom Himmel gegeben. Christus scheint hier die Psalmstelle, die man ihm entgegenhielt (78,24), nicht gelten zu lassen. Aber er redet doch nur vergleichsweise. Himmelsbrot wird das Manna genannt, während es doch nur dazu diente, das Leibesleben zu nähren. Für wirkliches, recht eigentliches Himmelsbrot ist indes anzusehen, was die Seele geistlich ernährt. Jesus stellt hier Welt und Himmel gegenüber, da unvergängliches Leben nur im Reiche Gottes zu suchen ist. Übrigens handelt es sich an unserer Stelle nicht um den sonst geläufigen Gegensatz von Wahrheit und Sinnbild: Christus denkt einfach an den wahren Inhalt des menschlichen Lebens, durch welchen sich dasselbe über das bloß tierische Leben erhebt. Wenn er fortfährt: mein Vater gibt euch das rechte Brot vom Himmel, so will dies besagen: das Manna, das durch Mose euren Vätern gegeben worden ist, hat euch nicht das himmlische Leben gebracht; jetzt aber wird euch himmlisches Brot angeboten. Nennt Jesus hier den Vater als Spender dieses Brotes, so denkt er sich selbst doch als den Vermittler. So bezieht sich also die Gegenüberstellung nicht auf Moses und Gott, sondern auf Moses und Christus. Christus aber nennt als den Urheber dieser Gabe lieber den Vater, als sich, um in den Herzen des Volkes desto mehr Ehrfurcht zu erwecken. Er will sagen: Seht in mir den Diener Gottes, durch dessen Hand Gott eure Seelen für das ewige Leben speisen will! Anscheinend stimmt das mit der Lehre Pauli wenig überein. Paulus nennt nämlich (1. Kor. 10, 3) das Manna eine geistliche Speise. Wie ist es damit? Antwort: Christus richtet sich nach der Fassungskraft derer, mit welchen er spricht. Etwas Derartiges trifft man mehr in der Schrift. Wie verschieden z. B. äußert sich Paulus über die Beschneidung! Wenn er von ihrer Einsetzung handelt, dann gesteht er ein: sie ist ein Siegel für den Glauben! Wenn er dagegen mit den falschen Aposteln im Kampfe liegt, dann macht er sie eher zum Siegel des Fluches, - er geht eben dabei auf ihre Gedanken ein. Erwägen wir, welche Zumutung an Christum gestellt worden war: Schaff uns Brot! Tust du das nicht denen zu Gefallen, die dir anhangen, so hat dein Messiastum die Probe nicht bestanden! Das war die Sachlage. Und deswegen betont Jesus nicht die wahre sinnbildliche Bedeutung des Manna, sondern leugnet einfach, dass ein Brot, welches nur zur Speise des Bauches diente, das wahre Himmelsbrot gewesen sei.
V. 33. Denn dies ist das Brot Gottes. Himmelsbrot ist das, welches vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. Das Manna hat solchen Gehalt nicht, - folglich war es nicht das Himmelsbrot. Dies ist Jesu Gedankengang. Dabei behauptet er zugleich noch einmal, dass er selbst es ist, den der Vater gesandt hat, um eine viel besser Speise zu bieten, als Moses geben konnte. Das Manna kam vom sichtbaren Wolkenhimmel herab, - nicht aus dem ewigen Gottesreiche, aus dem für uns das Leben hervorquillt. Die Gedanken der Juden, mit denen Christus redet, gingen nicht höher, als auf die leibliche Speise, an der sich die Väter weidlich hatten satt essen dürfen. Demgegenüber spricht Jesus jetzt vom „Brot Gottes“ in demselben Sinne, wie soeben vom Himmelsbrot.
Auch das Brot, mit dem wir unser zeitliches Leben erhalten, stammt ja von Gott. Trotzdem ist wahrhaft göttliches Brot erst ein solches, das unsere Seele für die selige Unsterblichkeit ernährt. Übrigens lehrt diese Stelle, dass die ganze Welt für Gott tot ist, außer soweit Christus sie lebendig macht; denn nur in ihm findet sich wahres Leben. Bei dem Herabkommen vom Himmel ist zweierlei zu beachten: einmal, dass wir in Christo göttliches Leben haben, weil er von Gott ausgegangen ist, um der Stifter unseres Lebens zu werden, - ferner, dass uns nun das himmlische Leben nahe ist, wir also nicht danach über die Wolken emporzufliegen, noch über das Meer hinüberzufahren brauchen. Niemand konnte in den Himmel hinaufgelangen. Eben deswegen kam Christus zu uns herab.
V. 34. Gib uns allewege solch Brot. Das sagen sie nur im Spott über Christi angeblich hohle Prahlerei, dass er Lebensbrot zu geben versprach. Unglückliche Menschen! Nicht genug, dass sie die Verheißungen Gottes verachten, - sie geben auch noch dazu nicht sich, sondern Christo die Schuld an ihrem Unglauben.
V. 35. Ich bin das Brot des Lebens. Zunächst behauptet Jesus in ruhiger Lehre, dass das Brot, welches man spöttisch forderte, allerdings gegenwärtig sei. Erst dann wendet er sich zum Tadel. Die vorausgeschickte Lehre soll das ungläubige Volk nachdrücklich von seiner Undankbarkeit überführen.
Jesus zeigt ein Zwiefaches: einmal, wo das Leben zu haben ist, und dann, wie wir uns in seinen Besitz bringen. Die bildliche Einkleidung der Rede, die für das volkstümliche Verständnis wirksamer ist, als eine gedankenmäßige Auseinandersetzung, ergab sich aus der Erinnerung an das Manna und das tägliche Brot. Wenn Gott das Brot zur Erhaltung unseres Leibes bestimmt hat, so ist dies ein viel deutlicheres Zeichen einerseits unserer bedürftigen Schwachheit, andererseits der göttlichen Gnade, als wenn er etwa nur durch verborgenen Krafteinfluss den Bestand unseres Leibes erhalten würde. In völliger Parallele hierzu ist diese Rede von Christi Gnadenwirkung zu verstehen: hätte Christus sich einfach als unser Leben bezeichnet, so wäre dies längst nicht so wirksam und verständlich, als wenn er sich hier „das Brot des Lebens“ nennt. Übrigens ist zu beachten, dass diese Bezeichnung nicht auf das Wirken Christi zielt, welches uns zu neuem Leben erst spürbar erweckt: denn das Brot vermag kein Leben neu zu schaffen, sondern nur das vorhandene zu stärken und zu erhalten. Also hinkt auch dieses Gleichnis: denn Christo verdanken wir nicht bloß die Erhaltung, sondern auch die Schöpfung unseres neuen Lebens. Dieser Umstand begreift sich aber leicht aus der Anknüpfung an den einmal angesponnenen Gedanken. Es handelte sich um die Frage, ob Moses oder Christus den Menschen bessere Speise zu geben vermöchte. Aus der Erinnerung an das Manna erklärt sich auch, warum gerade nur vom Brot die Rede ist. Die Lehre ist einfach die: unsere Seelen leben nicht zufolge einer ihnen innewohnenden Kraft, sondern sie bekommen ihr Leben von Christo.
Wer zu mir kommt usw. Damit beschreibt Jesus, wie man dies Brot isst. Es gilt, Christum im Glauben anzunehmen. Den Ungläubigen kommt es nicht zugute, dass Jesus das Brot des Lebens ist. Sie bleiben immer leer. Christus wird unser Brot erst, wenn wir hungrig ihm nahen, damit er uns sättige. So ist es an unserer Stelle einerlei, ob Christus sagt, „wer zu mir kommt“, oder „wer an mich glaubt“, - der wird gesättigt werden.
Ein Unterschied besteht aber insofern, als das Kommen und im Gefühl der eigenen Bedürftigkeit mit Christi Leben sich sättigen lassen eine Folge des Glaubens ist. Man darf deshalb aus unserer Stelle nicht etwa schließen, dass Christum genießen gar nichts weiter hieße, als an ihn glauben. Ohne Zweifel können wir Christum gar nicht anders genießen als durch den Glauben, aber die Speisung mit ihm ist doch vielmehr Frucht und Erfolg des Glaubens als der Glaube selbst. Da der Glaube Christum nicht als eine ferne Größe anschaut, sondern ihn umfängt, dass er unser werde und in uns wohne, so macht er es, dass wir mit Christo zu einem Leibe zusammenwachsen und sein Leben in uns aufnehmen, kurz dass wir mit ihm völlig eins werden.
Es ist also richtig, dass wir Christum durch den Glauben genießen: aber es gilt dabei eine deutliche Vorstellung zu gewinnen, in welcher Weise uns der Glaube mit ihm verbindet.
Den wird nimmermehr dürsten. Dieser Zusatz scheint nicht wohl am Platze; es ist doch nicht die Aufgabe des Brotes, wenn es den Hunger stillen will, den Durst zu löschen. Christus schreibt also dem Brote mehr zu, als es sonst vermag. Vom Manna ausgehend redete er vom Brote. Nunmehr aber weitet sich der Begriff. Jesus versteht jetzt unter Brot überhaupt jede Art von Nahrung. Im Hebräischen bedeutet ja „Brot essen“ überhaupt: die Mahlzeit einnehmen. So meinen wir in der vierten Bitte auch nicht nur buchstäblich das tägliche Brot, sondern alles, was zur Leibesnahrung gehört, auch das Trinken. Der Sinn ist also: Wer Christum aufsucht, um von ihm das Leben zu erhalten, dem wird nichts fehlen; in reicher Fülle wird er bekommen, was sein Leben zu unterhalten vermag.
