Nr. 427 (C. R. – 2057)
Calvin, Jean - An König Sigismund August von Polen.
Der König von Polen sandte seinen Beichtvater, den Franziskaner Lismanino, zum Ankauf reformatorischer Schriften auf Reisen; dieser hielt sich längere Zeit in Genf auf, legte die Kutte ab und nahm ein Weib. Er bewog Calvin auch, an Sigismund August persönlich ein Mahnschreiben zur Reformation zu richten (vgl. 263). Abweichend von seinem gewöhnlichen Brauch redet in diesem Brief Calvin den König auch im Lateinischen mit Vos (Ihr, Sie) an.
Über die falschen Ansprüche des Papsttums.
Wenn ich auch schon vor fünf Jahren, gnädigster König, einen Teil meiner Schriften Ihrer Majestät öffentlich gewidmet habe, um den Samen der Frömmigkeit, der, wie ich hörte, damals schon in Ihrem Herzen ausgestreut war, mehr und mehr zum Wachstum zu bringen, so wagte ich als Unbekannter es doch jetzt nicht, ein persönliches Schreiben an einen so hochberühmten Herrscher zu richten, wenn mir nicht unser verehrter Bruder, dem ich diese Ehrung schuldig bin und dessen treue Ergebenheit für Ihre Majestät mir bekannt ist, so dass er, wie ich nicht zweifle, Ihre Gesinnung durch und durch kennt, dazu durch seinen Rat und sein Mahnen Mut gemacht hätte. Weil er mir also feierlich versprach, Ihre Majestät würde mein Tun nicht ungnädig aufnehmen, so fürchte ich den Vorwurf kühner Zudringlichkeit weiter nicht. Weil es nun aber unsinnig wäre, wenn von einem Diener des Evangeliums ein inhaltsloser Brief vor das Angesicht eines großen Königs käme, so will ich den gleichen Stoff behandeln, wie in der Vorrede meines Kommentars zum Hebräerbrief, weil ich keinen bessern, eines Königs würdigern und zeitgemäßern weiß. Denn ich bin überzeugt, dass Sie in der Ehrfurcht, die Sie vor dem Sohne Gottes hegen, den wir gemeinsam unsern Herrn nennen, es nicht verschmähen werden, sich von einem seiner Knechte ermahnen zu lassen. Wahrlich diese Bescheidenheit steht allen Jüngern Christi wohl an, vom höchsten bis zum niedrigsten, vom König bis herab zum gewöhnlichen Volk, dass wir uns gern und sanftmütig seiner Himmelslehre unterordnen. Denn so küssen nach Davids Weisung [Psalm 2, 12] auch die irdischen Könige den Herrn und das Haupt aller Reiche, dass sie es nicht verschmähen, ihn zu hören, wenn er durch die Menschen, denen er das Lehramt überbunden hat, zu ihnen redet. Übrigens halte ich es meinerseits für meine Pflicht und werde mich bestreben, Ihnen nicht durch Weitschweifigkeit lästig zu werden.
In erster Linie will ich die furchtbare Finsternis, die überall herrscht, die Hochflut von Irrtümern, die fast die ganze Welt bedeckt, die Missbräuche und Verderbnisse, die die Religion beflecken, nicht berühren, um nicht durch überflüssige Behandlung bekannter Dinge Ihre Majestät nutzlos in Anspruch zu nehmen. Denn ich habe ja nicht mit einem ungebildeten Manne, der nichts von der wahren Frömmigkeit weiß, zu reden, sondern mit einem König, der erleuchtet ist vom Licht der reinen Lehre, so dass er nicht nur selbst frei ist vom krassen Aberglauben des Volkes, sondern auch ganz richtig beurteilen kann, wie verderblich das Labyrinth der Irrtümer ist, in dem noch der größere Teil der Menschheit gefangen gehalten ist. Denn wenn Christus schon von den gewöhnlichen Jüngern will, dass sie Lichtern gleich sein sollen, die auf den Leuchter gestellt ihren Glanz weithin strahlen lassen, was wird er dann von einem König fordern, den er auf den Höhepunkt menschlicher Ehrenstellung gesetzt hat, damit er allen andern voranleuchte? Denn je ehrenvoller die Höhe des Thrones ist, auf dem Sie sitzen, umso schwieriger ists, einen gleich hohen Sinn zu pflegen, damit die Würde durch die Tugend ihres Inhabers noch geschmückt wird, und umso sorglicher müssen Sie an die Rechenschaft denken, die Sie einst vor Gott werden ablegen müssen. Wenn nun schon wir im Dunkel lebenden Menschen uns fürchten müssen, dass der Leben schaffende Same [des Wortes Gottes] nicht ersticke, entarte, oder ganz verloren gehe, was muss erst Ihre Majestät tun, der es nicht genug sein darf, aus sich persönlich reiche Frucht zu bringen, es sei denn, dass sie danach strebe, diese Frucht wieder als neuen Samen unter viele Tausende Ihrer Untertanen auszustreuen. Halten Sie das also im Sinne, edelster König, dass in Ihrer Person für ganz Polen ein Licht von Gott entzündet ist, das nicht ohne schwere Schuld verborgen bleiben darf.