V. 36. Aber ich habe es euch gesagt usw. Jetzt erst beginnt Jesus, den Unglauben zu schelten, der die angebotene Gottesgabe verwirft. Das heißt wahrlich, Gott über die Maßen verachten, wenn man etwas verwirft, was man doch als seine Gabe anerkennen muss. Hätte Christus nicht jenen Leuten seine Macht bezeugt und ihnen seine Herkunft von Gott kundgetan, so wäre zu sagen: ihre Schuld ist nicht so groß; sie wissen es nicht besser. Aber so steht die Sache nicht. Sie verschmähen in wahrhaft empörender Weise die Lehre dessen, in dem sie schon den Gesalbten des Herrn begrüßt hatten. Freilich wird kaum je ein Mensch, der in dieser Weise wider Gott ankämpft, sich völlig klar bewusst sein, dass er es mit Gott zu tun hat. Das meint auch Paulus, wenn er 1. Kor. 2, 8 sagt: „Wo sie die Weisheit Gottes erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt.“
Und doch darf Christus sagen: ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht. Was die Ungläubigen „gesehen“ haben, schwindet ihnen durch Betrug des Satans und mutwillige Selbstverstockung gegen das Licht alsbald wieder vor den Augen. Zweifellos redet nämlich Christus nicht vom leiblichen Schauen, sondern von der inneren Erkenntnismöglichkeit, welche jene Leute durch boshafte Blindheit sich verschlossen hatten.
V. 37. Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir. Nur deswegen rührt der Herr hier an den Unterschied der Verworfenen und Erwählten, damit seiner Lehre ihre Autorität bleibe, obwohl sie bei vielen keinen Glauben findet. Halten doch die Gottlosen Gottes Wort für nichts, weil seine Majestät sie nicht innerlich berührt, und viele Schwache und Ungefestigte geraten in Zweifel daran, weil die Welt es verachtet. Diesem Anstoß begegnet Christi Erklärung, dass, wer nicht glaubt, eben nicht zu den Seinen gehört: finden solche Leute keinen Geschmack an der göttlichen Wahrheit, so ist dabei nichts zum Verwundern, - alle Gotteskinder lieben sie dafür aufs innigste. Zuerst sagt Jesus, es komme jeder, den ihm der Vater gibt, zu ihm. Er meint damit: der Glaube steht nicht in des Menschen freiem Willen, sodass unterschiedslos und durch einen von Gott unabhängigen Entschluss jeder glauben könnte; vielmehr wählt Gott diejenigen aus, die er in die Hand seines Sohnes übergeben will. Der Ausdruck lässt ja ohne weiteres darauf schließen, dass nicht jeder vom Vater dem Sohne gegeben wird. Anderseits ergibt sich der Schluss, dass die Kraft des göttlichen Geistes in den Auserwählten so mächtig wirkt, dass keiner derselben verloren gehen kann. Denn dass der Vater seinem Sohne die Auserwählten „gibt“, will doch besagen, dass er sie innerlich erneuert und zum Gehorsam des Evangeliums führt.
Und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. Das ist zum Troste der Frommen hinzugefügt, damit sie Gewissheit darüber haben, dass ihnen im Glauben der Zugang zu Christo offen steht, und sie einer freundlichen Annahme sicher sind, sobald sie sich seinem treuen Schutze übergeben. Daraus ergibt sich, dass allen Frommen die Lehre des Evangeliums zum Heile gereichen muss, da ja niemand sich Christo als Jünger stellt, der nicht an ihm einen treuen und zuverlässigen Lehrer bekäme.
V. 38. Denn ich bin vom Himmel kommen usw. Diese Aussage dient zur Bestätigung des vorigen Satzes, dass niemand vergeblich zu Christo kommen wird. Gott ist es ja, der solchen Glauben in uns gewirkt hat, wodurch er uns zu seinem Eigentum stempelte; Gott ist es, der seinen Sohn als unseren Heiland und Hüter bestellt hat. Und der Sohn kennt kein anderes Anliegen, als den Willen seines Vaters zu tun. So wird er denn niemals die, welche der Vater ihm schickt, abweisen. Folglich kann der Glaube nie vergeblich sein.
V. 39. Das ist aber der Wille des Vaters usw. Damit wird als Wille des Vaters ausdrücklich angegeben, dass die Gläubigen in Christo gewisses Heil finden sollen. Wer also in der Lehre des Evangeliums keine Fortschritte macht, muss zu den Verworfenen gehören. Sehen wir nun, dass vielen das Evangelium zum Verderben dient, so brauchen wir doch nicht zu verzweifeln: denn jene Leute rennen mutwillig in den Abgrund. Uns soll es genug sein, dass wir wissen dürfen: das Evangelium wird in alle Zukunft seine Kraft beweisen, dass es die Auserwählten zur ewigen Seligkeit versammelt.
Dass ich nichts verliere. Christus lässt sich niemanden wegnehmen. Er ist also der Schirmherr unserer Seligkeit nicht nur für einen oder ein paar Tage; er lässt sie sich von Anfang bis Ende angelegen sein. Er bringt uns bis ans Ziel. Deswegen gedenkt er der Auferweckung am jüngsten Tage. Wir not tut doch gerade diese Verheißung uns, die wir uns mit der Schwäche unseres Fleisches, über die wir uns doch wahrlich nicht täuschen können, elendiglich abmühen! Jeden Augenblick könnte das Heil der ganzen Welt hinfällig werden, wenn die Gläubigen nicht, gestützt von der Hand Christi, unverzagt dem Tage der Auferstehung zustrebten. Das also soll uns tief ins Herz geprägt sein: Christus reicht uns die Hand und wird uns wahrlich nicht in der Mitte unseres Christenlaufes im Stiche lassen. Wir dürfen es vielmehr wagen, im Vertrauen auf seine Führung zuversichtlich nach dem jüngsten Tage auszuschauen. Noch aus einem anderen Grunde deutet Christus auf die Auferstehung: so lange unser Leben verborgen ist, sind wir ja den Toten ähnlich. Wodurch unterscheiden sich denn die Gläubigen und die Gottlosen? Sie ersteren stecken in allerlei Unglück, sind gleich Schafen, die für die Schlachtbank bestimmt sind, und stehen immer mit einem Fuß im Grabe, ja es fehlt nicht viel daran, so werden sie vom Tode verschlungen. So ist denn das die einzige Stütze der Hoffnung und der Geduld für uns, dass wir von dem gegenwärtigen Zustande unseres Lebens absehen und unsere Herzen und Sinne zu jenem jüngsten Tage erheben, hinweg über alle Hemmnisse der Welt, bis dermal einst die reife Frucht unseres Glaubens sich zeigt.
V. 40. Denn das ist der Wille usw. Jesus hatte gesagt, der Vater habe ihm aufgetragen, unsere Seligkeit zu schirmen. Jetzt spricht er sich aus über das Wie? Wir erlangen die Seligkeit, wenn wir dem Evangelium Christi gehorsam sind. Das hatte er schon oben berührt, aber jetzt wählt er einen deutlicheren Ausdruck für das, was er zuvor etwas dunkel gesagt hatte. Wenn Gott will, dass seine Auserwählten durch den Glauben an Christus selig werden, und auf diesem Wege seinen ewigen Ratschluss aufrecht erhält und zur Ausführung bringt, so ist es unrecht, sich nicht mit Christo zu begnügen. Wer das nicht tut, sondern neugierige Fragen stellt wegen der ewigen Vorherbestimmung, der begehrt in törichter Eigenwilligkeit, auf einem Wege selig zu werden, der dem göttlichen Ratschlusse zuwiderläuft.
Die göttliche Erwählung ist an und für sich verborgen, ein undurchdringliches Geheimnis; Gott aber macht sie offenbar durch die Berufung, deren er uns würdigt. Welch eine Tollheit, wenn es Menschen gibt, welche in dem Labyrinthe der Prädestination ihr Heil und das Heil anderer zu suchen sich unterfangen! Weshalb halten sie sich nicht an den Weg des Glaubens? Der ist kein Labyrinth, sondern liegt frei und offen vor uns. Wer sich auf jenen Irrweg begibt, der stellt die Schriftlehre von der Vorherbestimmung überhaupt völlig auf den Kopf. Wozu hat uns denn Gott erwählt? Doch zum Glauben! Nun nimm den Glauben weg! Was soll dann die Erwählung? Es ist ein Frevel, die ins ich zusammenhängende Aufeinanderfolge von Anfang und Ziel im Ratschlusse Gottes zu zerreißen. Es besteht ein unzerbrechlicher Zusammenhang zwischen der Erwählung Gottes und unserer Berufung. Hat Gottes Ruf zum Glauben an Christum bei uns seine Wirkung getan, dann gilt dies bei uns so viel, als drückte Gott noch sein Siegel unter den Ratschluss zu unserer Seligkeit, den er von Ewigkeit her gefasst hat. Das Zeugnis des Geistes ist ja nichts anderes, als die Versiegelung unserer Annahme an Kindes statt. So hat denn ein jeder an seinem Glauben ein vollgenügendes Zeugnis der Vorherbestimmung. Wer tiefer einzudringen sich anmaßt, begeht einen Gottesraub: er fügt dem heiligen Geiste die schwere Beleidigung zu, dass er sich mit seinem Zeugnis nicht zufrieden gibt.
Wer den Sohn sieht und glaubt an ihn. Diesen Doppelausdruck gebraucht Jesus im Gegensatz zu seinem Vorwurf gegen die Juden (V. 36), welche sahen und doch nicht glaubten. An die Stelle des Sehens tritt jetzt, wo unser Heiland unsichtbar ist, die lebendige Empfindung, welche die Gotteskinder von der in Christo vorhandenen Gotteskraft haben. Zuerst kommt das Sehen. Also fließt der Glaube aus der Kenntnis Christi. Dazu braucht der Glaube nur das einfache Gotteswort. Aber um glauben zu können, müssen wir erst gemerkt haben, was eigentlich an Christo ist, und was er uns bringen will.
V. 41 u. 42. Da murrten die Juden. Wie wir sofort hören (V. 42), hat dies Murren darin seinen Grund, dass die Juden sich an der niedrigen Fleischesgestalt Christi stießen und nichts Göttliches in ihm zu sehen vermochten.
Zweierlei hat sie daran gehindert. Einmal nämlich waren sie der Meinung: der ist ja doch nur der Sohn des Josef; wir kennen ja seinen Vater und seine Mutter. Und dann urteilen sie verkehrter Weise: Christus kann gar nicht der Sohn Gottes sein, hat er doch Fleisch und Blut, wie jeder gewöhnliche Mensch! Welch boshafte Torheit ist es doch, wenn wir deswegen die Herrlichkeit des Herrn verachten, weil er unseretwegen sich entäußert und Knechtsgestalt angenommen hat! Das war ja gerade ein leuchtender Erweis seiner unermesslichen Liebe zu uns. Außerdem war die göttliche Hoheit Christi nicht derart unter der geringen Fleischeshülle verborgen, dass sie nicht Strahlen vielfältigen Glanzes darunter hervorgesandt hätte. Aber was half diesen stumpfen Menschen die zutage liegende Herrlichkeit des Gottessohnes? Sie hatten dafür keine Augen. Auch wir sündigen täglich in dieser zweifachen Weise.
Zunächst ist das für uns ein großes Hindernis, dass wir Christum nur mit den Augen des Fleisches ansehen; so kommt es, dass wir seine Größe nicht gewahr werden. Außerdem holen wir aber nur zu oft Falsches herbei, was nur zur Herabsetzung des Evangeliums dienen muss: gegen solches Truggebilde, das sie für das Evangelium halten, richten dann nur zu viele ihren Hass. So stößt die Welt geflissentlich Gottes Gnade von sich, - und hier tun dies namentlich die Juden, die sich dabei als rechtmäßige Vertreter der Kirche Gottes gebärden!
Wir aber wollen lernen, Christum voll Ehrfurcht aufzunehmen, wenn er sich zu uns herablässt. Je näher er uns ist, desto freudiger wollen wir ihm nahen, damit er uns zu seiner himmlischen Herrlichkeit emporhebe.
V. 43. Murret nicht. Die Schuld ihres Murrens wirft Jesus auf die Juden zurück. Er will sagen: Meine Lehre enthält keinerlei wirklichen Anstoß. Ihr seid verworfen; deswegen reizt sie eure gifterfüllten Seelen. Sie schmeckt euch nicht, weil euer Gaumen die Fähigkeit, richtig zu schmecken, verloren hat.
V. 44. Es kann niemand zu mir kommen usw. Jesus erhebt nicht einfach Anklage gegen die Schlechtigkeit der Menschen: zugleich weist er darauf hin, dass es ein besonderes Geschenk Gottes ist, wenn ein Mensch seine Lehre zu Herzen nimmt. Er tut das, damit der sich zeigende Unglaube die Schwachen nicht verwirre. Viele sind ja so töricht, dass sie in göttlichen Dingen auf andere Menschen Rücksicht nehmen. So kommt es, dass ihnen das Evangelium selbst verdächtig wird, sobald sie sehen, dass die Welt es nicht annimmt.
Umgekehrt wagen es die Ungläubigen, in dem sie sich in ihrer Halsstarrigkeit gefallen, das Evangelium zu verdammen, einfach weil es ihnen nicht gefällt.
Demgegenüber betont Christus: das Evangelium kann, obwohl es allen ohne Unterschied gepredigt wird, dennoch nicht etwa von allen erfasst werden. Dazu ist ein neuer Sinn, ein neues Herz nötig. Deshalb steht der Glaube nicht im freien Willen des Menschen, sondern ist eine Gabe Gottes. War zuvor (V. 35) der Glaube als ein Kommen zu Christo beschrieben worden, so bleibt die Rede auch jetzt noch in diesem Bilde: es kann niemand zu Christo kommen, es sei denn, dass ihn ziehe der Vater. Der Vater „zieht“ diejenigen, deren Gedanken er erleuchtet, und deren Herzen er zum Gehorsam Christi lenkt und bildet. Alles in allem ist es nicht verwunderlich, wenn viele einen Abscheu vor dem Evangelium haben: es kann niemand aus freien Stücken zu Christo kommen; nur der kommt, zu dem vorher der Geist Gottes gekommen ist. Daraus folgt aber: es werden nicht alle gezogen; Gott würdigt nur die Erwählten dieser Gnade. Was nun die Art des Ziehens angeht, so geschieht dasselbe nicht in gewaltsamer Weise. Es kommt kein Antrieb von außen, der den Menschen zwingt. Und doch ist es eine lebendige Wirkung des heiligen Geistes, der die Abneigung und das Widerstreben der Menschen in Willigkeit umwandelt. Deswegen ist es falsch, ja ein Zeichen ungeistlichen Urteils, wenn man gesagt hat: Gott zieht nur die, welche sich ziehen lassen wollen. Als ob der Mensch aus eigenem Antrieb sich anböte: Ich will Folge leisten! Wenn die Menschen willig Gott folgen, so stammt diese Willigkeit vielmehr schon von dem, der ihre Herzen gehorsam gemacht hat.
V. 45. Es steht geschrieben. Durch das Zeugnis des Jesaja bekräftigt Christus sein Wort, dass niemand zu ihm kommt, es ziehe ihn denn der Vater. Er redet in der Mehrzahl von den Propheten, da alle Weissagungen zusammen einen in sich abgeschlossenen Körper ausmachten. So konnte die Anführung einer Stelle aus nur einem der Propheten mit Fug und Recht als eine Anführung des Buches aller Propheten angesehen werden. Die Stelle findet sich bei Jesaja 54, 13. Der Prophet redet dort von der Erneuerung der Kirche und verheißt ihr Kinder, die Gott selber belehrt, woraus hervorgeht, dass die Erneuerung der Kirche nicht anders vor sich gehen kann, als dadurch, dass Gott selber der Lehrer wird, welcher die Gläubigen zu sich führt. Und wie wird die Belehrung, von welcher der Prophet spricht, von statten gehen? Gewiss nicht nur durch eine von außen her erklingende Stimme, sondern auch noch durch geheime Wirkung des heiligen Geistes. Fassen wir also zusammen, so besteht der Unterricht Gottes darin, dass er inwendig die Herzen erleuchtet. Wenn Jesaja sagt „alle“, so muss das auf die Auserwählten beschränkt werden, welche allein die rechten Kinder der Kirche sind. Unschwer ist zu sehen, wie Christus dies Prophetenwort auf den vorliegenden Fall anwendet. Jesaja sagt, erst dann werde die Kirche wirklich erbaut, wenn sie von Gott belehrte Kinder habe. Somit passt der Spruch hierher. Die Menschen haben eben nicht eher Augen, mit denen sie das Licht des Lebens zu schauen vermögen, als bis sie ihnen von Gott geöffnet werden. Aus der Allgemeinheit des Spruches folgert Christus, dass alle, die von Gott belehrt werden, mit Erfolg gezogen werden, sodass sie wirklich kommen. Darauf bezieht sich, was folgt.
Wer es nun hört usw. Wer also nicht glaubt, der ist von Gott verworfen und dem Verderben preisgegeben; denn alle, die wirklich zur Kirche Christi gehören und das ewige Leben ererben, macht Gott zu gehorsamen Jüngern. Von den Auserwählten Gottes bleibt keiner gleichgültig gegen den Glauben an Christum. Oben hat Christus gesagt, kein Mensch sei imstande, zu glauben, der nicht gezogen werde. Jetzt verkündet er: die Gnadenwirkung des Geistes, vermittelst deren die Menschen gezogen werden, sodass sie nicht anders können, als glauben, erreicht tatsächlich ihr Ziel. Das bedeutet natürlich ein Todesurteil für den freien Willen. Kommen wir erst dann zu Christo, wenn der Vater uns gezogen hat, so liegt der Anfang des Glaubens nicht im Mindesten in unserem Vermögen, wir können uns auch nicht zum Glauben irgendwie zubereiten. Weiter: wenn alle die, welche der Vater belehrt hat, kommen, so stellt der Vater ihnen nicht die Wahl, ob sie glauben wollen oder nicht, sondern gibt ihnen selbst den Glauben. Folgen wir willig der Leitung des Geistes, so ist das schon ein Stück und ein Erkennungszeichen der Gnade. Man könnte das nimmermehr ein Ziehen vonseiten Gottes nennen, wenn er uns nicht anfasste, sondern nur die Hand mit der Frage ausstreckte, ob wir wollen oder nicht. Ein Ziehen kann Gottes Tun nur genannt werden, wenn er durch die Kraft seines Geistes alles einschließlich des völligen Glaubens bei uns wirkt. Es hört aber jemand vom Vater, wenn er sich infolge der Geisteswirkung in seinem Herzen dem Gott, der inwendig mit ihm redet, aufrichtig unterwirft.
Der kommt zu mir. Damit zeigt Jesus, in wie unauflöslicher Verbindung er mit Gott steht. Es ist undenkbar, dass die, welche Gottes Schüler sind, sich Christo nicht anschließen. Wer freilich von Gott keine Belehrung annimmt, der verwirft auch Christum. Zu Christo kommen, das ist ja allein die Weisheit, welche jeder Auserwählte in Gottes Unterricht lernt. Der Vater, der den Sohn gesendet hat, kann sich selbst nicht verleugnen.