So muss es Ihre erste Sorge, Ihr erstes Bestreben sein, die Gebiete, die Ihnen untertan sind, aus der schmählichen Verheerung des Papsttums wieder zu sammeln unter die Herrschaft Christi. Es breche hervor der heldenhafte Mannesmut, der nun zu lange schon schlummerte, und schaffe sich an dieser edeln Aufgabe ein rühmliches Zeugnis. Freilich entgeht es mir nicht, wie hoch die Aufgabe ist, und wie viel und wie groß die Schwierigkeiten dabei sind, die der Satan nach seiner Gewohnheit immer wieder in den Weg legt. Aber da für Gottes Ehre und das Reich Christi gekämpft wird und dieser Kampf der Reinheit des Heiligtums, dem Wohl der Menschheit gilt, so ists eine so ausgezeichnet gute Sache, dass sie mit der Ehre, die sie bringt, alle Schwierigkeiten wegtilgt und alle Hindernisse leicht überwindet. Ja selbst die Feinde der Wahrheit zeigen uns durch ihr Beispiel, was wir tun müssen. Denn je leidenschaftlicher Ihre Majestät sie die Wahrheit bekämpfen sieht, umso schmählicher wäre es, ihrer tollen Hitze nicht wenigstens mit mutigem Eifer gleichzukommen. So mögen sie sich in möglichst scharfem Angriff drauflos stürzen, all ihr Rüstzeug herschleppen, die feurigen Bomben, die ihnen der Satan liefert, wie ihre vergifteten Pfeile schleudern, bald mit Hinterlist, bald in offenem Kampfe wüten, das alles darf ein edles und mit der himmlischen Kraft des Geistes Gottes ausgerüstetes Herz so wenig erschrecken, dass es uns vielmehr ein Ansporn wird zu frommem Wetteifer in Gegenwehr und eigenem Angriff. Dazu kommt, dass Gott, weil er es ja sein eigenes Werk nennt, die zerfallene Kirche, deren einziger Gründer er ist, wieder aufzubauen, uns ohne Zweifel, wenn wir dafür kämpfen, nicht im Stich lassen wird.
Übrigens, da Sie nicht nur mit Gegnern in Ihrem eigenen Hause zu kämpfen haben, sondern mit solchen, die sich als Vorgesetzte in Religionssachen, als Hüter des Heiligtums, und als Väter und Vormünder der Kirche rühmen, so wird vielleicht Ihre Majestät ängstlich bei der Befürchtung stehen bleiben, sie könne etwas unternehmen, was nicht in Ihr Gebiet gehöre. Gewiss, es muss allen Kindern Gottes stets bei ihrem Handeln als von Gott geboten und festgelegt gelten, dass man die Grenzen seines Berufes nicht überschreite. Ich muss also, damit kein eitles Schreckgespenst Sie hindere oder aufhalte, in ein paar Worten davon reden, inwiefern das zu befürchten wäre. Wie uns die Papisten stets ihre Hierarchie entgegenhalten, so werden sie ohne Zweifel auch bei Ihnen sich dieses Schildes bedienen. Denn weil Sie uns in den einzelnen Punkten der Lehre weit überlegen sehen, so flüchten sie als Besiegte in diesen erbärmlichen Schlupfwinkel [und sagen]: so verderbt der Zustand der Kirche auch sein möge, Laien sei es doch nicht erlaubt, an ihre Fehler zu rühren. Und sie sind nicht zufrieden, damit einen Unterschlupf zu finden, sondern gleich schwillt ihnen noch der Kamm: weil dem Petrus der Primat über die Kirche gegeben sei und die ganze päpstliche Klerisei in ununterbrochener Reihe bis auf den heutigen Tag sich von den Aposteln ableiten lasse, so stehe ihnen allein das Recht und die Macht zur Leitung der Kirche zu. So wird’s der Mühe wert sein, diese beiden Punkte kurz zu untersuchen. Doch werde ich vom Primat des römischen Stuhles nicht so reden, als müsste ich mir das erst vornehmen; denn ich glaube, diese Frage bereits so behandelt zu haben, dass sich der Papst nur noch mit der größten Unverschämtheit das anmaßen darf, was er bisher behauptet hat: nämlich, er sei das Haupt der ganzen Kirche. Denn, wenn Paulus uns zur Einheit mahnen will und sagt: „Ein Gott, ein Glaube, eine Taufe (Eph. 4, 5), ein Geist, ein Herr und ein Leib der Kirche“, so hätte er doch nicht auslassen dürfen, was zum Beweis der Einheit von höchster Wichtigkeit gewesen wäre; es sei auch ein Oberpriester, dessen