V. 46. Nicht, dass jemand den Vater habe gesehen. Hat Jesus bisher die Gnade seines Vaters gepriesen, so wendet er nun die Aufmerksamkeit der Gläubigen ganz allein auf sich. Beides gehört eng zueinander: Kenntnis Christi gibt es nicht, bis der Vater uns von Natur blinde Menschen mit seinem Geiste erleuchtet; und anderseits hilft alles Suchen nach Gott nichts, wenn man von Christo absieht; denn Gott ist ja so hoch über uns erhoben, dass kein Menschengedanke ihn zu erreichen vermag. Ein verhängnisvoller Irrtum würde es sein, wenn jemand abgesehen von Christo eine Erkenntnis Gottes für möglich hielte. Wenn Jesus hier sagt, ihm allein sei der Vater bekannt, so nimmt er damit ausschließlich für sich das Amt in Anspruch ihn, der sonst den Menschen verborgen ist, zu offenbaren.
V. 47. Wer an mich glaubt usw. Hier wird der Inhalt des vorigen Verses weiter ausgeführt. Diese Worte lehren uns, dass wir erst dann Gott kennen, wenn wir an Christum glauben: denn dann beginnen wir erst, den unsichtbaren Gott gleichsam in einem Spiegel oder in einem lebendigen, ausdrucksvollen Bilde zu sehen. Weg also mit allem, was man uns über Gott vorzusetzen wagt, sobald es nicht auf Christum zielt! Was Glaube an Christum ist, habe ich früher dargelegt: er ist nicht etwa eine unklare und wirkungslose Vorstellung von ihm, bei welcher die von Christo ausgehende Kraft außer Betracht bliebe. Vielmehr gibt der Glaube eben darum das ewige Leben, weil er weiß, dass sich in Christo die Fülle des Lebens für uns vorfindet. Wer in diesem Glauben zu Christo kommt, wird darnach in ihm das Brot ewigen Lebens genießen.
V. 48 bis 50. Ich bin das Brot des Lebens. Zur besseren Einprägung dieser Wahrheit wiederholt Jesus nicht bloß seine frühere Aussage vom Lebensbrot, sondern betont auch noch einmal den Gegensatz zwischen diesem Brot und dem Manna (V. 49): Eure Väter haben Manna gegessen und sind gestorben. Das Manna war also eine vergängliche Speise, welche nicht vom Tode zu befreien vermochte. Daraus folgt, dass es für die Seelen nur eine Speise gibt, die sie zu geistlichem Leben befähigt, und die ist Christus. Über den scheinbaren Gegensatz, in welchem zu dieser Aussprache 1. Kor. 10, 3 steht, habe ich mich schon (zu V. 32) geäußert. Dass Paulus das Manna als eine geistliche Speise bezeichnet, während Christus hier gegenteilig redet, erklärt sich aus den beiderseitig verschiedenen Gesichtspunkten. Wer im Manna nichts anderes sucht, als irdische Nahrung, dem wird es auch nichts Besseres bieten. Wer aber (V. 50) von Christo isst, wird nicht sterben, weil das Leben, welches er uns gibt, nie verlöschen wird (vgl. auch zu 5, 25 ff.).
V. 51. Ich bin das lebendige Brot. Dies wiederholt Jesus immer wieder, wie denn in der Tat nichts anderes tiefer in unsere Seele geprägt zu werden verdient. Wir wissen ja auch, wie schwer Jesu Worte bei uns Glauben finden, und wie leicht dieser Glaube wieder ins Wanken kommt. Wir alle begehren Leben. Aber törichter und verkehrter weise suchen wir es, wer weiß wo, nur nicht am rechten Ort. Wer bildet sich nicht ein, er könne leben ohne Christum? Wie wenige sind es, denen Christus das allein genugsame Gut ist! Es ist deshalb kein unnützer Wortschwall, wenn Christus aber- und abermals versichert: Ich ganz allein bin genug; ich gebe euch das Leben! Er allein beansprucht den Namen „Brot“; alle trügerischen Hoffnungen auf Erden möchte er aus unseren Seelen herausreißen. „Lebendiges oder lebendig machendes Brot“ nennt er jetzt in demselben Sinne das, was er vorher als „Brot des Lebens“ bezeichnet hatte. Das Kommen vom Himmel erwähnt er, weil in dieser Welt, deren Wesen vergeht, geistliches und unvergängliches Leben nicht zu finden ist; das gibt es nur im himmlischen Gottesreiche. So oft Jesus das Wort „essen“ braucht, mahnt er uns zum Glauben, der allein es macht, dass wir dies Brot uns zum Leben genießen. Der Umstand aber, dass nur wenige gewürdigt werden, ihre Hand auszustrecken und dies Brot in ihren Mund zu führen, macht die Speise selbst nicht im Mindesten weniger nährkräftig. Die Torheit vieler ist ja unbegreiflich groß: der Herr reicht ihnen dies Brot eigenhändig in den Mund hinein, und dennoch essen sie es nicht; die einen schlucken nicht dies Brot, sondern eitel Wind hinunter, andere gleichen dem Tantalus der griechischen Sage, dem die Speise ganz nahe ist, und der trotzdem Hunger leidet.
Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch. Weil man seine Aussage, er habe die Macht, das Leben zu verleihen, auf sein göttliches Wesen hätte beziehen können, führt uns Jesus nun einen Schritt weiter und sagt: dies Leben liegt in meinem Fleisch; wer es haben will, muss es dort holen. Wunderbarer Ratschluss Gottes! In dem Fleische, in dem früher nur der Tod seinen Sitz hatte, reicht er uns nun das Leben dar. Er denkt so freundlich an unsere Schwachheit, dass er uns nicht zumutet, über den Wolken uns das Leben zu holen: Er bietet es uns in irdischer Gegenwart so wahrhaftig an, als wenn er uns droben seine königliche Schatzkammer eröffnete. Dabei hat er es auch auf unseren Hochmut abgesehen. Der muss fort. Deshalb prüft er unseren Glauben, ob er sich demütigen und gehorchen kann. Das tut Christus, indem er die, welche das Leben suchen, anweist, sich an sein Fleisch, das doch dem Anscheine nach so verächtlich ist, zu halten.
Man wendet ein: Christi Fleisch vermag kein Leben zu geben; ist es doch auch sterbensfähig gewesen und auch jetzt nicht an sich unsterblich. Außerdem ist es in keiner Weise dem Fleische eigen, dass es Seelen lebendig macht. Darauf ist zu antworten: Mag auch diese Kraft anderswoher rühren, als aus dem Fleische, so steht doch nichts im Wege, dem Fleische Christi mit Fug und Recht diesen Ehrentitel zuzusprechen; denn gleichwie das ewige Wort Gottes der Quell des Lebens ist, so ist Christi Fleisch gleichsam das Brunnenrohr, durch welches das Leben, das, wie diese Leute mit gutem Grunde sagen, in der Gottheit thront, sich zu uns hin ergießt. In diesem Sinne heißt Christi Fleisch lebenspendend, weil es das Leben, das es anderwärts entlehnt, uns mitteilt. Alle Dunkelheit wird weichen, wenn wir bedenken, welches die Ursache des Lebens ist: es ist die Gerechtigkeit. Wenn nun diese Gerechtigkeit uns allein von Gott her zuteilwird, so werden wir sie doch nirgend anders völlig greifen, als in dem Fleische Christi, in welchem die Erlösung der Welt vollzogen, das Sühnopfer für unsere Sünden dargebracht, und dem Vater jener Gehorsam geleistet ward, der ihn uns versöhnen sollte. Eben dies Fleisch war durchströmt von der Heiligung des Geistes und wurde endlich, als der Triumph über den Tod errungen war, in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen. In ihm hatte folglich das Leben in jeder Beziehung seine Stätte. Es sollte niemand gerechten Grund haben, sich zu beklagen, dass das Leben nur in ungreifbarer Ferne vorhanden sei.
Welches ich geben werde für das Leben der Welt. Das Wort „geben“ steht in zwiefachem Sinne, entweder, wie vorher, für die Gabe, die darin besteht, dass Christus sich immer wieder uns anbietet, oder, wie hier, für jene einmalige Hingabe am Kreuz, da er sich dem Vater als Opfer darbrachte. Damals hat er sich in den Tod gegeben für unser Leben, jetzt lädt er uns ein, die Frucht seines Todes zu empfangen. Das einmal dargebrachte Opfer würde uns nicht zugutekommen, wenn wir uns jetzt nicht mit dieser heiligen Speise nähren dürften. Übrigens wohlgemerkt: Christus sagt, er selber opfere sein Fleisch. Es ist deswegen eine schändliche Entweihung, wenn ein Mensch sich an Christi Stelle zu drängen wagt und das Fleisch Christi zu opfern vorgibt.
V. 52. Da zankten die Juden. Wiederum nennt der Evangelist die Juden, nicht ehrenhalber, sondern um ihnen ihren Unglauben vorzuwerfen. Die Lehre Christi vom ewigen Leben nehmen sie nicht an, stellen auch nicht bescheidentlich ihre Fragen über das, was ihnen noch dunkel und unklar geblieben ist. Durch solche streitsüchtigen Reden versperrt man sich selbstverständlich den Weg zur Erkenntnis der Wahrheit. Indes unterliegt bei ihnen nicht schlechthin die Frage: „Wie soll das zugehen?“ dem Tadel, - sonst müsste ja derselbe Tadel auf Abraham und die Mutter unseres Herrn fallen. Dass die Juden nach dem „Wie?“ der Speisung fragen, ist noch kein Verbrechen, wohl aber, dass sie ihre Frage in frecher Streitsucht stellen. Haben wir Zweifel, so will der Herr durch sein Wort diese Knoten auflösen, und der Glaube nimmt solche Lösung gehorsam an. Nicht für Glauben, sondern für Stumpfsinn ist es aber anzusehen, wenn man trotz aller Bemühungen des Herrn wissentlich und willentlich diese Knoten fest verknotet bleiben lässt. Deshalb ist es sehr wohl erlaubt, zu fragen: Herr, wie esse ich dein Fleisch? Aber dann gilt es auch, ernstlich die Antwort zu beherzigen, die er (hier in der Schrift) auf diese Frage gibt. Fort mit dem anscheinend so demütigen Vorgeben, hinter dem jedoch faustdicker Hochmut steckt: Ich begnüge mich damit, dass Christus sagt, sein Blut sei die rechte Speise; das Übrige verstehe ich nicht, also lasse ich es dahingestellt sein. Das ist ganz dasselbe Schöntun, wie bei denen, welche von der Empfängnis Christi aus dem heiligen Geiste nichts wissen wollen: wir glauben, dass er der verheißene Same Abrahams ist, und damit gut, - wir forschen nicht weiter. Solche Selbstbescheidung ist nicht da am Platze, wo das Wort Gottes ausdrücklichen Aufschluss gibt, sondern nur da, wo es sich um göttliche Geheimnisse handelt, von denen die Schrift nichts Näheres offenbart.
V. 53. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch. Der Unwille erpresst Christo diesen Eidschwur, da er sieht, wie man seine Gnade mit stolzer Verachtung abweist. Jetzt lässt er es nicht mehr bei einfacher Belehrung bewenden; um Furcht einzujagen, mischt er seinen Worten Drohungen bei. Allen denen, die es verschmähen, von seinem Fleische das Leben zu erlangen, verkündet er das ewige Verderben. Er will zu verstehen geben: Verachtet ihr mein Fleisch, so wisset: eine andere Hoffnung auf Leben bleibt euch nicht! Diese Strafe wartet aller Verächter der Gnade Christi, dass sie in ihrem Hochmute elendiglich untergehen. Solche scharfe Strenge musste angewandt werden, damit sie nicht fortfuhren, sich mit falschen Hoffnungen zu schmeicheln. Einem Kranken, der die Arznei anzunehmen sich weigert, drohen wir: Nimm sie, sonst musst du sterben! Muss man nicht mit den Gottlosen ebenso verfahren, wenn sie mit aller Macht das ihnen angebotene Leben ausschlagen? Mit Nachdruck steht hier: das Fleisch des Menschensohns. Damit will Jesus die verächtliche Stimmung treffen, die ihn für nichts hält, weil er aussah, wie andere Menschenkinder auch. Der Sinn ist also: Verachtet mich nur, so viel es euch beliebt, wegen des geringen und unbedeutenden Aussehens meiner menschlichen Erscheinung! Des ungeachtet ist doch in diesem von euch verachteten Fleische das Leben vorhanden. Wenn ihr euch mutwillig seiner beraubt, werdet ihr anderwärts nichts finden, was euch lebendig macht. –
Es war ein grober Irrtum der Alten, wenn sie meinten, dass man die kleinen Kinder des ewigen Lebens beraubt, wenn man ihnen nicht das Abendmahl reicht. Hier ist ja nicht die Rede vom Tisch des Herrn, sondern von der fortwährenden Mitteilung Christi außerhalb des Sakraments. Auch war es eine verkehrte Schriftverwendung, wenn sich die Böhmen für ihre Forderung des Kelches für jedermann auf diese Stelle beriefen. Was die kleinen Kinder betrifft, so sind sie nach der Schrift nicht zum Abendmahl zuzulassen: können sie sich doch weder prüfen, noch auch das Gedächtnis des Todes Christi ehren, wie es doch Christus in den Einsetzungsworten verlangt. Ebendort gebietet er auch (und das ist der rechte Schriftgrund für die Forderung der Böhmen), dass Brot und Wein gemeinsam ausgeteilt werden; er sagt von dem Kelche: „Trinket alle daraus!“.
V. 54. Wer mein Fleisch isst. Diese Wiederholung ist nicht überflüssig. Sie bestätigt, was dem Glauben Schwierigkeiten macht, dass unsere Seelen nicht anders mit dem Fleisch und Blut Christi gespeist werden, als wie das Leibesleben durch Essen und Trinken im Gang erhalten wird. Und wie er eben noch bezeugte, dass für alle, die das Leben anderswo, als in seinem Fleische suchen, nicht übrig bleibt als der Tod, so ermuntert er jetzt die Frommen: Seid gutes Mutes! Ich verheiße euch in meinem Fleische das Leben! Zu beachten ist, dass Christus so oft (vgl. 5, 24 ff.; 6, 40) neben dem ewigen Leben ausdrücklich der Auferstehung gedenkt. Das hat seinen Grund darin, dass unser Heil bis zu jenem Tage verborgen sein wird. Was Christus uns gibt, kann also niemand merken, der nicht im Glauben die Welt überwunden hat und nun seine Augen auf die Auferstehung am jüngsten Tage richtet. Aus diesen Worten erhellt deutlich, dass man diese ganze Stelle nicht auf das Abendmahl zu deuten berechtigt ist. Wäre es wahr, dass alle, die sich zum heiligen Mahle des Herrn einstellen, seines Fleisches und Blutes teilhaftig würden, so trügen sie alle in gleicher Weise das Leben davon.
Wir wissen aber, dass für viele der Abendmahlsgang verderblich ist. Es wäre ja auch sonderbar und durchaus nicht an der Zeit gewesen, über das Abendmahl ausführlich zu reden, als es noch gar nicht eingesetzt war. Ganz bestimmt spricht Jesus hier über das fortwährende Essen des Glaubens. Doch leugne ich nicht im Mindesten ab, dass alles, was hier gesagt wird, im heiligen Abendmahl als Sinnbild wiederkehrt und den Gläubigen auch wirklich übergeben wird. Christus wollte mit dem Abendmahl unter diese ganze Predigt sein Siegel drücken. Davon kommt es auch, dass Johannes die Einsetzung ganz übergeht.
V. 55. Mein Fleisch ist die rechte Speise. Wie der Körper dahinschwindet und verfällt, wenn er keine Speise zu sich nimmt, so wird auch die Seele, wenn sie nicht mit himmlischem Brote erquickt wird, rasch zugrunde gehen. Das sagt Christus hier nur mit anderen Worten. Denn wenn er versichert, sein Fleisch sei die rechte Speise, so deutet er damit an, dass die Seelen, wenn sie diese Speise nicht bekommen, Hunger leiden müssen. Du wirst also dann in Christo das Leben finden, wenn du es in seinem Fleische suchst. So ist es wohl am Platze, mit Paulus (1. Kor. 2, 2) zu rühmen, dass wir nichts Höheres kennen, als Christum, den Gekreuzigten; denn sobald wir uns von dem Opfer auf Golgatha entfernen, haben wir nichts vor uns, als den Tod. Es führt uns auch kein anderer Weg zum Erleben seiner göttlichen Kraft, als der Glaube an seinen Tod und sein Auferstehen. Deshalb umfasse Christum als den Knecht des Vaters, der gehorsam war bis zum Tode, damit er sich dir als der Fürst des Lebens zeige!
Durch seine Entäußerung hat er uns überschwänglich reich gemacht, durch seine Erniedrigung und seine Höllenfahrt hat er uns in den Himmel emporgehoben; als er den schimpflichen Kreuzestod auf sich nahm, hat er das köstliche Siegeszeichen der Gerechtigkeit aufgerichtet. Die Ausleger verstehen ihre Aufgabe sehr schlecht, welche die Seelen vom Fleisch Christi wegführen.
Aber weshalb erwähnt Christus denn sein Blut noch einmal besonders, das ja doch in seinem Fleische enthalten ist? Nun, er nahm Rücksicht auf unsere Blödigkeit. Er nennt neben der Speise ausdrücklich auch den Trank, um uns einzuprägen, dass es ein allseitig vollkommenes Leben ist, welches er uns bietet, und dass kein zum Leben nötiges Teil uns fehlen wird, wenn wir nur sein Fleisch essen und sein Blut trinken. Ebenso begnügt er sich auch beim Abendmahle nicht mit dem Sinnbilde des Brotes; nein, er gibt den Kelch noch dazu, damit wir ein doppeltes Kennzeichen des Lebens im Sakrament haben sollen und lernen, uns an ihm allein genügen zu lassen. Nur der wird ja in Christo das Leben finden, der in ihm das ganze und unverstümmelte Leben sucht.
V. 56. Wer mein Fleisch isst, … der bleibt in mir. Eine neue Bestätigung der hier behandelten Wahrheit. Da Christus allein das Leben in sich hat, so sagt er, wie wir es bekommen, nämlich durch Essen seines Fleisches. Er stellt es in Abrede, dass er irgendwie anders uns angehören könne, als dadurch, dass sich unser Glaube auf sein Fleisch richtet. Niemand wird zu Christi Gottheit gelangen, der seine Menschheit außeracht lässt. Willst du mit Christo Gemeinschaft haben, so hüte dich zuvörderst vor der Geringschätzung seines Fleisches! Wenn er sagt, er bleibe in uns, so bedeutet dies: so allein werden wir eins, so allein wachsen wir ineinander, wenn sich euer Glaube ganz auf meinen Tod gründet. –
Auch hier tritt es zutage, dass Christus nicht vom Empfangen der Zeichen im Abendmahl redet; die empfängt ja auch gar mancher Ungläubige, der trotzdem niemals mit Christo Gemeinschaft bekommt. Es ist ein großer Missgriff, wenn man behauptet hat: Judas hat gerade so gut wie die anderen den Leib Christi empfangen, denn Christus hat allen das Brot hingereicht. Nur Unkunde vermag die Lehre unserer Stelle auf das äußere Zeichen beziehen; und doch bleibt es bei dem oben Gesagten: im Abendmahl wird das, was hier gelehrt wird, besiegelt. Doch war ja Judas ganz gewiss kein Glied Christi. Außerdem ist ein Fleisch Christi ohne Leben und Geist eine recht absonderliche Vorstellung. Endlich ist es lächerlich, von einem Essen des Fleisches Christi ohne Glauben zu reden. Was ist denn für die Seele Mund und Magen? Einzig der Glaube.