Macht die ganze Kirche in rechter Ordnung verbunden halte. Es wäre ja eine schmähliche Vergesslichkeit gewesen, wenn er die Gläubigen nicht daran erinnert hätte, sie möchten unter dem einen, ihnen von Gott gesetzten Haupte bleiben, wenn es nämlich wirklich wahr wäre, dass einem Menschen der Primat über alle Kirchen gegeben wäre. Aber anderswo (Gal. 2, 7) erklärt er sich selbst deutlich genug, wenn er sagt, er selbst habe das gleiche Apostelamt unter den Heiden, wie es dem Petrus unter den Juden gegeben war. Hier wird sicher nicht bloß eine gleiche Stellung behauptet für beide, sondern die Teilung ist auch der Art, dass genau gesprochen das Apostelamt des Petrus uns gar nichts angeht. Schließlich sagt er auch im eben angeführten Kapitel (Eph. 4, 11), wo er von der von Christo bestimmten Art der Kirchenleitung spricht, nicht, es sei von ihm ein Statthalter erwählt worden, der ihn in seiner Abwesenheit auf Erden verträte, sondern es seien gesetzt Apostel, Hirten und Lehrer, die gemeinsam jeder nach der ihm verliehenen Gnadengabe arbeiten sollten. Wollte Gott, dass einer allen andern vorstünde, so hätte er ihn gewiss nicht mit einem bestimmten Teil seines Geistes begabt, sondern ihm die ganze Fülle des Geistes übertragen. Die lächerliche Ausrede, dass dem Petrus die Schlüssel gegeben worden sind, will ich jetzt nicht widerlegen, weil anderswo genug, ja mehr als genug, bewiesen ist, dass das dem Papst nicht mehr hilft, als wenn es irgendeinem andern Apostel gesagt worden wäre. Denn wie ist er denn mit Petrus blutsverwandt oder verschwägert, dass er sich als seinen Erben aufspielt? Denn, wenn er sagt, es sei [nicht dem Mann, sondern] dem Amtssitz das Vorrecht verliehen, so ist das mehr als töricht. Denn warum wäre dann nicht viel eher Jerusalem der Sitz des Primats, wo doch unbestritten der Sohn Gottes als Hohepriester seines Amtes gewaltet hat? Aber wie gesagt, das kann man anderswo zur Genüge finden, wo es eingehender ausgeführt ist, wie auch der Satz, dass Christus nichts weniger gewollt hat, als einen unter den Aposteln zum Fürsten [über die andern] erheben. Denn dem Hohenpriester, der unter dem Gesetz [des alten Testaments] bestand, ist seine Würde deshalb abgesprochen, damit nun allein Gottes Sohn als Haupt über den andern stehe, diese alle aber als einander beigeordnete Glieder gelten. Aber in wahrhaft gottloser Frechheit verdrehen die Papisten, zum Beweis für die Herrschaft ihres Götzen, das Apostelwort: Wo das Priestertum verändert wird, da muss auch das Gesetz verändert werden (Hebr. 7, 12). Denn der Apostel sagt dort nicht, das Ehrenamt des Hohepriestertums sei von einem Menschen auf irgendeinen andern Menschen übertragen, sondern er behauptet, es bleibe bei dem eingebornen Sohn Gottes, so dass man keinen andern Nachfolger suchen müsse, weil er gesetzt ist zum Priester nach der Ordnung Melchisedeks ewiglich (Hebr. 7, 15. 17). Es müsste uns ja schon einzig der Wille Gottes genügen, wie er denn die wahre Regel der gesetzmäßigen Kirchenleitung und ein unverletzliches Gesetz ist. Dazu kommt aber noch, dass es weder möglich noch nützlich ist, dass ein Oberhaupt der ganzen Kirche in allen Ländern sei, denn das überstiege das Maß menschlicher Schwachheit bei weitem und könnte gar nicht zum allgemeinen Brauch sich eignen. Schließlich haben allein Ehrgeiz und Hochmut den Primat, den uns die Römlinge entgegenhalten, geschaffen. Die alte Kirche setzte freilich Patriarchate ein und wies auch einzelnen kirchlichen Provinzen gewisse Primatrechte zu, damit die Bischöfe durch dieses Band der Eintracht besser unter sich verbunden blieben. Wie wenn heute dem sehr erlauchten Königreich Polen ein Erzbischof vorstünde, nicht um über die andern zu herrschen oder sich ihnen entrissene Rechte anzumaßen, sondern um aus Gründen der Ordnung bei den Synoden den Vorsitz zu führen und die heilige Einigkeit unter seinen Kollegen und Brüdern zu pflegen. Es gäbe dann aber auch Provinz- oder Stadtbischöfe, die besonders der Wahrung der kirchlichen Ordnung oblägen. Wie die natürliche Ordnung es geböte, wäre dann aus jedem Kollegium einer auszuwählen, dem die Hauptsorge obläge. Aber es ist etwas ganz anderes, ein solches maßvoll begrenztes Ehrenamt zu verwalten, so weit es natürlich in menschlicher Kraft liegt, als den ganzen Erdkreis in ein unermessliches Reich zusammenzufassen. So ist also eine läppische Sache, was die Römlinge von dem einen Oberhaupt schwatzen, weil es weder eine heilige Einrichtung Gottes noch ein Brauch der alten Kirche ist, Christo, den allein der Vater im Himmel allen überordnete, ein zweites Haupt beifügen zu wollen.
Ja, käme aber selbst aus irgendeinem Rechtsgrunde dem Oberpriester in Rom die höchste Ehre zu, so hat er sich ihrer doch selbst beraubt, weil er vom Glauben der Apostel abgefallen ist und den Platz verlassen hat, der ihm von Gott dann angewiesen wäre. Denn um der erste unter den Bischöfen zu sein, müsste er selbst Bischof sein. Wenn aber nun offen feststeht, dass den Bischofstitel unwürdig führt, wer nicht das Lehramt ausübt, was wird man von dem halten müssen, der nicht nur die Last des Lehramts auf andere abwälzt und in weltlichem Prunke schwelgt, sondern sogar die Lehre Christi so grausam als gottlos auszurotten strebt. Will der Papst etwas an sich haben von Paulus, so sei er eine Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse [1. Kor. 4, 1]. Will er sich schmücken mit dem Lobe des Petrus, so sei er ein treuer Hirte seiner Herde und ein Zeuge der Leiden Christi [1. Petr. 5, 1]. Da er aber geradezu mit Absicht dem ferne steht, ja sich nicht einmal den Schein gibt, er sei ein Diener am Worte Gottes, so hat er sich selbst des Primates, wenn ihm überhaupt je ein solcher gegeben worden wäre, entäußert. Dazu, wie kann Rom die Mutter der Kirchen sein, da diese Kirche doch selbst kein anderes Urteil verdient als Babel? Die Seele der Kirche ist die reine Lehre; da es gewisser als gewiss ist, dass diese reine Lehre zu Rom ganz vernichtet ist, so folgt daraus, dass nur ein Leichnam dort zurückbleibt. Schließlich gibt’s ja nichts Widersinnigeres, als dass der als das religiöse Oberhaupt in der Herde Christi verehrt wird, der der erklärte Feind des wahren, echten Christentums ist. Weiterhin täuscht sich Ihre Majestät durchaus, wenn sie erwartet, bei der ordnungsgemäßen Gestaltung der Verhältnisse im Reiche Polen bei der Sekte Unterstützung zu finden, die an nicht als an völliger, fürchterlicher Verwirrung ihre Freude hat. Denn der Papst zu Rom und seine Höflingsschar kann nicht herrschen, es sei denn die Kirche unterjocht, der Gottesdienst besudelt, die Ordnung zerrissen, ja alle Religion vernichtet. Darf man da hoffen, dass, wer aus dem Verderben der Kirche seine Nahrung zieht, ein Mittel zur Heilung ihrer Schäden selbst vorbringe oder auch nur anwenden lasse? Wenn deshalb ein frommer, christlicher Fürst im Sinne hat, der Unordnung abzuhelfen, so darf er sich keinen Augenblick abhalten lassen durch die Trägheit der Seelenhirten, wenn sie in ihrem Amte säumig sind. Noch weniger braucht ihn der freche Übermut derer, die überhaupt nur fälschlich Hirten heißen, in seinem frommen Bestreben zu hindern. So ist es ein eitles Schreckgespenst, wenn es heißt, ohne den Willen des Papstes dürfe zur Reformation der Kirche nichts getan oder versucht werden. Vielmehr muss sich, was die Apostel beim ersten Aufgang des Evangeliums erfuhren, auch heute noch erfüllen: Christus wird von den Bauleuten verworfen, d. h. von denen, die sich Bischöfe nennen lassen; weil er aber gesetzt ist zum Eckstein, so wäre es nicht recht, wenn er ihrem gottlosen Widerstreben weichen müsste.