V. 57. Wie mich gesandt hat der lebendige Vater usw. Bis dahin hat Christus sich darüber geäußert, wie wir des Lebens teilhaftig werden müssen. Hier kommt er auf die tiefste Frage: Woher stammt das Leben? In seiner Antwort auf diese Frage schneidet er einen Vorwurf ab, der ihm vielleicht gemacht werden konnte, des Inhalts: Du machst dich selber zum Urheber des Lebens; damit nimmst du Gott, was Gottes ist. Jesus macht sich also nur in dem Sinne zum Spender des Lebens, dass er bekennt, dies Leben vom Vater empfangen zu haben, um es uns mitzuteilen. Dabei schwebt, in Rücksicht auf das Verständnis der Hörer, Christus nur nach seiner irdischen Erscheinung vor. Das ewige Wort ist ja in sich selbst das Leben, wenn auch der Vater der Urquell des Lebens bleibt. Aber hier handelt es sich nicht um die ewige Gottheit Christi; er betrachtet sich selber hier nur insofern, als er in Menschengestalt sich der Welt geoffenbart hat. Wenn er also sagt, er lebe um des Vaters willen, so gilt das nicht für die bloße Gottheit, es passt auch nicht so ohne weiteres auf die menschliche Natur, sondern es ist eine Beschreibung des im Fleische geoffenbarten Sohnes Gottes. Ferner wissen wir, dass es Christo nicht ungewohnt ist, dem Vater alles Göttliche, was er in sich hat, zuzuschreiben.
Zu merken ist, dass hier drei Stufen des Lebens aufgezählt werden.
Den ersten Platz hat der lebendige Vater inne, welcher der Quellort des Lebens ist, aber fern und verborgen. Dann kommt der Sohn, welcher der für uns zugängliche Bach ist, aus dem sich das Leben zu uns hin ergießt. An dritter Stelle kommt dann das Leben, das wir aus ihm schöpfen.
V. 58. Dies ist das Brot usw. Jesus lenkt wieder auf den Ausgangspunkt zurück, den Vergleich zwischen dem Manna und seinem Fleische. Damit wollte er seine Rede schließen: Ganz grundlos zieht ihr mir den Moses vor, weil er eure Väter in der Wüste genährt hat. Ich gebe euch weit köstlichere Speise: das himmlische Leben in meiner Person. –
Wie wir oben schon ausführten, kann ja von einer Speise, die nichts Irdisches und Vergängliches an sich hat, die vielmehr nach dem ewigen Wesen des Himmelreiches schmeckt, in Wahrheit gesagt werden, dass sie vom Himmel kommt. Solche Art hätten aber jene Leute, die nur auf die Sättigung ihres Bauches bedacht waren, am Manna nie verspürt. Sie erblickten darin nur eine Speise für den Leib – und übersahen die andere Seite, welche nach Gottes Absicht das Manna allerdings auch haben soll. Das Leben der Seele wird aber niemals verzehrt, sondern wächst zu immer größerer Kraft, bis es den ganzen Menschen erneuert hat.
V. 59. Solches sagte er in der Schule. Johannes bezeichnet die Örtlichkeit, damit wir wissen: es sind viele dort zugegen gewesen; vor ihnen hat Christus diese Rede gehalten, als über eine wichtige, ernste Angelegenheit. Nachher hören wir, dass aus dieser großen Zuhörerschaft kaum einige wenige etwas mit dieser Unterweisung anzufangen wussten, - im Gegenteil, viele, die sich den Jüngern Christi zugesellt hatten, kamen darüber zum Abfall. Hätte der Evangelist etwa berichtet, dass einige Leute an Jesu Worten sich stießen, so hätte man das schon als etwas Ungeheuerliches ansehen müssen. Was soll man aber dazu sagen, dass sie nicht nur einzeln, nein, in großen Scharen sich aufmachen und sich einmütig von Christo lossagen? Möge sich diese Geschichte in unsere Seelen eingraben, damit wir es uns niemals beikommen lassen, gegen Christum Widerworte zu machen! Und wenn wir etwas Derartiges bei anderen wahrnehmen, so soll ihre Vermessenheit unseren Glauben nicht ins Wanken bringen.
V. 60. Das ist eine harte Rede. Nein, in der Rede war diese Härte nicht, - sie war in den Herzen. Aber so geht es gewöhnlich bei den Verworfenen: sie schleppen Steine aus dem Worte Gottes zusammen, an denen sie sich stoßen, und beklagen sich, während sie mit eisernem Trotz sich gegen Christum erheben, darüber: deine Rede ist hart! – dieselbe Rede, die sie hätte weich machen sollen. Wer sich demütig der Lehre Christi unterwirft, der wird in ihr nichts Hartes oder Raues finden; für die Ungläubigen aber, welche sich frech widersetzen, wird sie der Hammer sein, der Felsen zerschmeißt (Jer. 23, 29). Von Geburt sind wir alle gleich verhärtet; sollen wir aus unserem eigenen Verstande ein Urteil abgeben über das, was Christus sagt, so wird es lauten: alles, Wort für Wort, ist unverständlich und dunkel. –
So bleibt nichts anderes übrig, als dass sich ein jeder ganz der Leitung des Geistes anvertraut: Schreibe du in mein Herz hinein, was sonst nicht einmal meinen Ohren eingehen will!
Wer kann sie hören? Wie boshaft sind diese Leute doch in ihrem Unglauben! Nicht genug damit, dass sie die Lehre des Heils aufs verschiedenste verwerfen und dafür als Entschuldigung vorbringen, die Rede sei ihnen zu hart, - sie wagen es sogar, während sie doch die Schuldigen sind, dem Sohne Gottes alle Schuld aufzubürden und es offen auszusprechen: er ist es nicht wert, dass man ihm zuhört! Wehe denen, die auch in unseren Tagen nicht nur das Evangelium mit frecher Stirn abweisen, sondern auch noch gräuliche Lästerungen ausstoßen, um nur anscheinend guten Grund zu haben zu ihrem Widerstreben gegen Gott! In ihrer Begier nach der Finsternis lassen sie sich vom Satan mit groben Lügen äffen, - kein Wunder! Das Nämliche aber, was jene für unerträglich ansehen, ist den Bescheidenen, die gern Belehrung annehmen, nicht nur erträglich, sondern tröstlich und stärkend. Die Verworfenen erreichen mit ihrem Sträuben und ihren Schmähungen nur, dass sie sich ein desto ärgeres Verderben zuziehen.
V. 61 u. 62. Da Jesus aber bei sich selbst merkte usw. Jesus wusste, wie groß der Unwille seiner Widersacher war, und dass sie ihn nicht würden verwinden können. Es war ja nicht eigentlich so, dass seine Lehre sie verwundet hätte: vielmehr deckte dieselbe eine in ihrem Herzen längst heimlich genährte Eiterbeule nur auf. Jesus legte es trotzdem darauf ab, auf alle Weise zu versuchen, ob nicht wenigstens der eine oder andere von ihnen noch heilbar wäre. Dabei wollte er den Übrigen den Mund verstopfen.
Seine Frage besagt: Ihr habt gar keinen Grund, Anstoß zu nehmen; in meiner Lehre ist wenigstens kein Anlass dazu. Es heißt hier, Jesus habe bei sich selbst gemerkt, dass seine Jünger murrten; sie traten nicht offen hervor, sondern steckten ihre Köpfe zusammen. Er kommt also lauten Klagen zuvor. Wenn man einwendet: sie haben ja doch schon deutlich gesagt, wie schlecht ihnen die Lehre Christi gefällt, - so gebe ich zu, dass es klare Worte sind, die Johannes (V. 30, 41, 60) berichtet hat, sage aber gleichzeitig: die Juden haben jene einzelnen Äußerungen, wie man es bei solchen übel gesinnten Leuten in der Regel findet, mehr verstohlen untereinander getan. Hätten sie sich mit Jesus in ein richtiges Gespräch eingelassen, so wäre wohl noch etwas zu machen gewesen; dann hätte er ihnen jede gewünschte Belehrung erteilen können. Sie aber sind voll Widerspruchs und gehen nicht damit heraus. So verschließen sie sich den Weg zum Lernen.
Wenn wir nicht alsbald begreifen, was der Herr meint, können wir nichts Besseres tun, als geradeswegs zu ihm selbst zu kommen, damit er uns alle Knoten auflöse.
Ärgert euch das? usw. Hierdurch scheint Christus das Ärgernis nicht zu mindern, sondern zu mehren. Erwägt man jedoch die Ursache des Anstoßes näher, so wird man einsehen: gerade dieser Ausspruch (V. 62) war trefflich darauf gemünzt, die Erregung zu beschwichtigen. Dass Jesus so schlicht und einfach als Mensch vor jenen Leuten stand, ganz wie andere auch, das hinderte sie, seiner Gottheit Ehrfurcht zu zollen. So zieht er denn hier sozusagen die Hülle weg und fordert sie auf, hinzuschauen auf seine himmlische Herrlichkeit. Er will sagen: Weil ich unter den Menschen wandle ohne äußerlich kenntliche Auszeichnung, deshalb bin ich euch verächtlich, deshalb merkt ihr nichts Göttliches an mir. Aber es währt nicht lange, so wird mich Gott mit Kraft und Herrlichkeit schmücken, und ich fahre, diesem verächtlichen Zustande der Sterblichkeit entnommen, über alle Himmel empor. Bei der Auferstehung Christi ist ja die Kraft des heiligen Geistes so zutage getreten, dass sie seine Gottessohnschaft offenbar machte (Röm. 1, 4). Und wenn es Ps. 2, 7 heißt: „Du bist mein Sohn; heute habe ich dich gezeugt“, - so wird damit die Auferstehung als eine Art Beispiel hingestellt, daran man die göttliche Herrlichkeit Christi merken sollte. Die Himmelfahrt war nur die Ergänzung jener Herrlichkeit. Wenn Jesus sagt, er sei zuvor im Himmel gewesen, so gilt das nicht von seiner Menschheit, sondern von dem ewigen Sohne Gottes; es wird nicht selten in dieser Weise das, was nur der einen Natur eigen ist, auf die andere übertragen, da ja die beiden Naturen in Christo die eine Person ausmachen.