Es bleibt noch eine zweite Frage: wer soll, um die gesetzmäßige Aufeinanderfolge zu wahren, die Pfarrer ordinieren? Weil ich es für sehr wichtig halte, dass nichts in der Kirche unordentlich geschieht, damit nicht dadurch jeder Willkür der Zügel freigelassen wird, auch weil es uns durch Pauli Mund vom Geiste Gottes ausdrücklich vorgeschrieben ist: „Lasst es alles geziemend und ordentlich zugehen“ [1. Kor. 14, 40], so bin ich der Meinung, ein geordneter Dienst am Wort sei stets mit Ehrfurcht festzuhalten. Denn das verlangt schon die richtige Vernunft, wie auch das Gebot Gottes, dass keiner sich frech eindränge, und nicht jeder beliebige Privatmann sich das Hirtenamt anmaße, sondern dass einer, durch den Entscheid der andern Pfarrer erwählt, dann der Gemeinde vorgeschlagen und durch ihre Zustimmung bestätigt werde. Dazu soll dann noch die feierliche Handauflegung kommen, die man [im engern Sinn] die Ordination nennt. Da die Papisten allein darüber mit uns so sehr streiten, so zeigen sie damit zur Genüge, dass sie ganz außer acht lassen, was doch die Hauptsache ist, die Wahl nämlich. Tatsächlich ist bei ihnen ja die Sorge um eine richtige Prüfung der Tauglichkeit so gering, dass es die reine Komödie verbunden mit einer Verhöhnung Gottes ist. Bloß auf dem Prunk der Zeremonie bestehen sie: nicht zufrieden mit dem alten Brauch der Handauflegung weihen sie ihre Priester durch eine Salbung, die weder in der Schrift erwähnt wird, noch als Brauch der apostolischen Kirche überliefert ist. Da sie diese Salbung nur aus der Hefe des Judentums wieder aufgegriffen haben, so wird sie, wo der reine Glaube wieder zur Geltung kommt, mit den andern Missbräuchen des Papsttums abzuschaffen sein.
Doch ein anderer Aberglaube ist noch weit schlimmer, nämlich, dass sie ihre Priester nicht zum Amt der Predigt und Seelsorge weihen, sondern dazu, in entheiligender Frechheit das Recht und Amt Christi an sich zu reißen und sich anzumaßen. Sie werden nämlich eingesetzt, das Messopfer zu zelebrieren, durch das, wie sie sagen, Gott versöhnt werden soll. Deshalb ist das ganze papistische Priestertum nicht nur eine unfromme Entweihung des wahren Dienstes am Wort, sondern eine fluchwürdige Schmähung Christi, so dass, wer ein papistischer Priester ist, gar nicht ein Knecht Christi sein kann, bis er jenen Titel von sich wirft. Deshalb muss ihr Amtscharakter, obwohl er nach ihrer Lehre unaustilgbar ist, doch abgefeilt und ausgetilgt werden, wenn die Kirche Gottes reine Diener haben soll. Auch noch durch ein anderes Merkmal der Schmach ist das papistische Priestertum mit Recht den Frommen ein Abscheu. Denn wie nach den alten Grundsätzen des Kirchenrechts, wer seine Weihe empfängt von einem Ketzer oder Schismatiker, sich desselben Vergehens schuldig macht, so weiß Ihre Majestät wohl, welcher Art seit vielen Jahrhunderten die salbenden Bischöfe mit ihren Hörnermützen waren. Wer also jetzt in ihren Stand aufgenommen zu werden begehrt, gibt er nicht indirekt seine Zustimmung zu der entsetzlichen Verwüstung [der Kirche], deren jene Bischöfe vor Gott und seinen Engeln schuldig sind? Doch ist damit die Frage noch nicht gelöst. Denn weil es nicht unterschiedslos jedem erlaubt ist, zum Pfarramt zu gelangen, so müssen freilich diejenigen, die sich als richtige und dieser Ehre würde Pfarrer bewähren wollen, ordnungsgemäß berufen und eingesetzt sein. Da wäre es nun – das will ich zugeben – wünschenswert, dass