V. 63. Der Geist ist es, der da lebendig macht. Mit diesen Worten sagt Christus: die Ursache davon, dass meine Lehre bei euch keinen Erfolg hat, liegt darin, dass sie geistlich ist und auf das ewige Leben zielt, - darum sind eure Ohren zu ihrer Aufnahme nicht geeignet. Man darf Christi Fleisch eben nicht ohne den innewohnenden Geist denken: das Fleisch an sich ist nichts nütze. Christi Fleisch hat doch nur darum lebendig machende Kraft, weil es geisterfüllt ist: wer diese Geisteswirkung erfährt, macht im Glauben die Probe darauf, dass von Christi Fleisch in der Tat Lebenskraft ausgeht. Wessen Gedanken aber lediglich an der irdischen Substanz haften bleiben, der wird nur einen toten Stoff finden.
Halten wir also klar auseinander, weshalb das Fleisch auf der einen Seite die rechte Speise genannt wird, während es anderseits heißt, es sei nichts nütze: es ist Speise, weil durch Vermittlung des Fleisches uns das Leben erworben ward, weil in ihm Gott mit uns versöhnt worden ist, weil wir in ihm in vollem Maße alles beieinander haben, was zu unserem Heile gehört; nichts nutz ist es, wenn man es nach seinem Ursprung und nach seiner natürlichen Beschaffenheit wertet: denn Abrahams Same vermag uns, da er ja dem Tode ausgesetzt ist, das Leben nicht zu bringen, - fähig, uns zu nähren, wird das Fleisch nur in Verbindung mit dem Geiste. Wollen wir seiner nährenden Kraft teilhaftig werden, so gilt es, den geistlichen Mund des Glaubens zu brauchen. Der Ausspruch ist ja merkwürdig knapp, - jedenfalls, weil Christus es für gut befand, so mit den Ungläubigen zu verhandeln. Mit diesem kurzen Nachtrag hat er seine Rede abgebrochen; sie waren es nicht wert, dass er noch weitere Worte an sie verschwendete. Indes kommen die Frommen, welche sich belehren zu lassen willig sind, dabei nicht zu kurz; auch in diesen wenigen Worten finden sie genug und übergenug.
Die Worte, die ich rede usw. Das sagt Jesus mit Anspielung auf das Vorhergehende. Das Wort „Geist“ ist hier etwas anders genommen. Er hatte von der geheimen Kraft des Geistes geredet. Jetzt wendet er es in einem schönen Übergang auf seine Rede an, dass sie geistlich ist. Man muss hier „Geist“ im Sinne von „geistlich“ verstehen. Jesu Rede heißt geistlich, da sie uns empor lenken will; wir sollen Christum unter Leitung des Geistes im Glauben, nicht in fleischlicher Gesinnung, in seiner himmlischen Herrlichkeit suchen. Wir wissen ja, dass ohne Glauben nichts von dem, was er sagt, verstanden werden kann. Wohl zu beachten ist noch, wie er Leben und Geist miteinander verknüpft. Leben nennt er seine Rede im Gedanken an ihren Erfolg; wie wirkt Leben. Das kann sie aber nur bei dem, der sie in geistlicher Weise annimmt; die anderen holen sich an ihr den Tod. Das ist für die Frommen eine liebliche Empfehlung des Evangeliums; nun sind sie gewiss, dass es ihnen ewiges Heil bringen muss. Aber zugleich ist darin die Mahnung enthalten: Bemüht euch, als rechte Jünger erfunden zu werden!
V. 64. Aber es sind etliche unter euch, die glauben nicht. Wiederum schiebt Jesus die Schuld auf die Hörer, die alles heiligen Geistes bar seine Lehre verkehren und verdrehen, sodass sie ihnen zum Verderben ausschlagen muss. Sie hätten sonst einwenden können: du prahlst mit der lebendig machenden Kraft deiner Worte; wir aber verspüren davon nichts an uns. Deshalb sagt er: ihr steht euch selbst im Wege! Denn der Unglaube, hochmütig, wie er ist, wird niemals innewerden, wie reich die Worte Jesu sind, - er verachtet sie nur. Wollen wir bei diesem Meister etwas Rechtes lernen, so müssen unsere Seelen auch darauf gestimmt sein. Demut und Ehrfurcht vor ihm verschaffen erst seiner Lehre Eingang bei uns. Ohne das sind unsere Herzen härter als Stein und lassen nichts von der heilsamen Lehre eindringen. Woran liegt es also, dass heutzutage das Evangelium so wenig Fortschritte in der Welt macht? Nur an der argen Gesinnung der Menschen. Wer hat denn Lust dazu, sich selbst zu verleugnen und sich ganz und gar Christo hinzugeben? Wenn übrigens Jesus nur von „etlichen“ spricht, die nicht glauben, während dies doch fast von der ganzen Volksmenge gelten konnte, so erklärt sich dies wohl daraus, dass er die, welche etwa noch heilbar waren, nicht der Verzweiflung preisgeben wollte.
Jesus wusste von Anfang usw. Dieser Zusatz des Evangelisten warnt uns, dass wir nicht denken, Christus habe kein rechtes Urteil über seine Zuhörer gehabt. Viele gaben vor, zu ihm zu gehören; ihr plötzlicher Abfall zeigte, was an diesem Vorgeben war. Anderen mochte diese Treulosigkeit bislang noch verborgen sein; Christus wusste damit Bescheid. Das sagt uns aber der Evangelist nicht sowohl, damit wir betreffs Christi ins Klare kommen, als dazu, dass wir lernen, ausschließlich nur über das, was wir genau kennen, uns ein endgültiges Urteil zu bilden. Dass Christus dies von Anfang an wusste, kam davon her, dass er Gott ist. Bei uns steht es anders. Wir sind keine Herzenskündiger. Deshalb müssen wir unser Urteil so lange aufschieben, bis sich die Gottlosigkeit an ihren äußeren Anzeichen verrät, und man so den Baum an seinen Früchten zu erkennen imstande ist.
V. 65. Darum hab ich euch gesagt. Nochmals hebt Jesus hervor, dass der Glaube ein gar seltenes, köstliches Geschenk des Geistes Gottes ist, damit wir uns nicht wundern, wenn nicht jeder allenthalben das Evangelium annimmt. Ungeschickt, wie wir sind, in der Deutung dessen, was wir erleben, denken wir um dessentwillen weniger hoch vom Evangelium, weil nicht alle Welt ihren Beifall dazu gibt. Es will uns nicht in den Kopf, dass der größte Teil der Menschen seine Seligkeit soll verwerfen können. Den Grund, weshalb es nur so ein kleines Häuflein wahrer Christen gibt, nennt uns Christus hier: kein Mensch kommt deshalb zum Glauben, weil er klug genug ist; alle sind blind, so lange der heilige Geist sie nicht erleuchtet, und allein denen fällt ein so herrliches Gut zu, die der Vater dessen würdigt. Würde allen ohne Ausnahme diese Gnade zuteil, so würde dies Wort Christi hier sehr am unrechten Platze stehen. Aber es passt hier vortrefflich. Christus will es gerade jetzt nochmals aussprechen: nicht viele glauben dem Evangelium, und zwar deshalb, weil der Glaube nur aus einer geheimen Offenbarung des Geistes geboren wird. „Geben“ bedeutet hier dasselbe, wie oben (V. 44) „ziehen“. Gott hat keinen anderen Grund, uns zu ziehen, als seine freie Gnade. Was er als sein Geschenk gibt, vermögen wir uns nicht durch eigene Anstrengung zu erwerben.
V. 66. Von dem an gingen seiner Jünger viel hinter sich. Jetzt schildert der Evangelist, welche große Verwirrung jener Rede folgte. Es ist wahrhaft ungeheuerlich, dass die gütige, freundliche Einladung Christi ihm so viele Menschen entfremdete, noch dazu solche, die ihm schon den ihm zukommenden Namen gegeben hatten und als Jünger vertraulich mit ihm verkehrten. Diese eine Tatsache soll für uns ein Spiegel sein, in dem wir die arge und undankbare Welt sehen, die, wo der Weg ganz eben ist, sich selber Steine in den Weg wirft, an denen sie strauchelt, um nur ja nicht zu Christo zu kommen. Viele möchten wohl sagen, es wäre richtiger gewesen, eine Rede, die für viele der Anlass zum Abfall wurde, überhaupt nicht zu halten; wir denken darüber vollkommen anders. Denn was Christus vorausgesagt hatte, konnte man damals – wie auch jetzt alltäglich – beobachten: dass er der Stein des Anstoßes ist (Jes. 8, 14). Freilich sollen wir es bei unserer Lehrweise darauf ablegen, dass niemandem durch unsere Schuld ein Anstoß bereitet werde: so viel irgend möglich, sollen wir alle Hörer zusammenhalten. Wir müssen wohl achtgeben, dass wir nicht durch unbedachte Reden die Unerfahrenen oder Schwachen beunruhigen. Aber eine solche Behutsamkeit, welche der Lehre Christi für jedermann jeden Anstoß nehmen könnte, ist undenkbar. Die Verworfenen, welche ihrem Verderben entgegen eilen, entnehmen aus der gesündesten Speise Gift. Ohne Frage bedachte der Sohn Gottes aufs Beste, was nützlich wäre; dennoch meidet er es nicht, vielen von den Seinigen ärgerlich zu werden. Mögen noch so viele sich in Erbitterung von der reinen Lehre abwenden, es gelingt doch nicht, sie zu erdrücken. Die Lehrer der christlichen Gemeinde sollen nur der Ermahnung des Apostels (2. Tim. 2, 15) eingedenk bleiben, dass sie „das Wort recht teilen“; dann mag sich ärgern, wer will, - sie dürfen unverzagt weiter arbeiten. Sollten auch viele hinter sich gehen, so darf uns das den Geschmack am Worte Gottes nicht verderben. Es tut dem Worte selbst keinen Abbruch, wenn die, welche verloren gehen, keine Lust daran haben. Es ist übergroße Empfindlichkeit, wenn sich jemand durch den Abfall anderer so erschüttern lässt, dass er dadurch selber ins Wanken gerät. Wenn der Evangelist weiter bemerkt: sie wandelten hinfort nicht mehr mit ihm, so deutet er damit an, dass es sich nicht um entschlossenen Abfall handelt, sondern dass jene Leute nur nicht mehr das bisherige Zusammenleben mit Christo fortsetzten. Dennoch verurteilt er sie als Abtrünnige, woraus zu lernen ist, dass wir nicht einen Schritt zurückweichen können, ohne dass uns der Sturz in den Abgrund treubrüchiger Verleugnung droht.