eine ununterbrochene Aufeinanderfolge in Kraft stünde, so dass das Amt gleichsam von Hand zu Hand ginge. Aber wir müssen uns daran erinnern, was ich früher erwähnte, dass reine Lehre die Seele der Kirche ist, und deshalb das, was das Wesen der Kirche, ihre Reinheit, ausmacht, bei denen umsonst gesucht wird, die offene Feinde des Evangeliums sind. Weil aber die wahre Reihe der Weihen durch die Tyrannei des Papstes unterbrochen ist, braucht es heute neue Hilfsmittel zur Wiederherstellung der Kirche. Umsonst prahlen die Papisten mit dieser Kette, die doch von ihnen selbst zerrissen ist, wie ich sagte. Denn was ist das Papsttum anders als Abfall von Christo? Wie wollen sich die Nachfolger eines Abgefallenen rühmen? Hilfe schafft aber Gott selbst, indem er tüchtige, ehrliche Lehrer aufruft, die die Kirche, die im Papsttum in wüsten Trümmern lag, wieder aufbauen.
Es war ein ganz außerordentliches Amt, das Gott uns auferlegt hat, indem er unser Wirken zur Reformation der Kirchen brauchte. Der Männer Beruf also, die so wider alles menschliche Erwarten in ungewohnter Weise plötzlich aufstanden als Kämpfer für den echten Glauben, lässt sich nicht nach der gewöhnlichen Regel messen. Übrigens wurden sie von Gott berufen mit dem Gebot, sie sollten, wenn die kirchlichen Verhältnisse neu geordnet seien, andere Pfarrer an ihre Stelle setzen.
Deshalb, edelster König, was auch der papistische Klerus schwatzen mag vom erblichen Recht seines Priestertums, so mag so eitles Gerede Ihre Majestät nicht hindern, unter Gottes Schutz das alleredelste und vor Gott und seinen Engeln löbliche Werk zu beginnen, dass Christus allein in Ihrem Reich durch die reine evangelische Lehre herrsche. Die beste, nützlichste Art des Vorgehens wird dabei folgende sein: Weil jetzt Wölfe an Stelle der Hirten stehen und es ein allzu gewaltsames Mittel scheinen könnte, wenn nun neue Hirten, allein durch königliche Macht gewählt und ohne andere Berufung, an ihre Stelle träten, so möge Ihre Majestät vorerst nur Lehrer einsetzen, die überall den Samen des Evangeliums ausstreuen. Das wäre aber nur ein provisorisches Amt, solange die Verhältnisse noch ungeordnet und in der Schwebe wären; denn die allgemeine Verwaltung der Kirche könnte nicht mit einem Schlag geändert werden. Aber mit dem erwähnten Anfang oder Vorspiel könnte ein bequemer Übergang zur völligen Erneuerung der Kirche geschaffen werden. Es wäre freilich noch keine Reformation der Kirche, sondern erst eine Art Vorbereitung dazu. Sind die Verhältnisse dann aber zur Reife gediehen, so könnte kraft königlicher Gewalt und der Zustimmung der Reichsstände eine bestimmtere Ordnung über die Wahl der Pfarrer für die Zukunft festgestellt werden. Im Übrigen müsste Ihre Majestät, weil die Feinde der reinen Lehre versuchen werden, den frommen, wahrhaftigen Lehrern gewaltsam die Türen zu sperren, diesen hilfreiche Hand bieten, damit sie freimütig das Volk vom abergläubischen Irrtum in die Bahn wahrer Frömmigkeit leiten könnten.
Weil ich nun aber sehe, dass ich schon weiter gegangen bin, als ich mir anfänglich vorgenommen habe, so will ich dem zuvorkommen, dass Ihre Majestät meiner überdrüssig werde, und hier Schluss machen mit Schreiben. Der Herr und Vater im Himmel leite Ihre Majestät durch die Hand seines eingeborenen Sohnes, bewahre Sie in seinem Schutz, unterstütze Sie mit seiner Kraft und lenke Sie, edelster König, mit seinem Geiste.
Genf, 5. Dezember 1554.