V. 67. Da sprach Jesus zu den Zwölfen. Da der Glaube der Apostel dadurch, dass sie als ein kleiner Rest einer großen Schar allein übrig blieben, einen gewaltigen Stoß erleiden konnte, so erklärt Christus, sich zu ihnen wendend, ausdrücklich: Es ist kein Grund vorhanden, dass ihr euch durch den leichten, unbeständigen Sinn der anderen mit fortreißen lasset! Seine Frage: Wollt ihr auch weggehen? soll ihren Glauben befestigen. Damit bietet er sich ihnen an: Bleibt bei mir! – und ermahnt sie, sich den Abtrünnigen nicht anzuschließen. Und ganz gewiss kann der Glaube, wenn er sich auf Christum gründet, nicht von anderen Menschen abhängig sein, noch auch jemals hinfallen, und würde gleich Himmel und Erde durcheinander geschüttelt. Bemerkenswert ist der Umstand, dass Christus, fast aller seiner Jünger beraubt, nur noch zwölf übrig behält: gerade wie einst Jesaja (8, 16) den Befehl erhielt, das Zeugnis zuzubinden und das Gesetz seinen Jüngern zu versiegeln. Durch solche Vorbilder soll sich jeder Gläubige belehren lassen, Gott zu folgen, ginge auch kein Mensch weiter mit ihm.
V. 68. Da antwortete ihm Simon Petrus. Hier wie anderwärts redet Petrus im Namen aller; sie alle waren eines Sinnes, den unaufrichtigen Judas ausgenommen. Die Antwort gliedert sich nun zweifach. Petrus gibt über den Grund Rechenschaft, weswegen er im Verein mit seinen Brüdern freudig in Christo sein Genüge findet: sie merken, dass seine Lehre ihnen Heil und Leben bringt. Zuvor aber hat er schon ausgerufen: möchten wir uns wenden, wohin wir auch wollten, - überall erwartet uns, wenn wir dich verlassen, der gewisse Tod! Worte des Lebens sind, nach bekanntem Sprachgebrauche der Hebräer, Leben bringende Worte. Das ist ja vor allem der Ruhm des Evangeliums, dass es uns ewiges Leben beschafft, wie Paulus (Röm. 1, 16) bezeugt, es sei eine Gotteskraft, die da selig macht alle, die daran glauben. Auch das Gesetz birgt ja Leben in sich; aber da es die Übertreter des ewigen Todes schuldig spricht, so kann es tatsächlich nichts anderes, als töten. Weit anders steht es mit der Anerbietung des Lebens im Evangelium; da versöhnt uns Gott mit sich selber, indem er uns aus Gnaden die Sünden nicht anrechnet. Übrigens ist es nichts Alltägliches, was Petrus hier von Christo erwähnt. Wenn er bei ihm und nur bei ihm Worte des ewigen Lebens findet, so liegt ja darin, was ich schon andeutete, dass jeder Schritt von Christo hinweg uns dem Tode entgegenführen muss. In der Tat laufen alle, welche mit diesem Meister sich nicht zufrieden geben und auf Menschenweisheit abspringen, in ihr sicheres Verderben.
V. 69. Wir haben geglaubt und erkannt, d. h. es steht unserem Glauben nunmehr ganz fest, dass du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Damit bezeichnet Petrus den gesamten christlichen Glauben in einer kurzen Summe. Freilich scheint dies Bekenntnis mit der hier verhandelten Frage, wieso man Christi Fleisch genießen könne, in keinem Zusammenhange zu stehen. Darauf antworte ich: mögen die Zwölf auch nicht alsbald alles begriffen haben, was Jesus sagte, so ist es doch genug, wenn sie, dem geringen Maße ihres Glaubens entsprechend, sich zu ihm als ihrem Heilande bekennen und sich ihm in allen Stücken unterwerfen. Vom „Glauben“ redet Petrus zuerst, weil der Anfang aller wahren Erkenntnis der Gehorsam des Glaubens ist; ja, der Glaube ist so recht das Auge des Verstandes. Doch schließt sich alsbald das „Erkennen“ an, welches den Glauben von irrigen und falschen Meinungen scheidet. Eine Art von Glauben kann man ja auch den Römischen, Mohammedanern und Juden nicht absprechen; aber es fehlt bei ihnen die klare Erkenntnis, Glauben und Erkennen gehören eng zueinander, weil die göttliche Wahrheit für uns etwas ganz unzweifelhaft Feststehendes ist. Allerdings handelt es sich um einen ganz anderen Erkenntnisvorgang, als bei den menschlichen Wissenschaften; diese Erkenntnis versiegelt uns der heilige Geist, indem er uns volle Gewissheit ins Herz gibt.
V. 70. Jesus antwortete ihnen usw. Weil Christus die Antwort an alle richtet, ziehen wir die Schlussfolgerung: also hat Petrus im Namen aller geredet. Jesus will nun durch vorherige Aussprache die elf Apostel gegen ein neues Ärgernis wappnen, das noch bevorstand. Schon das war ein meisterhafter Schachzug Satans, dass er die Schar der Jünger Jesu auf ein so kleines Häuflein herunterbrachte. Wie nahe lag es, dass nun auch der Glaube dieser Handvoll Menschen zusammenbrach! Vollends nun im Kreise der Zwölfe noch ein Verräter! Das hätte der Todesstoß werden können für den Glauben der letzten Getreuen. Zwölf! Welch eine bedeutungsvolle Zahl! Man hätte denken sollen: Christus hat sie besonders ausgewählt: so ist es doch wohl ein Ding völliger Unmöglichkeit, dass sich in dieser Runde ein unlauterer Mensch befinden sollte. Jesu Wort will demgemäß besagen: Aus der großen Menge seid ihr zwölf mir nur noch allein übrig geblieben. Viele sind untreu geworden. Es hat euch nicht irremachen können. Doch es steht noch ein schwerer Strauß bevor. So wenige ihr seid, - eure Zahl wird nochmals um einen vermindert werden. –
Wenn Jesus von den Zwölfen sagt, er habe sie erwählt, so bezieht sich das nicht auf den ewigen Ratschluss Gottes; ist es doch undenkbar, dass auch nur einer von denen, die zum Leben vorher verordnet sind, zu Falle kommt. Sie waren erwählt worden zum Apostelamt, und deswegen konnte man von ihnen erwarten, dass sie sich durch Frömmigkeit und heiligen Wandel vor den anderen auszeichnen würden. Erwählte sind also hier so viel wie Auserlesene, die vom Volke abgesondert worden waren.
Euer einer ist ein Teufel. Unzweifelhaft wollte Jesus damit den Judas als einen im höchsten Maße abscheulichen Menschen bezeichnen. Es ist gar nicht am Platze, wenn etliche meinen, sie müssten die Kraft dieser Bezeichnung abschwächen. Welch ein heiliges Amt war diesem Judas übertragen worden! Und wie schrecklich entweiht er es! Dafür ist kein Ausdruck zu schlimm. „Engel“ werden die Lehrer genannt, welche treulich ihres Amtes walten (Mal. 2, 7). Dann heißt aber ein Mensch, der, in einen solchen Ehrenstand berufen, dennoch so tief sinkt, dass er ein treubrüchiger Frevler wird, mit vollem Recht ein Teufel. Ein weiterer Grund ist der, dass Gott dem Satan bei solchen tief gesunkenen Dienern seines Wortes noch mehr Recht und Macht einräumt, als bei beliebigen anderen aus dem gewöhnlichen Volke. Deshalb braucht man, wenn frühere Hirten des Volkes Gottes sich von wahrhaft teuflischer Bosheit beseelt zeigen und wilden Tieren, ja Ungeheuern ähnlich werden, wahrhaftig nicht um dessentwillen verächtlich auf den geistlichen Stand herunterzusehen. Im Gegenteil, dadurch muss er in unserer Achtung steigen. Das muss ein edler Stand sein, dessen Entweihung Gottes Rache in so furchtbarer Weise straft.
V. 71. Er redete aber von dem Judas. Judas hatte sicherlich schon ein böses Gewissen. Dennoch lesen wir nichts davon, dass dies Wort auf ihn Eindruck gemacht habe. Heuchler sind eben so abgestumpft, dass sie es gar nicht merken, wenn ihnen gleich der schärfste Stich versetzt wird. Ja, sie haben eine so eiserne Stirn vor den Menschen, dass sie sich unbedenklich in die Reihe der Besten zu stellen wagen.